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Kleine
doitsche Medienkunde und
Fragen militanter Praxis
autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe
1993
Medien-Randale (I)
Berlin, Lustgarten, 8. November 1992: „Aber mit allem Nachdruck ist zu
verlangen, dass wir in der Politik die Kraft auf allen Seiten finden, nun gemeinsam
den nächsten notwendigen Schritt zu tun nach den Regeln der Verfassung und
ohne die schrecklichen schrillen Töne, die uns keinen Schritt weiterbringen,
sondern am Ende nur Wasser sind auf die Mühlen der gewalttätigen Extremisten“
(Richard von Weizsäcker, zit. n. Stuttgarter Zeitung, 9. November 1992).
„Los incendarios ideologicos
dirigen esta manifestacion“
Die versammelte politische (und herrschende) Klasse, die seit einem Jahr unaufhörlich
die Stimmung gegen die Flüchtlinge und Menschen ohne deutschen Pass aufheizte,
die bereits heute über diverse Ausnahmegesetze Menschen erster und zweiter
Klasse produziert, hatte die Untertanen zur Demonstration gerufen. Sie wollten
gegen die von ihnen auf juristischer Ebene unterstützten und auf rhetorischer
Ebene heraufbeschworenen (z.B. Rühe-Rundbrief vom Sommer 1991) und munitionierten
Pogrome ein Zeichen setzen: Wir waschen unsere Hände in Unschuld. Die bundesdeutsche
politische Klasse wollte den biederen StaatsbürgerInnen außerdem zeigen,
von wem in diesem Land einzig und allein Gewalt gegen Nicht-Deutsche ausgehen
darf.
Die dort versammelten PolitikerInnen hatten die gegenwärtig herrschende rassistische
Stimmung selbst salonfähig gemacht. Mit dem Ruf von ‚Volkes Stimme‘
im Rücken fällt es freilich leichter, zu vertuschen, dass Gesetze in
diesem Lande nur so lange Bestand haben, wie es bestimmten Interessen beliebt,
bzw. wie dieselben bei der Herrschaftsausübung nicht störend sind. Inzwischen
zwicken nicht mehr nur einzelne Gesetze, nein mittlerweile passen große
Teile der Geschäftsgrundlage des bürgerlich-repräsentativen demokratischen
Staates nicht mehr. Damit aber niemand, insbesondere das ‚böse‘
Ausland nicht merkt, wie hierzulande inzwischen nicht nur anhand eines Grundgesetz-Artikels
Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen, inszenierten sie jenen Umzug
mit dem biederen und farblosen Bundes-Richi an der Spitze.
Auf einmal prasselte es Farbeier „Und plötzlich war es ein Spießrutenlaufen“:
„Sekunden zuvor noch hatte er (...) dargelegt, warum man sich (...) versammelt
habe: ‚Weil uns unser Land am Herzen liegt. Und weil wir uns um Deutschland
sorgen‘“ (Frankfurter Rundschau, 9. November 1992). Genau weil
das ihre Hauptsorge war und nicht etwa das Wohlergehen der von Deutschen gejagten
Flüchtlinge, wie auch geheuchelt wurde (Vgl. z.B. demgegenüber Rita
Süßmuth zit. n. Stuttgarter Zeitung, 9. November 1992: „Weil
Flüchtlinge ein Problem sind, das wir reduzieren müssen“)
gab es eine auf die Nuss. Ihnen öffentlich und nachvollziehbar die Gefolgschaft
und die Loyalität aufzukündigen und sich nicht zu Claqueueren degradieren
zu lassen, lautete das Gebot der Stunde. So musste „auch der erste Mann
im Staat erkennen, dass der kleinste gemeinsame Nenner, den man (...) gefunden
hatte, um das Deutschland-Bild im Ausland via Großdemonstration zu korrigieren,
nicht bei allen trägt“ (Ebd.). Nachdem sich die ökonomisch
herrschende bürgerliche bzw. deren politische Klasse an die Spitze der Demonstration
stellte, wurde versucht, die Teilnahme zu einer Zustimmung zu ihrer Politik umzufunktionieren.
Doch nicht wenige DemonstrantInnen waren da ganz anderer Meinung: „Geht‘s
um Image und Profit, gehn selbst die Schreibtischtäter mit“ und
„In der BRD marschieren Brandstifter und Heuchler in der ersten Reihe“
(Demo-Transparente). Fazit: „Es ist schleierhaft, wie die Bonner Parteien,
die sich anschicken, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken, darin ein Zeichen
der Zustimmung zu ihrer Politik sehen können“ (SPIEGEL 47/1992,
S. 23).
Deutschland, Deutschland über
alles: „Der Gartenzaun des Deutschen ist unantastbar“
(Demo-Transparent)
Vor aller Welt blamierten sich der vielgerühmte organisatorische doitsche
Perfektionismus und die eingebildete Allgewalt des bundesdeutschen Staatsapparates:
„Die erste Garnitur unseres Landes ist am Sonntag im Lustgarten auf beschämende
Weise herumgeschubst worden“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1992).
Es ging also nicht um die Flüchtlinge, die inzwischen in diesem unseren Lande
nicht mehr nur ‚herumgeschubst‘ werden. BerichterstatterInnen und
KommentatorInnen verschwendeten kaum eine Zeile, auf die tatsächlichen Opfer
des zündelnden Bundestags- und Regierungsmobs hinzuweisen. Sie sorgten sich
zuerst um das Ansehen von ‚Deutschland‘. Das angeblich verzerrte Deutschland-Bild
in der Weltöffentlichkeit wieder zurechtzurücken, das sah die Mehrzahl
der bundesdeutschen (Print-)Medien als ihre vornehmste Aufgabe und oberste Bürgerpflicht
an. Doch auch die AuftraggeberInnen waren über die Art der Live-Übertragung
unzufrieden. Ihre Kommentierung macht deutlich, woher der Wind wehen sollte: „Und
dass es eine deutsche Fernsehkamera war, die sogar einen englisch gepinselten
Aufruf zum Investitionsboykott in die Welt transportierte, lässt wirklich
fragen: Wo liegt denn hier der Nachrichtenwert?“ (Magazin Wirtschaft
Mitteilungen und Meinungen der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart Nr.
11/1992).
Die Fiktion eines ‚besseren‘, angeblich ‚ausländerfreundlichen‘
Deutschland ging dabei zu Bruch: „Linke Krakeeler, gewalttätige
Autonome, radikale Ideologen sie haben wieder einmal zerstört und in Scherben
geschlagen, was doch eigentlich gekittet werden sollte: das Ansehen der Republik,
der Ruf des neuen, wiedervereinigten Staates“ (Stuttgarter Nachrichten,
9. November 1992). Denn „nach den Widerwärtigkeiten der letzten
Zeit in Ost- und Westdeutschland wurde mit dieser Versammlung ein klares Zeichen
dafür gesetzt, wo das gute Deutschland steht“ (Südwestpresse,
9. November 1992). „Der Bundeskanzler selbst bestätigt den Demonstranten,
dass sie nur als Kulisse für ein Staatsschauspiel eingeplant waren, das Deutschlands
Ansehen im Ausland heben sollte. Nicht die Wurfgeschosse gegen Richard von Weizsäcker
sind Helmut Kohls Problem, sondern das Misslingen der Show. Er hält es für
das ‚eigentliche‘ Verbrechen, dass eine Gruppe von Chaoten das schöne
Bild der Eintracht ‚im Ausland‘ trüben konnte“ (SPIEGEL
47/1992, S. 23). So hat es nicht sollen sein: „Das ist nicht unser Deutschland!“
(Die Welt) „In einem Desaster ging unter, was die Welt von einem besseren
Deutschland überzeugen sollte“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. November
1992). Und das ist gut so, da ein solcher Schein trügen würde.
„Er gerät in das
Visier gewalttätiger Amokläufer von links“ ‚Staatsnotstand‘
im Lustgarten (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1992)
Einmal mehr verhinderten also gewaltbereite ‚Chaoten‘, dass die führenden
bundesdeutschen PolitikerInnen zu Wort kommen konnten. Seit Wochen okkupieren
‚die Autonomen‘ die Sendeanstalten und Zeitungsredaktionen. Die demokratisch
gewählten PolitikerInnen sind praktisch abgeschnitten von ihren WählerInnen.
Sie vermögen sich gegenwärtig weder im Lustgarten noch in den Medien
Gehör zu verschaffen. „Und so regiert der Meinungsterror bis zum
Schluss“ (Stuttgarter Nachrichten, 9. November 1991). Doitschland droht
unregierbar zu werden: „Die größere Schande liegt allemal
bei jenen, die auch nur den Anschein zulassen, es dürfe eine Gesellschaft
geben, in der der Bundespräsident nicht auf offenem Platz zu Tausenden reden
kann, ohne unmittelbarer Gewalt ausgesetzt zu sein, ohne von Hunderten Polizeibeamten
geschützt werden zu müssen“ (Süddeutsche Zeitung, 9.
November 1992).
Nun beklagt das Medien-Lamento allenthalben, dass man sich in diesem Lande gegenseitig
nicht mehr zuhören wolle. Schon ein etwas seltsames Verständnis von
Dialog, hier die Verstärkeranlagen der Regierungen und unten die unverstärkten
Kehlen des gemeinen Pöbels. Um zumindest für einen gewissen Ausgleich
zu sorgen, schnitten ein paar von denen da unten die Kabel durch. Denn erinnern
wir uns: Wie lammfroh fielen die Kommentare dieser Medien-Schreihälse aus,
als die Staatsgewalt in Nürnberg und München die Diskussionen im Vorfeld
und während des Weltwirtschaftsgipfels 1992 unterband? Offensichtlich verstehen
sie unter ‚Zuhören‘ vor allem die staatsanwaltlichen und vom
Staatsschutz durchgeführten Ermittlungen, die sich mehrmals den Zugang zu
linken Veranstaltungen mit Schlagstöcken erprügelten. Berlin zeigte,
dass Pfiffe und Protest gegen die Regierenden nicht immer (wie in München)
einkesselbar sind.
Dabei hätten sie vorgewarnt sein müssen. Denn bereits angesichts historischer
Berliner Kundgebungen gegen das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht galten
vor dem Ersten Weltkrieg die Demonstrationen und Kundgebungen der Arbeiterbewegung
als „eine neue Art, sich mit den Herrschenden zu unterhalten“ (Friedrich
Naumann). Auch wenn diesmal die Regierenden glaubten, sich von Hunderttausenden
von DemonstrantInnen unterhalten lassen zu können, geriet die Veranstaltung
anno 1992 zu einer etwas anderen ‚Volksaussprache‘. Es wurde schließlich
ein würdiger Unterhaltungsnachmittag.
Wel rinks und lechts velwechsert
„300 000 Menschen haben heute in Berlin für die Menschenwürde
und gegen Gewalt, Fremdenhass demonstriert. Links- und rechtsradikale Gruppierungen
haben versucht, dieses Bild zu beschmutzen“ (Helmut Kohl, zit. n. Die
Welt, 9. November 1992).
Angesichts der Tatsache, dass die schöne Show erst einmal vermasselt war,
beginnen einige KommentatorInnen durchzuknallen: „Rechtsradikale, dumpfe
Triebtäter gegen alles, was anders ist, hatten Molotowcocktails in Wohnungen
geworfen, Fremde verprügelt, Gräber zerstört. Ihnen wollten die
Demonstranten zeigen, wie die Mehrheit der Deutschen denkt und wofür sie
eintritt. Linksradikale, dumpfe Triebtäter, auch sie gegen alles, was ihren
kümmerlichen politischen Horizont übersteigt, versuchten die Kundgebung
mit Steinwürfen, Trillerpfeifen und anderer Gewalt zu sprengen“
(Südwestpresse, 9. November 1992). Aber auch unsere GRÜNEN FreundInnen
sind mit am Werke. Oberfreund und Bundestagsabgeordneter Konrad Weiß: „Die
Linksradikalen haben ihr wahres Gesicht gezeigt. (...) Diese autonomen Faschisten
sind nicht besser als ihre braunen Gesinnungsgenossen und feige Verbrecher wie
diese“ (Zit. n. taz, 10. November 1992). Der Feind steht links, das
ist Tradition in Deutschland: „Man hat in letzter Zeit zu sehr nur auf
die rechte Szene geblickt und dabei übersehen, daß sich in den letzten
Jahren die Zahl der Linksextremisten nahezu verdoppelt hat“ (Stuttgarter
Zeitung, 9. November 1992).
Die Gewalt wohlstandschauvinistischer BundesbürgerInnen, das Ermorden, Brandschatzen
und Vergewaltigen, die Angriffe auf Frauen, Kinder und Behinderte, also all das,
was die PolitikerInnen und die Medien permanent mit Begriffen wie ‚Asylmißbrauch‘
und ‚Asylschwemme‘ herbeireden, -schreiben und -senden, sollte also
das Gleiche sein, wie der Versuch, einmal die hierfür politisch Verantwortlichen
mit Pfiffen und Farbeiern zu markieren und sie für ihre Heuchelei bloßzustellen:
„Brutale Gewalt, deren Opfer in den vergangenen Wochen in mehreren deutschen
Städten Ausländer geworden sind, hat jetzt nach den Politikern gegriffen,
die sich in Berlin versammelt hatten, um öffentlich die Gewalt zu verurteilen“
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. November 1992). Die Unmutsäußerungen
wurden zum Vorwand für die politische Klasse, sich selbst zu den eigentlichen
Opfern zu stilisieren. Von gleichermaßen linker wie rechter Gewalt war nun
wieder die Rede. Jeden Tag und jede Nacht jagen BundesbürgerInnen Flüchtlinge
und andere Menschen ohne deutschen Pass sowie Behinderte, AntifaschistInnen etc.
Inzwischen sind es schon 17 Tote (Stand: 30. November 1992) und das ist offenbar
dasselbe, wie wenn die hierfür politisch Verantwortlichen für ihre Heuchelei
mit Pfiffen und Farbeiern bedacht werden.
Der Stein bestimmt das Bewusstsein
„Mit Steinen gegen den ersten Mann im Staat“ (Südwestpresse,
9. November 1992) sei es im Lustgarten zur Sache gegangen. Obwohl es jedeR FernsehzuschauerIn
selbst sehen konnte, dass kein einziger Stein flog, „werfen Linksextremisten“
so der durchgehende Medientenor von FAZ bis taz „Steine und Eier auf
Bundespräsidenten und Kanzler“ (Stuttgarter Zeitung, 9. November
1992). Die Hilflosigkeit und der Ärger waren vollkommen, als Autonome nicht
so auftraten, wie sie sich der/die kleine ARD- und ZDF-KommentatorIn gemeinhin
vorstellt. Nicht in die übliche Kostümierung gewandet, drohte der Pawlowsche
Medienreflex schon frühzeitig zu verenden. So wurden Pfiffe und Farbbeutel
zu Steinen. Denn es drohte das Feindbild und die Demo abhanden zu kommen: „Gezeigte
und erlebte Realität passen selten zusammen. Es gehört zum Medienalltag,
dass Randale immer durchdringt, auch wenn Friedfertigkeit überwiegt“
(SPIEGEL 47/1992, S. 23). Die Unmutsäußerungen gaben nun den Vorwand
ab, von dem entscheidenden Ergebnis der Demo abzulenken: Die Mehrzahl der DemonstrantInnen
war nicht einverstanden mit der Politik derjenigen, die diese Kundgebung organisieren
ließen. JedeR der/die Augen im Kopf hatte, konnte sehen, dass den VeranstalterInnen
die Demonstration inhaltlich schon während des Aufmarschs aus den Händen
geglitten war. Die Eier- und Tomatenwürfe sowie die massiven verbalen Proteste
mussten nun dafür herhalten, zu vertuschen, warum diese Kundgebung tatsächlich
zu einem Debakel für ihre OrganisatorInnen wurde.
Keine dieser Medien (außer der taz) dementierte am nächsten Tag ihre
Falschmeldungen: „Selbst wenn vereinzelt auch Steine geflogen sein sollten
– kein Beobachter konnte die Geschosse genau ausmachen, es ging um eine
wütende, teilweise auch hasserfüllte Bekundung des Unwillens gegen die
politische Führung und nicht um einen gewaltsamen Angriff“ (taz,
10. November 1992). Auch das ‚Magazin Wirtschaft‘ (11/1992) der baden-württembergischen
Industrie- und Handelskammer vermochte nur noch von „ekligen Wurfgeschossen“
zu schreiben.
So konnte die Veranstaltung doch noch als Erfolg gefeiert werden. Hatten fast
alle Medien am Montag noch über das Scheitern der Demonstration gezetert
und gejammert, wurde am Dienstag ihr Erfolg bekannt gegeben: „Unerhört
war das Wüten von 300 Provokateuren, doch unerhört war es doch wohl
auch, dass tausendmal mehr Gutwillige zur größten Demo der Demokratie
gekommen waren“ (Ebd.).
Über die Kritik der
Waffen und die Waffe der Kritik
Wenn es gilt, aus Sicht der radikalen Linken Bilanz zu ziehen, dann lässt
sich zunächst einmal insoweit ein Erfolg konstatieren, als es gelungen war,
die in der Planung formulierte Absicht, dem traditionellen Medienbild vom gewaltbereiten
Chaotenhaufen auch während der Aktion real nicht zu entsprechen, umzusetzen.
Die Durchführung hat einmal mehr gezeigt, dass ein gutes Gelingen solcher
Unternehmungen nicht zuletzt der Unberechenbarkeit unserer Seite zu verdanken
ist. Darin lag die Stärke der ganzen Vorgehensweise. Am Ende musste nicht
nur die Staatsgewalt zugeben, dass sie unter den gegebenen Umständen keine
Chance hatte. Insofern war der Lustgarten ein erster Versuch und ein guter Anfang.
Der Lustgarten hat aber auch gezeigt, wie schwer es ist, gegen die Medienrandale
anzukommen. Die Übermacht ihrer Deutungsgewalt vermochte das öffentliche
Bild der Demonstration zu bestimmen. Und an diesem Punkt sollten selbstkritische
Überlegungen einsetzen. Zunächst gilt es die Ereignisfixierung bürgerlich-kapitalistischer
Medien zu begreifen. Für die weitere militante Praxis erscheint uns wichtig
dass Berlin zeigt, dass nicht unsere inhaltliche Kritik, sondern nach wie vor
allenfalls eine bestimmte Form der Militanz für die Medien ein Ereignis darstellt
und darüber dann mehr oder weniger ausführlich berichtet wird. Dies
war auch in Berlin so. Hinzu kam aber noch ein weiteres. Das eigentliche Ereignis
waren nicht die Störaktionen sondern die Tatsache, dass Hunderttausende auf
einer Regierungsdemo gegen die Politik der Regierung demonstrierten und auf ganz
verschiedene Weise die Regierungstribüne zur Tribüne des Demonstrations-‘Volkes‘
umfunktioniert hatten.
Dass der Fehlschlag der Demoshow nicht entsprechend gewürdigt wurde, hat
vielleicht nur am Rande mit den linken Störaktionen zu tun. Wären diese
nicht gewesen, sie hätten es bestimmt auf eine andere Weise heruntergespielt.
Doch das enthebt nicht des Problems der Vermittlung solcher Störaktionen.
Denn soweit sich das noch beurteilen lässt ist es den Medien recht gut gelungen,
die Wut über die Heuchelei der regierenden PolitikerInnen gegen ‚die
Autonomen‘ zu lenken.
Und an diesem Punkt sollten selbstkritische Überlegungen in der radikalen
Linken einsetzen. Es ist nämlich auch nachzufragen, ob es nicht auch mit
dem uns eigenen Auftreten zu tun hat, dass es den Medien gelingen konnte, die
eigentliche Information (‚Hände weg von Artikel 16‘ und ‚Schluss
mit der rassistischen Asyldebatte‘ sowie ‚Hier demonstrieren die Biedermänner
der Brandstifter‘) unter den Teppich zu kehren und das Auftreten von ‚Chaoten‘
zum zentralen Problem während der Kundgebung zu stilisieren? Zu fragen wäre
also, welches unser Anteil daran war, dass die Ablenkung von den Meinungsverschiedenheiten
zwischen DemonstrantInnen und Regierenden doch relativ reibungslos gelingen konnte.
Denn nicht unsere Absichten zählen, sondern das was am Ende unter dem Strich
politisch herauskommt. Von daher kann die ganze Aktion nicht nur als Erfolg gewertet
werden. Dabei besteht das Problem nicht so sehr darin, dass uns die Medien nicht
mögen, sondern dass es ihnen immer wieder vorzüglich gelingt, einen
großen Teil potentiell Verbündeter zu allererst gegen die radikale
Linke zu hetzen. Es hilft alles nichts. Nicht für die Medien, aber zur möglichen
Gewinnung der Sympathie der MitdemonstrantInnen wäre ein differenzierenderes
Vorgehen vielleicht von Nutzen gewesen. Ob es besser hätte laufen können,
darüber sinniert auch der Bericht einer autonomen Berliner Gruppe:
„Wir selbst haben beim Flugiverteilen die Erfahrung gemacht, dass
keine Frontstellung uns gegenüber bestand, dass die meisten DemoteilnehmerInnen
unseren Inhalten gegenüber offen waren. Regierungskritische Transparente
und Forderungen nach Beibehaltung des Artikels 16 und für ein Bleiberecht
für alle Flüchtlinge überwogen bei weitem. Die kleinen Blöcke
der Parteien und Gewerkschaften verloren sich dagegen in der Masse. Viele hatten
das vorher anders eingeschätzt. Es wäre aber noch genug Zeit gewesen,
auf die Situation zu reagieren.“
Wir wissen, wer auf dieser Demo gegen Gewalt gegen die Flüchtlinge eingetreten
ist, braucht noch lange keine Anti-Rassist sein. Anti-Rassismus richtet sich nicht
nur gegen die Gewalt der Neo-Nazis, sondern auch gegen die nicht nur strukturelle
Gewalt der Gesetze (z.B. das rassistische Ausländersondergesetz oder die
Abschiebungen) und der Diskurse (Hatespeech). Das muss immer wieder in unseren
Argumentationen auftauchen. Aber auch wenn wir es dabei mit ReformistInnen zu
tun haben oder diese selbst Anklänge von multikulturellem Rassismus aufzuweisen
haben: die erste Aufgabe ist es, die Lunte der Subversion zu legen (und die ist
nur inhaltlich entfachbar). Erst dann mag auch jene Folklore ihr Recht beanspruchen,
die besingt, wie ganz arg gefährlich wir sein können. Ansonsten stehen
wir uns zunehmend selbst im Weg. Problematisch ist der oftmals marxistisch-leninistisch
anmutende Avantgardeanspruch, der immer schon alles weiß und deshalb auf
niemanden zu hören braucht. Befehlsartige Verlautbarungen erinnern an ganz
andere Traditionen und sind nicht an emanzipatorischen Politikformen orientiert:
„Mit einem sensibleren Auftreten hätte vielleicht eine Chance
bestanden, eine Solidarisierung einer größeren Zahl der übrigen
Demo-TeilnehmerInnen zu erreichen. Eventuell hätte auch eine größere
Anzahl von Leuten in unsere Sprechchöre miteingestimmt. Einzelne Eierwürfe
hätten die ‚Keine-Gewalt‘-DemonstrantInnen nicht in dem Maße
abgeschreckt, wie es jetzt geschehen ist, wenn stärker versucht worden wäre,
mit der Masse in Kontakt zu kommen und nicht so isoliert zu agieren. Die Medien
hätten wir natürlich in keinem Fall hindern können, die überwiegende
Aussage der Demo in ein verwaschenes ‚Wir sind alle ausländerfreundlich‘
zu verfälschen. Aber bei den Beteiligten wäre bei einem anderen Auftreten
etwas anderes angekommen als bei der jetzt vollzogenen klaren Frontstellung.“
Aber machen wir uns nichts vor, ließe sich einwenden, selbst wenn ‚die
Autonomen‘ mit Wattebäuschen werfen würden, vermögen die
Medien daraus jederzeit eine Aktion mit Mordabsicht zu machen. Es ist vermutlich
in der Tat wenig aussichtsreich, gegen das Medienecho anschreien zu wollen. Doch
wäre schon viel gewonnen, sie zu zwingen, immer unverschämter und offener
lügen zu müssen.
Wir sollten unsere vorwiegende Aufgabe nicht darin sehen, immer dem verqueren
Medienbild über Autonome zu entsprechen, sondern eher versuchen (wie es in
Berlin ansatzweise geschehen und in Mölln sehr gut gelungen ist) dasselbe
möglichst oft zu konterkarieren. Damit ließe sich offensiver die inhaltliche
Differenz über die Verantwortlichen und die Ursachen des gegenwärtigen
Rassismus und Nationalismus herausstellen. Angesichts des Deutungs- und Interpretationsmonopols
der bürgerlichen Öffentlichkeit sollten wir uns darüber hinaus
bemühen, noch besser vorbereitet und organisiert als bisher, unseren abweichenden
inhaltlichen Vorstellungen Gehör zu verschaffen. Ansonsten laufen wir Gefahr,
permanent selbst unser politisches Gewicht zu verkleinern, indem wir uns auf kulturelle
(Tracht) wie inhaltliche (Militanz) Äußerlichkeiten reduzieren lassen.
Und dann sind wir berechenbar geworden.
Damit aus radikalen Linken keine AutistInnen werden, gilt es in nächster
Zeit eine Frage zu beantworten: Wie lässt sich die rassistische Übereinkunft
zwischen der Mehrheit der PolitikerInnen und den bundesdeutschen StaatsbürgerInnen
tendenziell aufbrechen? Mit welcher Strategie ist gegen die Hegemonie rassistischer
und nationalistischer Diskurse in den Medien anzugehen und wie lassen sich die
Widersprüche in den überaus heterogenen Blöcken zu unseren Gunsten
zuspitzen?
Medienrandale
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