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Das neue Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung ab 2003
von Michael Schütz


Relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde mit dem „Altersvermögensgesetz“ (AVmG) das „Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ (GSiG) verabschiedet. Damit haben jahrzehntelange sozialpolitische Diskussionen und
verschiedene parlamentarische Initiativen über eine Grundsicherung als Alternative zur Sozialhilfe ihren ersten Niederschlag im Sozialrecht gefunden. Vorangegangen war freilich eine äußerst knappe parlamentarische Behandlung und fachliche Diskussion.

Die eigentliche Neuerung des GSiG steckt nicht in den Leistungen an sich (diese wurden auch bisher schon durch das BSHG gewährt), sondern in der künftigen Nichtinanspruchnahme der eigentlich nach dem BGB zum Unterhalt verpflichteten Kinder oder Eltern. Es gilt für jeden Unterhaltsverpflichteten eine relativ grosszügige Grenze von 100 000 Euro Jahresbruttogesamteinkommen. Liegt der einzelne Unterhaltsverpflichtete unterhalb dieser Grenze, können die Leistungen des GSiG von den Berechtigten in Anspruch genommen werden, ohne dass der Unterhaltsverpflichtete in Anspruch genommen werden kann. Das Vermögen des Unterhaltsverpflichteten spielt keine Rolle!

Zur Umsetzung der sozialen Grundsicherung (für einen zahlenmässig eher begrenzten Personenkreis) wird eine völlig neue Bürokratie aufgebaut: da man den Betroffenen den Gang zum Sozialamt ersparen möchte, gibt es in Zukunft die „Ämter für Grundsicherung“, angesiedelt bei den Landkreisen und kreisfreien Städten. Ab 2003 gibt es dann also die Träger der Grundsicherung, der Rentenversicherung und der Sozialhilfe nebeneinander. Inhaltlich lehnt sich die Grundsicherung in ihren Leistungen sehr stark an die Sozialhilfe an. Weshalb es nicht möglich gewesen sein sollte, für den von der Grundsicherung begünstigten Personenkreis den Rückgriff auf die Kinder bzw. Eltern auch im BSHG auszuschliessen, ist nicht recht ersichtlich. Es wird in der Zukunft in zahlreichen Fällen zu Kombinationen von Grundsicherung und Sozialhilfe kommen, z.B. durch die Krankenhilfe nach BSHG für Personen, die nicht krankenversichert sind (die Grundsicherung übernimmt nur Krankenversicherungsbeiträge, nicht aber die Krankenversicherungsleistungen selber!). Oder der eine Ehepartner ist noch unter 65 Jahren (Sozialhilfe) und der andere über 65 Jahre (Grundsicherung).

Ein weiterer vorhersehbarer Streitpunkt wird die Bestimmung in Paragraph 2 GSiG werden, wonach vermutet wird, dass die Einkünfte der Kinder unter 100 000 Euro jährlich liegen. Da es nicht unbedingt üblich ist, dass sich Kinder und Eltern die jeweiligen Steuerbescheide vorlegen, fragt man sich, woher z.B. die Eltern wissen sollen, ob ihre Kinder jetzt mehr oder weniger als 100 000 Euro im Jahr verdienen. Insbesondere wenn die Kinder freiberuflich oder selbständig tätig sind, ist eine Einschätzung hier nur sehr schwer möglich. In der Praxis wird es wohl trotz der gegenteiligen gesetzlichen Vermutung dazu kommen, dass die Kinder Einkommensnachweise vorlegen müssen, wenn die Eltern tatsächlich Leistungen erhalten wollen. Wie im Bereich der Sozialhilfe, werden über Streitigkeiten, die die Grundsicherung betreffen, die Verwaltungsgerichte entscheiden.

Bedeutung hat das neue Gesetz z.B. für ehemals langfristig Selbständige, die ihre Altersabsicherung durch eine Lebensversicherung oder aufgeschobene private Rentenversicherung sichergestellt hatten, die nach der geschäftlichen Pleite dann von den Gläubigern verwertet wurde.
Dieser Personenkreis möchte oftmals im Alter keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen, damit die Kinder vom Sozialamt nicht in Regress genommen werden. Dieses Problem kann im Rahmen der Grundsicherung dann zum grössten Teil entfallen. Auch andere Personengruppen, wie z.B. Ehegatten von Spätaussiedlern ohne eigene Rentenansprüche, werden von dem neuen Gesetz profitieren. Die Leistungen des Gesetzes können grundsätzlich auch Ausländer erhalten, wenn sie auf Dauer rechtmässig in Deutschland leben und nicht zum Personenkreis der Asylbewerber zählen.

Über die zahlreichen Fragen in Zusammenhang mit dem neuen Gesetz informiert ein preiswerter Ratgeber, der im Selbstverlag erschienen ist. Erste rechtliche Erläuterungen und Informationen werden von Albrecht Brühl und Albert Hofmann vorgelegt. Der Ratgeber wendet sich an die Anspruchsberechtigten und ihre BeraterInnen in den Wohlfahrtsverbänden, den Behinderten- und Sozialverbänden, sowie Sozialhilfe- und Arbeitsloseninitiativen.

Albrecht Brühl/Albert Hofmann: Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Text, Erläuterungen und Informationen für Betroffene, Berater und Behörden, November 2001, 128 Seiten, zwölf Euro ( in dem Preis sind die Versandkosten enthalten).

Bezug über Albert Hofmann, Carl-Goerdeler-Str. 124, 60320 Frankfurt / M., Fax: 069/ 56 003 758; eMail: dr.ahofmann@t-online.de
 30. November 2002