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Zur Bewertung der Ergebnisse
der Hartz-Kommission
von Daniel Kreutz – Referent für Sozialpolitik – SoVD-NRW 22. August 2002 www.labournet.de


I. Vorbemerkung

Aus Sicht des SoVD ist die Massenerwerbslosigkeit von jeher das gesellschaftliche Grundübel, das die Leistungsfähigkeit und die finanzielle Stabilität des Sozialstaats untergräbt. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert führen insbesondere die von der Erwerbslosigkeit verursachten Einnahmeausfälle bei Sozialversicherungsbeiträgen sowie die durch die Beschäftigungskrise bedingten Mehrausgaben zur finanziellen Erosion der Sozialversicherung und produzieren vermeintliche „Sachzwänge“ für Politiken der Leistungskürzung und damit der Demontage sozialstaatlicher Garantien. Vorschläge, die für sich in Anspruch nehmen, Wesentliches zur Bewältigung der Arbeitsmarktkrise beizutragen, verdienen daher die besondere Aufmerksamkeit des SoVD.

Im Folgenden wurden die Formulierungen der Kurzfassung der Hartz-Vorschläge zu Grunde gelegt.


II. Abbau der Arbeitslosigkeit?

Der Bericht der Hartz-Kommission hält eine Reduzierung der Erwerbslosigkeit um zwei Mio. bis 2005 für eine „plausible Zielgröße“ der vorgeschlagenen Maßnahmen (13 Module).

Demgegenüber hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit überzeugend dargelegt, dass die Wirkung wesentlicher Einzelmodule sowie die Gesamtwirkung der 13 Module auf Beschäftigung und Erwerbslosigkeit „nicht seriös abgeschätzt“ werden können. Das IAB hat an mehreren Stellen grobe Fehler in der Hochrechnung der möglichen Reduzierungseffekte nachgewiesen. Daher seien „die den Vorschlägen zugerechneten Effekte weder im geplanten Umfang noch in der vorgesehenen Frist auch nur annähernd zu erreichen“. Insbesondere im Falle Ostdeutschlands und anderen Regionen mit desolater Arbeitsmarktlage liefen die Vorschläge „weitgehend ins Leere“.

Das IAB weist (wie auch zahlreiche andere Kommentatoren) darauf hin, das die entscheidende Voraussetzung für einen Rückgang der Erwerbslosigkeit in der Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung liege, d.h. in einer entsprechenden Ausweitung des Angebots an Arbeitsplätzen. Hierzu seien auch Arbeitszeitverkürzungen „unverzichtbar“. Die Hartz-Vorschläge setzten demgegenüber jedoch ganz überwiegend auf arbeitsmarktpolitische Instrumente, deren Auswirkungen auf das Arbeitsplatzangebot „eher gering“ sein dürften. Durch diese Schwerpunktsetzung in Verbindung mit dem Versprechen, die Erwerbslosigkeit in den kommenden drei Jahren auf unter zwei Millionen zu drücken, entstehe „der nicht zu rechtfertigende Eindruck, als sei vor allem eine zu geringe Effizienz der BA für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich und auch der Schlüssel zur Lösung des Problems sei ebenfalls vor allem dort zu suchen“.

So weit Effekte eines Abbaus der registrierten Erwerbslosigkeit zu erwarten sind, dürften sie maßgeblich in der „Bereinigung“ der Arbeitslosenstatistik begründet sein.

Damit besteht hinreichender Grund zu der Einschätzung, dass das Hartz-Papier die Kette unseriöser politischer Versprechungen, die die geweckten Erwartungen absehbar enttäuschen (müssen), um ein weiteres Glied verlängert. Die Kritik, dass die Funktion des Hartz-Papiers weniger in der Erschließung von Wegen zu einem effektiven Abbau der Erwerbslosigkeit besteht, sondern vor allem der politischen Überdeckung des arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Scheiterns der Regierungskoalition im Wahlkampf dient, ist somit kaum von der Hand zu weisen.


III. Forcierung des Systemwechsels

Gleichwohl bliebe die Umsetzung der Hartz-Vorschläge nicht ohne Wirkungen auf Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungssystem. Ihre Kernelemente zielen auf
  • eine Verschärfung der „aktivierenden“ Politik gegenüber den Erwerbslosen, also die Erhöhung des Drucks zur Annahme von bad jobs und unterwertiger Beschäftigung (z.B. „Neue Zumutbarkeit“, v.a. Umkehrung der Nachweispflicht fehlender Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten; sechs Monate PSA-Leiharbeit zum Nulltarif (nur Arbeitslosengeld); Senkung des Niveaus der Lohnersatzleistungen). Das Motto „Eigenaktivitäten auslösen“ als „neue Leitideee“ knüpft nahtlos an jene absurde Diagnose an, dass angeblich mangelnde Eigenaktivitäten und mangelnde Flexibilität von Erwerbslosen bei der Stellensuche als maßgebliche Ursache der Beschäftigungskrise anzusehen seien („Faulenzer-Debatte“ des Bundeskanzlers). Die Bekämpfung der Erwerbslosen an Stelle der Bekämpfung der Erwerbslosigkeit wird fortgesetzt und weiter entwickelt.

  • eine weitere Deregulierung des Beschäftigungssystems durch Ausweitung prekärer Niedriglohn- und Dienstbotenbeschäftigung (Leiharbeit in PersonalServiceAgenturen (PSA) unterhalb der regulären betrieblichen Arbeitsentgelte; Anhebung der 325-Euro-Grenze für Mini-Jobs in Privathaushalten auf 500 Euro), Förderung neuer Scheinselbstständigkeit („Ich-AG“), Deregulierung der Leiharbeit (Aufhebung der verbliebenen Beschränkungen des Arbeitnehmer-Überlassungsgesetzes) und damit „Neutralisierung“ des Kündigungsschutzes.

  • eine verstärkte Umwidmung der Arbeitsförderung zur Arbeitgeberförderung (Wirtschaftsförderung). Nicht nur beinhalten verschiedene Module Angebote an Arbeitgeber zur Senkung ihrer Personal(vorhalte)kosten zu Lasten öffentlicher Förderung und zu Lasten der betroffenen ArbeitnehmerInnen. Auch das neue Finanzierungsinstrument des „JobFloaters“ kommt Unternehmen zu Gute. Sie erhalten für die über die Probezeit hinausreichende Beschäftigung vormals Erwerbsloser die „Option auf ein Finanzierungspaket“. Die Beschäftigung von Menschen zum Zweck privatwirtschaftlicher Renditeerzielung wird zunehmend zu einem öffentlichen Subventionstatbestand.

  • eine Beschleunigung des Ausstiegs aus der paritätischen Beitragsfinanzierung der Sozialversicherung. Unternehmen, die im Rahmen einer freiwilligen „Beschäftigungsbilanz“ aktive Beschäftigungssicherung oder eine positive Beschäftigungsentwicklung nachweisen, sollen einen „Bonus“ bei den Beträgen zur Arbeitslosenversicherung erhalten. Da allgemein erwartet wird, dass die Konjunktur demnächst wieder anzieht und stabilisierende/ positive Beschäftigungswirkungen mit sich bringt, sind Einnahmeausfälle für die Arbeitslosenversicherung und Entlastungen der Wirtschaft auf breiter Front zu erwarten.

  • die Abwendung von der Verfassungspflicht der Unternehmen, im Rahmen des dualen Ausbildungssystems ein ausreichendes und auswahlfähiges Ausbildungsplatzabgebot zu gewährleisten. Stattdessen soll das erforderliche Ausbildungsplatzangebot zukünftig von den BürgerInnen durch den Kauf von „AusbildungsZeit-Wertpapieren“ sowie durch Spenden an Stiftungen finanziert werden.
Auch wenn die Gewerkschaften verhindern konnten, dass Vorschläge zu pauschalen nominellen Kürzungen von Lohnersatzleistungen (bisher: Arbeitslosengeld und -hilfe; künftig: Arbeitslosengeld I und II) ausdrücklich aufgenommen wurden, sieht das Hartz-Papier mit dem „Verzicht auf die jährliche Anpassung des Bemessungsentgelts“ die Absenkung des Niveaus der Lohnersatzleistungen im Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung der Arbeitsentgelte vor. Im zeitlichen Verlauf werden damit generelle Kürzungen realisiert.

Weitere Verschlechterungen auch des „Sozialgelds“ (soll der bisherigen Sozialhilfe zum Lebensunterhalt „für nicht erwerbsfähige (?) Personen“ entsprechen) könnten im Zuge der beabsichtigten Pauschalierung erfolgen. Auch die Formulierung, dass das „Arbeitslosengeld I“ nur „im Grundsatz“ dem bisherigen Arbeitslosengeld entspreche sowie der Umstand, dass Aussagen zu Niveau und Ausgestaltung des „Arbeitslosengelds II“ nicht enthalten sind, muss als Offenhaltung weiterer Verschlechterungsoptionen verstanden werden.

Indem sie weiterhin den bekannten, neoliberal inspirierten Doktrinen folgen, sind die Hartz-Vorschläge insgesamt geeignet, den Systemwechsel vom Sozialstaat zum workfare state bzw. zum „Wettbewerbsstaat“ voranzutreiben.


IV. Frauenfeindliche Vorschläge

Der Deutsche Juristinnenbund befürchtet, „dass die Vorschläge nur auf typisch männliche Erwerbsbiographien abzielen und die Frauen Verliererinnen dieser Arbeitsmarktreform sind“ (Offener Brief an Hartz vom 5. August 2002). Folgende Punkte bestätigen diese Einschätzung:
  • In kaum verhülltem Widerspruch zu den geltenden gleichstellungsrechtlichen Bestimmungen in der EU und in Deutschland (u.a. Gender Mainstreaming) steht der Vorschlag einer „familienfreundlichen Quick-Vermittlung“. Demnach sollen „Arbeitslose, die besondere Verantwortung für abhängige betreuungsbedürftige Personen oder Familienangehörige tragen“, bei der Vermittlung bevorzugt werden. Neben allein Erziehenden sind dies vor allem meist männliche „Familienernährer“. Frauen, die zuvor nicht erwerbstätig waren oder aufgrund eines relativ geringen Erwerbseinkommens nur als „Zuverdienerinnen“ gelten, würden bei der Arbeitsvermittlung planmäßig benachteiligt.

  • Mit der beabsichtigten Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung bei haushaltsnahen Dienstleistungen (Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze auf 500 Euro) wird ein Niedriglohn-Segment erweitert, in dem fast ausschließlich Frauen tätig sind. Bestrebungen, solche besonders prekären Beschäftigungsverhältnisse in reguläre Arbeitsverhältnisse umzuwandeln (zum Beipsiel durch Schaffung von Dienstleistungspools) werden damit konterkariert. Umgekehrt ist eine weitere Ersetzung regulärer Beschäftigung durch Mini-Jobs zu erwarten. Die geplante Ablösung der gegenwärtigen Sozialversicherungsbeiträge von 22 Prozent durch eine Sozialversicherungspauschale von zehn Prozent dürfte nicht nur zusätzliche Einnahmeausfälle bei der Sozialversicherung zur Folge haben, sondern auch die soziale Sicherung der Mini-Jobberinnen verschlechtern statt verbessern.

  • Die „Ich-AG“ als neue Form staatlich geförderter Scheinselbstständigkeit kann durch mitarbeitende Familienangehörige zur „Familien-AG“ erweitert werden. In der Regel wird damit Frauen die Rolle von mitarbeitenden Familienangehörigen („Selbstausbeutung“; kein Arbeitnehmerstatus) bei einem männlichen AG-Inhaber zugedacht.

  • Das „BridgeSystem“ als neue Form des Vorruhestands ist für Frauen, die in aller Regel die geringenen Rentenansprüche haben und die weiterhin den 18-prozentigen Rentenabschlag hinzunehmen hätten, meist nicht zugänglich.
Insgesamt laufen die Vorschläge auf eine Zementierung und Verschärfung von geschlechtshierarchischen Strukturen der Erwerbsgesellschaft hinaus und sind mit dem Gleichstellungsziel rechtlich und/oder tatsächlich nicht vereinbar.


V. Weitere Bewertungen einzelner Vorschläge

1. „Quick-Vermittlung
Zur Beschleunigung der Vermittlung sollen von Erwerbslosigkeit bedrohte ArbeitnehmerInnen verpflichtet werden, das künftige „JobCenter“ bereits am Tag der Kündigung einzuschalten. Widrigenfalls sollen für jeden Tag der verspäteten Meldung pauschale Abschläge beim Arbeitslosengeld greifen.

Nach Angaben des IAB melden sich schon bisher etwa die Hälfte der Gekündigten vor Eintritt der Erwerbslosigkeit, so dass die Arbeitsverwaltung entsprechend „präventiv“ tätig werden kann. In der Einführung einer Meldepflicht am Kündigungstag sieht das IAB die Gefahr einer künstlichen Ausweitung des BewerberInnenpools, indem auch all diejenigen, die den Eintritt der Erwerbslosigkeit durch eigene Suchaktivitäten abwenden können, zur Meldung genötigt werden.

2. PersonalServiceAgenturen (PSA/Leiharbeit)
Träger von PSA sollen vorrangig private Dritte werden. Somit werden Outsourcing und Privatisierung arbeitsmarktpolitischer Aufgaben voran getrieben.

Erwerbslose werden unter Sanktionsandrohung („Neue Zumutbarkeit“) zur Arbeit in PSA verpflichtet. Während der ersten sechs Monate (Probezeit) liegt das Nettoentgelt „in Höhe des Arbeitslosengeldes“. Für die Betroffenen bedeutet dies Pflichtarbeit zum Nulltarif. Das IAB misst dem ganz offen eine „Aktivierungsfunktion“ zu, weil erwartet wird, das Erwerbslose aus Angst vor der Verpflichtung zu PSA-Leiharbeit ihre anderweitigen Suchanstrengungen verstärken.

Offenbar geht die Hartz-Kommission bereits von der Bereitschaft der Gewerkschaften aus, niedrigere Sondertarife für PSA-Leiharbeit zu vereinbaren („tariflich vereinbarter PSA-Lohn“). Anspruch auf betriebsübliche Entgelte ist ausdrücklich nur für den Fall der Übernahme in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis vorgesehen. Der „PSA-Lohn“ muss begrenzt bleiben, um gegenüber bestehenden kommerziellen Leiharbeitsfirmen wettbewerbsfähig zu bleiben.

Vorbehaltlich des Abschlusses von Tarifverträgen sollen alle gesetzlichen Beschränkungen von Leiharbeit aufgehoben werden (Aufhebung des AÜG). Das IAB hält die Ausweitung der Beschäftigung in Leiharbeit dann für möglich, wenn es zu einem Abbau von Überstunden zugunsten des Einsatzes von LeiharbeiterInnen kommt. Ansonsten sind Verdrängungseffekte gegenüber bereits vorhandenen Leiharbeitsunternehmen zu erwarten, da das gesamtwirtschaftliche Beschäftigungspotenzial für Leiharbeit durch die zusätzliche Errichtung von PSA nicht zunimmt.

Dass der gegenüber regulären Arbeitsverhältnissen strukturell prekäre und teilweise faktisch entrechtete Charakter der Leiharbeit (fehlender Belegschaftszusammenhang und daraus resultierende erhebliche Einschränkungen bei der wirksamen Wahrnehmung von Rechten aus Betriebsverfassungs- und Tarifrecht) in keiner Weise thematisiert wird, erscheint unter den gegebenen Umständen bereits normal.

3. „Ich-AG“ und „Familien-AG“
Neben der Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung soll die „Ich-AG“, die durch mitarbeitende Familienangehörige zur „Familien-AG“ wird, einen "neuen Weg zur Bewältigung des Problems der Schwarzarbeit" weisen. Die „Ich-AG“ soll als „Vorstufe einer vollwertigen Selbständigkeit“ Schwarzarbeit von Erwerbslosen legalisieren. Für drei Jahre sollen Zuschüsse gezahlt werden, die sich an der Höhe des Arbeitslosengelds zuzüglich der von der Arbeitsverwaltung entrichteten Sozialversicherungsbeiträge orientieren. Bis zu einer Verdienstgrenze von 25 000 Euro soll die Besteuerung auf eine Pauschale in Höhe von zehn Prozent begrenzt bleiben.

Das IAB sieht demgegenüber das wesentliche Problem bei Existenzgründungen Erwerbsloser in der mangelnden wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Projekte und fehlenden unternehmerischen Qualifikationen, die durch die Subventionierung nicht behoben werden. Da die repressiven Rahmenbedingungen der „aktivierenden“ Politik Betroffene dazu verleiten können, den Ausweg im Abenteuer „Ich-AG“ zu suchen, befürchtet das IAB eine verstärkte Problematik von „,Kümmerexistenzen’, Pleiten und Schulden“.

Der Vorschlag der Hartz-Kommission formuliert eine ausdrückliche Einladung an Klein- und Handwerksunternehmen, statt regulärer ArbeitnehmerInnen künftig zu 50 Prozent „Ich-AGen“ zu beschäftigten. Die Substitutionseffekte gegenüber regulärer Erwerbsarbeit und eine neue Scheinselbständigkeit werden somit nicht nur stillschweigend in Kauf genommen, sondern ausdrücklich nahegelegt.

Wenn es um eine wirksame Bekämpfung der Schwarzarbeit ginge, dürfte nicht ausgeblendet bleiben, dass ein Großteil der Schwarzarbeit nicht von Erwerbslosen, sondern von regulär Beschäftigten erbracht wird. Die einseitige Ausrichtung der Bekämpfung der Schwarzarbeit auf Erwerbslose zeigt an, dass es eher um die Bekämpfung von Erwerbslosen geht.

4. „Mini-Jobs“
Zur Bekämpfung der Schwarzarbeit bei Dienstleistungen in Privathaushalten soll die Geringfügigkeitsgrenze von bisher 325 Euro auf 500 Euro angehoben, die bisherigen Sozialversicherungsbeiträge von 22 Prozent durch eine Pauschale von zehn Prozent ersetzt werden. Die steuerliche Absetzbarkeit der Dienstbotenbeschäftigung („Dienstmädchenprivileg“) soll wieder eingeführt werden.

Der Text (Kurzfassung) enthält keine Hinweise darauf, ob und welche Sicherungsansprüche an die Sozialversicherung die Mini-Jobberinnen mit der zhen-Prozent-Pauschale erwerben werden.

Zu erwarten sind Einnahmeausfälle bei der Sozialversicherung und bei der Besteuerung von Besserverdienenden (Mitnahmeeffekte des „Dienstmädchenprivilegs“) sowie – entsprechend der bisherigen Erfahrungen mit geringfügiger Beschäftigung – Substitutionseffekte gegenüber regulärer Beschäftigung.

Da die Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung höher belastet bleiben als die aus Schwarzarbeit, wird die Attraktivität der Umwandlung in „Mini-Jobs“ für die Arbeitenden eher gering bleiben.

5. „BridgeSystem“ und „Förderung älterer Arbeitnehmer“
Mit dem „BridgeSystem“ sollen Erwerbslose ab 55 Jahren “auf eigenen Wunsch“ aus dem Arbeitsmarkt entlassen werden. Sie erhalten dazu „statt des Arbeitslosengeldes eine kostenneutral errechnete monatliche Leistung“. Ihr Sozialversicherungsschutz bleibt erhalten.

Es handelt sich um eine neue Form des Vorruhestands zum Zweck der Bereinigung der Arbeitslosenstatistik (IAB: „Das Bridgesystem kann die Arbeitslosenzahl senken, indem es ältere Arbeitslose aus der Statistik drängt“). Insbesondere für Betroffene mit geringeren Rentenansprüchen ist sie wegen der 18-prozentigen Rentenabschläge eher unattraktiv. Frauen werden davon i.d.R. aus finanziellen Gründen keinen Gebrauch machen können.

Die Alternative für Erwerbslose dieser Altersgruppe soll in der (wohl pflichtigen) Annahme einer „niedriger bezahlten“ Arbeit bestehen, wobei eine „Lohnversicherung“ „in den ersten Jahren“ nach Eintritt der Erwerbslosigkeit „einen Teil“ des Einkommensverlustes ersetzt.

Möglicherweise flüchten Betroffene in das „BridgeSystem“, um der „aktivierenden“ Politik zu entkommen.

Die Kritik am BridgeSystem macht sich überwiegend daran fest, dass die neue Form des Vorruhestands den (behaupteten) „demografischen Erfordernissen“ einer weiteren Verlängerung der Lebensarbeitszeit zuwider laufe. Diese Kritik ist aus sozial- und arbeitsmarktpolitischer Sicht zurückzuweisen. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit mindert die Chance auf einen Lebensabend bei voller Gesundheit und behindert den Zugang jüngerer Menschen ins Erwerbssystem

6. „AusbildungsZeit-Wertpapier“/Jugendliche
Zur Finanzierung zusätzlicher Ausbildungsplätze soll das „AusbildungsZeit-Wertpapier“ (AZWP) eingeführt werden, das von gemeinnützigen Stiftungen verkauft wird. Eltern oder Großeltern etwa sollen das Wertpapier erwerben, um dem Kind/Enkel eine Ausbildungsfinanzierung zu sichern. Durch den Verkauf der AZWP sowie freiwillige Zuschüsse und Spenden soll ein Kapitalstock aufgebaut werden, der die Ausbildungsfinanzierung garantiert.

Damit wird die bisherige, von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigte Verpflichtung der Unternehmen, im Rahmen des dualen Ausbildungssystems ein ausreichendes und auswahlfähiges (d.h. 1,25-faches der Nachfrage) Ausbildungsplatzangebot zu gewährleisten, auf die Bürgerinnen und Bürger überwälzt.

Das IAB weist auf die weitreichenden, lebensprägenden Folgen einer durch den Druck der „aktivierenden“ Politik zu Stande gekommenen Berufswahlentscheidung hin. Zudem stellt Druck zur Annahme eines Ausbildungsplatzes in einem nicht erwünschten Beruf eine Einschränkung des Grundrechts der Berufswahlfreiheit dar.

An die Schulen ergeht die Aufforderung, die SchülerInnen früher als bisher in theorie- bzw. praxisorientierte Unterrichtsformen zu selektieren. Die ohnehin erschreckende soziale Ungleichheit der Bildungschancen (PISA) wird damit absehbar verschärft.


VI. Fazit

Die Vorschläge der Hartz-Kommission sind abzulehnen. Die Probleme liegen nicht nur im Detail, sondern vor allem in der generellen Richtung, in der sie unsere Gesellschaft verändern.

Umso mehr besteht dringender Bedarf, alternative Vorschläge zur Bewältigung der Massenerwerbslosigkeit aufzugreifen und zu unterstützen, wie sie immer wieder – aber bislang ohne Chance auf mediale und öffentliche Wahrnehmung – vorgetragen werden.

Aktuell ist in diesem Zusammenhang beispielweise auf den Aufruf „1 Million Arbeitsplätze durch öffentliche Daseinsvorsorge, Zukunftsinvestitionen, Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung“ (siehe unter www.politikwechsel.org) und/oder die „Initiative für eine sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik“ (siehe unter www.aktive-arbeitsmarktpolitik.de) zu verweisen.
 22. August 2002