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Stratfor: Die Instabilität in Bolivien könnte eine Intervention der UNO notwendig machen
Redaktion Bolpress.com Claudia Knöllinger (Übersetzung) 11. November 2003


US-Amerikanische Beraterin: Der nächste Volksaufstand in Bolivien wird im Januar 2004 sein, ein Staatsstreich ist nicht auszuschließen

Die politische und gesellschaftliche Instabilität Boliviens könnte, gemäß einem Bericht der Beraterin der Vereinigten Staaten, Strafor, eine Intervention der Vereinten Nationen UNO erzwingen. Diese Instabilität könnte einerseits der Rücktritt von Mesa und die Nachfolge von Evo Morales sein, andererseits auch ein möglicher Staatsstreich.

Die Spannungen in Bolivien scheinen sich spürbar vermindert zu haben, seit der neue Präsident Carlos Mesa den ehemaligen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada abgelöst hat, der am 17.Oktober gestürzt wurde. Trotzdem ist es möglich, dass der Schein trügt. Es ist wahrscheinlich, dass es nur kurz nach den geplanten Vermittlungsgesprächen im Januar 2004 zu neuen Wellen sozialer Unruhe in La Paz und anderen Landesteilen kommt. „Das könnte eine lange Periode politischer Instabilität Boliviens auslösen, die sich auf einige Nachbarländer ausweiten könnte und in der Zukunft zwangsläufig internationale Interventionen erfordert, um die Ordnung wiederherzustellen“, besagt der im Internet verbreitete Bericht der Beraterin.

Das Dokument erinnert daran, dass die bolivianischen indigenen Führer – die Protagonisten der sozialen Bewegungen im Oktober – dem Präsidenten Mesa 90 Tage gegeben haben, um auf ihre Forderungen einzugehen. Diese beinhalten die Abschaffung der freien Marktwirtschaft und die Wirtschaftspolitik, die Bolivien seit 1985 verfolgt. Außerdem soll das Programm, welches den Anbau und die Verbreitung von Koka auslöschen soll, gebremst werden. Gleichzeitig sollen die neuerlichen Steuerreformen rückgängig gemacht werden und die Abgaben der Öl-Gesellschaften auf fast das dreifache erhöht werden.

Die Analyse von Straftor, einer einflussreichen Beraterin in Washington, zeigt, dass Mesa keiner dieser Forderungen ohne eine wirtschaftliche Blockade und eine politische Isolierung Boliviens erfüllen kann. Mesa wird Anfang 2004 mit einen Volksaufstand konfrontiert sein, welcher ihn dazu zwingen könnte, zurückzutreten und welcher das Land in ein unregierbares Chaos stürzen könnte. Sollte Mesa zurücktreten, wird möglicherweise Evo Morales Präsident. Jedoch würde sich auch Morales nicht lange Zeit halten können, weil wahrscheinlich eine Revolte im Tiefland Boliviens ausbricht, wenn der freie Handel und die wirtschaftlichen Bindungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika abgeschafft werden.

Das Dokument weist außerdem auf mögliche Schwierigkeiten zwischen Cambas (Bewohner des östlichen Tieflandes) und Collas (indigene Bevölkerung des Hochlands) hin. Nach Straftor tendieren die Collas zu einem die Wirtschaft kontrollierenden Staat, während die Cambas an die Privatbetriebe glauben.


Staatsstreich?

Straftor sagt, dass sich die Präsidentschaft von Mesa, die für sie Interim-Charakter hat, nicht aufrecht erhalten lässt und es dann möglich ist, dass einige abenteuerlustige Militärs die Macht mittels eines Staatsstreiches an sich reißen wollen. Die Armee wäre unter normalen Umständen der letzte Schiedsrichter in diesem Konflikt, aber sie könnte versuchen, das Machtvakuum zu füllen, wenn sich Bolivien als unregierbar erweist. Jedoch sind die militärischen Befehlshaber, so das Dokument, derart uneinig wie der Rest des Landes: einige stehen für Tradition und die alte politische Ordnung und andere, eher jüngere Beamte, Populisten, widersetzen sich dem freien Markt und anderen politischen Instrumenten, die ihrer Ansicht nach die Armut in Bolivien verschlimmern.


Ansteckende Instabilität

Wenn sich Bolivien als unregierbar erweist, könnte sich die Instabilität auch auf Nachbarstaaten mit ebenfalls großem Anteil an indigener Bevölkerung unter der Armutsgrenze, wie Ecuador oder Peru, ausweiten; so das Dokument. Tatsächlich haben einige indigene Gruppen in Peru und Ecuador die Kernstücke der letzten Entwicklungen in Bolivien in ihre eigene Agenda gegen die Regierungen der Präsidenten Alejandro Toledo in Peru und Lucio Gutiérrez in Ecuador übernommen.

Es ist auch möglich, dass sich die gewaltsamen Methoden des Klassenkampfes auf Brasilien ausweiten, welches den größten Anteil an Bevölkerung unter der Armutsgrenze in Lateinamerika hat. Diese Sorge Brasiliens erklärt, warum der Präsident Lula da Silva, Bolivien die Auslandsschulden erlässt und zusätzlich für die nächsten drei Jahre wirtschaftliche Hilfe von 600 Millionen Dollar gewährt. Außerdem wird er wahrscheinlich seinen Einfluss in den Vereinten Nationen ausüben – der Sicherheitsrat trifft sich am 1. Januar 2004 – um dort Druck zu machen, damit Bolivien mehr internationale Unterstützung erhält. Mehr als das; wenn sich durch die Konflikte Bolivien als unregierbar erweist und Mesa zurücktritt, könnte Brasilien die Vereinten Nationen bitten, die Ordnung mit anderen Mitteln wiederherzustellen.

Nach Straftor ist es wahrscheinlich, dass Mesa und da Silva den US-amerikanischen Behörden vorschlagen, sich aktiver in der Krise in Bolivien einzubringen, bevor sie auf andere Länder Südamerikas übergeht. Jedoch verweigerte Washington seine Hilfe vor knapp einem Jahr Sanchez de Lozada und wird wahrscheinlich auch die Bitte nach wirtschaftlicher Hilfe von Mesa ausschlagen. Tatsächlich untergraben die Vereinigten Staaten bereits Mesas Möglichkeiten. Der amerikanische Botschafter in Bolivien, David Greenlee, erklärte, dass das Land nicht der geeignete Ort ist, um zu investieren, wenn man die erhöhten politischen Risiken betrachte.

Die Analyse erinnert auch daran, dass Greenlee erklärte, dass Washington an seiner aggressiven Politik, Koka in Bolivien völlig abzuschaffen, festhalte. Diese Erklärungen rufen Spannungen zwischen der US-amerikanischen Regierung und mehr als 35 000 indigenen Kokabauern in Bolivien hervor, wobei die schwache Regierung Mesas in der Mitte steht. Ohne die Schwierigkeiten Mesas und dessen Verbundenheit zur freien Marktwirtschaft und zur Demokratie zu betrachten, werden die un-amerikanischen Behörden den Ereignissen von La Paz nicht viel Aufmerksamkeit schenken, sofern nicht radikale islamische Gruppen beginnen, in Bolivien und der Andenregion aktiv zu werden.
 11. November 2003