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Demokratie millionenfach
Elsa Claro (Havanna) und Harald Neuber
jW 17. Mai 2004
Nach der Bekanntgabe neuer Restriktionen der Bush-Regierung gegen Kuba verstärkt
sich nicht nur der Widerstand auf der Insel. Auch in den USA wächst der Unmut.
Über eine Million Kubanerinnen und Kubaner strömten am Freitag
in der Hauptstadt Havanna auf die Straßen, um gegen die jüngste Verschärfung
der US-Blockade durch die Regierung von George W. Bush zu protestieren. Einmal
mehr wurde deutlich, dass sich Kuba von den USA wieder stärker ins Visier
genommen fühlt – und die Bevölkerung der Bedrohung entschlossen
entgegentritt. Zuletzt hatte die US-Regierung unter anderem beschlossen, die Reisen
von US-Bürgern nach Kuba stärker zu überwachen und die Geldüberweisungen
aus den USA nach Kuba zu beschränken (jW berichtete). Statt wie bisher einmal
pro Jahr dürfen in den USA lebende Exilkubaner ihre Verwandten auf der Insel
nur noch einmal alle drei Jahre besuchen.
Die Empfehlungen der „Kommission für ein Freies Kuba“ unter Leitung
von US-Außenminister Colin Powell haben schon jetzt konkrete Auswirkungen.
In der vergangenen Woche hatte die sozialistische Regierung Kubas einen 15-Punkte-Plan
vorgestellt. Mit den Notmaßnahmen soll auf die Verschärfung der Blockade
reagiert werden. Unter anderem ist vorgesehen, den Verkauf von Produkten in den
Dollargeschäften einzuschränken und die Preise dort zu erhöhen.
Ausdrücklich betont wurde, dass Nahrungsmittel und Drogerieartikel von den
Preisänderungen ausgenommen werden. Außerdem solle die Förderung
von Rohstoffen wie Nickel, Kobalt und Erdöl verstärkt werden. Die Sparguthaben
der Kubaner würden nicht angetastet.
Das Reiseverbot der US-Regierung hat kurzfristig vor allem für die in den
USA lebenden Kubaner Folgen, die Mitte Mai an einer Konferenz zu Migrationsfragen
teilnehmen wollten. Zwar treten die unlängst verkündeten Restriktionen
offiziell erst ab Juni in Kraft, aber kaum jemand möchte die Strafverfolgungsbehörden
in den USA unnötig herausfordern. Die kubanische Regierung hatte in den vergangenen
Jahren durch eine Lockerung der Einreisebestimmungen eine Annäherung mit
der Exilgemeinde gesucht. Just vor dem Inkrafttreten entsprechender Reisebestimmungen
durch die kubanischen Behörden werden die Kontakte nun von den USA offiziell
verboten.
Trotz martialischer Rhetorik war die Bush-Regierung offenbar nicht auf die Ablehnung
innerhalb der kubanischen Exilgemeinde in den USA gefasst, bei der die Restriktionen
mehrheitlich auf offene Ablehnung stoßen. Auch aus lateinamerikanischen
Staaten wie Ecuador und Mexiko wurde der kontraproduktive Charakter der Maßnahmen
beklagt. „Nach unseren Informationen ist in der Kuba-Abteilung des US-Außenministeriums
eine wahre Flut von Beschwerden eingegangen“, bestätigte Francisco
Gonzalez Aruca aus Miami in einem Telefoninterview gegenüber junge Welt.
Der Direktor einer dort ansässigen Radiostation berichtete zudem, dass selbst
der anticastristische Bürgermeister der Gemeinde Hialeah, die über die
größte exilkubanische Bevölkerungsgruppe in Florida verfügt,
gegen die neuen Zwangsmaßnahmen der Regierung in Washington Protest einlegte,
weil sie ausschließlich den politischen Forderungen einer radikalen Minderheit
rechtsextremer Gruppen gerecht würde. Die Bush-Administration, so Aruca im
Interview, habe ein Eigentor geschossen.
Diesen Eindruck haben wohl auch die Mitarbeiter der „Interessenvertretung
der USA in Kuba“ gewonnen. Von den Fenstern des hohen Gebäudes an der
Stadtpromenade Havannas aus machten einige von ihnen in den frühen Morgenstunden
des Freitag Fotos von der gigantischen Menschenmasse, die sich um sie herum friedlich
versammelt hatte. Zwischen den zahlreichen Transparenten tauchten auch die Fahnen
anderer Staaten auf. Mitgebracht hatten sie die ausländischen Studenten,
die in Kuba etwa an der Lateinamerikanischen Medizinschule ausgebildet werden.
Zwischen ihnen wehte immer wieder auch das Sternenbanner der USA. Besondere Aufmerksamkeit
erregte das nicht, denn US-Bürger sind auf Kuba ebenso zu Gast wie Lateinamerikaner,
Europäer oder Afrikaner.
„Demokratie“, entgegnet die Krankenschwester Yolanda Iñigo
Colmann auf die Frage nach der Kritik der USA, „Demokratie ist für
mich das hier“. Mit einer ausholenden Handbewegung weist sie auf die Masse
von Demonstranten um sich herum. Eine Studentin, Mitte Zwanzig, schaltet sich
in das Gespräch am Rande des Millionenprotestes ein. Philosophisch oder ethisch
betrachtet, gäbe es wohl eine Reihe von Demokratiekonzepten, sagt sie. „Ich
bin mir aber fast sicher, dass George W. Bush kein einziges davon kennt“.
Sie wolle nicht sagen, dass auf Kuba alles zum besten stehe, „auf jeden
Fall aber sind wir auf einem besseren Weg als die US-Regierung, die einen Krieg
nach dem anderen entfesselt und nun auch uns immer offener bedroht“.
Erasmo Suárez, von Beruf Mechaniker, hält vor der US-Interessenvertretung
eine kubanische Fahne in die Höhe. „Ich weiß nicht wann“,
sagt er, „aber eines Tages werden sie auch in Washington eingestehen müssen,
dass all das Gerede von Menschenrechten leere Worte sind, solange nicht die Arbeitsplätze,
die medizinische Versorgung und die Schule für die Kinder garantiert sind“.
Eine Hauptkritik Washingtons sei, dass in Kuba keine Wahlen nach ihrem Vorbild
stattfinden würden. „Dabei würde ich unser Modell auf jeden Fall
verteidigen“, sagt Suárez. Er erinnert an den mutmaßlichen
Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen in den USA vor vier Jahren. Im
Gehen fügt er hinzu: „Wer soll die Kritik eines solchen Politikers
ernst nehmen?“ |
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