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Die vollzogene Zerstörung Aristides und die geplante Zerstörung von Hugo Chávez
Von Heinz Dieterich Übersetzung
Gegeninformationsbüro 28. Februar 2004
Nachfolgender Artikel wurde kurz vor dem Sturz Aristides geschrieben. Er zeigt
die Hintergründe, die Parallelen mit anderen lateinamerikanischen Staaten
und die dortigen Aussichten auf.
Das Drama von Haiti und Aristide stellt nicht nur eine Gefahr für Kuba und
Venezuela dar, sondern ist der Schlusspunkt der Standard Operating Procedure (SOP)
von Washington gegen lateinamerikanische Volksregierungen: die Zerstörung
durch Unterwanderung. Die Endphase dieser Strategie beobachtet man in Haiti, ihren
Beginn in Argentinien von Nestor Kirchner und ihre mittlere Phase in Venezuela
der Regierung von Hugo Chávez.
Manchmal endet diese Politik mit dem Tod des lateinamerikanischen Protagonisten,
wie im Fall von Salvador Allende. In anderen Situationen gelingt es dem Protagonisten
ins Exil zu gehen, wie dem guatemaltekischen Präsidenten Jacobo Arbenz. Eine
weitere Möglichkeit ist die „Umerziehung“ des Protagonisten innerhalb
des Imperiums und seine anschließende politische Wiederverwertung in seinem
Ursprungsland; dies waren die Fälle Aristide aus Haiti und Michael Manley
aus Jamaika.
Unabhängig vom Finale, das die Standard Operating Procedure von Washington
in unseren Ländern erreicht, ist der Beginn des subversiv-militärisch-industriellen
Gesamtvorhabens immer der selbe: zähmen eines Führers oder einer sozialen
Bewegung, die durch Wahlen oder sonst an die Macht kamen und deren politische
Agenda nicht die Interessen Washingtons widerspiegelt.
Der erste Versuch diese Bewegungen und Führer zu dominieren, ist die Einmischung
und die Korruption. Wenn diese Vorgehensweise nicht fruchtet, wird die Politik
der Unterwanderung und Zerstörung aktiviert.
Das Drama in Haiti, dessen letztem Akt wir beiwohnen, begann sich 1986 zu entwickeln,
als es dem haitianischen Volk gelang den Diktator „Baby Doc Duvalier“
raus zu schmeißen. Damit endete eine eineinhalb Jahrhunderte andauernde
Geschichte von nordamerikanischen Militärinterventionen und staatsterroristischen
Regimes, die den Interessen Washingtons dienten.
Als die neokoloniale Kette der Gringos zerbrach, die das haitianische Volk im
Elend hielt, öffnete sich ein Machtvakuum, in dem der Stern eines salesianischen
Priesters aus den Armenvierteln unter den Besitzlosen zu leuchten begann: Jean-Bertrand
Aristide.
Mit seinem Diskurs, der auf der Befreiungstheologie beruhte und seiner Entscheidung
für die Armen, verwandelte Aristide sich in einen Volkstribun und die Hoffnung
auf Veränderung bei den Mehrheiten. Er forderte das Recht des Landes auf
Selbstbestimmung gegenüber der nordamerikanischen Dominanz. Mit „einer
leidenschaftlichen Rhetorik, die manchmal die Gewalt zwischen den Klassen antrieb“
beunruhigte er das Wall Street Journal.
Die ersten freien Wahlen nach 187 Jahren bewiesen 1990, dass er eine überwältigende
Unterstützung vom Volk hatte. Jean-Bertrand Aristide erhielt 67,5 Prozent
der abgegebenen Stimmen, nachdem er mehrere Attentatsversuche der rechten Paramilitärs
überlebt hatte und 1988 auf Betreiben des apostolischen Nuntius vom Salesianer
Orden ausgeschlossen wurde. Der Kandidat Washingtons und Ex-Mitarbeiter der Weltbank,
Marc Bazin, erreichte knapp 15 Prozent der Wahlstimmen.
Die Ergebnisse ließen die roten Lampen im Weißen Haus aufleuchten.
Es wurde ein Plan zur Unterwanderung und Zerstörung der Volksregierung aktiviert,
der nach sieben Monaten Resultate zeigte. Der mehrheitlich gewählte neue
Präsident übernahm sein Amt im Februar 1991, um bereits am 30. September
durch einen blutigen Militärputsch gestürzt zu werden.
Dem subversiven Destabilisierungsplan nach den Wahlen ging ein Interventionsplan
vor den Wahlen voran. Es wurden verschiedene Maßnahmen eingesetzt, um den
rebellischen Priester auszuschalten, der versuchte ein „populistisches Modell“
der Demokratie – wie Washington es nannte – durchzusetzen. Es handelte
sich um ein Demokratiemodell mit Beteiligung „der von unten“.
Der nationale Fond für Demokratie (NED), internationaler subversiver öffentlicher
Arm der nordamerikanischen republikanischen Partei und demokratischen Partei,
unterstützte finanziell die Parteianhänger von Bazin und Ex-Mitglieder
der Diktatur Duvaliers, um den Wahlsieg Aristides zu verhindern. Mit dem gleichen
Ziel finanzierte der NED auch Radiosender, die die Kandidatur Aristides verteufelten.
Die nordamerikanische Gewerkschaftszentrale AFL-CIO kooperierte auf Druck des
State Departments bei der Finanzierung rechter Gewerkschaften von denen einige
unter direktem Einfluss der Geheimpolizei Duvaliers standen. Die nordamerikanische
Entwicklungshilfe-Organisation USAID vergab Zuschüsse an rechte Kräfte,
die den USA wohl gesonnen waren und beriet sie.
All diese Maßnahmen konnten den Triumph Aristides und seine Ernennung zum
Präsidenten 1991 nicht verhindern. Angesichts der Niederlage Bazins und der
„Gefahr“ einer Volksdemokratie organisierte Washington einen Staatsstreich,
der dem Experiment des Priesters auf der Insel ein Ende setzen würde. Der
Putsch wurde vom Drogengeneral und Kollaborateur der CIA, Raúl Cedrás,
angeführt. Er genoss eine Ausbildung in der berühmtberüchtigten
School of the Americas (SOA) in Fort Benning, Georgia.
Der ebenfalls in Fort Benning ausgebildete Oberst Michel-Joseph Francois war seine
rechte Hand. Gemeinsam mit Emmanuel Constant, einem weiteren CIA Agenten, kontrollierten
sie zwei fundamentale Einrichtungen zur Zerstörung der demokratischen Regierung
Aristides: den Geheimdienst (SIN) und die Todesschwadronen, bekannt als FRAPH.
Beide Einrichtungen wurden von der CIA geschaffen und unterhalten.
In den ersten beiden Wochen des Putsches verloren mehr als 1000 Menschen ihr Leben
in einer Staatsterrorismus-Kampagne, die systematisch diejenigen demokratischen
und Volksorganisationen zerstörte, die Aristide unterstützt hatten.
Als der Terror endete hatten Cedrás und Francois mehr als 4000 Haitianer
ermordet.
In Kumpanei mit den großen nordamerikanischen Medien begann die Regierung
Bush senior sofort mit einer Propagandakampagne gegen den gestürzten Präsidenten.
Sie machten ihn verantwortlich für die Vorkommnisse aufgrund seiner „Menschenrechtsverletzungen“,
so wie es auch während des Staatsstreichs gegen Hugo Chávez geschah.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) beschloss ihrerseits eine Blockade
gegen die Putschisten, die niemals weder von den europäischen Mächten
noch von Washington ernsthaft durchgeführt wurde.
Im Februar 1992 hob Bush die Blockade gegen die Putschisten praktisch auf. Er
wurde dabei von einem eifrigen Parlamentarier der demokratischen Partei unterstützt:
Robert Torricelli. Während Torricelli das Embargo gegen Kuba brutal verschärfte,
und hoffte, dass der Fall der Sowjetunion benutzt werden könne, um die kubanische
Revolution zu zerstören, arbeitete er mit derselben Hingabe für die
Aufhebung des Embargos gegen die Putschisten in Haiti. In beiden Fällen hatte
er Erfolg: während sich die Aggression gegen Kuba verstärkte, wurde
der Boykott gegen Haiti aufgegeben.
Angesichts der Kraft der Geschehnisse zerbrach Aristide. Er unterzeichnete ein
„Abkommen zur nationalen Einheit“, das ihm nicht mehr als eine symbolische
Funktion in der Regierung ließ und das de facto Exil in den USA. Währenddessen
übernahm im Juni 1992 der Hampelmann von Washington, Marc Bazin, mit dem
offiziellen Segen des Vatikans, der haitianischen Bischofskonferenz, der nationalen
Elite und dem Imperium die Macht.
Der Verrat und die Entartung von Aristide, zusammen mit der systematischen Zerstörung
der Volksbewegung in Haiti und der massiven Auswanderung von 60 000 Haitianern
innerhalb von zwei Jahren, schufen die Bedingungen damit der – jetzt –
unschädliche Führer in sein Land zurückkehrte. 25 000 US-Soldaten,
die von William Clinton geschickt wurden, setzten den legitimen Präsidenten
wieder ein.
Während Francois in der Dominikanischen Republik ins Asyl ging und dann in
San Pedro Sula in Honduras die Millionen Dollar ausgab, die er durch Terror und
den Drogenhandel mit den kolumbianischen Drogenkartellen erhalten hatte, ging
Cedrás zusammen mit dem Ex-Armeechef Biambi nach Panamá, wo sie
dieselben Annehmlichkeiten genossen, wie ihr Mörderkomplize Francois.
Der Flug ins panamesische Exil war eine Freundlichkeit von Clinton, die den sicheren
Transport von Cedrás und Biambi nach Panama garantierte, wo sie eine Villa
am Strand mit Kostenübernahme durch die USA und einige andere imperiale Annehmlichkeiten
erwartete.
Aristide kehrte derweil in ein verwüstetes Land zurück, jedoch hielten
die Armen sein Bild als „Retter“ aufrecht. Dieses Bild entsprach aber
bei weitem nicht den objektiven und subjektiven Kräften des historischen
Projekts von 1990.
Der Zerstörungsprozess seines Regimes und seiner Persönlichkeit war
tief gehend und musste unweigerlich zu seinem Ausschluss durch dieselben Kräfte
führen, die ihn vor eineinhalb Jahrzehnten an die Macht brachten.
Es gibt keine bessere Form ein Volksmythos zu töten, als durch das Volk selbst.
Dies machte Washington mit dem Ex-Oberst Lucio Gutiérrez in Ecuador. Sein
korruptes Handeln hat die Streitkräfte als mögliche Vorhut eines nationalistischen
Prozesses diskreditiert. Die Unterstützung der CONAIE (Zusammenschluss der
Indigenen Ecuadors) für Gutiérrez hat dieselbe Diskreditierung für
die indigene Bewegung geschaffen. Die Übergabe von Militärbasen und
der militärischen Souveränität an den Pentagon hat die höchsten
Erwartungen Washingtons in Bezug auf den Plan Colombia erfüllt.
Der Oberst hat seine historische Rolle für das Imperium erfüllt. Das
einzige, was ihn erwartet ist ein Tritt und das Exil. Und dasselbe gilt für
den Priester: er ist überflüssig geworden und wird von der Bühne
früher verschwinden, als er es sich vorstellen kann.
Der diesbezügliche Ablauf ist vorhersehbar. Man wird unter der Schirmherrschaft
von Washington, Frankreich, der CARICOM oder der OAS zu einem neuen „Abkommen
zur nationalen Einheit“ kommen, dessen Wahlen irgendeine Marionette Washingtons
zur Präsidentschaft bringt.
Auch wenn die demokratische Plattform der bürgerlichen Organisationen eine
gewisse soziale Kraft hat, befindet sich die wachsende Macht in den bewaffneten
Formationen im Norden Haitis. Diese setzen sich aus den alten Folterern und Militärs
der Diktatur Duvaliers zusammen, die aus ihrem bequemen Exil in der Dominikanischen
Republik zurückkehren. Unter ihnen befinden sich die alten Führer der
Todesschwadrone (FRAPH) Luis Jodel Chamblain und Pierre Baptiste, sowie ein anderer
blutbefleckter Meuchelmörder, der Ex-Chef der diktatorischen Polizei Guy
Philippe, zusammen mit den paramilitärischen Gruppen Aristides, die die Seite
gewechselt haben.
Und so wird mit brutaler Ironie der Geschichte das Beherrschungsprojekt für
Haiti von Bush Vater, der den Putsch gegen Aristide motivierte, absolut sicher
umsetzbar unter der Präsidentschaft seines Sohns George: ein Duvalierismus
ohne Duvalier.
Der Präsident James Carter versuchte den Somozismus ohne Somoza in den letzten
Tagen der nikaraguanischen Diktatur durchzusetzen, aber er scheiterte hauptsächlich
wegen des so genannten „Vietnam-Traumas“ daran. Die Möglichkeiten
von Bush junior, dieses Ziel in Haiti zu erreichen, sind deutlich besser.
Die Auswirkungen der Installierung einer rechten Regierung in Haiti sind für
Kuba, die Dominikanische Republik und Venezuela schwerwiegend. Die geografische
Entfernung zwischen dem Norden Haitis und dem Osten Kubas sind gerade 90 Kilometer.
In diesen Breitengraden befindet sich auch die Militärbasis von Guantanamo.
Jedwede Flucht über das Meer von Haiti aus könnte von der Bush Regierung
als Vorwand für militärische Maßnahmen in der Region dienen.
Man vermutet, dass das State Department des kriegerischen Colin Powell bereits
50 000 Betten in der Basis von Guantanamo vorbereitet, um die haitianischen
Flüchtlinge auf der Insel zu internieren.
Für Venezuela ist das minutiöse Studium der Erfahrung von Aristide von
vitaler Wichtigkeit. Der Militärputsch vom April 2002 schlug fehl, aber der
Plan der Unterwanderung und Zerstörung geht weiter.
Das öffentliche Bekenntnis des Angestellten des State Departments Peter Deshazo,
dass die CIA die Söldner Washingtons in Venezuela finanziert; die mehr als
80 Morde an Bauern- und Volksführern während der bolivarianischen Regierung;
die ständigen Waffensendungen an die venezolanischen Paramilitärs und
die wachsenden Aggressionen der kolumbianischen Paramilitärs zeigen, dass
Washington erbarmungslos vorgeht, um die Regierung von Hugo Chavez zu zerstören.
Da die Strategie der „Umerziehung” und „Wiederverwertung”
im Stile Aristides im Falle Hugo Chavez nicht funktionieren wird, ist der Konflikt
in Venezuela antagonistisch. Deshalb hätte eine Niederlage der Volkskräfte
einen extrem hohen menschlichen Preis, wie die Erfahrungen in Chile und Haiti
zeigen.
Sie sind zum Triumph verdammt! |
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