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Bilanz der Ereignisse vom 26. bis 3. April 2006
Informationsstelle Kurdistan (ISKU) 4.
April 2006
Nach dem Tod von 14 Guerillakämpfern durch den Einsatz von Giftgas im
Rahmen einer Militäroperation der türkischen Armee im Gebiet zwischen
Mus, Diyarbakir und Bingöl sind innerhalb der letzten drei Tage bei Auseinandersetzungen
zwischen der kurdischen Bevölkerung und Sicherheitskräften der Türkei
sechs Menschen ums Leben gekommen, darunter drei Kinder im Alter von drei, sechs
und neun Jahren. Nach vorläufigen Angaben wurden zirka 400 Menschen verletzt.
Es kam zu 283 Festnahmen, davon 112 Minderjährige.
Im folgenden eine vorläufige
Bilanz der Ereignisse:
26. März 2006
Malatya
- Die Leichname der 14 getöteten Guerillakämpfer werden zur Autopsie
in die Gerichtsmedizin Malatya gebracht.
27. März 2006
Malatya
- Familienangehörige der Toten erklären in Malatya, die Leichname seien
kaum zu identifizieren und der Zustand der Leichen lasse auf Giftgas schließen.
Sie wenden sich an den Menschenrechtsverein IHD mit der Forderung um juristische
Hilfe.
Hakkari
- In Yüksekova (Provinz Hakkari) protestieren zirka 2500 Menschen gegen
die kurz zuvor stattgefundenen Vorfälle in Hakkari, bei denen 19 Personen
verletzt wurden und gegen fünf Personen Haftbefehl ausgesprochen wurde.
Der Kreisverbandsvorsitzende der Partei für eine demokratische Gesellschaft
(DTP), Muhyettin Ünal, macht in einem Redebeitrag auf das neue Konzept der
Gewalt aufmerksam, mit dem die kurdische Bewegung nach den friedlich verlaufenden
Newrozfeiern konfrontiert sei.
28. März 2006
Diyarbakir
- Eine Menschenmenge, die vor der Beerdigung in Diyarbakir auf die aus Malatya
kommenden Leichname von vier der HPG-Kämpfern wartet, baut Straßenbarrikaden
aus brennenden Autoreifen.
- Nach der Beerdigung formiert sich ein Demonstrationszug, der von der Polizei
mit Schusswaffen und Tränengas angegriffen wird. Es kommt zu einer Vielzahl
von Verletzten.
- Eine Gruppe zerstört die Scheiben sämtlicher Geschäfte, Banken
und Büros im zentral gelegenen Diyarbakirer Viertel Ofis.
- In vielen Stadtteilen Diyarbakirs bleiben die Läden geschlossen. An
mehreren Punkten finden Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften
statt. 14 Demonstranten werden festgenommen.
- Als die Auseinandersetzungen sich vergrößern, ist erstmalig seit
15 Jahren wieder die Jandarma im Stadtzentrum präsent.
- Aus Sicherheitsgründen fahren keine Streifenwagen mehr durch die Stadt.
- In Baglar werden Jandarma- und Sondereinheiten stationiert.
- In den Stadtteilen Baglar und Sehitlik versammeln sich Tausende Menschen
auf den Straßen.
- Außer den Bäckerein und Apotheken schließen alle Geschäfte.
- Das Gouverneursamt, die Polizeidirektion und die Polizeischule werden von
Militärs und Sondereinheiten geschützt.
- Die Filiale Melikahmet der Isbankasi wird von Protestierenden angezündet.
- In den Stadtteilen Baglar und Kurucesme werden sieben Autos angezündet.
- Die Polizei greift Journalisten an, die Festnahmen aufnehmen wollen.
- Im Stadtteil Melikahmet wird ein Polizeirevier angegriffen. Es fallen Schüsse.
- In Baglar wird beim Protest einer Menschenmenge vor einem Polizeirevier
ein zehnjähriges Kind durch Polizeischüsse verletzt.
- Zwei Fahrzeuge vor der Polizeischule werden angezündet, die Schule
mit Steinen angegriffen.
Batman
- Der Leichnam von Abdullah Rükün (Berxwedan Garzan), einem der
14 getöteten Guerillakämpfer, wird in Batman im Beisein von 10 000
Menschen beigesetzt.
Siirt
- Der Leichnam von Kenan Demir (Mervan) wird in Siirt-Gökcebag im Beisein
von 10 000 Menschen beigesetzt. Im Anschluss an die Beerdigung wird der 16-jährige
Muhlis Ete durch Schüsse von Soldaten und Dorfschützern lebensgefährlich
verletzt, als er eine Fahne des Demokratischen Konföderalismus am Gipfel
des dem Friedhof gegenüberliegenden Berges anbringen will. Es brechen Auseinandersetzungen
aus, in deren Verlauf vier Personen festgenommen werden.
Van
- In Van protestieren Hunderte in den Stadtteilen Hacibekir und Yüniplik
gegen die Ermordung der 14 Guerillakämpfer.
Urfa
- In Urfa-Viransehir protestiert eine Gruppe gegen die Ermordung der 14 Guerillakämpfer.
Adiyaman
- Der Leichnam von Hüseyin Kizil wird in Adiyaman im Beisein von Hunderten
Menschen beigesetzt.
Adana
- Die Menschenmenge, die an der Beerdigung des Guerillakämpfers Idris Sinet
teilnimmt, wird von der Polizei mit Tränengas und Panzerfahrzeugen angegriffen.
Süleymaniye
- In Süleymaniye-Derbandixan in Südkurdistan demonstrieren Hunderte
Menschen für die getöteten 14 Guerillakämpfer.
Siirt
- Die türkische Armee leitet eine Militäroperation in Siirt-Eruh gegen
die HPG-Guerilla unter Beteiligung von zirka 20 000 Soldaten ein.
29. März 2006
Siirt
- Aus Protest gegen die Schüsse auf den 16-jährigen Muhlis Ete nach
der Beerdigung des HPG-Kämpfers Kenan Demir am Vortag bleiben die Geschäfte
geschlossen und die Schulen werden boykottiert.
Diyarbakir
- Die Auseinandersetzungen beginnen morgens erneut. In mehreren Stadtteilen versammeln
sich Menschen, bauen Barrikaden und liefern sich Straßenschlachten mit
der Polizei. Am Mevlaha-Halit-Boulevard setzt die Polizei Pfeffergas und Schusswaffen
ein. Ein 18-Jähriger wird durch Schüsse lebensgefährlich verletzt.
- Die Notaufnahmen des Universitäts- und des staatlichen Krankenhauses
verzeichnen 95 Verletzte seit dem vergangenen Morgen.
- Beim Polizeiangriff auf Demonstranten in Baglar werden vier Personen verletzt.
- In Baglar wird der 22-jährige Tarik Atakaya, der als Lehrling in einem
Möbelgeschäft arbeitet, von Sondereinheiten erschossen. Daraufhin strömen
die Menschen auf die Straßen und liefern sich Straßenschlachten mit
der Polizei.
- Alle Schulen in der Stadt werden boykottiert. Die Geschäfte bleiben
geschlossen.
- Strategisch wichtige Punkte in der Stadt werden unter militärischen
Schutz gestellt.
- Zehn Abgeordnete rufen gemeinsam mit dem Gouverneur der Provinz Diyarbakir
die Bevölkerung zur Besonnenheit auf und fordern ein Ende der Auseinandersetzungen.
- Im Stadtteil Sehitlik werfen Demonstranten Steine auf ein Polizeirevier.
- Die regionalen Industriellenverbände GÜNSIAD und DISIAD, die Industrie-Kammer
und weitere Organisationen rufen dazu auf, die Auseinandersetzungen zu beenden.
- In Ofis in der Innenstadt Diyarbakirs kommt es zum Polizeiangriff auf Demonstranten,
die zwei Autos niederbrennen.
- Nach Protesten in Seyrantepe, der Tekel-Tabakfabrik und nahegelegenden Dörfern
werden Dörfer von Soldaten umstellt.
- Gouverneursamt in Yenisehir wird trotz Militärschutz mit Steinen angegriffen.
Polizei und Militär greifen ein, woraufhin sich die Protestierenden zurückziehen
und eine fünfzig Meter entfernte Filiale der Ziraat-Bank entglasen
sowie Geldautomaten zerstören.
- Das Dienstfahrzeug des Diyarbakirer Bürgermeisters Osman Baydemir wird
von Sondereinheiten angegriffen, als er sich auf dem Weg zu einer Demonstration
in der Nähe des Gefängnisses befindet, wo er die Bevölkerung zur
Ruhe bringen will.
- In Baglar wird der neunjährige Abdullah Duran von Polizisten erschossen.
- Efkan Ala, Gouverneur von Diyarbakir, erklärt, dass bei den Vorfällen
drei Menschen getötet, 250 verletzt und 200 Personen festgenommen worden
sind.
- Festgenommene und Augenzeugen von Festnahmen berichten von polizeilicher Folter.
- Birgül Özbaris, Korrespondentin der Tageszeitung Ülkede Özgür
Gündem, entgeht nur knapp gezielten Schüssen maskierter Polizisten.
Suleymaniye
- Die türkischen Behörden fordern eine Übersetzung der arabischen
Identitätspapiere des aus Süleymaniye stammenden Guerillakämpfers
Kawa Ibrahim (Karker Ciwanro) ins Türkische, bevor der Leichnam den Angehörigen übergeben
wird.
Istanbul
- In Istanbul-Ümraniye werden bei einer Polizeiintervention mit Pfeffergas
gegen eine Barrikaden bauende Gruppe zwei Personen verletzt. Bei den entstehenden
Auseinandersetzungen wird Hüseyin Demir (24) getötet.
- Im Stadtteil Gazi werden aus Protest gegen die Ermordung der 14 Guerillakämpfer
Barrikaden errichtet und Feuer angezündet.
30. März 2006
Urfa
- Die Polizei greift eine Gruppe an, die mit Mülltonnen Barrikaden baut.
An verschiedenen Punkten der Stadt werden strenge Sicherheitsmaßnahmen
getroffen.
Cizre
- In Sirnak-Cizre wird bei einer nächtlichen Demonstration ein Polizeirevier
mit Steinen beworfen und eine Filiale der Isbankasi entglast.
Batman
- Über hundert Menschen protestieren gegen die Ermordung der 14 Guerillakämpfer.
- Unter der Parole „Die Menschen von Amed sind nicht allein“ laufen
Tausende Menschen auf die AKP-Zentrale zu. Polizei und maskierte Sondereinheiten
intervenieren mit Panzerfahrzeugen und Tränengas. Die Demonstranten schlagen
mit Steinen und Molotowcocktails zurück. Als die Polizei Schusswaffen einsetzt,
verteilen sich die Demonstranten auf Nebenstraßen, wo die Auseinandersetzungen
weiter gehen.
Van
- In Van protestieren hundert Menschen gegen den Giftgaseinsatz gegen die Guerilla.
Die Polizei interveniert mit Panzern. Die Protestierenden reagieren mit Steinwürfen
und zünden ein Fahrzeug an.
Diyarbakir
- Die Geschäfte im Stadtzentrum bleiben auch am dritten Tag geschlossen,
mehrere Schulen werden weiterhin boykottiert.
- Das staatliche Krankenhaus, in dem sich über hundert Verletzte befinden,
wird von der Polizei umstellt, Angehörige und sich in medizinischer Behandlung
befindende Verletzte werden mit Schlagstöcken angegriffen. Es kommt zu mehreren
Festnahmen.
- In mehreren Stadtteilen kommt es zu kleineren Protestkundgebungen.
- Tausende Menschen versammeln sich vor der Sefik-Efendi-Moschee, wo die Leichname
der getöteten Guerillakämpfer Onur Kaya und Abdullah Duran aufgebahrt
sind. In größerer Entfernung von der Menschenmenge werden Armee-Einheiten
stationiert. In der Umgebung befinden sich an mehreren Punkten maskierte Sondereinheiten.
- Eine Abordnung hochrangiger Polizeikräfte der Antiterror- und der nachrichtendienstlichen
Abteilung unter Vorsitz des stellvertretenden Polizeichefs der Türkei trifft
in Diyarbakir ein.
- Die Leichname von Abdullah Duran (9) und Tarik Atakaya (22), die bei den
Vorfällen durch Polizeischüsse ums Leben gekommen sind, werden in die
Sefik-Efendi-Moschee gebracht. Vor der Moschee warten zirka 20 000 Menschen und
fordern Rechenschaft vom Staat.
- Das Polizeibüro neben der medizinischen Fakultät wird mit Molotow-Cocktails
niedergebrannt.
- Ein Sechsjähriger wird von der Polizei beim Angriff auf die Menschenmenge
vor der Sefik-Efendi-Moschee erschossen. Ein 14-Jähriger wird am Fuß getroffen.
- Polizisten dringen in ein Gymnasium in Sur ein und verprügeln Lehrer,
weil die türkische Fahne von der Schule entfernt worden ist. Der Direktor
und ein Lehrer werden ins Krankenhaus eingeliefert.
- Das Innenministerium leitet Ermittlungen gegen Osman Baydemir als Bürgermeister
von Diyarbakir ein, weil dieser nach dem Tod der ersten beiden Zivilisten in
Diyarbakir gegenüber Journalisten geäußert hatte, der Schmerz
der Stadt und der Region habe sich von 14 auf 16 erhöht.
- Das staatliche Krankenhaus wird von Soldaten umstellt. Angehörigen
der Verletzten wird der Zugang verwehrt.
- Der Korrespondent der Nachrichtenagentur DIHA, Sakir Uygar, wird bei der
Beobachtung der Vorfälle nach der Beerdigung durch Polizeischüsse am
Fuß verletzt.
- Nach einer Bombendrohung besetzt die Polizei das staatliche Krankenhaus
und lässt Gebäudeteile räumen.
- Polizisten aus der Polizeischule greifen mehrere Gebäude in
der Umgebung mit Steinen an, zerstören Fensterscheiben und bedrohen die
Bewohner.
- Demonstranten errichten in der Nähe der Polizeischule Barrikaden und
zünden zwei Autos an.
- Ilyas Aktas, Korrespondent der Zeitung Devrimci Demokrasi, wird von Polizisten
durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt.
- Innenminister Abdulkadir Aksu trifft abends in Begleitung von 250 bis 300
Sondereinheiten in Diyarbakir ein.
Antalya
- Aynur Yasli zündet sich aus Protest gegen die Ermordung der 14 Guerillakämpfer
durch Giftgas und die Vorfälle in Diyarbakir selbst an und erleidet lebensgefährliche
Verbrennungen.
Bingöl
-
Die türkische Armee leitet eine Militäroperation in Bingöl
ein. Luft- und Bodentruppen sind in das Gebiet verlegt worden.
31. März 2006
Nach dem Tod von 14 Guerillakämpfern durch den Einsatz von Giftgas im Rahmen
einer Militäroperation der türkischen Armee im Gebiet zwischen Mus,
Diyarbakir und Bingöl hat sich die Anzahl der getöteten Zivilisten
durch Polizeigewalt auf acht erhöht. Das jüngste Opfer ist ein dreijähriges
Kind, das in Batman von Polizisten erschossen wurde. In Istanbul kam ein Mensch
durch einen Bombenanschlag der Gruppierung TAK ums Leben. Während die Partei
für eine demokratische Gesellschaft zum Ende der Gewalt aufruft, dauern
die Festnahmen weiter an. Die genaue Anzahl der Festnahmen ist unbekannt, bisher
wurde gegen 56 Personen ein Haftbefehl ausgesprochen, darunter 33 Minderjährige
im Alter von zwölf bis 18 Jahren.
Im folgenden eine unvollständige
Bilanz des Tages:
Istanbul
- Die „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK) verüben einen Bombenanschlag
auf einem Platz in Kocamustafapasa, bei dem eine Person getötet und elf
weitere Menschen verletzt werden. Der Menschenrechtsverein IHD verurteilt den
Anschlag und erklärt: „In diesen Tagen, in denen in Diyarbakir mehrere
Menschen ihr Leben verloren haben, weil auf Zivilisten geschossen wurde, ist
es offensichtlich, dass diese Form von Aktionen keine Lösung für das
Problem der Gewalt bietet und dem Wunsch nach einer demokratischen, zivilen und
gewaltfreien Gesellschaft widerspricht.“
Diyabakir
- In vielen Stadtteilen bleiben die Geschäfte seit drei Tagen geschlossen.
- Vor dem Gericht versammeln sich Menschengruppen, weil die Festgenommenen dem
Staatsanwalt vorgeführt werden sollen. Die Polizei trifft strenge Sicherheitsvorkehrungen.
- Die DTP gibt eine Presseerklärung heraus, in der dazu aufgerufen wird,
die Auseinandersetzungen in Diyarbakir zu beenden. In einem demokratischen Land
sei es nicht zu akzeptieren, dass die Sicherheitskräfte Waffen gegen die
Bevölkerung einsetzen, so Ahmet Türk von der Partei-Doppelspitze. „Wir
glauben nicht daran, dass Probleme mit Waffen und Gewalt gelöst werden können.
Wir rufen nicht zu Aktionen auf, die über das Maß hinausgehen, und
wir erwarten das gleiche von den Sicherheitskräften.“
- Die in den vergangenen Tagen Festgenommenen werden in Gruppen von 25 bis 30
Personen dem Staatsanwalt vorgeführt. Gegen die ersten 56 Personen wird
ein Haftbefehl wegen Parolenrufen und Unterstützung der PKK ausgesprochen.
Unter den Verhafteten befinden sich 33 Minderjährige im Alter von zwölf
bis 18 Jahren. In Polizeigewahrsam befinden sich noch weitere 80 Minderjährige
im Alter zwischen zehn und 18 Jahren, die morgen dem Staatsanwalt vorgeführt
werden sollen. Die genaue Anzahl der Festnahmen ist nicht bekannt. Berichten
zufolge werden die Festgenommenen nackt ausgezogen, geschlagen und beleidigt.
- Im Prozess gegen 24 Mitglieder der Initiative „Mütter für den
Frieden“ werden die AnwältInnen im Beisein des Staatsanwaltes am Ausgang
des Gerichtsgebäudes verbal und tätlich von Polizisten angegriffen
und als „Vaterlandsverräter“ beschimpft. Während der Verhandlung
bezeichnet der Staatsanwalt die Frauen als „ungebildet“. Die Friedensmütter
werden aus der Haft entlassen.
- Rechtsanwalt Cafer Koluman wird in der Antiterrorabteilung von Polizisten angegriffen
und erleidet einen Nasenbruch.
- Nach Angaben des Menschenrechtsausschusses des Gouverneursamtes von Diyarbakir
sind im staatlichen Krankenhaus 262 Verletzte registriert, davon 128 Zivilisten
und 135 Angehörige der Sicherheitskräfte. Die medizinische Behandlung
von 41 Personen dauert an.
- Berichten zufolge werden zwei weitere Menschen bei verschiedenen Vorfällen
in der Stadt durch Schusswaffen verletzt. Im staatlichen Krankenhaus befinden
sich acht Personen mit Schusswunden, darunter eine 75-jährige Frau.
- In Baglar und anderen Stadtteilen nehmen maskierte Sondereinheiten alle Personen
fest, die ihnen verdächtig erscheinen.
- Mustafa Eryilmaz (26) erliegt seinen Verletzungen, die er sich im Verlauf der
Auseinandersetzungen nach der Guerilla-Beerdigung zugezogen hat. Die Anzahl der
Toten erhöht sich damit auf acht.
Yüksekova
- Aus Protest bleiben die Geschäfte in der Kreisstadt geschlossen, größere
Gruppen bauen Barrikaden, zünden Feuer an und greifen Polizisten mit Steinen
an. Militäreinheiten werden ins Stadtzentrum verlegt.
Ergani
- Bei einem Polizeiangriff mit Tränengas und Schlagstöcken auf eine
Protestkundgebung werden über zehn Menschen verletzt. Die Geschäfte
werden geschlossen, die Schulen boykottiert. Maskierte Sondereinheiten besetzen
strategisch wichtige Punkte in der Kreisstadt.
Ankara
- Außenminister Abdullah Gül fordert telefonisch von Dänemark
die Schließung des Fernsehsenders Roj TV.
Brüssel
- Bei einer unangemeldeten Protestkundgebung von in Brüssel lebenden Kurden
wird das türkische Konsulat mit Eiern und Tomaten beworfen. Als die Polizei
eingreift, kommt es zu Auseinandersetzungen, bei denen ein Demonstrant verletzt
wird.
Berlin
- Die MLKP gedenkt der getöteten 14 HPG-Guerillakämpfer und drückt
ihre Solidarität mit dem „Aufstand in Kurdistan“ mit einem Transparent
mit der Aufschrift „Die HPG-Guerillakämpfer sind unsterblich“ aus,
das an einem Übergang in Kreuzberg befestigt wird.
Behdinan
- Murat Karayilan vom Exekutivrat der KKK erklärt, die Bevölkerung
werde ihre Aktionsphase fortsetzen und steigern. Regierung, Polizei und Medien
in der Türkei seien kurdenfeindlich, so Karayilan. Der Staat provoziere
die Kurden. „Das Messer hat den Knochen getroffen. Ich persönlich
habe nicht das Recht, die Bevölkerung dazu aufzurufen, ihre Aktionen zu
stoppen. Wenn Menschen in so einseitiger Form unter Druck gesetzt, ungerecht
behandelt und erniedrigt werden, hat niemand das Recht, einseitig von diesen
Menschen zu fordern, sie sollen aufhören, sich zu wehren.“
- Die Volksverteidigungskräfte (HPG) geben bekannt, dass es im Rahmen einer
am 28. März beginnenden Militäroperation der türkischen Armee
in Sirnak-Besta zu drei Gefechten gekommen ist. Die türkische Armee habe
dabei Verluste in unbekannter Höhe erlitten, die Guerilla habe keine Verluste
zu verzeichnen.
1. April 2006
Die Anzahl der Todesopfer durch Polizeigewalt hat sich auf
neun erhöht.
In Mardin-Kiziltepe wird ein 27-Jähriger von der Polizei erschossen. Mehrere
Menschen sind lebensgefährlich verletzt. Bei allen Protestaktionen in der
Türkei setzen die Sicherheitskräfte Schusswaffen ein. In Diyarbakir
sind bisher 198 Personen verhaftet worden.
Kiziltepe
- Die Geschäfte in der Stadt bleiben geschlossen. Im Stadtzentrum werden
Sondereinheiten positioniert. Die Hauptstraßen werden mit Panzern und Polizeieinheiten
besetzt. Über Megaphon wird den Geschäftsinhabern mit rechtlichen Konsequenzen
gedroht, wenn sie ihre Läden nicht öffnen.
- Eine geplante Demonstration unter dem Motto „Der Frieden hat noch eine
Chance“ wird bereits im Vorfeld von der Polizei mit Tränengas, Schlagstöcken
und Schusswaffen angegriffen. Die Demonstranten errichten Barrikaden, zünden
Banken, eine Postfiliale, die AKP-Zentrale und weitere staatliche Gebäude
an.
- Jandarma-Einheiten dringen ins Stadtzentrum ein und greifen die Menschen an.
- Ahmet Arac (27) wird von der Polizei erschossen. Ungefähr 50 Personen,
davon neun Polizisten, werden verletzt.
Diyabakir
- Aus dem staatlichen Krankenhaus wird eine Gruppe Ärzte und Krankenschwestern
in die Polizeischule in Baglar gerufen, wo die Festgenommenen in einer Turnhalle
untergebracht sind. Berichten zufolge sollen sie dort die Gefolterten medizinisch
behandeln.
- In Bismil werden nach einer Kundgebung bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften
14 Personen verletzt, vier davon durch Schusswaffen.
- Von 280 Festgenommenen, die bisher dem Staatsanwalt vorgeführt worden
sind, sind 198 verhaftet worden. Weitere 82 Personen werden noch verhört.
- Polizisten suchen die Büros von TV-Sendern und Nachrichtenagenturen auf
und verlangen die Aufnahmen von den stattgefundenen Auseinandersetzungen der
vergangenen fünf Tagen.
- Polizisten führen Razzien in Privatwohnungen, Cafes, Geschäften und
Büros durch und nehmen mindestens vier Personen fest.
- Von 14 durch Polizeischüsse in den vergangenen Tagen Verletzten im Alter
zwischen 17 und 68 Jahren befinden sich fünf nach wie vor in Lebensgefahr.
Silopi
- 5000 Demonstranten, die aus Protest einen Kranz vor der AKP-Zentrale niederlegen
wollen, werden von der Polizei angegriffen. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen,
bei denen ein Demonstrant durch Schusswaffen schwer verletzt wird.
Yüksekova
- Die Geschäfte bleiben geschlossen. Es kommt zu Straßenschlachten
und Dutzenden Festnahmen.
- Soldaten führen im Stadtzentrum eine Demonstration mit nationalistischen
Parolen durch.
Van
- Auf Anraten des Gouverneursamtes werden Prüfungen an der Anadolu-Universität
auf unbestimmte Zeit verschoben.
- Protestierende werfen Molotowcocktails und schlagen die Scheiben von Stadtbussen
ein. Im Stadtzentrum und vor dem Gouverneursamt sind Panzer stationiert. Es kommt
zu Dutzenden Festnahmen.
Semdinli
- Die Geschäfte bleiben geschlossen, die Bevölkerung zuhause.
Batman
- Der gestern von der Polizei erschossene dreijährige Fatih Tekin wird nachts
heimlich beigesetzt.
Istanbul
- Nachts kommt es zu einer Explosion in einer Filiale der in Militärbesitz
befindlichen Oyak-Bank in Fatih. Es entsteht geringer Sachschaden.
- In Zeytinburnu und Sisli werden mehrere Busse angezündet. Die Polizei
setzt Schusswaffen ein. Es kommt zu mehreren Festnahmen.
Izmir
- Eine Protestkundgebung wird von der Polizei durch Schüsse aufgelöst.
Ankara
- Der Kassationsgerichtshof leitet Ermittlungen ein, um zu prüfen, ob die
Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP) in die Vorfälle in
Diyarbakir verwickelt ist.
- Das Innenministerium leitet Ermittlungen gegen Osman Baydemir als Bürgermeister
von Diyarbakir ein, weil er die PKK gelobt haben soll. Die Staatsanwalt Diyarbakir
ermittelt aus dem gleichen Grund gegen Baydemir und einige DTP-Provinzvorsitzende.
Baydemir hatte nach dem Tod der ersten beiden Zivilisten erklärt, der Schmerz
der Stadt habe sich von 14 auf 16 erhöht.
Paris, London, Nikosia, Freiburg, Hamburg, München,
Stuttgart, Wien
- In mehreren europäischen Städten finden Protestdemonstrationen statt.
Lediglich in München kommt es zu einem Angriff der Polizei, die die Demonstrierenden
auffordert, mitgeführte Bilder von den 14 in Mus gefallenen Guerillakämpfern
nicht zu zeigen. Neun Personen werden festgenommen, darunter ein Korrespondent
der Tageszeitung Özgür Politika und ein YEK-KOM-Vertreter. Mehrere
Personen werden verletzt.
2. April 2006
Die Anzahl der Todesopfer durch Polizeigewalt hat sich auf
zehn erhöht.
In Kiziltepe wurde ein weiterer Mann von der Polizei erschossen, in Diyarbakir
erlag ein 78-Jähriger seinen Kopfverletzungen. In Istanbul kommt eine Frau
ums Leben, als Demonstranten einen Molotowcocktail gegen einen Stadtbus werfen.
Die Anzahl der Verhaftungen allein in Diyarbakir ist auf 446 gestiegen. Die Festnahmen
dauern an.
Kiziltepe
- M. Siddik Özer (22) wird erschossen, als die Polizei gegen eine Gruppe
interveniert, die einen Beileidsbesuch bei der Familie des gestern durch Polizeischüsse
getöteten Ahmet Arac abstatten will.
- Straßenschlachten beginnen. Die Kreisstadt ähnelt einem Kriegsschauplatz.
Es kommt zu Verletzten auf beiden Seiten. Mehrere staatliche Gebäude werden
angezündet.
Nusaybin
- Bei Straßenschlachten kommt es zu mehreren Verletzten und Festnahmen.
Yükdekova
- Von 16 Festgenommenen werden acht wegen Unterstützung der PKK und Zerstörung öffentlichen
Eigentums verhaftet.
Batman
- Gegen den Vorsitzenden des DTP-Provinzverbandsvorsitzenden Ayhan Karabulut
wird ein Haftbefehl aufgrund eines telefonischen Beitrags im Fernsehsender Roj
TV und der Auseinandersetzungen in der Stadt ausgesprochen.
Diyabakir
- Die Polizei nimmt willkürlich Menschen auf der Straße und in Cafes
fest. Wer Widerstand leistet, wird brutal geschlagen. Von bisher 546 Festgenommenen
sind nach Angaben der Anwaltskammer Diyarbakir 446 verhaftet worden. Da die Gefängnisse
in der Stadt inzwischen überfüllt sind, werden Gefangene nach Mardin
und Nusaybin verlegt.
- Halit Sögüt (78) stirbt nach drei Tagen an den Folgen einer Kopfverletzung
durch Schlagstockeinsatz.
- Die Großmutter des durch Polizeischüsse getöteten neunjährigen
Abdullah Duran stirbt an Herzversagen.
Mersin
- In Mersin errichtet eine Gruppe Barrikaden aus Feuer. Als die Polizei angreift,
kommt es zu Straßenschlachten. Eine Person wird festgenommen.
Adana
- In Adana errichtet eine Gruppe Barrikaden nach einer Protestdemonstration.
Als die Polizei eingreift, kommt es zu Straßenschlachten. Eine Person wird
bei einer Wohnungsrazzia brutal festgenommen. Die Polizei wirft Fensterscheiben
in mehreren Häusern ein.
Istanbul
- Am Taksim wird eine gemeinsame Kundgebung von DTP, EMEP, IHD, ESP, Volkshäusern
und weiteren Organisationen von der Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken
angegriffen. Mehrere Personen werden verletzt. Bei einer folgenden mehrstündigen
Verfolgungsjagd in Nebenstraßen wird ein Demonstrant von Faschisten mit
Stöcken und Eisenstangen verprügelt und anschließend der Polizei übergeben.
Es kommt zu 13 Festnahmen.
- Auf staatsanwaltschaftlichen Beschluss findet eine Razzia in der DTP-Zentrale
in Beyoglu statt. Es werden Computer, Disketten, Bücher, Fahnen und CDs
beschlagnahmt.
- In den Stadtteilen Nurtepe und Gazi werden die Hauptstraßen mit Molotowcocktails
für den Verkehr gesperrt. Die Polizei setzt Tränengas ein.
- In Bagcilar kommt eine Passantin ums Leben, als Demonstranten Molotowcocktails
auf einen Bus werfen und dieser gegen einen Strommasten fährt, der auf zwei
vorüber gehende Frauen fällt. Die zweite Frau wird schwer verletzt.
Paris
- Nach einer Newrozveranstaltung führen zirka 200 Jugendliche einen Fackelmarsch
durch.
- In zwei MHP-nahe Cafes werden Molotowcocktails geworfen. Es entsteht Sachschaden.
Berlin
- In ein MHP-nahes Cafe werden Molotowcocktails geworfen. Es entsteht Sachschaden.
3. April 2006
Mit zwei Toten, die in Diyarbakir ihren in den vergangenen
Tagen erlittenen Verletzungen erliegen, hat sich die Anzahl der Todesopfer durch
Polizeigewalt auf 13 erhöht.
Bei der Protestaktion in Istanbul sind nicht wie gestern angegeben eine, sondern
drei unbeteiligte Frauen ums Leben gekommen. Während sich die Lage auf den
Straßen Diyarbakirs normalisiert, dringen Berichte über Folterungen
der Festgenommenen an die Öffentlichkeit. Bei einer Militäroperation
in Sirnak haben nach HPG-Angaben 17 Soldaten und vier GuerillakämpferInnen
ihr Leben verloren. Die DTP ruft erneut dazu auf, die Gewalt zu stoppen und verurteilt
die Aktion in Istanbul sowie die staatliche Gewalt.
Im Folgenden eine unvollständige Bilanz der Ereignisse des Tages:
Diyabakir
- Der 19-jährige Emre Fidan stirbt an den Folgen einer vor vier Tagen erlittenen
Schussverletzung durch Polizeischüsse. Er ist der neunte Tote in Diyarbakir
durch Polizeigewalt.
- Mahsuni Mizrak (17) ist der zehnte Tote in Diyarbakir.
- Die Demokratie-Plattform Diyarbakir fordert das Parlament und die Abgeordneten
aus Diyarbakir zur Verantwortung auf. Als Sprecher der Plattform kritisiert Ali Öncü die
Behauptung eines Ministers, Kinder wäre Geld gegeben worden, damit sie Molotow-Cocktails
werfen. „Es sind Menschen zu Tode gekommen, Menschenrechte wurden verletzt,
Hunderte von Menschen haben Verletzungen erlitten und wurden gefoltert, Hunderte
wurden verhaftet. In einer solchen Situation darf keine so billige Politik gemacht
werden. Es geht nicht darum, dass ein paar Scheiben zu Bruch gegangen sind.“
- Rechtsanwalt Cengiz Analay, ehemaliger Vorsitzender der Kinderrechtskommission
der Anwaltskammer von Diyarbakir, erklärt gegenüber der Nachrichtenagentur
DIHA, die festgenommenen Minderjährigen seien gefoltert worden: „Es
ist festgestellt worden, dass die Minderjährigen im Alter von zwölf
bis 18 Jahren hinter dem Rücken gefesselt, nackt ausgezogen, mit kaltem
Wasser übergossen wurden. Sie wurden gezwungen, sich in diesem Zustand auf
nackten Beton zu legen, wo sie stundenlang geschlagen und beleidigt wurden. Über
vier Tage hinweg haben sie kein Essen bekommen.“ Bei den meisten der Minderjährigen
seien die Misshandlungen ärztlich attestiert worden, so Analay. 89 Minderjährige
seien wegen „Unterstützung einer terroristischen Organisation, Aufstachelung
der Bevölkerung zum Aufstand, zu Hass und Feindschaft, bewaffneten Angriffes
auf Sicherheitskräfte, Plünderung, Besetzung von Banken“ und
weiteren Straftaten verhaftet worden.
Batman
- Der Vorsitzende des Provinzverbandes der DTP, Ayhan Karabulut, wird verhaftet.
- Von 41 bei den Protesten Festgenommenen werden 33 verhaftet, darunter sechs
Minderjährige.
Urfa
- In der Kreisstadt Viransehir werden zirka 1000 Demonstranten von Polizisten
und Dorfschützern mit Schusswaffen angegriffen. Die Demonstranten reagieren
mit Steinwürfen.
Silopi
- Von zwölf festgenommenen Minderjährigen wird ein 15-Jähriger
wegen mit der Kamera aufgenommenen Steinwürfen auf Polizisten verhaftet.
Mardin
- In den Kreisstädten Kiziltepe und Nusaybin werden 54 Personen festgenommen,
darunter auch durch Polizeischüsse Verletzte. Es finden vermehrt Razzien
in Privatwohnungen statt.
Behdinan
- Wie die HPG bekannt gibt, sind am 30. März bei einer Militäroperation
am Cudi-Berg in Sirnak 17 Soldaten und vier GuerillakämpferInnen getötet
worden. Die Militäroperation dauert an.
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