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Offener Brief an das „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte“
BUKO-Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft (ASWW)
24. Mai 2000
Das deutsche Netzwerk sucht derzeit UnterstützerInnen für seine „Erklärung
für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte“
(siehe u.a. www.share-online.de Finanzmärkte). Diese soll am 31. Mai 2000
auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Wir vom
BUKO-Arbeitsschwerpunkt möchten mit diesem Offenen Brief einige Kritikpunkte
an der Erklärung benennen. Es geht uns dabei nicht um Abgrenzung, sondern
um solidarische Kritik, denn wir begrüßen die Initiative des Netzwerkes,
auf einige zentrale Probleme des gegenwärtigen globalen Kapitalismus aufmerksam
zu machen. Doch die inhaltlichen Widersprüche und Vereinfachungen sowie die
politisch-strategische Ausrichtung der Erklärung können unseres Erachtens
nicht unwidersprochen bleiben.
Die Erklärung erweckt den Eindruck, als seien „wachende Instabilitäten“
und Krisen „in immer kürzeren Abständen“ ein Phänomen
der derzeitigen kapitalistischen Globalisierungswelle und des damit verbundenen
Aufstiegs der internationalen Finanzmärkte. Der Kapitalismus ist jedoch seit
seiner Entstehung im 19. Jahrhundert von Finanz-, Währungs-, Verschuldungs-
und Inflationskrisen begleitet. Seine immanente, unausweichliche Krisenhaftigkeit
allein auf die quantitativ gestiegenen Kapitalflüsse spekulativen Charakters
zurückzuführen, ist zu kurz gegriffen. Denn die monetäre Sphäre
der Finanzmärkte ist eben nicht zu trennen von der realökonomischen,
„produktiven“ Sphäre. Beide sind funktional aufeinander angewiesen,
ihre Krisenlogik ergänzt und überlagert sich in hohem Maße. Der
Aufstieg der Finanzmärkte beruht auf den (Über-) Akkumulationsprozessen
der „Realökonomie“ und ist strukturell mit ihren Verwertungskrisen
verbunden. Eine simplifizierende dichotomische Sichtweise verbietet sich daher.
Ähnliches gilt für den in der Erklärung erweckten Eindruck,
als „unterdrückten“ die internationalen Finanzmärkte die
demokratischen Regierungen, die eigentlich ganz anderes wollen, als ihnen die
Märkte diktierten. Diffenziertere Analysen weisen darauf hin, dass die Globalisierung
der (Finanz-) Märkte eben nicht mit einem Rückzug der Nationalstaaten
aus Regulierungsprozessen einhergeht, sondern mit einer Redefinition seiner Interventionsformen.
So weist z.B. die Finanzmarkt-Expertin Susanne Lütz (in der PROKLA 118, 2000/1,
S. 61 bis 81) darauf hin, dass die Staaten zwar nationale Standards bei der Regulierung
von Kapitalflüssen reduziert haben, aber seit den 90er Jahren Bestandteil
von public-private-partnerships in der Bankenregulierung wurden, die wiederum
in pluralisierte Abstimmungsnetzwerke auf internationaler Ebene eingebunden sind.
Mit anderen Worten: Die gegenwärtige Struktur des globalen Finanzmarktes
wurde nicht gegen Staaten oder Regierungen, sondern durch sie bzw. mit ihnen verwirklicht.
Die etatistische und neokeynesianische Schlagseite des Netzwerkes und der gesamten
ATTAC-Bewegung halten wir daher für wenig angebracht. Die modernen bürgerlichen
Nationalstaaten als potenzielles Gegengewicht zum Kapitalismus (miss-)zu verstehen
und nicht als sein integraler Bestandteil, verweist auf ein Staatsverständnis,
das im Nationalstaat eine an sich neutrale Instanz sieht, derer sich alle gleichermaßen
bedienen können, um ihre Interessen zu verwirklichen. Nicht nur materialistische
Staatstheorie, sondern auch die historische Erfahrung lehrt jedoch das Gegenteil.
Aus diesem Grund ist auch die Forderung nach der „demokratischen Umgestaltung
internationaler Finanzinstitutionen“ irreführend. Es ist die zentrale
Aufgabe dieser Institutionen, das auf Ausbeutung und Ungleichheit basierende Geldverhältnis
zu stabilisieren und die Verwertung von Kapital zu organisieren. Die in der Erklärung
verwendete Forderung „Wir brauchen eine andere Politik“, die mit der
Hoffnung verknüpft wird, die Probleme des globalen Kapitalismus ließen
sich „eindämmen“, wenn die Staaten bzw. die gewählten Regierungen
nur die richtige Politik betrieben, ist daher aus unserer Sicht eine fatale Illusion.
Sie trägt zur Legitimierung derjenigen Institutionen und Verhältnisse
bei, die Teil des Problems sind, nicht dessen Lösung. Analog dazu ist auch
die Unterscheidung von gutem und schlechtem Kapital problematisch. Im Aufruf zur
Gründung des Netzwerkes ist die Rede davon, die Finanzmärkte müssten
wieder ihrer eigentlichen Funktion, nämlich der Finanzierung „produktiver
Investitionen“, zugeführt werden. Damit wird erstens der Schein erweckt,
das primäre Ziel des Kapitals sei nicht der Profit. Zudem ergibt sich dieser
aber auch bei produktiven Investitionen aufgrund der zugrunde liegenden Herrschaftsverhältnisse.
Abgesehen davon, ob die Wahl von Staaten und Finanzinstitutionen als Adressaten
der Forderungen nicht darauf hinausläuft, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben
(diese religiös gefärbte Metapher sei uns hier erlaubt), stellt sich
auch die Frage, ob die vom Netzwerk vorgeschlagenen Maßnahmen selbst aus
einer rein systemimmanenten, technischen Sichtweise überhaupt geeignet sind,
die proklamierten Ziele zu erreichen. Die Tobin-Steuer als zentrale Forderung
des Netzwerks beispielsweise wird selbst von solchen WissenschaftlerInnen für
zweifelhaft befunden, die das Netzwerk auf seiner Pressekonferenz am 31. Mai aufbietet,
um seine Position zu untermauern. Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf urteilen
in ihrem Standardwerk „Grenzen der Globalisierung“: „Die Tobin-Steuer
wäre also nur eine „Gut-Wetter-Steuer“ und ungeeignet, die in
der Finanzkrise aufgepeitschten Wogen zu glätten. Obendrein wäre es
naiv, von einer Tobin-Steuer die Stabilisierung des Kapitalismus zu erwarten.
Denn auch innerhalb eines Währungsraumes ohne grenzüberschreitende Transaktionen
finden spekulative Kapitalbewegungen statt“ (S. 216). Es scheint, als ob
innerhalb des Netzwerkes noch einige Diskussionen über die Tobin-Steuer nötig
sind …
Besonders irritiert waren wir durch folgende Formulierung in der Erklärung:
„Durch Finanzcrashs werden jahrelange wirtschaftliche Anstrengungen ganzer
Volkswirtschaften über Nacht zunichte gemacht.“ Gab es evtl. Leute,
die aufgrund der jahrelangen Anstrengungen der „Volkswirtschaften“
profitiert haben? Hier verschmelzen die „Mehrheit der Menschen“ und
die „Kapitalbesitzer“, die an anderer Stelle in der Erklärung
unterschieden werden, wieder zu nationalen Wertschöpfungsgemeinschaften.
Eine derart extrem und unseres Erachtens unzulässig verkürzte Kapitalismuskritik
beschwört jedoch Missverständnisse und die Vereinnahmung des Netzwerks
für nationalistische Argumentationsfiguren geradezu herauf. Bei allem Verständnis
für das im Wesen des Lobbyismus begründete Bedürfnis nach griffigen
Parolen, hier werden die Grenzen des Zulässigen überschritten.
Wir würden es begrüßen, wenn das Netzwerk einen Schritt weiter
in die richtige Richtung gehen würde: nicht nur die vermeintlichen Auswüchse
einer scheinbar aus dem Ruder laufenden globalen Finanzwirtschaft anzugehen, sondern
den Kapitalismus selbst zum Gegenstand der Kritik zu machen. Darüber und
wo und wie Widerstand gegen die Zumutungen der „Globalisierung“ geleistet
werden kann, das möchten wir vom 6. bis zum 8. Oktober in Berlin beim 23.
BUKO-Kongress diskutieren. Dazu laden wir alle interessierten Individuen und VertreterInnen
von sozialen Bewegungen ein – und damit natürlich auch die Mitglieder
des Netzwerkes zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte.
BUKO-Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft (24. Mai 2000)
www.buko.info
mail@buko.info
(040) 393 156
Fax: (040) 280 55 122
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