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Farbbeutelinfo
Nummer 3
Farbbeutelinfo 15. November
2000
Ein Jahr nach dem Krieg
ist während dem Krieg ist vor dem Krieg – Für eine radikale Perspektive
gegen jeden Krieg und Nationalismus
Zur gemeinsamen Erinnerung: Am 22. Februar 2000 fand am Kriegsaußenministerium
in Berlin eine Kundgebung gegen den Krieg in Jugoslawien statt. Anlass war die
Vernehmung Fischers zu dem Farbbeutelwurf auf dem Kriegsparteitag der Grünen/Bündnis
90 im Mai 1999 während der Bombardierungen Ex-Jugoslawiens.
Auf der Kundgebung waren an die 100 bis 150 Menschen aus unterschiedlichen Spektren.
Aufgelockert durch Showeinlagen einer Tunte wurden 4 Redebeiträge gehalten
(BRD-Flüchtlingspolitik im Zusammenhang mit dem Krieg / Gender, Krieg und
Patriachat / Situation der Deserteure in Deutschland / Völkerrechtliches).
Leckeres Essen und Getränke halfen in der bitteren Kälte auszuharren.
Im Auswärtigen Amt wurde Fischer von einem kommissarischen Richter zum Sachverhalt
und Tathergang um den Farbbeutelwurf vernommen. Anschließend stellten die
Anwälte der Werferin die Frage an Fischer, ob dieser die Beteiligung der
Bundesrepublik an dem Krieg gegen Jugoslawien mit durchgesetzt habe. Die Frage
wurde durch den Richter abgeblockt. Die Anwälte stellten daraufhin Antrag
auf Befangenheit.
Öffentlicher Teil der Auswertung
In der Presse wurden die Vernehmung Fischers sowie der Anlass der Vernehmung unterschiedlich
breit und pointiert aufgegriffen. Die Verschränkung der Kundgebung mit der
gleichzeitig laufenden Vernehmung Fischers war richtig kalkuliert. So konnte ein
gewisses Maß an Öffentlichkeit über die Medien bundesweit hergestellt
werden. Rund und um das Auswärtige Amt war hingegen „Tote Hose“;
PassantInnen gibt es da so gut wie keine.
In unserer Auswertung waren wir mit dem Medienecho und auch dem Stil der Berichterstattung
weitgehend zufrieden. Unsere Einschätzung, dass der Prozess nach wie vor
geeignet ist Öffentlichkeit gegen den Krieg herzustellen, hat sich dadurch
noch mal bestätigt.
Auch mit der Kundgebung und den vielen netten Unterstützungen waren wir gut
zufrieden. Wir waren sehr erfreut, dass um die Uhrzeit an einem Werktag so viele
Menschen durch ihr Kommen Ihre Solidarität zum Ausdruck brachten und die
Kundgebung unterstützten.
Natürlich, wie immer waren die Beiträge viel zu lang. Der Beitrag zu
völkerrechtlichen Fragen zu Beginn der Kundgebung hat womöglich Missverständnisse
hervorgerufen. Denn natürlich bestimmt sich unser Widerstand gegen Krieg
nicht danach, ob völkerrechtmäßig gemordet wird oder nicht. Krieg
gehört sabotiert.
Und natürlich zeichnet sich radikaler Widerstand dadurch aus, sich nicht
an herrschenden Gesetzen zu orientieren, sondern dort anzugreifen, wo dies als
politisch sinnvoll oder nötig erachtet wird. Fischer traf der Beutel zur
rechten Zeit, am rechten Ohr.
Und nun?
So wie es aussieht, werden im Zusammenhang mit dem Bielefelder Parteitag kaum
noch andere Prozesse geführt werden. Von öffentlich und politisch geführten
Prozessen wurde größtenteils Abstand genommen. Einen gemeinsamen Umgang
mit den Prozessen wird es also nicht geben. Der Großteil der Strafbefehle
wird individuell bezahlt werden. In Bielefeld fand ein Jahr nach dem Kriegsparteitag
der Grünen eine satirische Parade zur Einweihung eines Kriegerdenkmals in
Gestalt J. Fischers im Kampfanzug auf einem hohen Ross statt. An die hundert Menschen
ergötzten sich daran, Fischer mit rosa Quarkpasteten einzudecken und vom
Thron zu zerren. Es gab einen per Kassette abgespielten Redebeitrag eines abgetauchten
Deserteurs und Totalverweigerer, welcher auf dem Kriegparteitag der Grünen
durch Polizei in Haft genommen wurde. Außerdem ging der ehemalige Kreisgeschäftsführer
der Grünen mit der Partei hart ins Gericht.
Da seit der Vernehmung Fischers absehbar war, dass der Prozess um Fischers Ohr
nicht in nächster Zeit stattfinden wird, hat die damalige UnterstützerInnengruppe
in Berlin ihre Arbeit vorübergehend ausgesetzt. Sobald sich ein wichtiger
Anlass anbahnt, der Unterstützung nötig macht, wird ein Treffen für
eine neue UnterstützerInnenstruktur angesetzt. Da der Prozess nicht im Rahmen
einer existierenden Antikriegsbewegung eingebettet ist, wird Unterstützung
aus anderen Strukturen von Nöten bleiben. Vorausgesetzt natürlich, dass
der Prozess um den Farbbeutel nach wie vor politisch geführt werden soll.
Aktuell haben die Anwälte wegen der Ablehnung des Antrages auf Befangenheit
gegen den Richter Beschwerde eingelegt. Beantragte Akten werden den Anwälten
aktuell nicht ausgehändigt. Das Gericht setzt eindeutig auf Zeit und verschleppt
den Prozess, in der Hoffnung, dass die politische Brisanz des Prozesses eines
Tages geringer geworden ist. Denn immer wieder kommt eine neue Schweinerei an
das Tageslicht (kein Massaker in Racek, kein Hufeisenplan, schneller gedrehte
Videoaufnahmen bei der Bombardierung eines Zuges). Dann werden, nachdem erst KosovoalbanerInnen
vertrieben und gemordet wurden, nun die verbliebenen SerbInnen und Roma vertrieben
und gemordet. Im Zusammenhang mit der Situation im Natoprotektotrat Kosovo bekommt
der Prozess eine besondere Note. Zumal sich in dem Prozess der Widerstand gegen
den Krieg der BRD in der Gestalt des beschädigten Außenministers transportiert.
Hinzu kommt, dass wir den Eindruck haben, das zwar viele Aktionen gegen den Krieg
juristisch verfolgt wurden, unseres Wissens aber in der Regel darauf gesetzt wurde,
das es nicht zu öffentlichen Prozessen kommt. Wir vermuten, dass dies mit
der Absicht geschieht, dass vom Widerstand, den es gegen den Krieg gegeben hat,
möglichst wenig bekannt wird.
Der Prozess um den Farbbeutel wird also nach wie vor auf Unterstützung und
Solidarität angewiesen bleiben.
Wer Geld spenden will: Prozesskonto des Berliner Ermittlungsausschusses, EA, Kontonr.:
20610-106, Postbank Berlin, Bankleitzahl 10010010. Stichwort (wichtig) „Aufprall“:
Geld das übrig ist bekommt der EA.
Postkontakt: Fischerchöre, c/o Buchladen Schwarze Risse, Gneisenausstr. 2a,
10961 Berlin E-Mail: ari@ipn.de Betreff: [Antikrieg] |
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