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Farbbeutelinfo
Nummer 4
Farbbeutelinfo 15. November
2000
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
– Für gelebten Widerstand gegen jeden Krieg
Rückblick: Was passierte am Himmelfahrtparteitagstag der Grünen im
Mai 1999
Die Grünen mussten in Bielefeld einen Parteitag abhalten, um den Spagat zu
vollziehen, die Partei sowohl vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren als auch
so viele Menschen wie möglich ins deutsche Kanonenboot zu holen. Mit den
Phrasen von „inneren Zerrissenheit“ sollte die Machtbeteiligung an
der Regierung abgesichert und die Zustimmung zu den Tornadobombardierungen für
„Humanität und Menschenrechte“ abgesichert werden. Im Klartext:
Der grünen Führung ging es um die Absegnung einer aggressiven, das Völkerrecht
brechenden Kriegspolitik.
Für den Antikriegswiderstand galt es jede Kriegspolitik zu sabotieren.
Vor der Halle hauen PolizistInnen grünen Delegierten den Weg durch die erboste
Menge frei. 1000 von Autonomen, PazifistInnen, Feministinnen, Antifas, wütenden
GrünwählerInnen und Menschen aus den bombardierten Regionen wollten
den Parteitag verhindern. Ausgewählte Delegierte werden bespuckt und geschlagen,
Absperrungen werden auseinander gerissen und der Versuch unternommen, den Parteitag
zu stürmen und zu einem Antikriegskongress umzudrehen. In der Halle Transparente,
Buttersäure und ein Farbbeutel, der zur rechten Zeit das rechte Ohr trifft.
Vor den laufenden Kameras internationaler Fernsehteams wurde Fischer als mitverantwortlich
für Krieg und Vertreibung blutrot markiert, sein Ohr das erste Opfer an der
deutschen Heimatfront.
Mit der Person Fischer
traf es einen opportunistischen und machthungrigen ehemaligen Linken, der sich
bis an die Spitze der Regierungsverantwortung hochgerobbt hat. Er stand auch für
jene, die sich in ihrem erbärmlichen Marsch durch die Institutionen zu jenen
wurden, die sie einst zu bekämpfen vorgaben. Der Beutel traf die Grünen,
welche jede fortschrittlichere Position zugunsten der Machtbeteiligung aufgegeben
haben. Die Partei versinnbildlicht, daß Widerstand außerparlamentarisch,
radikal ohne Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung, Macht- und Teilhabe,
weiterentwickelt werden muss.
Mit Fischer war aber
auch ein Amt, das Außenministerium getroffen, das von Anfang an Wegbereiter
einer nationalistischen Kriegspolitik Jugoslawiens war, zum Beispiel durch die Anerkennungspolitik
eines Herrn Genscher. Es ist das gleiche Amt, das auch unter Fischer die Grenzen
gegen Kriegsflüchtlinge abschotten hilft, Lager mit einrichten lässt,
die Bombardierung EX-Jugoslawiens aktiv gestützt und medial flankiert hat.
Die Ohrverletzung Fischers war nicht Ziel der Aktion, aber wer will sich ernsthaft
darüber beklagen, dass Fischer eine Woche lang wegen eines angeblichen Trommelfellanrisses
nicht zu den wichtigen Außenministertreffen fliegen konnte.
Markierungen und was sich alles so dazu verwenden lässt: Tomaten-Ohrfeigen-Farbbeutel
...
Die Tomaten einer
wütenden Frau auf die SDS-Männer 1968, machte die Kritik an dem Machismo,
der Selbstherrlichkeit und Arroganz gegenüber Frauenforderungen deutlich.
Zugleich waren sie ein Zeichen für das Entstehen einer autonomen Frauenbewegungung.
Und die Ohrfeige durch
eine Jüdin (Beate Klarsfeld, deren Vater im KZ vergast wurde) gegen NSDAP-Mitglied
Kissinger zeigte die strukturelle und personelle Kontinuität Nachkriegsdeutschlands
mit dem Faschismus auf.
So markierte der Farbbeutel
auf Fischer einen historischen Einschnitt Deutschlands; den Wiedereintritt in
eine aggressive Expansionspolitik.
Juristisches rund um den Wurf
Um die Beschädigung Fischers zu begrenzen und die Aktion schnell in Vergessenheit
geraten zu lassen verbreitet das Außenministerium Fischers taktisches Angebot
im „Spiegel“. Der Wurf würde juristisch nicht weiter verfolgt
wenn die Werferin die Arztrechnung Fischers begleichen und der Kosovo-Hilfe spenden
würde. Darauf hin erfolgte das Angebot an Fischer, natürlich die Arztrechnung
zu bezahlen, denn schließlich war die Ohrverletzung nicht beabsichtigt.
Nur solle er dann die Angehörigen von Nato-Bomben Ermordeten und die verletzten
und traumatisierten Menschen finanziell entschädigen. Und weiter; „der
Kosovo-Hilfe zu spenden könne dahingehend missverstanden werden, dass ich
für die Unterbringung von Flüchtlingen in Lager wäre.“ Stattdessen
würde sich die Werferin bereit erklären, den Beitrag der Deserteure
in diesem Krieg herauszustellen und je einen Deserteur der Jugoslawischen Armee,
der UCK und der Nato-Truppen aufzunehmen. Gerade wegen letzterem allerdings müsse
Fischer dafür die Patenschaft übernehmen. Bekanntlich war er auf diesem
Ohr taub.
Die Amtsrichterin lies Monate später ein Urteil ergehen, das die Tat mit
sieben Monate Knast auf drei Jahre Bewährung und 1500 Mark an Greenpeace
bestrafte. Von dem Urteil wurde in der Presse berichtet und zugleich suggeriert,
dass der Prozess schon stattgefunden habe.
Gegen das Urteil legten die Anwälte Widerspruch ein. Sie beantragten die
Vernehmung Fischers um seine Rolle im Kosovokrieg zum Thema zu machen. Fischer
ließ daraufhin in das Auswärtige Amt laden, woraufhin 100 bis 150 Menschen
mit einer Antikriegskundgebung anwesend waren. Der kommissarische Richter lehnte
eine Frage an Fischer zu seiner Beteiligung die der Durchsetzung des Kosovokrieges
ab, woraufhin die Anwälte ihn für befangen erklärten. Der Richter
wurde selbstredend durch Kollegen für nichtbefangen erklärt.
Zur Justiz und dem aktuellen Prozess
Der eigene Widerstand gegen den jüngsten und zukünftige Kriege kann
von uns nicht davon abhängig gemacht werden, ob er Völkerrecht gebrochen
hat oder nicht. Ein radikaler Widerstand gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse
wird immer wieder bewusste Gegenwehr, Zivilcourage und Gesetzesbrüche politisch
notwendig machen. Der Farbbeutelwurf war politisch bestimmt, Fischer als mitverantwortlich
für den Krieg blutrot zu markieren. Das Gericht wird nicht die Notwendigkeit
von Widerstand anerkennen und ist nicht Adresse unserer Mobilisierung. Sondern
nur Anlass dafür, eine öffentliche Position gegen vergangene und zukünftige
Kriege sichtbar zu machen und in diesem Vorhaben die Angeklagte politisch und
moralisch zu unterstützen. Der Wurf fand im Kontext einer Antikriegsaktion
statt und unsere Anwesenheit wird dem noch mal Rechnung tragen, auch um die Personifizierung
der spektakulären Aktion zu durchbrechen. Fischer bleibt uns erspart, stattdessen
kommt ein BKA-Personenschützer als Zeuge. Wenn das Gericht die Prozessbescherung
verlegt, werden auch wir die Mobilisierung verlegen. Das erfahrt Ihr über
die Infotelefonnummer: 030/44013019
Es kann auch sein, dass der Prozess mittendrinne unterbrochen wird, d.h. das der
Prozess innerhalb der nächsten zehn Tage wiederaufgenommen werden muss.
Unser Schwerpunkt bleibt auf der Prozesseröffnung. Da wir eine Verurteilung
des Beutelwurfs auf Fischer politisch nicht anerkennen werden, ist die Urteilsverkündung
nicht von Bedeutung für uns. Solidarität allerdings mit dieser und vergleichbaren
Aktionen sind wichtig, damit Urteile keine einschüchternde, demobilisierende
Wirkungen entfalten können. Es bleibt zu wünschen, dass noch viele Farbbeutel,
Törtchen und Sonstiges ihr Ziel treffen.
Er, Sie, Es ...
Es sei noch mal daran erinnert das mit den sexistischen Zuschreibungen und Personifizierung
der Werferin (zum Beispiel „Transvestit besudelt Fischer“: BILD) der Anlass
der eindeutigen Aktion vernebelt werden sollte.
Die Werfende bediente keine eindeutige geschlechtliche Zuordnung. In der Charakterisierung
der Werfenden durch die Presse wurde eine eindeutige Zuordnung gesucht. So erklärt
sich der „Mann im Rock“, „Der Transvestit“ Gesellschaftlich
wird die Zweigeschlechtlichkeit als Herrschaftsmodell hochgehalten, basieren doch
darauf soziale Hierarchien als scheinbar naturgegeben. So transportierte sich
in dem Wurf auch einen Widerstand der sich herrschenden bipolare Fronten von Mann/Frau,
Freund/Feind, Deutsch/AusländerIn, Schwarz/Weiß und letztlich oben
und unten, zu verweigern sucht.
Warum den Prozess politisch führen?
Die Mobilisierung nach Bielefeld hat die Funktion, noch einmal Widerstand gegen
den Krieg in die Öffentlichkeit zu tragen und offensiv zu verteidigen und
den Prozess um die spektakuläre Aktion dafür zu nutzen. Es geht darum
die gesellschaftliche Entwicklung hin zu weiteren Kriegen anzugreifen, wollen
wir morgen nicht wieder von Ereignissen überrollt werden. Und im Nato-Protektorat
Kosovo sind die nationalistischen Vertreibungen unter umgekehrten Vorzeichen weiter
gegangen. Dass im Kosovo die D-Mark offiziell als Zahlungsmittel durchgesetzt
wurde, wird schweigend zur Kenntnis genommen. Und von den „Kollateralschäden“,
(mind. 500 durch Nato-Bomben ermordeten ZivilistInnen, Quelle:Human Right Watch)
redet kein Mensch mehr. Die Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen welche
den schmutzigen Krieg als humanitäre Aktion verkauften sollten sind so gut
wie vergessen. Dabei wird heute schon der Krieg für Morgen vorbereitet. Die
Bundeswehr wird gerade im EU- und Nato-Rahmen zur aggressiven Eingreiftruppe umgebaut.
Frauen werden in der patriarchalen Mördermaschine verstärkt einbezogen.
NGO’s suchen die verstärkte militärische Kooperation mit dem Militär.
Flüchtlingsabwehr bewegt sich heute schon in militärischen Kategorien,
Manöver werden danach ausgerichtet.
Zukünftige Kriege zu verhindern, erfordert die Suche nach einer Gesellschaftsutopie
und lebbaren Widerstandsperspektive. Viele unserer (?) alten Orientierungen und
Ideen müssen neu gedacht werden. Dabei müssen wir uns (?) bewusst sein,
das Herrschaft durch uns durch geht. Unsere Art Konflikte miteinander zu lösen
und andere Lebensentwürfe zu leben, ist durchdrungen von einer Herrschaft,
deren fester Bestandteil Militärstrukturen und in Folge Kriege sind. Zukünftige
Kriege zu verhindern heißt nicht nur herrschende Projekte anzugreifen, sondern
selber eine andere Lebensperspektive versuchen zu leben und sich der Durchdringung
unseren Lebens durch Herrschaft bewusst zu sein ...
21. Dezember – Prozeßtag in Bielefeld
Am 21. Dezember um 11 Uhr beginnt am Platz des Widerstandes (ehem. Bahnhofsvorplatz)
in Bielefeld eine Kundgebung und Demonstration. Anschließend Enthüllung
eines satirischen Kriegerdenkmals mit Zapfenstreich um 13 Uhr am Amtsgericht Bielefeld.
Es gibt verschiedene kurze politische Beiträge von u.a. einem Fahnenflüchtigen,
dem ehem. Kreisgeschäftsführer der Grünen etc. Gloria Viagra wird
mit den „Hauptstädter Fischerchörchen“ und den Bremer „Piratinnen“
einige Showeinlagen bieten. Danach wird der Gerichtssaal geentert.
Berliner BeutelButterBusfahrt zum „Krippenspiel mit Beutelluder“
Von Berlin fährt ein Bus (41 Plätze, nur 34,99 Mark jetzt zugreifen)
unter der Schirmherrin Gloria Viagra hin und zurück, Karten gibt es beim
Prinz Eisenherz Buchladen (Bleibtreustr. 52), Schwarze Risse(Gneisenaustr. 2a)
und im SO 36 (Oranienstr.) an der Garderobe. Tragen Sie Ihren Fummel auf. Im Bus
wird Frau Viagra Tunten, Transen, GenderterroristInnen und allen Anderen einen
Schminkkurs anbieten. Abfahrt am 21. Dezember 2000 um 6.30 Uhr am Oranienplatz
in Kreuzberg. Bitte Personalausweis und gute Laune Musik mitnehmen.
Infotelefon nutzen: zum Beispiel ob der Prozess verschoben wurde:
030/44013019 oder www.gaarden.net/no_nato/.
Unter www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/farbbeutelprozess.html findet
sich ein kurzes Interview zur Mobilisierung
Unterstützen? Supergerne ..:
Zum Beispiel Plakate
aus dem EX, Schwarze Risse (Gneisenaustr 2a) oder „Büro für Antimilitaristische
Maßnahmen“ (Görlitzerstr.63) und „Kampagne gegen Wehrpflicht“
(Kopenhagener Str.71) holen, verkleben, bundesweit bestellbar (nur Versandkosten)
unter: 030-4401300
Oder entsprechende
Flugblätter rumbringen
Oder in Eurer Stadt
den Anlass nutzen den Krieg zum Thema zu machen
Oder Infos in Eure
Zeitungen zu bringen ...
Oder Farbbeutel abfüllen
und in die Zukunft investieren... Ohren und Uniformen gibt’s genug ...
Wer Geld spenden will: Prozesskonto des Berliner Ermittlungsausschusses, EA, Kontonr.:
20610-106, Postbank Berlin, Bankleitzahl 10010010. Stichwort (wichtig) „Aufprall“:
Geld das übrig ist bekommt der EA.
Postkontakt: Fischerchöre, c/o Buchladen Schwarze Risse, Gneisenausstr. 2a,
10961 Berlin E-Mail: ari@ipn.de Betreff: [Antikrieg]
Veranstaltungen
Diskussionsveranstaltung Nr. 2 zum Farbbeutel Prozess
Wo geht’s nach Jugoslawien?
Überlegungen zu nationalistischem Krieg, Kapitalismus und Widerstand in Jugoslawien
und Deutschland
Zu Beginn der Veranstaltung gibt es Infos zum am 21. Dezember anstehenden Prozess
wegen des Farbbeutelwurfes auf Außenminister Josef Fischers Ohr beim Bielefelder
Kriegsparteitag der Grünen vor einem Jahr. (und Video)
Anschließend wollen wir die aktuelle Situation in Jugoslawien, die Diskurse
zur Legitimierung der Nato-Bombardements sowie den Widerstand gegen den Krieg
hier und in Jugoslawien diskutieren.
Infoladen Bandito Rosso, Lottumstr. 10a, (Nähe U-Bahn Rosa Luxemburg Platz),
Montag 11. Dezember 2000, 20 Uhr
Diskussionsveranstaltung Nr. 3 zum Farbbeutel Prozess
Frauen und Bundeswehr
Geschlechterpolitischer Fortschritt beim Militär oder entscheidender Schlag
der Militarisierungswelle?
Emanzipation unter Waffen oder Reservearmee fürs Patriarchat?
Postmodernes Verwirrspiel der Geschlechterrollen oder Modernisierung von Herrschaft?
und Mobilisierung und Stand des Verfahrens zum Fischerbeutelprozess und Video
zum Parteitag und Krieg
im Buchladen B-Books, Lübbenerstr 14, Dienstag 13. Dezember 2000; 20 Uhr
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