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„Queer“ interviewt Samira
Queer 3. November 2000
Bisher noch unveröffentliche Version eines Interviews mit der schwullesbischen
bundesweiten Monatszeitung „Queer“.
Dadurch, dass du für den Farbbeutelwurf vor Gericht gerade stehst, hältst
du den Kopf hin für andere.
Der Wurf ist im Kontext einer Demonstration erfolgt, wo etwa 1000 Menschen versucht
haben, den Kriegsparteitag der Grünen zu verhindern. Da gab’s Menschenketten,
Blockaden und massive Polizeieinsätze. Dieser Farbbeutel traf und markierte
Fischer als einen, dem sozusagen das Blut an den Händen klebt, und das war
ein richtiges Bild, das ist bis in die unterschiedlichsten Spektren hinein verstanden
worden. So eine Tat wie diese rückt natürlich mich auch ins Rampenlicht.
Aber ich sehe mich noch immer in einem Zusammenhang mit vielen Menschen, die diese
Verhältnisse ändern wollen.
Was erwartest du dir vom Prozess am 21. Dezember?
Ich finde es wichtig, dass das, was in diesem Krieg an Ungeheuerlichkeiten passiert
ist, nicht in Vergessenheit gerät. Mit dem Prozess kann noch mal Öffentlichkeit
geschaffen werden. Wäre die Justiz unabhängig, müsste sie die verfolgen,
wie Fischer nachweislich mit dafür verantwortlich sind, dass 500 ZivilistInnen
durch Nato-Bomben ermordet wurden. Heute ist der Kosovo ein Nato-Protektorat geworden,
wo die D-Mark als offizielles Zahlungsmittel eingeführt ist. Es geht aber
gar nicht mehr nur um Jugoslawien, sondern darum, was bei uns passiert, dass zum Beispiel
die Bundeswehr zur Angriffsarmee umgerüstet wird. Es ist wichtig, radikal
gegen diesen und zukünftige Krieg die Stimme zu erheben.
Findest du, dass zum Schwulsein gehört, sich gesellschaftlich zu engagieren?
Im Gegenteil, ich finde, die Homos sollen so doof sein wie der Rest der Gesellschaft
auch. Ein wirkliches Bündnis kann nur zustande kommen mit dem Teil der Schwulen
und Lesben, Krüppel, MigrantInnnen und Linken, die etwas anderes wollen.
Die Widerspruchskraft dessen, was es bedeutet, schwul zu sein, ist in den Metropolen
flöten gegangen. Auf dem Land ist lesbisch oder schwul leben oft immer noch
eine andere Konfrontation.
Du hast mal gesagt, der Farbbeutelwurf wäre aus einem geschlechtsuneindeutigen
Raum heraus geworfen worden.
Schon wie ich für die Öffentlichkeit gewirkt habe, hat ja schon diese
feste Zuschreibung aufgeweicht. Die Presse redete von mir als „Mann im Rock“
oder „Transvestit“, um Eindeutigkeiten wieder herzustellen.
Wäre es anders gewesen, wenn du als Mann geworfen hättest?
Na, die Zuschreibungen als Mann wären wahrscheinlich anders gewesen. Das
wäre ein Macker gewesen, da wäre das Bild des harten Autonomen transportiert
worden. Eine eindeutige Frau hätte man wahrscheinlich sexualisiert und psychologisiert,
als hysterisch und durchgebrannt interpretiert. Zum Teil sind diese Kategorien
auch auf mich angewendet worden. Ich finde es aber wichtig, sich in dieser Kriegskonfrontation
nicht in eine bipolare Denkweise hereinpressen zu lassen. Milosevic ist nicht
der „Böse“ und Fischer der „Gute“, sondern es handelt
sich um zwei Männer in Machtpositionen mit unterschiedlichen Interessen.
Beide mussten denunziert werden. Die Perspektive kann nicht heißen: pro
oder kontra, sondern es geht darum, gegen jede Form von Herrschaft zu sein. Die
Kategorisierung, die Aufspaltung in zwei Pole lässt immer unheimlich viel
Leben herausfallen, sie begrenzt und schreibt Rollen fest. Herrschaft basiert
auf Zweigeschlechtlichkeit, ohne diese Pole würde die sexistische Arbeitsstruktur
etc. nicht funktionieren. Und da ändert auch nichts dran, dass jetzt Frauen
in die Bundeswehr dürfen. Die Strukturen sind dort bereits patriarchal so
vorgefertigt, dass Frauen ohne Widersprüche in dieses Modell integriert werden
können. Den Widerspruch neu zu entfalten bedeutet, die Zweigeschlechtlichkeit
als ein Herrschaftsmodell anzugreifen. Nicht als Party-Hopping, wo Transgender
sich in Szene setzen. Sondern als Grundverweigerung, sich im täglichen Leben
klassifizieren und behandeln zu lassen. Und „Oben“ und „ Unten“
nicht mehr weiterzugeben.
Das heißt, dass deine Identität als Transe auch immer einen politischen
Aspekt hat.
Du versuchst mich gerade wieder festzulegen. Ich hab natürlich einen Begriff
von mir, aber den mache ich nicht für eine Zeitung. Jede Begrifflichkeit,
die sich eine wie mir gibt, schafft schon wieder die neue Schublade. Daran habe
ich kein Interesse.
Wie hast du den Umgang der Medien mit deiner Person empfunden?
Na, es ist schon sonderbar, zweimal auf dem Titelblatt der Bildzeitung zu erscheinen.
Oder in der Queer einen Artikel abgedruckt zu sehen, der sich an der Kleiderfrage
aufhängt in der Art von „diese Rampensau“ und mit keinem Wort
in der Lage ist, über den Krieg zu reden. Mit so einer Aktion wird natürlich
eine wahnsinnige Personifizierung freigesetzt. Indem über meine Person geredet
wird, sollte der Anlass entpolitisiert werden.
Kannst du auf dem Prozess mit Unterstützung rechnen?
Dass gerade nicht die Zeit ist der wilden und der fortschrittlichen Bewegungen,
liegt auf der Hand. So wie schwul eben im Ausverkauf gehandelt wird, so ist natürlich
auch eine Unterstützung nicht so stark, wie sie für so einen Prozess
wünschenswert wäre. Aber ich erfahre immer wieder Zuspruch und erhalte
auch Spenden für eventuelle Schadensersatzforderungen.
Was würdest du dir zum Prozess wünschen?
Ich glaube, wir werden viel Spaß haben. Ich möchte mich von diesem
ernsten Anlass nicht nur erschlagen lassen. Es wird eine Butterfahrt von Berlin
nach Bielefeld organisiert. Eine Sternfahrt dorthin wäre auch ganz lustig,
dann müsste es viele kleine Butter-PKWs geben. Es findet auch ein Großer
Zapfenstreich statt – wir entwickeln gerade den Rahmen, in dem alle mitmachen
können. Widerstand hat mit Leben zu tun, und das sollte um den Prozess herum
auch zum Ausdruck kommen. |
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