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„Es hat den Richtigen getroffen“
Das Gespräch führte Markus Bickel 22. März 2000


Trillerpfeifen, Buttersäure und ein Beutel roter Farbe. Keine andere antimilitaristische Aktion erreichte letztes Jahr größere Aufmerksamkeit als die Proteste gegen den Kriegsparteitag der Grünen am 13. Mai in Bielefeld, der den ersten Feldzug mit deutscher Beteiligung seit dem Zweiten Weltkrieg legitimierte. Ein Jahr nach Beginn des Krieges sprach Jungle World mit Samira, die den Farbbeutel auf Fischer geworfen hat.



Die Bilder vom Farbbeutelwurf auf den deutschen Außenminister gingen um die Welt. Als blutverschmiertes Opfer konnte Fischer in Bielefeld sicher Stimmen gewinnen. War der Wurf vielleicht doch kontraproduktiv?

Opfer? Die Kriegspolitik stand fest. Sowohl für Fischer wie auch für die so genannten KriegsgegnerInnen um Ströbele. Wie sonst ist zu erklären, dass nur eine Empfehlung, den Krieg vorübergehend einzustellen, verabschiedet wurde, anstatt die Regierung zu verlassen. Und das nach drei oder vier Wochen Krieg! Deswegen war es richtig zu sagen: Schluss, aus, vorbei – mit dieser Partei gibt es keine Verständigung, und ihr Protagonist ist ein Mörder und Kriegstreiber. Ende der Diskussion. Es gab viele, auch Delegierte, denen der Farbbeutel-Wurf aus dem Herzen sprach. Ob Fischer sich nun als Opfer darstellen konnte oder nicht, ist für die Aktion völlig irrelevant.

Als die Richter Fischer im letzten Monat wegen des Farbbeutel-Wurfs vernahmen, haben vor dem Auswärtigen Amt rund 100 Leute gegen die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien demonstriert. Warum waren es so wenige?

Wir waren eher positiv überrascht, dass es an einem Werktag so viele waren, nachdem die Mobilisierung gegen den Krieg schon letztes Jahr ziemlich gering war. Für uns war die Anhörung der richtige Anlass, die kriegstreibende Funktion des Auswärtigen Amtes noch einmal zu benennen und eine Antikriegs-Position sichtbar zu machen.

Wenn schon 100 Leute ein Erfolg sein sollen, kommt man doch ins Grübeln. Während des Golf-Krieges waren bis zu 100 000 unterwegs. Hat die Linke etwas falsch gemacht?

Ich fand den Protest gegen den Golf-Krieg gar nicht so stark: im spontanen Aufbegehren vielleicht schon, nicht aber in den Strukturen, die diesen Widerstand getragen haben. Richtig ist sicherlich, dass sich die Antikriegs-Bewegung darauf einstellen muss, dass sie auch in den nächsten Jahren marginal bleiben wird. Gründe dafür gibt es viele: Die meisten Leute haben nicht dagegen aufbegehrt, weil sie den Krieg nicht als Bedrohung empfunden haben – und durch ihn keinen persönlichen Nachteil erkennen konnten. Außerdem haben sich auch viele Linke gut mit Herrschaft arrangiert – und profitieren davon. Der extremste Ausdruck davon ist die Machtbeteiligung der Grünen.

War die Partei denn mal ein Bezugspunkt für Dich?

In dem Ort, aus dem ich komme, haben die Grünen früher die Kundgebungen angemeldet – wie in vielen kleineren Städten, wo man halt mit den wenigen Leuten, die links waren, zusammengearbeitet hat. Gleichzeitig war den Radikalen immer klar, dass die Grünen die Funktion hatten, Widerstand zu befrieden. Mit der Regierungsbeteiligung ist da eine ganz andere Dimension erreicht: Staatstragend war die Partei ja schon immer, aber deutsche und EU-Interessen mit Bomben durchsetzen – wie lässt sich das überbieten?

Weshalb habt Ihr Euch dann ausgerechnet den Grünen-Parteitag ausgesucht?

Da gab es unterschiedliche Vorstellungen. Es war klar, dass Bielefeld zu einem Polarisationspunkt werden würde, dem auch das Interesse der internationalen Medien galt, zumindest für kurze Zeit. Vor dieser Weltöffentlichkeit wollten die Grünen mittels der vorgeführten „inneren Zerrissenheit“ die Kriegspolitik gesellschaftlich legitimieren. Eine Position der Kriegsgegner war: Man muss diesen Kongress angreifen, damit er gar nicht stattfinden kann – oder zu einer Antikriegs-Vollversammlung gemacht wird. Bei anderen schwang sicherlich die Hoffnung auf kritische Kräfte innerhalb der Grünen mit, die einen Antikriegs-Kurs forcieren könnten.

Hattest Du diese Hoffnung auch?

Nein. Wer so zielstrebig und opportunistisch an die Macht gekrochen ist, kehrt nicht am Ziel um und macht Schwerter zu Pflugscharen. Worum es uns ging, war, die Grünen anzugreifen.

Und um – wie mit dem Farbbeutel auf Fischer – Bilder fürs Fernsehen zu produzieren?

Diese Aktion ist im Kontext der breiteren autonomen Mobilisierung gegen den Krieg zu sehen: Der Parteitag sollte verhindert werden. Der Treffer markierte für alle sichtbar, dass an den Grünen, bzw. an den Händen Fischers Blut klebt.

Wäre der Krieg unter einer CDU/FDP-Regierung anders gelaufen?

Vermutlich wäre mehr Widerspruch aufgekommen. Die Grünen haben es sicherlich geschafft, einen Teil des kriegskritischen Lagers zu verunsichern. Die linke Moral, überall auf Seiten der Unterdrückten zu stehen, zu helfen und solidarisch zu sein, hat sich in der propagandistischen Rechtfertigung des Krieges durch die Grünen instrumentalisieren lassen- sie trägt stark kolonialistische Züge. Auch die Linke muss sich fragen, inwieweit sie diese kolonialistischen und patriarchalen Werte verinnerlicht hat. Warum sonst hat so viele das Getrommel für die „humanitäre Intervention“ verunsichern können?

Ein Unterschied zwischen Golf- und Kosovo-Krieg bestand darin, dass Deutschland 1991 „nur“ Geld gab, während letztes Jahr Bundeswehrsoldaten aktiv an den Bombardements beteiligt waren. Trotzdem fiel der Protest dagegen weitaus schwächer aus.

Die Linke war damals in einer anderen Situation. Wenn ich mich richtig erinnere, ist auch der Widerstand gegen den Golf-Krieg ziemlich schnell zusammengebrochen; vielleicht deshalb, weil die emotionale Empörung nur von Abwehr, nicht aber von einer Perspektive oder einer gesellschaftlichen Utopie getragen wurde. Viele Linke waren schon damals politisch verunsichert, konnten das mit ihrem Aktionismus aber ganz gut verdecken.

Unter der Parole „Kein Blut für Öl“ ließ es sich ja auch gut demonstrieren. Kann es sein, dass der Linken im Jugoslawien-Krieg einfach das richtige Feindbild fehlte?

Für eine Linke, die immer gewöhnt war, ihre Hoffnungen in irgendwelche Befreiungsbewegungen zu projizieren, ist das sicherlich ein Problem. Mit dem Denken, wie wir es gewohnt sind, Gut und Böse eindeutig zu definieren, ließ sich dieser Konflikt nicht begreifen.

Auf einer Demonstration in Berlin wurden Jugoslawen, die Milosevic-Plakate trugen, aus dem Protestzug ausgeschlossen. Musste man, wenn man gegen den Nato-Krieg war, automatisch für Milosevic sein?

Das hat ein Teil der Linken versucht zu suggerieren. Ich glaube, dass es in der Frage des Nationalismus eine patriarchale Allianz gab und gibt – über alle Kriegsparteien hinweg, auch wenn diese unterschiedliche Interessen verfolgt haben. Es ist politisch fatal, guten und schlechten Nationalismus zu unterscheiden. Dem widerspricht es keineswegs, den Feind im eigenen Land zu suchen. Im Gegenteil. Einen, der nicht sehen und nicht hören wollte, hat der Farbbeutel ja auch zur rechten Zeit am rechten Ohr getroffen.

Worüber sollte eine Antikriegs-Bewegung denn dann diskutieren, bzw. – was sollte sie tun?

Ich glaube, dass es darum geht, eine grundsätzlich antimilitaristische und außerparlamentarische Position zu entwickeln – und Deserteure aller Kriegsparteien zu unterstützen. Eine wirkliche Antikriegs-Bewegung muss sich erst noch entwickeln: Wir sollten darüber diskutieren, wie derzeit versucht wird, Flüchtlings- und Kriegspolitik miteinander zu verknüpfen. Und das nicht etwa in NGOs, die ja häufig nur noch als verlängerter Arm der Militärs funktionieren, sondern in Bündnissen, die quer zu allen nationalen Grenzen verlaufen. Um eine radikale Perspektive zu entwickeln, scheint es mir wichtig, die Zerstörung sozialer Zusammenhänge und die patriarchale Neugestaltung von Gesellschaften durch Krieg zu verstehen.
 22. März 2000