|
|
|
|
Grüne besetzt – Zentrale geräumt
Tobias Singelnstein und Dorothee Winden
taz 14. April 1999
Nachdem Besetzer aus der Anti-Kriegs-Bewegung, Autonome, Linke und Grüne
in Berlin Gesternvormittag in der Grünenzentrale gegenseitige Verhandlungsangebote
ausgeschlagen hatten, blieb als Ausweg nur die Räumung durch massiven Polizeieinsatz
Die Besetzung des Landesbüros von Bündnis90/Die Grünen in Berlin-Kreuzberg
durch KriegsgegnerInnen wurde gestern Mittag durch die Polizei beendet. Auf Antrag
des grünen Landesvorstandes stürmten gegen 13 Uhr etwa 100 Beamte das
Gebäude und nahmen die 15 noch anwesenden BesetzerInnen fest. Anzeige wegen
Hausfriedensbruch wurde erstattet.
Die BesetzerInnen aus verschiedenen Gruppen der linken Szene hatten die grüne
Landeszentrale am Montagnachmittag besetzt, um dort ein Gegen-Informations-Büro
einzurichten. Sie wollten der „einseitigen Medienberichterstattung“
über den Krieg im Kosovo entgegentreten und Raum für Diskussionen schaffen.
Zumindest dieses Ziel hatten sie bis zur Räumung erreicht: Viele Menschen
waren während der Besetzung gekommen und diskutierten. Während einige
schon schliefen, saßen andere an Computern, Telefonen und Fax-Geräten,
um das zu tun, weshalb sie dort waren: „Der herrschenden Kriegspropaganda
aktiv etwas entgegenzusetzen.“
Das Angebot, Räume der Geschäftsstelle zu nutzen, schlugen die Besetzer
aus. „Sie sagten, sie wollten nicht mit uns kollaborieren, sondern unser
Büro lahm legen“, sagte der grüne Abgeordnete Burkhard Müller-Schoenau.
Auch das Angebot, einen in der Nachbarschaft gelegenes Büro der Kreuzberger
Bezirksgruppe zu nutzen, lehnten die Besetzer ab. Sie befürchteten, „über
den Tisch gezogen zu werden“, wenn sie das Büro nachts wieder verlassen
müssten. Sie schlugen daher den Grünen ihrerseits vor, in das Büro
der Bezirksgruppe auszuweichen.
Am Morgen spitzte sich die Situation aus Sicht der Grünen, die über
Nacht geblieben waren, zu. Hätten sie die Geschäftsstelle verlassen,
wären sie faktisch ausgesperrt gewesen. Zudem war um 5 Uhr morgens ein Faxgerät
aus dem Fenster geflogen, jetzt fürchteten sie um die Computer. Das sehen
die BesetzerInnen anders. Um Vandalismus wäre es ihnen nie gegangen. Derartige
Aktionen von einzelnen versuchten sie tatsächlich zu verhindern. Am Morgen
kam es dann zu einer Rangelei mit einer grünen Abgeordneten, ein anderer
Abgeordneter wurde angespuckt. Insgesamt war die Situation im Haus aber ruhig.
Am gestrigen Nachmittag sollten Arbeitsgruppen zur UCK, zu den Interessen der
NATO und des IWF an dem Krieg und was man dagegen unternehmen kann, diskutieren.
Als das Telefon klingelte und der Anrufer die Besetzerin hinter der Theke fragte,
wie lange sie den noch bleiben wollten, lacht und antwortet sie: „Bis zum
Ende des Krieges.“
Nur wenige Minuten später sah die Situation anders aus: Behelmte Polizeibeamte
stürmten das Gebäude, kurze Rangeleien, dann wurden die BesetzerInnen
unsanft in den Hof gebracht. Ihre Schlafsäcke und andere Sachen wurden beschlagnahmt.
Die grüne Abgeordnete Judith Demba war entsetzt über den Polizeieinsatz:
„Ich konnte gerade noch erreichen, dass sie die festgenommenen Leute nicht
mitnehmen.“ Ihrem Landesvorstand erklärte sie den Parteiaustritt, die
Begründung schickte sie später per Fax.
Vor der Parteizentrale in der Oranienstraße gab es während der Räumung
bedrückte Gesichter auf beiden Seiten - bei Grünen wie bei den Sympatisanten
der Besetzer. Auch anderen anwesenden Grünen widerstrebte der Polizeieinsatz
sichtlich. „Die Entscheidung fiel am Mittag, als die Besetzer das siebte
oder achte Angebot zu Verhandlungen ausgeschlagen haben“, blieb Fraktionsmitarbeiter
Oliver Schruoffeneger festzustellen. Nach einem Plenum der Besetzer sei den Grünen
mitgeteilt worden es gebe „keine Grundlage zu Verhandlungen“.
Nun parkten zehn Polizeiwannen in der Oranienstraße. Auf dem Bürgersteig
kam es zu erbitterten Dialogen. „Es hat niemand die Grünen gewählt,
damit wir in einen Krieg einsteigen“, sagte eine junge Frau halb aggressiv,
halb verzweifelt zu Renate Künast. „Sag mir doch eine andere Lösung,“
gab die zurück: „Ich will keinen Krieg, ich will keinen Völkermord.“
Frauenreferentin Anja Kofbinger, die die Nacht in der Parteizentrale verbracht
hatte, wurde von einem jungen Typen beschimpft: „Du bist verantwortlich
für die Bombardierung.“ Ein anderer sagte: „Die Grünen sind
schuld am Krieg.“ Als die ersten Besetzer von Polizisten hinausbegleitet
wurden, skandierten die Umstehenden „Grüne Pazifisten, Mörder
und Faschisten.“ Und „Deutsche Grüne, deutsches Geld morden mit
in aller Welt.“ |
|
|