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Dies ist der Grünen große Not
Rudolf Augstein 4. Oktober 1999


Der „grüne Heinrich“ von Gottfried Keller ist noch heute ein bedeutendes Erzählwerk deutscher Prosa. Der „Grüne Joschka Fischer darf nun am Pranger stehen, als ein armseliger, jedem Spott preisgegebener Mensch. Ich war sein Freund, ich nannte ihn, wie sich das für uns junge Leute gehörte, Joschka, das „Du“ war selbstverständlich. Ich fühlte mich durch seine Gesinnung wie verwandelt meine eigenen Lehr- und Wanderjahre standen mir vor Augen Altes Herz schlug wieder jung. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Man kann schätzen, die Grünen unter ihrem Idol Joschka hätten als Erste gefordert, den Amerikanern im Vietnamkrieg deutsche Truppen anzudienen Oh Schmach, oh Jammer, oh Schande. Oh schaudervoll, höchst schaudervoll (Hamlet).

Wenn ich den Karl Marx noch richtig in Erinnerung habe, das ist nun lange her, so wird bei ihm der Typus der „Charaktermaske“ beschrieben. Ich habe den Grünen nie etwas zugetraut, aber eines eben doch: Glaubwürdigkeit, übertriebene Worthülsen etc. Nie aber wäre mir der Gedanke gekommen, dass sie insgesamt ein Teil des von ihnen so arg beschimpften bürgerlichen Systems werden wollten, eine normale Partei eben.

Es gibt erlauchte Vorbilder. So etwa den Erzverräter Herbert Wehner, der von Willy Brandt und Karl Schiller teils gefürchtet, teils gehasst wurde. Aber mein Gott, wie haben wir uns angeschrieen, was war das für ein großer Mann. Oder Rudi Dutschke, ein Intellektueller, aber fanatischer Volksprediger. Er war naiv. Er glaubte an den Wert der jakobineschen Litanei.

Man halte nun dagegen den vor Ehrgeiz immer blasser werdenden Joschka Fischer, Außenminister nicht in spe, sondern Position Ade. Bye, bye, deine Maske bricht entzwei (Volkslied aus den fünfziger Jahren).

Man reibt sich über die Augen, wenn man in einer „SZ“-Überschrift lesen muss „Bundeswehr in Wartestellung“. Wer wartet hier auf wen? Godot? Der ständige Sitz im Weltsicherheitsrat, den unser Außenminister jetzt anstrebt, er wird dort gewiss niemals Platz nehmen. Warum drängt es die Grünen so Hals über Kopf nach Osttimor? Man weiss es jetzt, dank unserem Joschka. Er will die Nato stärken, den USA in jedem Winkel der Erde zu Hilfe kommen. Dies bezweckten die Amerikaner genau mit ihrem Kosovo-Bombardement.

Ein Grüner, der dies mitmacht, ist ein Schuft. Er hat da bedeutende Vorbilder. Der Verräter Ephialtes* soll dem Leonidas und seinen 300 todesbereiten Spartanern mit dem feindlichen Perser-Heer in den Rücken gefallen sein („Wanderer ... wie das Gesetz es befahl“).

Der Verrat wird oft hoch gelobt, der Verräter aber nicht. Was macht den Musterknaben ticken? Pure Einfalt? Unmöglich. Unerfahrenheit? Dies machte den Charme der Grünen aus. Ehrgeiz? Selbstverständlich, wie bei anderen tüchtigen Politikern auch.

Der Schlüssel fehlt noch immer. Er muss in Fischers Naturell liegen. Schwere Kindheit? Da kommt man der Sache schon näher, aber nicht nahe genug. Der Metzgersohn, armer Leute Kind, das hat er oft genug hervorgekehrt, als hätte er „Mein Kampf“ gelesen.

Fischer ein Militarist? Nein. Nicht denkbar. Es muss in der Selbstverliebtheit des in sich vernarrten Amtsinhabers nachgeforscht werden. Ich dachte immer, dass ich die Politik besser verstand als manch anderer Politiker, weil ich die Innereien einer Partei nicht nur von außen, sondern auch von innen kenne.

Hier hat ein am Ende doch unpolitischer Kopf die Grünen als das präsentiert, was sie nie und nimmer sein wollten. Diese Partei wird es in den nächsten Bundestagswahlen schwer genug haben, mit oder ohne Fischer. Der Vorstoß des überheblich Gewordenen wird ihnen noch lange zu schaffen machen.

Ich denke, ich muss meinen arg von Motten zerfressenen Kampfanzug in diesem Fall, der ein wirkliches Fallen ins Bodenlose ist, gar nicht erst hervorkramen. Gestalten wie Erich Mende, Franz Blücher, Oskar Lafontaine und jetzt Joschka Fischer haben sich stets von selbst erledigt. Der Rest war immer Schweigen – immer wieder.



* Sicher ein Phantasiegebilde wie jener Judas, der sich an einem Baum erhängte
 4. Oktober 1999