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Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge
Bundesweites Bündnis gegen IG Farben
7. Mai 1999
Offener Brief an die Minister Fischer
und Scharping
Sehr geehrter Herr Außenminister!
Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister!
Der Verteidigungsminister hatte bereits vor der völkerrechtswidrigen Aggression
der Nato gegen Jugoslawien, an der die Bundeswehr in verfassungswidriger Weise
teilnimmt, bei einem Bundeswehrbesuch in Aschwitz gesagt: Um ein neues Auschwitz
zu verhindern, „ist die Bundeswehr in Bosnien“ und dass sie darum“
wohl auch in das Kosovo gehen“ wird. In Erklärungsnot geraten, berief
sich auch der Außenminister auf die neue Art der Auschwitzlüge, um
den verhängnisvollen Verstoß gegen die gerade auf Grund der Lehren
von faschistischem Krieg und Holocaust geschaffene UNO-Charta zu begründen.
Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen
den Missbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit
dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und
begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was
Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot für ihre verhängnisvolle Politik
geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen
Verbrechens.
Diese Ihre Vorgehensweise soll offenbar einen schwerwiegenden und nicht entschuldbaren
Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen rechtfertigen. Die gegen
Deutschland und Japan siegreichen Völker haben sich diese Charta 1945 gegeben,
um „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren,
die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht
hat,“ – das bekanntlich von deutschem Boden ausging. Sie beschlossen,
die „Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die Internationale
Sicherheit zu wahren.“
Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen
ein Gründungsmitglied der UNO Krieg geführt wird. Krieg von deutschem
Boden aus, Krieg gegen ein Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler
brachte und Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete.
Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen,
ist infam.
Das Vorgehen der jugoslawischen Führung gegen albanische Minderheiten verstößt
gegen die Menschenrechte. Wir verurteilen es. Wir verurteilen es, wie wir das
Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen und das Vorgehen
der israelischen Führung gegen die Palästinenser verurteilt haben. Stets
haben wir gefordert und wir tun es auch jetzt –, dass dagegen mit den Mitteln
vorgegangen wird, die der UNO zu Gebote stehen. Wer die antifaschistische, den
Menschenrechten verpflichtete Rolle der UNO nicht nutzt, sondern die UNO ausschaltet
und schwächt, der hat jedes Recht verloren, sich auf antifaschistische Postulate
wie „Nie wieder Auschwitz“ zu beziehen, zumal er damit zugleich das
Recht auf Krieg begründet. Die Folgen eines solchen Handelns werden ein Wiedererwachen
der Kräfte sein, die 1945 entscheidend geschlagen zu sein schienen.
Sehr geehrte Herren Minister!
Wir fragen Sie angesichts Ihrer Verlautbarungen und politischen Praxis:
Soll vergessen sein, dass in diesem Jahrhundert zweimal über Serbien von
deutschem Boden aus Vernichtung und Verwüstung hinweggingen? Soll vergessen
sein das Massaker an einer Million Serben, begangen von deutschen Nazis im Zweiten
Weltkrieg und ihren in- und ausländischen willigen Vollstreckern? Nach den
Juden hatten die Slawen in Serbien -gemessen an ihrer Gesamtbevölkerung-
die meisten Opfer zu beklagen. Soll vergessen sein, dass die Zerschlagung Serbiens
von 1914 bis 1918 jenem Heeresgruppenbefehlshaber und Totenkopfhusaren August
von Mackensen übertragen war, der 1915 und dann immer wieder das „rücksichtslose
Vorgehen“ gegen die serbische Bevölkerung befahl und der dann unter
Hitler bis zuletzt als Propagandist half bis zum Aufruf zum Opfertod der Jugendlichen
als Volkssturm – und nach dem die Bundeswehr immer noch eine Kaserne in
Hildesheim benennt?
Soll vergessen sein, dass nicht nur kaiserliches Heer, Reichswehr und Wehrmacht
erprobte Serbenschlächter in ihren Reihen hatten, sondern auch die Bundeswehr?
Wir verweisen auf Wehrmachtsoberst Karl-Wilheim Thilo, der in der Bundeswehr Generalmajor
und Kommandeur der 7. Gebirgsdivision – jener Division, die nun wieder auf
dem Balkan die deutsche Fahne vertritt – sowie stellvertretender Heeresinspekteur
wurde. Er unterzeichnete Massenmordbefehle gegen Jugoslawien und er schrieb mit
an Büchern, die in der Bundeswehr kursierten, um den Völkermord zu preisen,
so H. Lanz (Hg.) „ Gebirgsjäger – Die 7. Gebirgsjäger-Division
1935/1945.
Soll vergessen sein, dass der Krieg der Bundeswehr gegen Serbien eindeutig gegen
das Völkerrecht verstößt, nicht nur gegen die UNO-Charta, sondern
auch den Nato-Vertrag, die Schlussakte von Helsinki, gegen das Grundgesetz und
den Zwei-Plus-Vier-Vertrag? Deutschland hat sich immer wieder zur Einhaltung der
UN-Charta verpflichtet und sie nun mit dem Angriff auf Jugoslawien mit Füßen
getreten. Die Bundeswehr verstieß gegen die Befehle aus dem politischen
Raum: „Darüber hinaus hat die Bundesregierung das Verbot der Führung
eines Angriffskrieges [...] bekräftigt „(Aus dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag
vom 12. September 1990. Zitiert nach „Weißbuch 1994“ der Bundeswehr)
Soll vergessen sein, dass Jugoslawien mit dem Krieg zur Unterzeichnung eines Vertrages
gezwungen werden soll, der nur mit dem Münchner Diktat von 1938 verglichen
werden kann, mit dem die CSR zerstört wurde, wie heute Jugoslawien zerstört
werden soll? „Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluss durch Androhung
oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen
niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde.“
So heißt es im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge,
Artikel 52.
Wir fordern entschieden: Schluss mit dem Krieg gegen Jugoslawien und als Sofortmaßnahme:
Einstellung der Bombardements. Verhandeln statt schießen. Wir fordern die
Wiederherstellung der UNO-Charta und Stärkung der UNO. Als Beitrag zur Verwirklichung
und Verteidigung der antifaschistischen Errungenschaften der Völker.
Deutschland wiedergutgemacht
Aufruf zur Konferenz
Seit dem 24. März 1999 führt Deutschland wieder Krieg. Einen Krieg,
der mit der Losung „Nie wieder Auschwitz“ legitimiert wird: Deutschland
kämpft im Rahmen der Nato gegen die „Diktatoren“ und „Völkermörder“.
So dokumentiert Deutschland, dass es geläutert ist und auf die Einhaltung
der Menschenrechte pocht. Es war einer rotgrünen Bundesregierung vorbehalten,
die letzten als Fesseln empfundenen Beschränkungen aufzuheben, die einen
deutschen Angriffskrieg auf Länder, die unter der deutschen Besatzung litten,
undenkbar scheinen ließen. Eine Bundesregierung, die wie ihre Vorgängerinnen
nicht willens ist, alle NS-Opfer zu entschädigen, beansprucht das Definitionsrecht
darüber, was Auschwitz gewesen ist und was heute „Auschwitz“
sein soll.
Wie geläutert dieses Deutschland ist und was man hier aus der Vergangenheit
gelernt hat, zeigt sich nicht zuletzt am Umgang der rotgrünen Bundesregierung,
der deutschen Unternehmen und der deutschen Justiz mit den Forderungen der Überlebenden
der Nazizwangsarbeit nach finanzieller Entschädigung. Die Bundesregierung
weigert sich, mit den Organisationen der Überlebenden in Deutschland auch
nur zu reden; die deutschen Unternehmen wollen sich mit Almosen Expansionschancen
auf den internationalen Märkten sichern; die deutsche Justiz handelt in diesem
Sinne, indem zum Beispiel das Bonner Landgericht für die Sammelklage von
22 000 polnischen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern einen Prozesskostenvorschuss
von DM 18 Millionen forderte.
Im April wandten sich 14 Überlebende der Shoah in einem offenen Brief an
Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping: „Wir Überlebenden
von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den Missbrauch,
den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten
im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord
an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot
für ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen
Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens.“ Sie fordern die sofortige
Einstellung der Bombardements und verurteilen, dass zugunsten des Auftrages „Nie
wieder Auschwitz“ die Forderung „Nie wieder Krieg“ für
obsolet erklärt wird.
Das bundesweite Bündnis gegen IG Farben setzt sich seit über zehn Jahren
dafür ein, dass die Nachfolgegesellschaft des während des letzten deutschen
Krieges weltweit größten Konzerns aufgelöst wird und alle NS-Opfer
finanziell entschädigt werden. In der Geschichte der „IG Farbenindustrie
in Abwicklung AG“ (IG Farben) präsentiert sich westdeutsche Nachkriegsgeschichte
wie im Brennglas. Ihre Existenz verdankt die IG Farben-Abwicklungsgesellschaft
bis heute dem weitgehend erfolgreichen Versuch, die enge Zusammenarbeit der deutschen
Unternehmen mit dem nationalsozialistischen deutschen Staat zu tabuisieren –
seit ihrer Gründung 1954 fahrt sie einen Kleinkrieg gegen die Überlebenden
um jede Mark. Nach 1989 gab es auch für die Nachfolger eines Konzerns, ohne
den der zweite Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre, offensichtlich
keine Beschränkungen mehr. Seit der deutschen Vereinigung versuchte IG Farben
mehrmals, aber bislang erfolglos, enteignete Besitzungen zurückzubekommen.
In den Monaten nach dem Regierungswechsel hat sich die Ausgangsposition der Arbeit
des Bündnisses vollkommen verändert: Während Deutschland mit der
Begründung, aus der Vergangenheit gelernt zu haben, wieder Krieg führt,
geht der Kleinkrieg gegen die Überlebenden der Nazi-Verbrechen unvermindert
weiter. Während wieder deutsche Bomben auf Belgrad fallen, soll voraussichtlich
ausgerechnet am 1. September 1999 dem 60.Jahrestag des Überfalls der deutschen
Wehrmacht auf Polen, der Fonds der deutschen Unternehmen gegründet werden.
Damit wollen sich diese mit finanziellen Abfindungen Rechtssicherheit gegen Klagen
von Überlebenden erkaufen, es soll endgültig ein Schlussstrich unter
die deutschen Verbrechen gezogen werden. Dieses Projekt dient in keiner Weise
dazu, den Forderungen der Überlebenden in angemessener Form gerecht zu werden.
Folglich geht es nicht mehr nur darum, für die Forderungen der Überlebenden
überhaupt eine Öffentlichkeit zu schaffen, sondern darum, die Erpressung
der Überlebenden mit ihrem hohen Alter und ihrer oft elenden sozialen Lage
zu verhindern; es geht nicht mehr nur darum, die Wahrheit der Nazi-Verbrechen
öffentlich zu machen, sondern darum, die Instrumentalisierung dieser Verbrechen
für deutsche Großmachtambitionen zu kritisieren.
Über die Folgen der militärischen Versöhnung mit der deutschen
Vergangenheit wollen wir am 2. und 3. Juli 1999 auf der Konferenz Deutschland
wiedergutgemacht in Berlin diskutieren. Unabhängig davon, ob es bis dahin
einen Waffenstillstand gibt oder der Einsatz der Bodentruppen näher gerückt
ist: Die Ausgangsbedingungen einer dem Antifaschismus verpflichteten Kritik der
deutschen „Normalisierung“ haben sich grundlegend verändert.
Berlin und Frankfurt am Main im Mai 1999 |
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