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Unschuld, Selbstbewusstsein, Verantwortung
Johannes von Hösel in graswurzelrevolution 15. Mai 1999


Deutsche Kriegspolitik und ihre widerlichen Legitimationsstrategien.

Eines Tages, Mitte April, preschen wieder eine ganze Reihe Panzer an meinem Fenster vorbei, britische Panzer, diesmal beflaggt und mehr an der Zahl, massiver auf den Tag verteilt und variantenreicher an Fahrzeugmodellen, als zu den normalen Manöverfahrten. Das Haus wird von leichten Vibrationen gerüttelt, der Imperialismus wirkt sich hier immerhin als leises Klirren der Gläser aus, die auf der Fensterbank zustauben. Auf geht’s, ins Kosov@!, wie die Militärkolonne noch am gleichen Tag im Radio erläutert wird. Ein metapherner Einstieg, dessen Quintessenz lauten soll: Der Krieg ist Alltag, aber imperialistische Politik nur ein subjektives Empfinden und: die Panzer fahren immer die anderen.

Es wird wieder öfter das gemeinschaftliche „wir“ gebraucht, wenn heute für den Krieg argumentiert wird. Philosophiestudenten wägen bedächtig Argumente ab für „unseren“ Kriegseinsatz (wohlgemerkt für und nicht gegen). Dass „wir“ ja nicht zugucken dürften bei den Menschenrechtsverletzungen im Kosov@ wird immer wieder vorgebracht. Und noch der blödeste aller Einwände gegen KriegsgegnerInnen – „Fällt dir denn was besseres ein?“ – steht hoch im Kurs. Wo die Nato als bewaffneter Arm von amnesty international gehandelt wird, wollen „wir“ auch seine rechte Hand sein. Intellektuelle wie Günter Grass und Micha Brumlik haben’s vorgemacht, nationale Politikberatung führt trotz und wegen aller Schockierungen auch mal zur Forderung von Bodentruppeneinsätzen, der Konsequenz wegen. Jetzt haben wir schon mal angefangen ... wenn schon, denn schon. Dabei sind „wir“ natürlich die Guten, Serbien muss sterbien und von deutschen Interessen auf dem Balkan reden wir mal gar nicht, denn darum geht’s ja nicht, sondern um Verantwortung. Das neue Hegemonialstreben heißt jetzt Selbstbewusstsein, die Forcierung des ordnungs- und militärpolitischen Völkerrechtsbruchs kann deshalb auch durchaus als Akt der vielbeschworenen Kontinuität in der deutschen Außenpolitik betrachtet werden. Seit der frühen Anerkennung von Kroatiens und Sloweniens Unabhängigkeit ist Deutschland auf dem Balkan nicht untätig geblieben.

Der letzte berühmte „Widergänger Hitlers“ (Enzensberger), Saddam Hussein, ist immer noch im Amt. Inzwischen zeigt sich, dass der irakische Diktator nur die Luschi-Version der imaginierten Naziführer- Reinkarnation war. Denn in Serbien gibt es nicht nur Faschismus, sondern eine „barbarische Form von Faschismus“ (J. Fischer). Und Milosevic guckt nicht nur so wie Hitler, sondern baut auch noch KZs – sagt Scharping – und lässt auch so deportieren wie einstmals der Deutsche. Gerade Kriegsminister Scharping und Außenminister Fischer lassen keine Gelegenheit aus, den Vergleich mit Nazi-Deutschland zur Legitimation des Nato-Angriffes heranzuziehen. Es wird so getan, als sollte mit dem Kosov@ ein zweites mal Auschwitz befreit werden. Dabei geht es den Menschen in Ex-Jugoslawien seit der Nato-Attacke eindeutig schlechter, Milosevic klebt fester am Regierungssessel als je zuvor, beide großen Kriegsziele des Westens sind also längst verfehlt. Die einzige Befreiung erfährt das deutsche Gewissen von der Last der Verantwortung. Das Motto des SPD-Parteitages im April, „Verantwortung“, meint ja gerade nicht die Vergangenheit, sondern stellt den Begriff in die Dienste der gegenwärtigen und zukünftigen militärischen Außenpolitik. Die deutsche Rechtfertigungslogik hat sich im Unterschied zum Golfkrieg von 1991 aber um mindestens eine Dimension erweitert. Zum Feindbild des teuflischen Diktators kommt die Identifikation mit den Opfern, die zum Gegenschlag herausfordert. Beide Strategien haben eins gemeinsam: Sie reproduzieren die Version von den unschuldigen Deutschen. Perfekt repräsentiert wird die neue deutsche Politik insofern auch von „Joschka“ Fischer. Einerseits steht er für die Generation, die ihre Eltern mit Auschwitz konfrontiert hat und taugt so besonders gut für die Rolle des „guten Deutschen“. Damit wird andererseits der dritte deutsche Angriff dieses Jahrhunderts auf Serbien als der ganz andere, eben „humanitäre“ Militärschlag dargestellt, der nicht zuletzt im Sinne der 68er-Revolte geschlagen wird. Ein Feldzug mit – perverser geht’s kaum – Adorno im Tornister: „dass Auschwitz sich nicht wiederhole“. Geschichtsentledigung im Zweierpack: Die Aggressionen des Kaiserreichs und Nazi-Deutschlands werden gemeinsam mit dem kulturellen Bruch von ’68 ad acta gelegt.

Noch in einem der wenigen, löblichen Aufrufe deutscher Intellektueller gegen den Krieg ist Deutschland passiv, in den Krieg gerissen worden von den USA. Die ProfessorInnen und SchriftstellerInnen schämen sich für dieses Deutschland, „das sich nach einer solchen Vergangenheit (...) unter einem sog. Sozialdemokraten durch die USA in einen dritten europäischen Krieg reißen lässt“ (taz, 16. April 1999). Es ist sicher eine der ekelhaftesten Eigenschaften deutschen Nationalbewusstseins, sich in Momenten größter Machtakkumulation als Opfer zu präsentieren.
 15. Mai 1999