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Die Grünen am Ende der Macht
Wolf-Dieter Vogel in der
Jungle World 14. April
1999
Parteiauftrag erledigt
Da ist man wirklich schon auf alles gefasst, und dann das: „Wenn ich davon
gewusst hätte, hätte ich die Diskussion um die Nato-Angriffe anders
geführt.“ Mit „davon“ meinte die Grüne Angelika Beer
vergangene Woche nichts weniger als den genauen Inhalt des Rambouillet-Abkommens,
dessen serbische Zustimmung derzeit mit grünem Beifall herbeigebombt werden
soll. Aber vielleicht sind die Zeiten ja vorbei, in denen man von der Verteidigungspolitischen
Sprecherin einer kriegsführendenden Regierungspartei erwarten kann, dass
sie sich mit Formalia herumschlägt. Dabei hatte gerade sie den Job übernommen,
letzte Zweifler auf den grünen Weg zur Bombardierung Rest-Jugoslawiens zu
führen.
Das lag nahe. Kaum jemand hätte die Entscheidung besser durchsetzen können.
Als Vertreterin des bürgerrechtlichen Flügels hat sie sich für
das Bleiberecht der Überlebenden des Lübecker Brandanschlages oder gegen
deutsche Waffenlieferungen in die Türkei stark gemacht. Im Gegensatz zu jungdeutschen
Karrieristen wie Matthias Berninger ist Beer eine der wenigen, die die Illusion
am Leben gehalten haben, mit den Grünen seien Ziele zu erreichen, für
die man einst angetreten war: etwa die der Friedensbewegten oder der Anti-Atom-Initiativen.
Eine existenzielle Aufgabe, denn ohne dieses Spektrum hätte die Partei keine
Fünf-Prozent-Hürde übersprungen.
Bisher ging die Rechnung auf. Nicht nur bei Pazifisten. Selbst in Kreisen gealterter
Linksradikaler war der Bruch nie so endgültig, wie diese ihn gern formuliert
hatten. Noch vor der Bundestagswahl konnten die Grünen mit der Hoffnung kokettieren,
durch ihre Präsenz in den Parlamenten ließen sich kleine Erfolge in
Sachen Menschenrechts- oder Atompolitik erreichen. Die Entscheidung fürs
kleinere Übel war salonfähig, auch wenn im grünen Modernisierungskurs
bürgerrechtliche Positionen zunehmend mit wirtschaftsliberalen Forderungen
einhergingen. Eine Angelika Beer oder ein Christian Ströbele waren nie ohne
einen schwäbischen Sparhaushalter wie Oswald Metzger zu haben, aber gerade
diesen Ambitionen verdankte die Partei ihre Existenzberechtigung.
Knapp ein halbes Jahr, nachdem die Ökos erstmals die Staatsregierung übernommen
haben, sieht das anders aus. Heute manifestiert die grüne Mitverantwortung
für den Krieg nur noch das Ende einer langen Liste des Scheiterns: die doppelte
Staatsbürgerschaft wurde so zurechtgestutzt, wie es die FDP schon seit Jahren
fordert. Auch könnten die alten Liberalen überzeugender als die neuen
eine Ökosteuer durchsetzen, die sowieso vor allem Industrie und Mittelstand
entlasten soll. Das gleiche gilt für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Und
den sinnlosen
Ärger mit SPD-Frontmann Schröder um den Ausstieg aus dem Atomprogramm
könnte Jürgen Tittin getrost ökologisch orientierten Sozialdemokraten
überlassen. Eine peinliche Bilanz.
Wer also soll die Grünen künftig noch wählen? Wesentliche Aspekte
einer Modernisierung, wie sie die Partei thematisiert hat, wurden von alten Sozis
und jungen Freidemokraten in Konzepte gegossen, zu denen grünorientierte
Theoretiker wie Ulrich Beck oder André Gorz unfreiwillig die Modelle lieferten.
Und die der Erneuerung immanenten Möglichkeiten, emanzipative Ansätze
zu stärken oder Bürgerrechte auszubauen, haben die Linken unter den
Grünen nicht realisieren können.
Nun erwartet uns ein trostloses Schauspiel. Option eins: Die Basis auf dem Parteitag
im Mai entscheidet, aus dem Regierungsbündnis auszusteigen – ziemlich
unwahrscheinlich. Option zwei: Unter Ausverkauf der verbliebenen Essentials spielen
die Grünen weiterhin Händchenhalten beim Aufbau der Berliner Kriegsrepublik.
In beiden Fällen wäre bewiesen, wogegen man einst angetreten war: dass
mit dem Sturm auf die Macht im bürgerlichen Staat keine emanzipatorische
Veränderung zu machen ist.
Kurzum: „Die historische Aufgabe der Grünen ist erledigt“, wie
der grüne Berliner Ex-Landesvorstand Tilmann Heller sagte, als er vor zwei
Wochen seiner Partei den Rücken kehrte. Zu den letzten, die ihre Pflicht
getan haben, gehören MenschenrechtlerInnen wie Angelika Beer. Heute ist wirklich
jedem klar, was gemeint ist, wenn Grüne auf großdeutsch Humanismus
buchstabieren. Auch wenn Frau Beer vorher nicht so genau wusste, was der „Schlächter
vom Balkan“ eigentlich hätte unterschreiben sollen. |
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