zurück | grüne kriegstreiber






Die wahren Nato-Kriegsziele im Kosovo
Karin Führ und Jo Angerer monitor 22. April 1999


Klaus Bednarz: „Eigentlich wollte die Nato ihren Krieg gegen Serbien spätestens heute – siegreich – beendet haben. Denn morgen sollten in Washington die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Nato-Gründung beginnen. Die Feierlichkeiten sind abgesagt, stattdessen wird es einen Nato-Gipfel geben, auf dem darüber beraten werden soll, ob man nun einen Bodenkrieg in Jugoslawien beginnt. Die treibende Kraft dabei sind die Amerikaner. Sie waren es, die die Europäer zum Luftkrieg gedrängt haben – und sie möchten nun den Krieg weiter eskalieren. Aus humanitären Gründen, wie sie sagen. Doch welche Absichten die Amerikaner mit dem Krieg im Kosovo wirklich haben, zeigt der Bericht von Jo Angerer und Karin Führ“.

Flüchtlingsbilder aus dem Kosovo. Nach den Nato-Bombenangriffen sind Hunderttausende auf der Flucht vor Milosevics Soldaten und Polizeitruppen. Seit 30 Kriegstagen sind diese Bilder tagtäglich im Fernsehen. Seit 30 Kriegstagen greift die Nato an, Tag und Nacht neue Bomben, in ganz Jugoslawien brennen Fabriken und Wohngebäude. Dies ist ein Krieg im Namen der Menschlichkeit, erklären deutsche Politiker wieder und wieder.

Gerhard Schröder, Bundeskanzler, am 15. April 1999: „Wir wollen die humanitäre Katastrophe und die schweren, systematischen Menschenrechtsverletzungen möglichst schnell beenden.“

Die Vereinten Nationen in New York. Der Angriff der Nato hätte nur mit einem UN-Mandat erfolgen dürfen. Dies ist geltendes Völkerrecht. Doch dieses Mandat gibt es nicht. Dennoch greift die Nato Jugoslawien an – auf Betreiben der Amerikaner. Am 24. März, nachdem die ersten Bomben fielen, verurteilt UN-Generalsekretär Kofi Annan die militärische Gewalt ohne UN-Mandat.

Kofi Annan, UN-Generalsekretär: „Als Generalsekretär habe ich oft deutlich gemacht – nicht nur im Zusammenhang mit dem Kosovo – dass nur der UN-Sicherheitsrat die Verantwortung zur internationalen Friedenssicherung hat. Dies steht so auch im Nato-Vertrag. Deshalb hätte der Sicherheitsrat beteiligt werden müssen an der Entscheidung, Gewalt einzusetzen.“

Nato-Bomben auf Jugoslawien. Gegen den erklärten Willen der Vereinten Nationen drängten die Amerikaner auf einen schnellen Krieg. Warum? Michael Klare ist Professor am international renommierten Hampshire College in Massachusettes, einer der führenden Kenner der amerikanischen Militärpolitik.

Prof. Michael Klare, Militärwissenschaftler:
„Präsident Clinton war entschlossen, den Kosovo-Krieg unter amerikanischer und unter Nato-Führung durchzuführen. Vor dem 50. Jahrestag der Nato wollte er Macht demonstrieren und einen militärischen Erfolg vorführen. Er wollte zeigen, dass die Nato nun in der internationalen Sicherheitspolitik die Führungsrolle hat – und nicht die Vereinten Nationen. Und so setzte er, an den Vereinten Nationen vorbei, die Entscheidung für den Nato-Einsatz durch.“

Die Nato nach Ende des Kalten Krieges als Instrument für weltweite Kriegseinsätze ohne UN-Mandat? Im weißen Haus in Washington ist dies längst schon gültige US-Politik. In diesem geheimen US-Regierungsdokument mit dem bezeichnenden Titel „Mit den Vereinten Nationen wenn möglich, ohne sie wenn notwendig?“ legte Bill Clinton bereits 1993 fest, wie die USA künftig mit den Vereinten Nationen umgehen werden:
Die Nato soll die Entscheidungskriterien für die UN festlegen und nicht umgekehrt.
Diese Vorstellung hat US-Außenministerin Madeleine Albright jetzt erstmals durchgesetzt. Die Nato als Weltpolizist à la Amerika – kein Protest des grünen Außenministers Joschka Fischer, er demonstriert Einigkeit. Der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer, jahrelang Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, hält die Amerikahörigkeit der neuen Bundesregierung für gefährlich.

Willy Wimmer, CDU, ehem. Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium: „Wir haben im Zusammenhang mit der Lösung in Bosnien ja gesehen, dass die Grundlage, überhaupt eine Lösung zustande zu bringen, darin lag, dass man den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von vornherein beteiligt hat und damit natürlich auch die russische Föderation und auch die Volksrepublik China, d.h. wir haben hier eine Entwicklung gehabt, die zum Erfolg geführt hat. Der Umstand, dass man diesmal den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen konsequent rausgelassen hat, ist natürlich eine der Fragen, die auf Dauer uns möglicherweise in größere Turbulenzen stürzen werden, als wir derzeit noch wissen.“

Die Verhandlungen von Rambouillet im Februar, letzte Chance für eine friedliche Lösung des Kosovo-Konflikts. Doch während noch verhandelt wurde, war US-Außenministerin Albright bereits zum Krieg entschlossen. Unerfüllbare Bedingungen wurden gestellt, darunter die Preisgabe der staatlichen Souveränität Jugoslawiens. Die Verhandlungen waren – ganz im Sinne der US-Regierung – zum Scheitern verurteilt. Zerstörte Städte in Jugoslawien. Bislang über 6 000 Bombenflüge, in den Schubladen der Militärs bereits Pläne für den Bodenkrieg. Die Nato nach Ende des Kalten Krieges als Weltpolizist unter der Führung der USA. Dies soll demonstriert werden. Bilder nach 30 Tagen eines Krieges, bei dem es den Amerikanern letztlich gar nicht um das Kosovo geht, so Professor Michael Klare.

Prof. Michael Klare, Militärwissenschaftler:
„Das Kosovo ist Opfer all dieser amerikanischen Anstrengungen, die stattgefunden haben. Das heißt: Das Thema Kosovo kam in dem Moment auf die Tagesordnung, als Mister Clinton eine große Demonstration in Sachen neuer Nato-Strategie suchte. Das hätte sonst wo stattfinden können.“

Wie diese neue Strategie aussehen soll, darüber hat man hier im Weißen Haus in Washington klare Vorstellungen. Über einhundert Seiten stark ist der „National Security Strategy Report“, die nationale Sicherheitsstrategie der Amerikaner, vom 30. Oktober 1998, die MONITOR vorliegt. Auf Grundlage dieses Dokuments trifft die US-Regierung ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen. Hier sind die wahren politischen und militärischen Ziele Amerikas festgeschrieben.

Der Kern der amerikanischen Strategie ist es, unsere Sicherheit zu erhöhen, unseren Wohlstand zu mehren und Demokratie und Frieden überall in der Welt zu fördern. Wesentlich zur Erreichung dieser Ziele ist amerikanisches Engagement und die Vorherrschaft in der Weltpolitik.

Stuttgart-Vaihingen, die Patch Barracks. „United States European Command“, kurz EUCOM. Hier wird sie umgesetzt werden, die neue Nato-Strategie. Kein reines Verteidigungsbündnis mehr, sondern eine schnelle Eingreiftruppe der USA. Hier, mitten in Deutschland, planen die Amerikaner weltweit Kriege, hier werden Angriffsbefehle gegeben, wenn die USA ihre Interessen verletzt sehen.

Wieweit der militärische Einflussbereich der USA in Zukunft reichen soll, ist bereits auf dieser internen Karte der US-Militärs mit grüner Farbe eingezeichnet: Vom südlichen Afrika bis weit nach Osteuropa. Verlief die Grenze des Kalten Krieges früher mitten durch Deutschland, so zählen die Amerikaner jetzt ganz Europa bis einschließlich Weißrussland und der Ukraine zu ihrem Einflussbereich.

Und auch die Aufteilung Jugoslawiens scheint für die Amerikaner schon beschlossene Sache: Die jugoslawische Teilrepublik Montenegro ist auf der US-Militärkarte bereits als eigenständiger Staat eingezeichnet. Amerikanische Politik auf dem Balkan. Der Publizist Peter Scholl-Latour, Berichterstatter aus allen Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt, beurteilt sie so:

Peter Scholl-Latour, Publizist: „Ich glaube, es ist einfach der Rausch der einzig übergebliebenen Supermacht, nicht wahr. Man fragt ja heute überhaupt bei manchen Dingen, welchen Sinn sie machen. Blicken wir doch auf den Irak, wo der Bombenkrieg weitergeht, ohne dass nur die geringste Chance besteht, dadurch Saddam Hussein zu stürzen oder ihn durch ein anderes, in Anführungszeichen „demokratisches“, Regime zu ersetzen. Es leidet doch nur die irakische Bevölkerung darunter, und ich glaube, es ist wirklich nur die Demonstration eines unbändigen imperialen Machtwillens.“

Klaus Bednarz: „Die neue Nato als Weltpolizist an den vereinten Nationen vorbei. In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung hatte es noch geheißen:

Die neue Bundesregierung wird sich aktiv dafür einsetzen, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren. Die schönen Sprüche sind das eine, die Realität das andere.“
 22. April 1999