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Die Rambouillet-Lüge: Was wußte Joschka Fischer?
Andreas Zumach in taz
12. April 1999
Die Abgeordneten des Bundestages und die Führung des Auswärtigen Amtes
waren über wesentliche Bestimmungen des Abkommens von Rambouillet nicht informiert.
Das Bonner Außenministerium verweist Journalisten, die Auskunft wollen,
an die taz
Der größte Teil der Leitungsebene des Bonner Auswärtigen Amtes
war bis letzte Woche über wesentliche Bestimmungen des Rambouillet-Abkommens
für eine Autonomie des Kosovo nicht informiert. Dabei stand der Text seit
dem 23. Februar auf verschiedenen Homepages im Internet, darunter zeitweise der
der Nato. Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurde der vollständige
Text des Abkommens bis letzte Woche von der Bundesregierung vorenthalten. Mit
der Nichtunterzeichnung des Abkommens durch Belgrad hatte die Bundesregierung
den Beginn der Luftangriffe gegen Restjugoslawien am 24. März begründet.
Am Dienstag letzter Woche hatte die taz die Artikel 6, 8 und 10 aus dem militärischen
Annex B des Rambouillet-Abkommens veröffentlicht. Daraus wird deutlich, dass
mit dem Abkommen nicht – wie von der Bundesregierung bislang öffentlich
dargestellt – lediglich die Stationierung einer Nato-geführten internationalen
„Implementierungstruppe“ im Kosovo beabsichtigt war. Vielmehr ging
es um die Stationierung einer Nato-Truppe in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien
mit de facto uneingeschränkten Rechten einer Besatzungsmacht. Das AA reagierte
auf die taz-Veröffentlichung verwirrt: Zwei Mitglieder der dreiköpfigen
Leitungsebene unterhalb von Minister Fischer – die Staatsminister Günter
Verheugen (SPD) und Ludger Volmer (Grüne) sowie Staatssekretär Wolfgang
Ischinger – erklärten auf Nachfragen von Journalisten und Abgeordneten,
ihnen seien die in der taz dokumentierten Artikel aus dem Annex B „völlig
neu“, und sie könnten dazu keine Stellung nehmen. Der dritte behauptete,
die dokumentierten Passagen entstammten einer älteren, nicht mehr aktuellen
Fassung des Abkommens. Zudem wäre der militärische Annex ja „verhandelbar“
gewesen, doch habe Belgrad jegliche Diskussion über diesen Teil des Abkommens
verweigert.
Erst nach der taz-Veröffentlichung des militärischen Annex wurde der
Text auf Drängen von Abgeordneten verschiedener Parteien schließlich
am Donnerstag an das Parlament ausgeliefert. Gegenüber den Medien gilt die
Geheimhaltung nach wie vor. Als die KorrespondentInnen einer großen überregionalen
Tageszeitung und einer großen Regionalzeitung am Freitag im AA um den Text
des Abkommens baten, wurden sie an die Bonner Korrespondentin der taz, Bettina
Gaus, verwiesen. Gaus habe die Internet-Adresse, auf der das Abkommen veröffentlicht
sei.
Auch wenn das Rambouillet-Abkommen inzwischen Makulatur ist, bedürfen die
Umstände, unter denen die Beteiligung Deutschlands an den Nato-Luftangriffen
zustande kam, dringend der Aufklärung. Kannte Außenminister Fischer
den vollständigen Text des Vertrages vor dem 24. März? Oder hat die
Bundesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit gar gezielt in die Irre
geführt?
Die Grünen-Abgeordnete Angelika Beer erklärte inzwischen in einem Schreiben
an Fischer, dass sie sich gegen die Umsetzung der Nato-Aktivationsorder –
also den Beginn des Luftkrieges – ausgesprochen hätte, wenn sie den
Text des Abkommens gekannt hätte. Fischer habe nicht alle diplomatischen
Spielräume bei den Verhandlungen genutzt und Informationen über den
Vertrag zurückgehalten. |
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