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„Reichen Sie Ihren Rücktritt ein“
Branka Jovanovic 2.
April 1999
Grüne Partei in Jugoslawien an BRD-Außenminister Fischer
(Aus einem Brief der Vorsitzenden des Parteirates, Branka Jovanovic) Sehr geehrter
Herr Fischer, die heutigen Umstände erlauben es mir nicht, mit Ihnen ein
Gespräch über die Ursachen des Schicksals der Menschen in Kosovo und
Metohien zu beginnen, denn dazu müssten wir äußerst lange über
die unehrenhaftesten Mechanismen der Zerschlagung Jugoslawiens reden, die fortgesetzt
wird mit den gleichen Schablonen und den gleichen Mitwirkenden, den gleichen Ideologien
und der gleichen, nicht wohlmeinenden Diplomatie, deren Ignoranz schon ein Verbrechen
an sich geworden ist. ...
Wir fordern von Ihnen, sofort und bedingungslos den Nato-Wahnsinn zu stoppen und
uns zu ermöglichen, mit den Albanern von Kosovo und Metohien, mit denen wir
seit Jahrhunderten zusammenleben, zu verhandeln. Sie drängen sowohl die Albaner
als auch uns in die totale Katastrophe und verhindern, dass wir uns wie Menschen
begegnen und über das Schicksal unseres Landes und unserer Kinder auseinandersetzen
können. Wir fordern ein dringendes Treffen mit Ihnen. ...
Wir melden uns aus Belgrad, dessen Stadtrand von der Nato bombardiert wird, obwohl
sich dort zahlreiche chemische Anlagen mit äußerst gefährlichen
Stoffen befinden, darüber hinaus Treibstoff- und Chemielager sowie ein Atomkraftwerk.
Allein die Bombardierungen Pancevos, wo ein riesiger petrochemischer Komplex untergebracht
ist, die Bombardierungen Baricas, wo sich eine risikoreiche BOPAL-Technologie
zur Herstellung chemischer Verbindungen befindet, sowie die Bombardierungen von
Vinca mit seinem Atomkraftwerk und einem ungeheuer unsicheren Atommüll-Lager
haben die reale Möglichkeit einer völligen Vernichtung der gesamten
Bevölkerung Belgrads und seiner Umgebung eröffnet. Eine ähnliche
Situation herrscht auch in anderen Städten, wo Ziele ausgewählt wurden,
die mit Technologien verbunden sind, deren Zerstörung bereits jetzt eine
ökologische Katastrophe ungeheurer Ausmaße zur Folge haben wird.
Das flächendeckende Nato-Bombardement von Truppen, militärischen Einrichtungen
und schweren Waffen in ganz Serbien, aber auch und vor allem im Kosovo wird mit
Hilfe von verbotenen panzerbrechenden Geschossen durchgeführt, die abgereichertes
Uran enthalten, das zu einer radioaktiven Verseuchung ganzer Landstriche und damit
des dortigen Lebens, einschließlich Flora und Fauna, führt. Das bedeutet
eine fundamentale Bedrohung aller in Jugoslawien lebenden Menschen und Nationen.
Ungeachtet der Tatsache, dass die Nato-Bombardierung bereits mehr als eintausend
Zivilisten, darunter auch serbische Flüchtlinge aus der kroatischen Krajina,
das Leben gekostet und mindestens noch einmal soviel Verletzte gefordert hat,
soll das Zentrum Belgrads, genauer: verschiedene Regierungsgebäude, der Generalstab
der jugoslawischen Armee und das Innenministerium bombardiert werden. Was zurückgehalten
wird, ist die Information, dass sich all diese Gebäude buchstäblich
an den größten Krankenhauskomplex in Belgrad anlehnen: die Kinderklinik,
das psychiatrische Krankenhaus, die Frauenklinik, die onkologische Klinik, zwei
chirurgische Kliniken, das klinische Notfallzentrum, in dem sich jetzt schon zahlreiche
Opfer des Nato-Bombardements befinden etc. Die erweiterte Liste der Ziele ist
faktisch Teil einer umfangreichen und systematischen Zerstörung unserer kulturellen
und historischen Werte, beispielsweise manifestiert in dem Historischen Museum
Serbiens, in dem sich Schätze aus den vergangenen vier Jahrhunderten verbinden
und das unmittelbar neben dem Generalstab gelegen ist. Und das Innenministerium
liegt in der direkten Nachbarschaft des serbischen Flüchtlingskommissariats.
...
Die zerstörerischen Geschosse sind auch auf Richtstätten des Zweiten
Weltkriegs gefallen, so in Belgrad (Jajnica), wo 80 000 Serben, Juden und Roma
von den Deutschen hingerichtet wurden, und in Kragujevac (Sumarica), wo mehrere
tausend Serben erschossen wurden, darunter die Jungen des Gymnasiums von Kragujevac,
des ersten serbischen Gymnasiums überhaupt. Auf der in Novi Sad zerstörten
zivilen Brücke über die Donau wurde 1941 von den Nazis ein Massaker
an Juden verübt, weshalb die Serben diese Brücke zu einem historischen
Denkmal erhoben haben.
... Eine nur oberflächliche Einsicht in die Ausmaße der Bombardierungen
und die Auswahl der Ziele zeigt, dass ihre Absicht nicht das Beenden des Leids
oder der Versuch ist, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, sondern
die totale Vernichtung aller geistigen, ökonomischen und elementaren ökologischen
Existenzgrundlagen nicht nur des serbischen Volkes, sondern auch aller anderen
nationalen Gemeinschaften, die in unserem Land leben. ...
Gar nicht zu sprechen davon, dass die Nato-Intervention die Voraussetzungen für
eine lang anhaltende, gewalttätige Abrechnung zwischen Serben und Albanern
schafft, die nie wieder Frieden bringen und dazu führen wird, dass Kosovo
und Metohien aus Serbien ausgegliedert werden, auch wenn sie sein kulturelles
und geistiges Fundament darstellen. ...
Die Zerschlagung Jugoslawiens ist leider ein blutiger Makel auf dem Antlitz Ihrer
Grünen geblieben, denn Sie wollten unsere ernsten Warnungen nicht hören,
dass Sie sich mit Ihrer Parteinahme für die sezessionistischen Ziele, die
sich auf revanchistische Positionen des Faschismus im Zweiten Weltkrieg gründeten,
zu Opfern der wundersamsten Manipulationen und Bündnisse bei der Zerschlagung
einer multiethnischen Gemeinschaft machten.
Ihre Zustimmung zur militärischen Intervention der Nato, die ein mächtiges
Instrument jenes Establishments ist, das diesen Planeten an den Rand der Katastrophe
gebracht hat, kennzeichnet das Ende des utopischen Potentials Ihrer Partei und
hat Sie auf einen kleinen politischen Kommissar reduziert, der grüne Stempel
moralischer Annehmbarkeit von Aktionen verteilt.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Experten, die die neue Politik der
USA und Ihres Landes planen, hartnäckig die These vertreten haben, dass die
Friedensbewegung und die Grünen in Deutschland das Haupthindernis für
die stärkere Einbindung Deutschlands in die Nato-Strukturen darstellen.
Bekannt ist Ihnen sicher auch die Strategie, die angewandt wurde, um das Friedensbewusstsein
der deutschen Bundesbürger als ein wahrhaftiges Fundament für Reformen
in Europa zu schwächen. Gerade Ihnen musste man alle Argumente gegen militärische
Interventionen aus der Hand schlagen. Und das ist gelungen. ...
Wir möchten Sie daran erinnern, dass es uns als Serben nicht gestört
hat, dass die Vorsitzende unseres Parteirats zur lebenslangen Ehrenvorsitzenden
der Grünen Partei Albaniens ernannt wurde. Das belegt nur, dass eine Partei
aus der Republik Serbien und der Bundesrepublik Jugoslawien keine Probleme damit
hatte, in Kontakt zu treten mit ihrer Schwesterpartei in Albanien und ihre Bereitschaft
an der Zusammenarbeit bei der Annäherung der beiden Staaten zu erklären.
Und die Freunde aus Albanien hat es auch nicht gestört, dass sie Serbin ist.
Aber Ihre Partei, die unsere politische Orientierung kannte, hat unser Angebot
nie angenommen, dass wir Serben und Albaner zusammen mit den europäischen
Grünen vertrauensbildende Maßnahmen unserer beider Staaten in die Wege
leiten und in ihre Politik Elemente des Vertrauens tragen, die auf eine Verbesserung
der politischen Atmosphäre hinwirken und den Raum für konstruktive zwischenstaatliche
Beziehungen schaffen würden. ...
Es tut uns um jeden Menschen unendlich leid, der in diesem sinnlosen Krieg zum
Opfer wird, und noch mehr tut es uns leid, weil wir alle besser zusammengelebt
haben, als Sie es sich vorstellen können, und weil Sie dies aufgrund einer
kardinalen Unkenntnis des Geschäfts mit Ihrem unverantwortlichen Politikantentum
verhindert haben.
Unsere Hochachtung werden Sie nur dann haben, wenn Sie zur internationalen Grünen-Bewegung
Ihren Beitrag leisten und als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland
mutig Ihren Rücktritt erklären.
Belgrad, 2. April 1999
Branka Jovanovic
Vorsitzende des Parteirats der Neuen Grünen Partei Jugoslawiens und Ehrenvorsitzende
der Grünen Partei Albaniens. |
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