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Stahlhelm-Pazifisten
Andreas Spannbauer in
konkret 7. Mai 1999
Es ist kein Jahr her, da wollten sie noch die Bundeswehr auflösen –
heute sind die Grünen für jeden Krieg zu haben
„War is peace, freedom is slavery, ignorance is strength.“
George Orwell: 1984
„Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik.“
Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und
Bündnis 90/Die Grünen, 20. Oktober 1998
Grüne Außenpolitik will Völkermorde künftig mit deutschen
Kampftruppen auch völkerrechtswidrig verhindern. Die Vermutung, die grüne
Zustimmung zum Kampfeinsatz im Kosovo habe ihre Ursache in der Teilhabe an der
Macht, ist indes ein Trugschluss: Das militaristische Hurrageschrei war die Conditio
sine qua non des rot-grünen Wahlsiegs. Von allen Versprechen, die Joseph
Fischer je gegeben hat, dürfte er nur selten eines so ernst gemeint haben
wie dasjenige, das als Leitmotiv über seinem Amtsantritt schwebt: „Kontinuität
in der Außenpolitik“ hat der ehemals militante Linke angekündigt,
und auf den ersten Blick scheint es, als würde sich Fischer von Kinkel nur
durch die Frisur unterscheiden. Tatsächlich aber ist das Gerede von einer
Kontinuität der deutschen Außenpolitik ein Euphemismus: Der erste Außenminister,
der den sozialen Protestbewegungen entstammt, hat in den ersten drei Monaten seiner
Amtszeit all diejenigen Maßnahmen zuverlässig durchgesetzt, die sein
Vorgänger stets als heiße Eisen behandelte. Nato-Bomben auf den Irak
ohne Mandat der Vereinten Nationen? Beteiligung der Bundeswehr an so genannten
„friedenserzwingenden Maßnahmen“, die einen klaren Bruch des
Völkerrechts darstellen? Wo Kinkel noch betroffen die Brille gerunzelt hätte,
da tut Fischer, was getan werden muss.
Kontinuität der deutschen Außenpolitik bedeutet den steten Bruch mit
früheren Grundsätzen der Partei. Noch vor neun Jahren glaubten die Grünen
– mit Blick auf das Ende der „Blockkonfrontation“ – ein
„günstiges Friedensklima“ zu erkennen, auch wenn, so konnte man
im Programm zur Bundestagswahl 1990 erfahren, die „Anliegen der Friedensbewegung,
denen die Grünen sich seit ihrer Gründung verpflichtet fühlen“,
noch nicht durchgesetzt waren. Damals hatte die Partei noch Träume: von einer
„Welt ohne Militärblöcke“ und einer „Gesellschaft
ohne Waffen und Armeen“. Den Sieg der marktwirtschaftlichen Weltordnung,
die mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes global geworden, aber nicht etwa
neu war, sondern aus dem letzten Jahrhundert stammt, priesen die Grünen als
Chance für die „Verwirklichung einer neuen Friedensordnung“.
Man sei, so gaben sie sich kämpferisch, „zum Bruch mit der Nato bereit“.
Erstaunlich einsichtig erklärten sie: „Friedenspolitik kann nicht auf
der Basis von Militärblöcken betrieben werden.“
Sämtliche Rüstungsausgaben streichen, die Bundeswehr auflösen,
einen Verzicht auf Atomwaffen im Grundgesetz verankern, ein totales Manöververbot
durchsetzen, die Wehrpflicht abschaffen – so lauteten die grünen Forderungen
zu Beginn des Jahrzehntes. „Wir stehen für das Prinzip der Gewaltfreiheit
bei der Bewältigung jeglicher Konflikte, also auch in der Politik.“
Eine Ausnahme machte das 1990er Wahlprogramm lediglich für den „aktionsreichen
Widerstand gegen staatliche Maßnahmen“. Auch was die Rolle der Nato
angeht, herrschte vor neun Jahren noch einige Klarheit: „Die Nato betreibt
mehr und mehr auch die Absicherung ökonomischer Interessen der EG und der
USA, um deren ‚vitale‘ Ausbeutungsinteressen in Ländern der ‚Dritten
Welt‘ durchzusetzen.“ Klarheit, die mit dazu beigetragen haben mag,
dass die Grünen mit ihrer Bewerbung um die Verwaltung der Staatsgeschäfte
1990 durchfielen – der Einzug in den ersten gesamtdeutschen Bundestag scheiterte
an der Fünf-Prozent-Hürde.
Wenn man wissen wolle, wie die Kommunisten denken, soll Lenin einmal gesagt haben,
müsse man auf ihre Hände und nicht auf ihren Mund schauen. Die Grünen
scheuen wohl keinen Vorwurf mehr als den, Kommunisten zu sein. Dennoch ist man
auch bei ihnen gut beraten, nicht auf den Mund, sondern auf die Finger zu sehen.
„In unserem Programm“, so schrieben die Grünen vor der Bundestagswahl
1998, „sagen wir, was wir tun wollen. Wenn wir von den Wählerinnen
und Wählern den Auftrag bekommen, werden wir tun, was wir gesagt haben.“
Drei Jahre, nachdem grüne Abgeordnete 1995 erstmals für einen Auslands-Einsatz
der Bundeswehr votiert hatten, war die Rhetorik noch immer die gleiche: Unter
dem Stichwort „Außenpolitischer Aufbruch ins 21. Jahrhundert“
hieß es nun im Wahlprogramm: „Bündnis 90/Die Grünen wenden
sich ... gegen die Außenpolitik der konservativ-liberalen Regierung, in
der Deutschland die traditionelle Rolle einer Großmacht in der internationalen
Politik spielen soll.“ Man trete, ließen die Grünen das Publikum
wissen, für „machtpolitische Selbstbeschränkung“ und „internationale
Einbindung, für zivile Formen des internationalen Interessenausgleichs und
der Streitbeilegung, für einen aktiven Einsatz für die Menschenrechte“
ein. „Wir wollen mit der Entmilitarisierung der internationalen Politik
bei uns anfangen.“ Ein „peace enforcement“ durch Kampfeinsätze
komme nicht in Frage. Nur das Zusammenwirken von wirtschaftlicher und politischer
Integration, so war zu erfahren, könne eine dauerhafte Friedens-Perspektive
schaffen. Und: „Bündnis 90/Die Grünen sind nicht bereit, militärische
Friedenserzwingung und Kampfeinsätze mitzutragen.“
Bezüglich der Frage, ob denn die Nato das zentrale Organ beim Friedenschaffen
mit Angriffswaffen sein dürfe, versprachen die Grünen noch vor knapp
einem Jahr, der Welt ein Beispiel geben zu wollen: Die OSZE müsse gestärkt,
die Nato zurückdrängt werden, war fettgedruckt zu lesen. „Für
eine Politik der Friedenssicherung (‚peace-keeping‘) sind multinationale
Einheiten zu schaffen, die der direkten Verfügungsgewalt der Vereinten Nationen
und der OSZE unterstellt werden. ... Nur durch Entmilitarisierung und das Primat
der Politik ist erreichbar, dass zivile Konfliktbearbeitung nicht mehr dem alten
militärischen Denken untergeordnet wird.“ Friedenspolitik könne
sich dabei „nicht hinter Bündniszwängen oder vermeintlichen internationalen
Notwendigkeiten verstecken“. Das Ziel bleibe, so versprachen die Grünen,
die „Entmilitarisierung der Politik – bis hin zur Abschaffung der
Armeen und zur Auflösung der Nato“.
Die neue Bundesregierung war noch nicht im Amt, da war jede einzelne dieser Aussagen
bereits obsolet geworden. Der Drohung der Nato, Serbien zu bombardieren, stimmten
auch die Grünen im Oktober 1998 im Bundestag zu. Selbst die Tatsache, dass
ein Mandat der Vereinten Nationen nicht existierte und bis heute nicht existiert,
konnte die ehemaligen Pazifisten nicht davon abhalten, mit Volker Rühe und
Klaus Kinkel ein Friendly takeover zu praktizieren: Joschka Fischer rechtfertigte
damals die Unterstützung der noch amtierenden Kohl-Regierung lapidar: „Weil
es in dieser Situation nicht anders ging.“ Man habe „eine humanitäre
Katastrophe und Bedrohungen des Friedens in der Region abzuwenden“ gehabt.
Von einer „direkten Verfügungsgewalt der Vereinten Nationen und der
OSZE“ (Wahlprogramm) war wenige Wochen nach der Bundestagswahl keine Rede
mehr. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die UN-Charta militärische
Gewalt grundsätzlich verbietet und lediglich im Fall der Selbstverteidigung
oder der Wiederherstellung des Friedens durch die UN zulässt. Den Terminus
„humanitäre Intervention“ kennt das Völkerrecht nicht. Der
Friedensforscher Reinhard Mutz bilanzierte: „Weder eine gültige Rechtsquelle
noch ein Präzedenzfall bieten die rechtliche Grundlage für ein militärisches
Vorgehen im Kosovo.“ US-Verteidigungsminister William Cohen sprach im Gegensatz
zu den Grünen denn auch offenherzig von einem „Angriff gegen Jugoslawien“.
Ein Angriffskrieg aber, das weiß das Grundgesetz im Gegensatz zu Außenminister
Fischer, ist, weil verfassungswidrig, verboten.
Nicht minder verständnisvoll zeigten sich die grünen Machthaber, als
Ende des Jahres 1998 die USA Bagdad bombardierte: Die „friedens“-politische
Sprecherin der Partei, Angelika Beer, nannte den Militärschlag „riskant,
aber verständlich“. Antje Radcke, dem linken Parteiflügel zugerechnete
Vorstandssprecherin, sekundierte, der Angriff sei zwar „völkerrechtlich
bedenklich“, aber „Saddam Hussein hat eine Reaktion provoziert“.
Und der zuständige Minister selbst dekretierte: „Saddam Hussein trägt
die Verantwortung für den Angriff.“ Einen Golfkrieg vorher, im Jahr
1991, hatte Fischer Helmut Kohl noch dazu aufgefordert, den USA die Gefolgschaft
zu verweigern. Heute aber regiert der „Pazifismus unter den aktuellen Bedingungen“
(Fischer) bzw.: „Zu sagen: Militär ist blöd, damit will ich nichts
zu tun haben“ (Angelika Beer).
Ende Februar stimmten 556 Abgeordnete aller Fraktionen dem Antrag der Bundesregierung
zu, 6000 Soldaten samt Leopard-II-Panzern ins Kosovo zu schicken – die PDS-Fraktion
stimmte als einzige geschlossen dagegen. Zuvor hatte Außenminister Fischer
seine Bereitschaft erklärt, zur Not auch ohne Mandat der vereinten Nationen
zuzuschlagen – man dürfe „Bedenken nicht erst nach einer humanitären
Katastrophe hintanstellen“. Dass auch die Grünen nun keine innerparteilichen
Strömungen mehr, sondern nur noch einen Marschbefehl für die Bundeswehr
kennen, verwundert nur auf den ersten Blick. Die ideologische Grundlage dafür,
dass deutsches Militär jetzt Kampfeinsätze im Ausland absolvieren soll,
haben die Grünen bereits vor vier Jahren erarbeitet.
Damals, im Juni 1995, stimmte der Bundestag einer Beteiligung deutscher Truppen
am „Friedenseinsatz“ in Bosnien zu. Nur vier Vertreter der grünen
Fraktion (Gerd Poppe, Marieluise Beck, Helmut Lippelt und Waltraud Schoppe) gaben
der Intervention ihr Placet. Joschka Fischer dagegen äußerte damals
noch die Befürchtung, „dass es weitergehen wird und die Selbstbeschränkung
deutscher Außenpolitik ad acta gelegt wird“. Erst nach dem Fall von
Srebrenica und den Berichten über Massaker serbischer Truppen im August 95
ergriff er die Gelegenheit und redete in einem Offenen Brief an die Partei ihrer
noch immer zögerlichen Mehrheit ins Gewissen: „Können wir Prinzipien
höher stellen als Menschenleben, und was wird aus unserem Prinzip der Gewaltfreiheit,
wenn es sich vor der menschenverachtenden Gewalt beugt? Wie muss sich eine gewaltfreie
Partei, die sich in ihrem Gründungsprogramm zum Notwehrrecht klar und eindeutig
bekennt, in diesem Konflikt zwischen Notwehrrecht und Gewaltfreiheit verhalten?“
Dass auch die Sorge des Außenministers in spe um das Notwehrrecht der Bundesrepublik
Deutschland gegen bosnische Kriegsflüchtlinge schon 1995 eine Rolle gespielt
hat, darauf weist Fischers Argument, Europa könne sich gegenüber Bosnien
nicht so verhalten „wie zum Beispiel (gegenüber) dem Sudan oder Afghanistan“.
Aus der Nähe ergebe sich „ein wesentlich anderes Gefährdungspotential
für die näheren und ferneren Nachbarn“.
Fischers erste Intervention zugunsten „friedensichernder“ Einsätze
einer Armee, die noch 1999 37 ihrer Kasernen nach ehemaligen Hitlergenerälen
benannt hat, schien ein öffentliches Bewerbungsschreiben an das Auswärtige
Amt zu sein. Was folgte, war ein innerparteilicher Blitzkrieg der Bellizisten.
Daniel Cohn-Bendit, grüner Europaabgeordneter und Frankfurter Multikulturdezernent,
kritisierte im August 1995 im „Taz“-Interview die „Halbherzigkeiten“
der Grünen gegenüber den bosnischen Serben und nannte die Motivation
für den außen- und militärpolitischen Paragdigmenwechsel der Grünen:
„Eine Partei, die auf Bundesebene regierungsfähig werden will, muss
in der Außenpolitik zu einer Linie finden, die von den Bündnispartnern
der Bundesrepublik akzeptiert wird.“ Zu Fischers damaliger Ansicht, deutsche
Soldaten sollten sich jedenfalls an „friedenerzwingenden“ Einsätzen
auf dem Balkan nicht beteiligen, meinte Cohn-Bendit: „Wenn Fischer einmal
Außenminister ist, wird er diese Haltung nicht beibehalten können.“
Auch die Parteilinke knickte nur acht Wochen später, im Oktober 1995, ein.
Ludger Volmer forderte auf dem Strategiekongress der Grünen in Bonn/Bad Godesberg
eine deutsche Beteiligung an bewaffneten internationalen Einheiten: „Nicht
jede Gewalt ist militärische Gewalt“, räsonierte Volmer über
den Einsatz so genannter „Konfliktschlichter-Einheiten“, die der OSZE
unterstellt sein sollten. Fischer warf den Gegnern deutscher Militäreinsätze
vor, seine Karriere zu gefährden: „Falls die Partei die fundamentale
Absage an militärische Gewalt ernst meint und für eine Abschaffung der
Bundeswehr und den Austritt aus der Nato Planungen vorlegt, wird sie für
eine Regierungsbeteiligung im Bund weder einen Partner noch eine Mehrheit finden.
Alle wissen es, aber keiner und keine sagt es.“
Es dauerte keine zwei Monate, da sprachen sich die Grünen im Dezember auf
ihrem Parteitag in Bremen gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aus und befürworteten
im gleichen Atemzug den Einsatz leicht bewaffneter deutscher „ziviler Kontingente“
im Rahmen von UN oder OSZE. Die Forderung, im Falle von „Völkermord“
auch Kampfeinsätze zuzulassen, erhielt schon damals 37 Prozent der Stimmen.
Werner Schulz, Parlamentarischer Geschäftsführer, erklärte, warum
er trotz eines entgegengesetzten Beschlusses des Parteitages für einen Einsatz
der Bundeswehr in Bosnien stimmen werde: „Ich finde gegen den Antrag der
Bundesregierung einfach keine überzeugenden Argumente.“ Dem haben sich
seine Fraktionskollegen in der Folgezeit mehr oder weniger angeschlossen.
Seit Oktober vergangenen Jahres sind die Grünen nun selbst Teil der Regierung,
was die Radikalisierung der deutschen Außenpolitik beschleunigte. 1999 ist
Fischer offenbar schon in Deutsch-Südwest angekommen: Ende Februar erklärte
er seinen grünen Parteifreunden aus ganz Europa mit Blick auf das Kosovo
in klassischem Neusprech: „Es geht hier nicht um traditionelle nationale
Politik, die auf Armeen und militärischer Stärke beruht; wir reden hier
darüber, wie man einen Genozid vermeidet, nicht nur in Europa, es ist sehr
wichtig, nach Afrika zu sehen.“ Am grünen Wesen soll die Welt genesen;
und was ein Genozid ist, das bestimmt immer noch der deutsche Außenminister.
Der „Woche“ sagte der Außenminister Anfang des Jahres: „Die
Regierungsbeteiligung hat uns alle verändert – alle, nicht nur mich.
Wir haben andere Rollen übernommen, und das ist gut so“ – allerdings
ist es auch nur zum Teil richtig. Fischer und Volmer, Beer und Trittin sind in
Regierungsamt und -würden, weil sie sich längst verändert hatten.
Nicht 1998, sondern im Juni 1995, als der deutsche Bundestag den Kriegseintritt
in Bosnien beschloss, entdeckten die Grünen den diskreten Charme der Regierungsverantwortung
und richteten Theorie und Praxis von diesem Moment an darauf aus. Die „FAZ“
lobte schon damals Fischers Realitätssinn: „Wer Außenminister
werden will, der muss auch Gewalt als politische Option anerkennen.“ Das
ist beinahe schon Brecht, der in der „Maßnahme“ verkündete,
es sei „diese tötende Welt / Nur mit Gewalt zu verändern / Wie
jeder Lebende weiß“. Was der Dichter als Lehrstück für Kommunisten
formuliert hatte, macht der Außenminister heute, fast siebzig Jahre später,
zum Credo seiner Amtsführung – aus dem „Revolutionären Kampf“
des Joseph Fischer ist ein deutscher Kampfeinsatz geworden. |
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