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Informatik
und Heeresgerät
Thomas Goldstrasz und Henrik Pantle
1997 Die Entwicklung
des Computers während des Zweiten Weltkriegs
Einleitung
Dieser Text stellt fest, dass die technische Informatik zufällig Heeresgeräte
weiterentwickelt.
Dazu wird im ersten Kapitel „Krieg als Problem der Informationsverarbeitung“
eine These von Friedrich Kittler vorgestellt, die besagt, dass dies notwendig
so sei. Darüber hinaus wird, anhand einiger Geschichten und einer Analyse
über den Zusammenhang von Krieg und Medienentwicklung im Allgemeinen, die
mediale Produktivkraft des Krieges plausibel gemacht.
Im Kapitel „Der Kryptologe Alan Turing“ findet diese These ihre Unterstützung
auch für die Entwicklung des Computers im und wegen des Zweiten Weltkrieges.
Das vierte Kapitel „Der Privaterfinder Konrad Zuse“ zeigt dann aber
eine in den entscheidenden Phasen unabhängige Parallelentwicklung, die vielmehr
trotz als wegen des Zweiten Weltkriegs möglich war, und behauptet deshalb,
dass der Computer auch ohne WK II gebaut worden wäre.
Das fünfte Kapitel „Was vom Kriege übrig blieb“ weist in
die Nachkriegsgeschichte des Computers, stellt fest, dass die heutigen Computer
zwar aus der „Heeresgerät“-Seite der Entwicklung entstanden sind,
aber deshalb nicht notwendigerweise nur Kriege die Innovationschübe bieten
können, die zu neuen Medien führen.
Es sind auch friedliche Strukturen denkbar und da, die die gleiche Kraft (und
nur die Hälfte der Hässlichkeit von Kriegen) haben.
Zwischendurch werden einige Untersuchungen über den Gebrauch von Wörtern
angestellt.
Krieg als Problem der Informationsverarbeitung
„Die
Rettung Europas“, sagt Konrad, „hängt davon ab, wie schnell Nachrichten
übermittelt werden können, und von gegenseitiger Verständigung,
stimmt’s? Und was haben wir in Wirklichkeit? Eine Anarchie von eifersüchtigen
deutschen Fürsten. Hunderte davon machen Pläne und Gegenpläne,
zerstreiten sich untereinander und zersplittern die ganze Kraft des Reiches mit
ihrem Gezänk. Wenn nun jemand, egal wer, die Nachrichtenlinien zwischen all
diesen Fürsten in der Hand hätte, hätte er damit auch die Fürsten
selber in der Hand. Dieses Netz könnte eines Tages den ganzen Kontinent vereinigen.
Ich schlage also vor, dass wir uns mit dem alten Feind Thurn und Taxis zusammentun
[...]. Wenn wir zusammenhalten“, sagt Konrad, „kann uns keiner beikommen.
Wir könnten also jeden Dienst, der nicht dem Reiche zugute kommt, einfach
verweigern. Niemand könnte ohne unser Wissen Truppen bewegen oder landwirtschaftliche
Produkte transportieren oder was weiß ich noch alles. Sowie ein Fürst
auch nur versucht, sein eigenes Kuriersystem aufzubauen, wird das von uns vereitelt.“
(Vv49: 140)
Eine Allmachtsphantasie aus dem berühmten Dreißigjährigen Krieg,
nachempfunden vom nicht minder berühmten Thomas Pynchon, dem wohl perfidesten
und auch paranoidesten unter den Schriftstellern, die sich mit dem Krieg beschäftigt
haben. Wer auch immer dieser im obigen Zitat auftretende Konrad sein mag; er sagt
interessante Dinge: Er zeichnet die Kriterien vor, an denen sich ein Kommunikationssystem
bis heute messen lassen muss. Die Geschwindigkeit der Übertragung von Information,
und deren Verständlichkeit. Dass er hier ein weiteres Kriterium unterschlägt,
liegt in der Natur seiner Rede: Das nämlich, wie gut fest- bzw. sicherzustellen
ist, ob der Brief unbeschädigt, unverfälscht, ungelesen und unkopiert
beim Adressaten ankommt: Das Speicher- und Übertragungsmedium sollte haltbar
und sicher sein. Oder zumindest, und das ist Konrads kriegerischer Hintergedanke,
sollte der Benutzer glauben, dass sein Kommunikationssystem sicher sei. Je fester
dieser Glaube ist, je weniger die Sicherheit eines Systems in Frage gestellt wird,
desto besser kann man es gegen seine Benutzer verwenden. – Die Geheimhaltung
und die Desinformation brauchen Strategien, die den Krieg unter anderem zu einem
Problem der Informationsverarbeitung machen:
Wenn die sich postalisch zankenden Fürsten effektiv genasführt würden
– z. B. indem durch ein Modul im Briefnetz alle Informationen planvoll umgeschrieben
würden, alle Pläne abgestimmt, alle Beleidigungen in Bauchpinseleien
verwandelt würden und jede Eifersüchtelei geschickt gekühlt, dann,
so stellt sich Konrad die Rettung Europas wohl vor, könnte das Gezänk,
durch einen geheimdienstlichen Zaubertrick während der Zustellung, schlicht
invertiert werden. Aber, wie Bernhard Siegert mit Recht sogleich einwendet, „sie
haben das Reich nicht vor dem Zerfall bewahrt. So wie Konrads Bundesgenossen,
von Locke bis Habermas, das Reich der Sprache nicht vor ‘sinnlosem Gezänk’
gerettet haben. Immer bleibt der ewige Friede, das Reich der Engel, aus am Ende.“
(R: 7)
Ob dieser eingeschobene Rüffel, in die unklare Richtung „Locke bis
Habermas“, sinnvolles Gezänk ist, sei einmal dahingestellt; sicher
ist, dass Konrad sich hier zu viel vorgenommen hat. Es braucht nur ein Fürst
andere Fürsten persönlich zu treffen, oder mit ihnen zusammen ein neues,
dem Konrad unbekanntes Zankaustauschsystem zu etablieren, schon hat er seine Allmacht
verloren, und – wenn die mit einem neuen Kommunikationssystem ausgestatteten
Fürsten es darauf anlegen- einen mächtigen, weil mit unbekannten Waffen
kämpfenden, Feind gefordert (oder auch: gefördert). Dass dies immer
wieder der Fall ist, dass niemand es je geschafft hat, die Kontrolle auch nur
über einen Länder-, Kontinente- oder sogar Welt- umspannenden Informationsfluss
lange in der Form aufrecht zu erhalten, daß er ihn ohne Zwischenfall für
seine Macht- oder Kriegsinteressen benutzen konnte, dafür liefert die Geschichte
(der Medien) genügend Beispiele: Die Informationskommandos der Gegenmächte
schlafen nicht! Z.B. ein Fall aus dem Zweiten Weltkrieg, den Friedrich Kittler
wie folgt überliefert:
Die Battle
of Britain, Görings vergeblicher Versuch, die Insel fürs geplante Unternehmen
Seelöwe sturmreif zu bomben, startete mit einem Trick der Waffensystemsteuerung:
Die Luftwaffenbomber wurden unabhängig von Tageslicht oder Nebellosigkeit,
weil sie auf Funkwellen ritten. Zwei Richtstrahlsender an Britanniens eroberter
Gegenküste [...] bildeten die Schenkel eines ätherischen Dreiecks, dessen
Spitze die Funkleitung jeweils genau über die Bombenzielstadt legte. Der
rechte Sender strahlte unablässig das Da Da von Morsestrichen in den rechten
Pilotenkopfhörer, der linke Sender – und zwar exakt in den Impulspausen
der Striche – sendete ebenso unablässig das Did Did von Morsepunkten
in den linken. Mit dem Effekt, dass bei Abweichung vom ferngesteuerten Kurs die
schönste [...] Pingpong – Stereophonie herauskam. Wenn aber die Heinkel
genau über London oder Coventry stand, dann und nur dann verschmolzen die
Signalströme aus beiden Kopfhörern [...] zu einem einzigen Dauerton.
[...] Welche Mühe die britische Abwehr hatte, stereophone Fernsteuerungen
zu knacken, erzählt Prof. Reginald Jones, ihr technischer Chef. Weil die
Richtfunksender der Luftwaffe in Frequenzbereichen noch jenseits von UKW arbeiteten,
für die der Secret Service 1940 nicht nur keine Empfangsmessgeräte,
sondern den Begriff selber nicht besaß, half nur eine profane Erleuchtung.
[...] [Nachdem sie ihm gekommen war, ließ Jones] abgestimmte Empfänger
konstruieren, die die Luftwaffensender und deren Angriffziele ihrerseits orteten.
Die Luftschlacht über England war gewonnen. (Auch wenn der Kriegsherr Churchill,
um die Geheimnisenthüllung nicht wieder dem Feind zu enthüllen, die
Evakuierung der Zielstadt Coventry lieber verbot.) (GFT: 154ff.)
Ein Gefecht um ein Informationssystem. Dass seine Entscheidung allein die gesamte
Entscheidung der Luftschlacht über England ausgemacht hat, ist wohl etwas
vorschnell kombiniert – es brauchte dazu denn doch noch die Entwicklung
der Radartechnik, den Ausbau der Überlegenheit der alliierten Luftwaffe durch
Langstreckenjäger und Langstreckenbomber und einiges mehr: ein Feind, dessen
Ziele man kennt, muss immer noch davon abgebracht werden, sie zu verwirklichen.
Aber Wissen ist der erste Schritt.
Churchill würde, wenn er nicht vom Wert seines Wissens überzeugt gewesen
wäre, kaum diese moralisch brenzlige Entscheidung getroffen haben, es um
den Preis von Menschenleben geheim zu halten, um es in einer strategisch besseren
Situation ausspielen zu können. Eine informationspolitische Handlung, die
auf ihre groteske Weise verdeutlicht, als wie kriegswichtig ein Informationsvorteil
angesehen wird.
Analyse des Gefechts: 1) Ein neues System wird eingesetzt (UKW – Funk),
das die Anderen nicht kennen. 2) Ein Code wird verwendet (Stereophones Morse DaDa
– Did Did, das in Kombination mit einem Ort einen einzelnen Ton ergibt),
dessen Sinn (Fernsteuerung, Zielbestimmung) den Anderen nicht bekannt ist. 3)
Das System wird von den Anderen entdeckt, verstanden und ebenfalls benutzt (Bau
der Empfänger). 4) Der Code wird entschlüsselt (Bestimmung der Ziele),
woraufhin 5) die Informationslage, in der gefochten wird, unter neuen Vorzeichen
steht.
Dieses Muster zieht sich, seit über den Krieg geschrieben wird, mehr oder
minder vollständig durch wirkliche wie erfundene Kriegsgeschichten. „Wie“,
fragt zum Beispiel Bernhard Siegert, „reagiert ein Schriftsteller wie Kleist,
dessen Schriften den modernsten Stand militärischer Strategie propagieren,
auf den Telegraphen [...], der ja nur ‘zur Versendung ganz kurzer und lakonischer
Nachrichten’ taugt“? (EeB: 385) Nun, er entwirft ganz einfach ein
zeitgemäßes Literaturverteilungssystem, das den Feind (Zensor) nicht
mehr auf geheimen Postwegen zu umwandern braucht, sondern ihn, in kriegs- und
krisengerechter Tarnung, überfliegt:
Demnach
schlagen wir [...] eine Wurf- oder Bombenpost vor; ein Institut, das sich auf
zweckmäßig, innerhalb des Raums einer Schussweite, angelegten Artilleriestationen,
aus Mörsern oder Haubitzen, hohle, statt des Pulvers, mit Briefen und Paketen
angefüllte Kugeln, die man ohne alle Schwierigkeiten, mit den Augen verfolgen,
und, wo sie hinfallen, falls es kein Morastgrund ist, wieder auffinden kann, zuwürfe.
(EeB: 386)
Ein Witz? Man weiß es nicht genau. Jedenfalls ein Vorschlag, in Stufe Eins
der Gefechte um einen Informationsfluss einzusteigen. Der Code, Stufe Zwei, wäre
in diesem Falle nichts geringeres, als die verschlungene Prosa eines Heinrich
von Kleist, und könnte sich in der Dichte seiner formalen Möglichkeiten
durchaus neben der härtesten Kryptologie heutiger Tage sehen lassen. Er ist
nicht realisiert worden; wahrscheinlich weil Dichter, im Gegensatz zu Mathematikern,
ihre Zeichen nicht verwalten können; der Klartext würde zu verschwommen
werden.
Aus dem Muster solcher Geschichten lässt sich erkennen, dass der Krieg einen
besonders fruchtbaren Boden für die Entwicklung neuer Medien, sowie Codierungs-
bzw. Decodierungssystemen, bietet. Immer wieder müssen neue Systeme eingeführt
werden um einen geheimen Informationsaustausch zu sichern. Immer wieder werden
sie entdeckt und geknackt und bleiben nicht länger ein Vorteil ...
Friedrich Kittler analysiert die großen Kriege der Weltgeschichte als Zeit
der Etablierung Neuer Medien und die Nachkriegszeiten als deren bürgerliche
Massenverwendung:
Um die
Weltgeschichte (aus geheimen Kommandosachen und literarischen Durchführungsbestimmungen)
abzulösen, produzierte das Mediensystem in drei Phasen. Phase 1, seit dem
amerikanischen Bürgerkrieg, entwickelte Speichertechniken für Akustik,
Optik und Schrift: Film, Grammophon und das Mensch-Maschinesystem Typewriter.
Phase 2, seit dem Ersten Weltkrieg, entwickelte für sämtliche Speichermedien
die sachgerechten Übertragungstechniken: Radio, Fernsehen und ihre geheimeren
Zwillinge. Phase 3, seit dem Zweiten Weltkrieg, überführte das Blockschaltbild
einer Schreibmaschine in die Technik von Berechenbarkeit überhaupt; Turings
Definition von Computability gab 1936 kommenden Computern den Namen.
Speichertechnik,
1914 bis 1918, hieß festgefahrener Stellungskrieg von Flandern bis Gallipoli.
Übertragungstechnik mit UKW-Panzerfunk und Radarbildern, dieser militärischen
Parallelentwicklung zum Fernsehen, hieß Totalmobilmachung, Motorisierung
und Blitzkrieg vom Weichselbogen 1939 bis Corregidor 1945. Das größte
Computerprogramm aller Zeiten schließlich, dieser Zusammenfall von Testlauf
und Ernstfall, heißt bekanntlich Strategic Defense Initiative. Speichern/
Uebertragen/Berechnen oder Graben/Blitz/ Sterne. Weltkriege von 1 bis n. (GFT:
253)
Ein kurzer Blick auf Phase 2 – Radio und Fernsehen im Ersten Weltkrieg –
um eine Vorbereitung für den langen Blick auf Phase 3 – Computer im
Zweiten Weltkrieg – zu haben:
Zwar wurde das technische Gerät zur Übertragung von Radiowellen 1903
von dem Berliner TU-Professor Adolf Slaby entwickelt, und die erste „Radiosendung“
1906 von Reginald A. Fessenden von der University of Pennsylvania an all die wenigen
drahtlosen Schiffstelegraphen der Welt gesendet, es musste aber, so Friedrich
Kittler, „erst noch ein Weltkrieg, der Erste, ausbrechen, um Poulsens Lichtbogensender
auf Liebens oder Forests Röhrentechnik und Fessendens Experimentalanordnung
auf Massenproduktion umzustellen.“ (GFT: 148) Was wahrscheinlich so viel
heißen soll, wie, dass die Radiotechnik ohne den Ersten Weltkrieg in den
Kellern von Universitäten eingestaubt wäre. Denn in den Jahren 1914-18,
in denen die Entwicklung von Verstärkerröhren höchste Dringlichkeitsstufen
erhielt – die beiden neuen Waffengattungen Kampfflugzeug und U-Boot setzten
drahtlose Kommunikation voraus – wuchsen die Funkertruppen (von ca. 6000
auf ca 190 000 Mann) exponentiell an (Vgl. GFT: 148f). So dass sich irgendwann,
in der Ödnis eines zähen Stellungskrieges irgendwo in den Ardennen,
neue Möglichkeiten der Unterhaltung erschließen ließen:
Schützengrabenbesatzungen
hatten zwar kein Radio, aber „Heeresfunkgeräte“. Vom Mai 1917
an konnte Dr. Hans Bredow, vor dem Krieg AEG-Ingenieur und nach dem Krieg erster
Staatssekretär des deutschen Rundfunks, „mit einem primitiven Röhrensender
ein Rundfunkprogramm ausstrahlen, bei dem Schallplatten abgespielt und Zeitungsartikel
vorgelesen wurden. Der Gesamterfolg war jedoch dahin, als eine höhere Kommandostelle
davon erfuhr und den ‚Missbrauch von Heeresgerät? und damit jede weitere
Übertragung von Musik und Wortsendungen verbot.“ (GFT: 149)
Genau in der von ihm zitierten Wendung aus dem Funkspruch einer „höheren
Kommandostelle“ findet Kittler den Anstoß zur Formulierung seiner
allgemeinen These „Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wortsinn Missbrauch
von Heeresgerät“ (GFT: 149) und belegt diese für den Ersten Weltkrieg
anhand der bürgerlichen Karriere von Kriegsfunkgeräten und deren übrig
gebliebenem Bedienungspersonal.
Die Inspektion der Technischen Abteilung der Nachrichtengruppe (Itenach) [...]
gründete eine Zentralfunkleitung (ZFL), die am 25. November [1918] vom Vollzugsrat
der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin auch Funkbetriebserlaubnis empfing.
Ein „Funkerspuk“, der die Weimarer Republik im technischen Keim erstickt
hätte und darum sogleich zum „Gegenangriff“ Dr. Bredows führte.
Einfach um anarchistischen Missbrauch von Heersfunkgerät zu verhindern erhielt
Deutschland seinen ersten Unterhaltungsfunk. (GFT: 150)
Kittlers Satz vom Missbrauch und sein medientheoretisches Produktionsmodell der
Kriege besagen, dass es ohne Kriege keine Neuen Medien gibt. Allein Kriege besitzen
die Wucht einen medialen Innovationsschub anzustoßen. Für die (Massen-)
Entwicklung des Computers also musste nach Kittler erst noch ein Weltkrieg, der
Zweite, ausbrechen. Er ist vorbei und wird beschrieben. Seine Geschichte hat sich
um 50 Jahre Geschichte fortgeschrieben. Vorläufig – kann sie anders
gelesen werden.
Der Kryptologe Alan Turing
Was hatte Hardy in seiner Apology geschrieben? „Die wahre Mathematik hat
keinerlei Einfluß auf Kriege. Noch nie hat jemand irgendeinen kriegerischen
Zweck entdeckt, den die Zahlentheorie erfüllen könnte...“ Der
alte Knabe hatte nicht annährend eine Ahnung gehabt, was noch alles geschehen
würde.
Robert Harris, Enigma
Der in seinem kurzen Leben spät geschriebene Aufsatz „Computing Machinery
and Intelligence“ (1950) des „legendären britischen Mathematikers,
Logikers, Kryptoanalytikers und Computerkonstrukteurs Alan Mathison Turing (1912-1954)“
(E: Klappentext) beginnt mit dem Satz: „Ich beabsichtige die Frage zu erörtern:
‚Können Maschinen denken?‘“. Um diese Frage zu diskutieren
sorgte er zuerst für eine Testumgebung für „denken“: Das
von ihm so genannte Imitationsspiel; der heute so genannte Turingtest. Ein Fragesteller
(F) kommuniziert mit einem antwortenden Computer oder Menschen (A) so, dass er
ihn nicht sieht und seine Antworten nur in maschinenschriftlicher Form erhält
(Turing schlug 1950 die Kommunikation über einen Boten oder einen Fernschreiber
vor; heute ist es nicht schwer, sich eine E-Mail Variante vorzustellen). Fs Aufgabe
ist es, durch geschicktes Fragen herauszufinden, ob er mit einer Maschine oder
mit einem Menschen redet. Sollte es in diesem Test einer Maschine gelingen, von
F für einen Menschen gehalten zu werden, so müsste das, was sie getan
hat um ihn zu überlisten, mit „denken“ beschrieben werden. Einen
möglichen Dialog zwischen A und F skizziert Turing so: „F: Bitte schreiben
Sie ein Sonett über das Thema der Forth-Brücke. [Eine Brücke über
den Firth of Forth in Schottland] A: Da kann ich nicht mitmachen. Ich habe noch
nie dichten können. F: Addieren Sie 34957 und 70764. A: (Pause von etwa 30
Sekunden und dann die Antwort:) 105721. F: Spielen Sie Schach? A: Ja. „(GEB:
634) Woraufhin F eine Schachaufgabe stellt, die A für einen Menschen sehr
fix, für einen Computer aber eher langsam löst ...
Orientiert am heutigen Stand der Technik, kann man sagen, dass dieser Test einige
Schwierigkeiten mitbringt. Es gibt mittlerweile Programme, die es geschafft haben,
zumindest einige Fs davon zu überzeugen, sehr gute, beinah übermenschliche
Kommunikationseigenschaften zu haben: „Es kam oft vor, dass Leute um die
Erlaubnis baten, sich mit dem System [ELIZA von Joseph Weizenbaum] unbeobachtet
unterhalten zu dürfen, und trotz Erklärungen bestanden sie nach der
Unterhaltung darauf, die Maschine habe sie wirklich verstanden.“ (GEB: 639)
Obwohl Weizenbaum selbst darauf besteht, dass ELIZA alles andere tut als denken
und verstehen, wenn es Sätze generiert, hat es den Turingtest mit den besten
Noten bestanden.
Anders herum sind Fälle nicht auszuschließen, in denen ein (vielleicht
etwas zu skeptischer) F einen Menschen durch den Turingtest fallen lässt.
Wir selbst haben bei Echtzeitkommunikation im Internet schon oft daran gezweifelt,
es mit einem Menschen zu tun zu haben, wenn wir zum Beispiel ständig dazu
aufgefordert wurden, unsere Sätze noch einmal anders zu formulieren, oder
nur „abgedroschene Phrasen“ zu lesen bekamen; – manchmal hat
sich, z. B. weil der Andere im Raum nebenan saß, unser Irrtum sehr einleuchtend
aufklären lassen. – Der Turingtest könnte also dazu führen,
dass von einem F eine merkwürdige Menge aus Menschen und Maschinen das Prädikat
„denken“ erhielte und eine sehr seltsame Menge von Menschen und Maschinen
für ihn nicht denken würde; – von anderen Fs würden sehr
wahrscheinlich jeweils andere Referenzmengen gebildet werden.
Diese Kritik am Turingtest klingt wie der Versuch eines siegertschen Sprachreinigers,
den Lockesatz ‚Wenn jemand zu einem anderen spricht, so will er verstanden
werden‘ zu retten: (VmV: 5) Wenn „denken“ von Einem auf
alle Menschen, von einem Anderen aber ohne Ambiguität auf einige Menschen
und einige Maschinen angewendet wird, werden diese beiden es schwer haben, sich
zu verstehen, wenn sie bei einer Unterhaltung das Wort „denken“ benutzen.
– Sollten sie einander verstehen wollen, dann wird diese Schwierigkeit behoben
werden müssen. Vielleicht durch eine Vereinbarung über die Verwendungsweise
des Wortes „denken“.
Locke selbst hat Diskurse danach unterschieden, wie wichtig die Klarheit von Worten
für sie sind. Es ist durchaus mit Lockes Philosophie kompatibel, eine Diskursform
(z. B. den „Diskurs des reinen Zanks“) einzuführen, in dem Klarheit
und Verstehen keine Rolle spielen. Im Alltagsgebrauch genügt es für
Locke, wenn sich die Bedeutungen der Worte bei den verschiedenen Sprechern ausreichend
ähneln. Nur wenn es um einen wissenschaftlichen Diskurs geht, dann fordert
Locke die Deckungsgleichheit der Wortbedeutungen von jedem, der sich daran beteiligt,
denn sonst käme keine Erkenntnis, sondern nur Verwirrung
dabei herum.
Dass diese Deckungsgleichheit wohl – auch bei wissenschaftlichen Diskussionen
– selten völlig erreicht wird (Streitereien um Begriffe gehen ja nicht
selten darum, sie wenigstens zu einer funktionierenden Annäherung zu bringen),
ist einer der Gründe dafür, dass die Bedeutungen sich ändern. Einen
solchen Bedeutungswandel des Wortes „denken“ hat Turing selbst vorausgesagt
und einzuleiten versucht. Am Ende seiner Betrachtungen über denkende Maschinen
schrieb er:
Dennoch
glaube ich, dass am Ende des Jahrhunderts der Gebrauch von Wörtern und die
allgemeinen Ansichten der Gebildeten sich so sehr geändert haben werden,
dass man ohne Widerspruch von denkenden Maschinen wird reden können. (GEB:
636)
Ob sich dieser Wandel wirklich noch vollzieht, bleibt abzuwarten. Die allgemeinen
Ansichten der Gebildeten sind da noch – verwirrend uneinig. Manchmal auch:
verwirrt. Turing hat aber den Anstoß zu einem ganz anderen Bedeutungswandel
gegeben, indem er eine bestimmte Art von Arbeit automatisierte. Die Arbeit des
„Computers“:
Unmittelbare
Vorläufer des Computers sind nicht die fortgeschrittenen Rechenmaschinen
sondern junge Frauen. So schreibt der Mathematiker Henry S. Tropp: „Ein
Computer zu jener Zeit (tatsächlich sogar nach der Bedeutung im Wörterbuch
vor 1956 [!]) war ein menschliches Wesen und kein Objekt, Computer waren eine
Gruppe junger Frauen, von denen jede eine einen „programmierten“ Satz
von Instruktionen auszuführen hatte, die geprüft wurden, weitergereicht
für weitere Berechnungen, weitere Prüfungen usw., bis am Ende der Kette
eine Menge von Ergebnissen erschien.“ (FzK: 15)
Die Geschichte der Wandlung des Wortes „Computer“, von jungen Frauen
zur Maschine, ist ein ganzes Stück weit auch die Geschichte Alan Turings.
Für die Kriegsführung im Zeitalter der Funktechnik, in der ein Funkspruch
an Einen eine „Botschaft an alle“ ist, muss Lockes Satz allerdings
im Sinne des scheinbaren Unsinns völlig neu formuliert werden: ‚Wenn
jemand zu allen spricht, so will er nur von den Richtigen verstanden werden!‘
Er chiffriert also seine Texte, und gibt nur dem, der etwas verstehen soll, den
Schlüssel zur Dechiffrierung in die Hand. Alle Anderen stehen vor einem Gewirr
aus Zeichen, das zu entwirren eine Menge von Problemen mit sich bringt; Probleme
von denen der Chiffreur hofft, dass sie unlösbar sind. Probleme, mit denen
sich Turing und seine KollegInnen im Zweiten Weltkrieg ausführlich beschäftigten,
und – um sich vor einem Nervenzusammenbruch zu bewahren – sich nicht
selbst daransetzten, die Spuren des Sinns in den maschinenproduzierten Chiffren
zu verfolgen, sondern ebenfalls Maschinen konstruierten, die den mechanischsten
und irrsinnigsten Teil dieser Arbeit durchlaufen konnten. Und das mit maschineller
Gleichgültigkeit und Geschwindigkeit; – also ohne wahnsinnig zu werden,
und „in jener Echtzeit, auf die bei Blitzkriegbefehlen und rechtzeitigen
Gegenmaßnahmen alles ankommt.“(GFT: 368)
Aber vorher sollte der junge Mathematikstudent Alan Turing noch eine theoretische
Voraussetzung für diese Maschinen schaffen, indem er eine Universelle Maschine
formulierte, um eine der Fragen zu beantworten, die David Hilbert 1928 auf einem
Kongress gestellt hatte:
Erstens:
War die Mathematik vollständig in dem technischen Sinn, dass jede Behauptung
[... der Zahlentheorie ...] entweder bewiesen oder widerlegt werden konnte? Zweitens:
War die Mathematik widerspruchsfrei in dem Sinn, dass die Behauptung „2+2=5“
durch keine Folge von zulässigen Beweisschritten abgeleitet werden konnte?
Und drittens: War die Mathematik entscheidbar? Damit meinte er, ob es ein bestimmtes
Verfahren gab, das im Prinzip auf jede beliebige Behauptung angewendet werden
konnte und das mit Sicherheit zu einer richtigen Entscheidung führte. (E:
108)
Das „Nein“ für die beiden ersten Fragen Hilberts (der selber
gerne alle drei mit „Ja“ beantwortet hätte) hatte Kurt Gödel
auf dem selben Kongress bereits angekündigt, und 1931 mit seinem Aufsatz
„Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und
verwandter Systeme I“ dann auch geliefert.
Es stellte sich so schnell heraus, dass „der Principia Mathematica verwandte
Systeme“ nichts anderes sind, als „jedes beliebige mathematische System,
das umfassend genug [ist], um die Zahlentheorie zu enthalten.“(E: 108),
dass Gödel die durch die „I“ versprochene Fortsetzung seines
Aufsatzes, in der es wahrscheinlich um die Reichweite seiner Idee gehen sollte,
überhaupt nicht mehr schreiben musste. Das Paradox, das Gödel mit einem
einfachen Trick, der Gödelisierung, aufstellte, wirkte wie eine Kopernikanische
Wende auf alle Mathematiker, die sich in einer Welt eingerichtet hatten, in der
es „so etwas wie ein unlösbares Problem nicht
gibt„. Der Trick war, einen Code zu formulieren, mit dem man die Sätze
einer Zahlentheorie innerhalb dieser Zahlentheorie darstellen kann. Ein solcher
Code ermöglicht es nämlich, einen selbstbezüglichen Satz zu konstruieren,
der innerhalb des Axiomensystems, in dem er steht, nicht entscheidbar ist; –
man würde sich beim Versuch, seine Gültigkeit mit Hilfe seines erzeugenden
Systems zu beweisen, ähnlich wie beim Lügnerparadox (der Behauptung
„Ich lüge jetzt“), ständig in Widersprüche verwickeln.
Man konnte seine Gültigkeit erst erkennen, wenn man ihn außerhalb seines
Systems betrachtet. Es gab also gültige Sätze, die außerhalb der
Arithmetik standen. Damit hatte Gödel gezeigt, dass sie unvollständig
ist. Ein weiterer Punkt ist, dass in dieser Argumentation Gödels angenommen
wurde, dass die Arithmetik widerspruchsfrei sei. Wäre das nicht der Fall,
dann wäre jede zahlentheoretisch formulierte Behauptung beweisbar. Gödel
hatte damit gezeigt, dass die formalisierte Arithmetik nicht gleichzeitig widerspruchsfrei
und vollständig sein kann.
Offen blieb an dieser Stelle also noch Hilberts dritte Frage. Sie war der Gegenstand
der folgenreichen Arbeit „On Computable Numbers“ (OCN), die „Turings
Leben vom Frühling 1935 an ein ganzes Jahr lang beherrscht hat.“ (E:
129) Die entscheidende Idee kam ihm, als er eine Formulierung M.A.H. Newmans (des
Professors, bei dem er Vorlesungen über Hilberts Programm gehört hatte)
beim Wort nahm. Durch ein mechanisches Verfahren, sagte Newman, müsse sich
die Frage nach der Entscheidbarkeit eines Satzes klären lassen, „und
so träumte Alan Turing von Maschinen“ (E: 113) Viele vor ihm hatten
Verfahren, die bei Beweisen oder Berechnungen angewendet werden, schon mit einer
Maschine verglichen. Metaphern wie „An der Kurbel drehen“ für
„Ein Beweisverfahren anwenden“ hatten sich schon im Sprachgebrauch
der Mathematiker eingebürgert. Turing nahm sich vor, wirklich eine Maschine
zu entwerfen. Einen Schaltplan zu schreiben, der die Kurbel von der Metapher wirklich
aufs Papier bringt.
Dabei war ein wichtiger Punkt, dass das von Turing angestrebte deterministische
Entscheidungsverfahren durch eine symbolverarbeitende Maschine darstellt werden
sollte. Auch hier, so analysiert es Turings detailstarker Biograph Andrew Hodges,
hat sich Turing den entscheidenden Anstoß bei Beobachtungen seiner alltäglichen
Lebenswelt geholt. Auch um Kittlers oben zitierten Satz „Phase 3, seit dem
Zweiten Weltkrieg, überführte das Blockschaltbild einer Schreibmaschine
in die Technik von Berechenbarkeit überhaupt“ genauer zu verstehen,
soll dieser Punkt mit einem längeren Stück Text behandelt werden:
Es gab
natürlich schon Maschinen, die mit Symbolen umgingen. Die Schreibmaschine
war eine davon. Alan hatte schon als Kind davon geträumt, Schreibmaschinen
zu erfinden; Mrs. Turing besaß eine, und er könnte durchaus damit begonnen
haben, sich zu fragen, was gemeint war, wenn man eine Schreibmaschine „mechanisch“
nannte. Es bedeutete, dass ihre Reaktion auf jede einzelne Einwirkung des Benutzers
genau bestimmt war. [...] Die Reaktion hing von dem momentanen Zustand ab, den
Alan die momentane „Konfiguration“ nannte. Insbesondere gab es eine
„Großbuchstaben“ – Konfiguration und „Kleinbuchstaben“-Konfiguration.
Von dieser Vorstellung aus entwickelte Alan eine allgemeine und abstrakte Form.
[...]
Die Schreibmaschine
wies allerdings noch ein anderes, für ihre Funktionsweise wesentliches Merkmal
auf. Der Anschlagpunkt konnte relativ zum Blatt bewegt werden. Der Druckvorgang
selbst war von der Position dieses Punktes auf dem Blatt unabhängig. Alan
fügte auch dies in sein Bild einer allgemeineren Maschine ein. Es musste
innere „Konfigurationen“ sowie eine veränderliche Position auf
einer Druckzeile geben. Die Operation der Maschine wäre dabei von ihrer Position
unabhängig. (E: 114)
Wie diese Abstraktion der Schreibmaschine, angewendet auf Hilberts Entscheidungsproblem,
letztlich aussieht, ist bekannt. Sie ist unter dem Namen Turingmaschine berühmt
geworden. In ihrer luzidesten Version bearbeitet ein Scanner ein unendliches Band,
das in kleine Kästchen aufgeteilt ist, in denen entweder etwas (z. B. eine
„1“) oder nichts (z. B. dargestellt durch ein leeres Kästchen)
steht; was schon exakt die theoretische Vorwegnahme des mechanisierten Digitalen
Prinzips ist, nach dem heute alle Computer funktionieren. Der Scanner kann ein
Kästchen nach links oder rechts rücken, oder stehen bleiben. Und er
kann lesen, löschen und schreiben. Das ist alles.
Mit diesen minimalen Möglichkeiten lassen sich Algorithmen als „Konfigurationsreihen“
bestimmen, die der Scanner zu durchlaufen hat, um eine Funktion zu berechen. Für
alle Funktionen der Form „f(x,y)= x+y“, also der Addition zweier natürlicher
Zahlen, könnte die „Konfigurationsreihe“, so aussehen (wobei
angenommen wird, dass der Scanner anfangs auf irgendeinem Kästchen links
von zwei Gruppen von Einsen steht, die durch ein leeres Kästchen voneinander
getrennt sind):
/Konfig 1/ Wenn das Band leer ist: gehe nach rechts; bleibe in Konfig 1. Wenn
das Band nicht leer (1) ist: gehe nach rechts; wechsle zu Konfig 2. /Konfig 2/
Wenn das Band leer ist: schreibe „1“; gehe nach rechts; wechsle zu
Konfig. 3. Wenn das Band nicht leer ist: gehe nach rechts; bleibe in Konfig 2.
/Konfig 3/ Wenn das Band leer ist: gehe nach links; wechsle zu Konfig. 4. Wenn
das Band nicht leer ist: gehe nach rechts; bleibe in Konfig 3. /Konfig. 4/ Wenn
das Band leer ist: keine Bewegung; bleibe in Konfig 4. Wenn das Band nicht leer
ist: loesche; keine Bewegung; bleibe in Konfig 4.
Dass sich für jede berechenbare Funktion eine solche Konfigurationsreihe
(oder eine äquivalente Beschreibung), also eine Turingmaschine, finden lässt,
können wir hier aus Platzgründen nicht selber herleiten, und wählen
deshalb eine etwas mittelalterliche Beweismethode, indem wir eine Autorität
zitieren:
[W]enn
von einer Funktion nachgewiesen wird, dass sie nicht Turingmaschinenberechenbar
ist, dann folgt aus dieser Überzeugung, dass die Funktion überhaupt
nicht berechenbar ist.
Diese Überzeugung oder Hypothese fasst man unter dem Namen Churchsche These
zusammen, die [...] nicht beweisbar, aber allgemein akzeptiert ist.
Churchsche These:
Die durch die formale Definition der Turing-Berechenbarkeit erfasste Klasse von
Funktionen stimmt genau mit der Klasse der intuitiv berechenbaren Funktionen überein.
(TI: 88)
Damit hatte der junge Turing die Bestätigung des einflussreichen Logikers
Alanzo Church, der zur gleichen Zeit, mit einem völlig anderen Ansatz, Hilberts
dritte Frage verneint hatte, das Entscheidungsproblem mechanisch gelöst zu
haben. Turing hatte eine Maschine von der Mächtigkeit der umfassendsten Axiomensysteme
entworfen; insofern eine Universelle Maschine, als sich alles, was sich im mathematischen
Sinne sagen lässt, immer auch mit Hilfe einer Turingmaschine sagen ließ.
Und alles, was sich in ebendiesem Sinne nicht sagen lässt – nicht berechenbare
Funktionen, nicht entscheidbare Sätze, sich widersprechende Behauptungen
... – würde eine Turingmaschine unendlich lange diskutieren: das sogenante
Halteproblem, das heute für zahlreiche Abstürze, das Schweigen der Computer,
verantwortlich ist.
Dass man jedes Computerprogramm, und damit, weil es, mit Kittler gesprochen, keine
Software gibt, jeden Computer, mit einer Turingmaschine (etwa in Form einer sehr
umfangreichen aber endlichen Konfigurationstabelle oder eines Flußdiagramms)
beschreiben kann, ist der Grund, weshalb „On Computable Numbers“ als
der initiale Aufsatz der Informatik angesehen werden kann. Diese theoretische
Grundlegung des Computers – in vielen Texten werden die Worte „Computer“
und „Turingmaschine“ synonym gebraucht – entstand also nicht
aus Informationsproblemen, die verschlüsselte Blitzkriegkommandos bereiten,
sondern lag in der theoretischen Luft der mathematischen Logik von 1936. Wie sehr
sie in der Luft lag, zeigt auch, dass sie (wie so oft in der Wissenschaft) zur
gleichen Zeit und unabhängig voneinander mehrfach formuliert worden ist.
Der Mathematiker Emil Post hatte ein geradezu tayloristisches Mensch-Maschine
Szenario erfunden, das die gleiche mechanisierte Mächtigkeit aufweist, wie
die Turingmaschine:
Post schlug
vor, dass unter einem „genau festgelegten Verfahren“ eines zu verstehen
sei, das in Form von Anweisungen an einen verstandlosen „Arbeiter“
beschrieben werden könnte, der an einer unendlichen Reihe von „Boxen“
arbeitete und der dazu in der Lage wäre, die Anweisungen zu lesen, sowie
(a) die Box, in der er sich befindet, zu markieren (als leer angenommen)
(b) die Markierung der Box, in der er sich befinde, zu entfernen (als markiert
angenommen)
(c) sich zu der Box zu seiner Rechten zu begeben
(d) sich zu der Box zu seiner Linken zu begeben
(e) festzustellen, ob die Box, in der er sich befindet, markiert ist oder nicht.
(E: 147)
Wäre Turing nicht Post mit der Ausformulierung seines Ansatzes um ein paar
Monate voraus gewesen, würden wir heute vielleicht von der Postmaschine statt
von der Turingmaschine reden, und aus Kittlers Computeranalogie der Universalen
Schreibmaschine wäre vielleicht eher eine des Universalen Fließbandes,
oder der Universalen Fabrik geworden (Was etwa Marvin Minskys Ideen von der Agentendurchlebten
„Mentopolis“ gar nicht so abträglich wäre).
Hodges schreibt dazu lakonisch „Selbst wenn es Alan Tuing nicht gegeben
hätte, seine Idee wäre bald in der einen oder anderen Form aufgetaucht.
Das musste so sein. Es war die notwendige Brücke zwischen der Welt der Logik
und der Welt in der die Menschen handelten.“ (E: 148) Man kann weiter schreiben:
Selbst wenn es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hätte, wäre diese
theoretische Brücke bald in der ein oder anderen Form gebaut und verkauft
worden. Das musste so sein. – Wie wir noch zeigen werden, stellt Konrad
Zuse in mancher Hinsicht den Emil Post der Hardware dar. Er bietet ein Zeugnis
dafür, dass es auch anders hätte laufen können; – dass der
Krieg genauso wie Turing eher zufälliger- als notwendigerweise Computergeschichte
geschrieben hat.
Aber es hat sie gegeben. Beide, Alan Turing und den Zweiten Weltkrieg. Sie haben
gegenseitig ein Kapitel ihrer Geschichte geschrieben: Am „4. September [1939]
meldete sich Alan bei der Government Code and Cypher School, die im August in
das viktorianische Bletchley Park evakuiert worden war.“ (E: 187)An diesem
Tag begann für Alan Turing der Krieg – als intellektuelles Problem.
Das Problem hieß Enigma. Die deutsche Chiffriermaschine, mit deren Verschlüsselungen
die Wehrmacht ihre geheimen Kommandosachen über den öffentlichen Äther
schicken konnte. Die deutsche Enigma ist eine zahlenmäßig sehr beeindruckende
Weiterentwicklung des seit 1923 bekannten Enigma- Basismodells. Das Basismodell
bestand aus einem elektrischen Schaltkreis, der durch 3 „Walzen“ oder
„Rotoren“ die jeweils 26 verschiedene Stellungen einnehmen konnten,
variiert werden konnte, und brachte es damit auf 17576 mögliche Ausgangskonfigurationen.
Der Input wurde durch eine Schreibmaschinentastatur besorgt, und der Output bestand
darin, dass in einer alphabetischen Anordnung von 26 Glühlämpchen eines
aufleuchtete, deren Buchstaben der Chiffreur dann notierte. „[D]ie Enigma
wurde in einem fixierten Zustand nur zur Chiffrierung eines Buchstabens verwendet,
und dann drehte sich der äußerste Rotor um einen Schritt weiter und
schuf auf diese Weise eine neue Reihe von Verbindungen zwischen Eingabe und Ausgabe“
(E: 194)
An der Mühsahl, die daraus entstand, dass das Enigma-Basismodell keinen automatischen
Druck- und Übertragungsvorgang besaß, und jeder Buchstabe einzeln getippt,
abgeschrieben und gemorst werden musste, änderten die Deutschen nichts. Aber
sie erhöhten die Komplexität der möglichen Konfigurationen beträchtlich.
Zum einen konnten bei der deutschen Kriegsenigma die Walzen in sechs verschieden
Anordnungen installiert werden, macht 6 x 17576 verschiedene Stellungen, und zum
anderen hatte sie ein 26-löchriges „Steckfeld“, das ein wenig
an die Steckbretter in heutigen Elektrobaukästen erinnert, mit dem die Verbindungen
zwischen den Rotoren noch einmal um einiges kompliziert wurden: „Es gab
1 305 093 289 500 Arten, sieben Buchstabenpaare auf dem Steckfeld
zu verbinden, für jede der 6 x 17576 Rotor-Stellungen“ (E: 198).
Solch astronomische Zahlen scheinen die Deutschen derart beeindruckt zu haben,
dass sie den gesamten Krieg über nie an der Sicherheit der Enigma gezweifelt
haben. Als es ab 1941 die britisch- amerikanischen Geleitzüge geheimnisvoller
Weise immer besser geschafft haben, den deutschen U-Bootpatrouillen auszuweichen,
haben die Deutschen den Fehler niemals bei der Maschine, sondern immer bei den
Menschen gesucht. Alle Veränderungen, die während des Krieges am deutschen
Chiffriersystem unternommen wurden, sind Versuche gewesen, Spionage oder Verrat
zu verhindern. Zum Glück für die KryptologInnen in Bletchley Park, mit
deren Intelligence, in der vollen, englischen Bedeutung des Wortes, die Deutschen
einfach nicht gerechnet haben.
Mit einem weiteren großen Glück für Bletchley hätten die
Deutschen wohl noch weniger gerechnet – der genialen polnischen Arbeit,
noch im Frieden, Pläne der deutschen Enigma zu erbeuten, sie daraus nachzubauen
(Der britische Geheimdienst, der auch an die Pläne gekommen war, hatte angesichts
der ersten Komplikation nicht einen ernsthaften Versuch unternommen, einen Nachbau
anzufertigen) und eine Entschlüsselungsmaschine zu konstruieren, die das
Ausprobieren aller Enigma-Möglichkeiten mit maschineller Geschwindigkeit
vollzog. „Sie produzierten ein laut tickendes Geräusch und wurden deshalb
Bomben genannt“ (E: 203)
Die Bombe
bestand aus miteinander gekoppelten Baugruppen von sechs polnischen Enigma-Geräten.
Das Walzensystem arbeitete selbständig mit elektrischem Antrieb; es schuf
in knapp zwei Stunden Tausende und aber Tausende verschiedene Kombinationen. Wenn
die Drehscheiben zueinander in eine Position gerieten, die das gesuchte Element
verkörperte, leuchtete ein Signallämpchen auf. (BdE: 79)
Die Polen haben hier den Gödelschen Trick angewendet, ein System auf sich
selbst anzuwenden. In diesem Falle: Die Enigma gegen die Enigma selbst. Aber deutsche
Angst vor alliierter Spionage und deutschen Verrätern hängte 1938 noch
zufällig die polnischen Bomben ab. Kittler schreibt:
Als aber
Fellgiebels Wehrmachtnachrichtenverbindungen die Walzenzahl auf fünf erhöhten,
kam auch die Bombe nicht mehr mit. [...] Die überforderten Polen schenkten
ihre Unterlagen den Briten und Turing.
Aus der primitiven Bombe machte Turing eine Maschine, die Bletchley Parks Chef
nicht zufällig Orientalische Göttin nannte: ein vollautomatisches Orakel
zur Deutung vollautomatischer Geheimfunksprüche. (GFT: 368)
Genau genommen ist die Britische Bombe noch um einiges davon entfernt gewesen,
Geheimsprüche vollautomatisch zu deuten. Die KryptologInnen von Bletchley
Park sind durch sie alles andere als arbeitslos gemacht worden. Es blieb ihnen
immer noch die Aufgabe, „Menüs“ für die Bomben zusammenzustellen,
mit denen sie dann „gefüttert“ wurden. Eine Arbeit für die
es mathematisch begabte Menschen brauchte: „Männer vom Typ Professor“(Vgl.
E:188), die nach und nach in nicht gerade geringer Zahl für Blechley rekrutiert
worden sind. Trotz – und auch wegen – der Maschine wuchs die Belegschaft
von Bletchley stetig. Es musste ein riesiger Betrieb aufgebaut werden, um den
Funkverkehr des Feindes mitzuhören. Als dies nicht schnell genug ging, wandten
sich Turing und sein Kollege W. G. Welchman sogar mit einem langen Brief an ihren
Oberbefehlshaber persönlich, und baten um Verstärkung von „zwanzig
weiteren ungeschulten Arbeitskräften der Klasse III“, „ungefähr
zwanzig geschulten Schreibkräften“, und darum, dass für das Testen
der von den Bomben produzierten ‘Geschichten’ – die Bomben haben
keinen Text produziert, sondern Rotorstellungen, weshalb ihre Ergebnisse eigens
von Hand an Enigmas getestet werden mußten – weitere WRNS (Frauen
vom Womens Royal Naval Service) zur Verfügung gestellt würden. (Vgl.
Turing und Welchman an Churchill in E: 255) Die Arbeiten, für die sie gebraucht
wurden, sind von den Bletchleyleuten „Sklavenarbeiten“ genannt worden.
Viele von ihnen hätte man in der damals lexikalischen Bedeutung auch ohne
weiteres „Computerarbeiten“ nennen können. Bedeutungswandel ist
eine langwierige Angelegenheit ...
Teamwork (ein nicht zufällig nicht deutsches Wort) auf der ganzen Linie bestimmte
die technische Entwicklung, die in England zu Maschinen namens Computer führte,
von Anfang an. Viele der „Männer vom Typ Professor“ von Bletchley
Park hatten konstruktiven Einfluss auf diese Entwicklung. Turing konzentrierte
sich direkt auf die logischen Eigenschaften der Enigma (so z. B. die, dass sie
autoinvers ist, woraus folgt, dass sie einen Buchstaben nicht in sich selbst verschlüsseln
kann) und entwarf, möglicherweise zunächst auf dem Papier als Turingmaschine,
ein Ausschlussverfahren zur Reduktion der möglichen Einstellungen als elektrischen
Schaltkreis. Damit gelang es, das noch sehr blinde Suchen der polnischen Bombe
wesentlich effizienter zu machen. Sofort begann es von allen „Professoren“seiten
Verbesserungsvorschläge zu hageln (entscheidende Vorschläge kamen vom
schon genannten Gordon Welchman). Immer mehr Implikationen wurden aufgedeckt,
immer komplizierter der logische Schaltkreis der Bletchleybombe, mit deren Hilfe
„Milliarden falscher Hypothesen mit Lichtgeschwindigkeit hinweggefegt wurden.“
(E: 213)
Allein, als die Organisation der Menschen an Turings Arbeitsplatz problematischer
wurde als die bereits installierten und halbwegs fehlerfrei laufenden Bomben,
wurde der professionelle Einzelgänger Turing zusehends entbehrlich. Obwohl
er offiziell in hoher Stellung blieb, übernahmen Leute mit besserem Managertalent,
wie Hugh Alexander oder Turings ehemaliger Lehrer Newmann, still und leise die
Leitung.
So war es auch kein Verlust für die Briten – das System Turing war
bereits mit dem System Bletchley Park verschmolzen – aber ein großer
Gewinn für die Amerikaner, dass Turing im November 1942 in geheimer Mission
nach New York übersetzte. Der offizielle Eintritt Amerikas in den Zweiten
Weltkrieg hatte die Briten dazu bewogen, ihr kryptologisches Wissen in Person
von Alan Turing nach Amerika zu bringen. Sie brachten die englische Bombentechnik
(und nebenbei den Autor von OCN) mit der massierten, unzerbombten Wirtschaftskraft
Amerikas zusammen. Damit gaben sie die Kryptologie weitgehend aus den Händen;
die Amerikaner überholten die Briten darin mit purer Masse: Sie schickten
zehnmal so viele Kryptologen und Kryptobomben in den Krieg, als es den Briten
möglich war. Eine hochgeschwinde informationelle Kooperation, die zu genügend
Wissen über die U-Bootpositionen führte um die Versorgung der britischen
Inseln zu sichern, aber auch ein bisschen ‚sinnloses Gezänk‘
um Machtbereiche und Befehlsgewalt, war die Folge ...
Während Turings USA-Aufenthalt waren schon Vorprojekte zu „ENIAC [Electronical
Numerical Integrator and Computer]: The [US-] Army-Sponsored Revolution“
in vollem Gange. Daran war er vielleicht beteiligt; – indirekt über
die Bell Labs und über den „anderen Mathematiker des Kriegs der Zauberer,
John von Neumann, [der] seit 1937 mit der ballistischen Forschungsabteilung als
Berater in Verbindung [stand]“ und vorher schon ein Exemplar von Turings
OCN bekommen hatte. Direkt zusammen arbeitete Turing mit den Ingenieuren der Bell
Laboratories, in denen schon seit einiger Zeit an Maschinen zur „Ausführung
einer festgelegten Folge arithmetischer Operationen“ gearbeitet wurde. Diese
Bemühungen sollen ihn aber relativ kalt gelassen haben. In den Bell Labs
waren die Menschen interessanter als die Maschinen. Besonders intensiv diskutierte
er seine Ideen über „Maschinengehirne“ mit dem „philosophischen
Ingenieur“ Claude Shannon. Turing gab Shannon sein OCN zu lesen. Der davon
begeisterte Shannon erweiterte Turings Vorstellungen von Informationsverarbeitung
um eine Kulturelle Ebene als er ihm staunenswerter Weise erzählte, dass er
den Maschinen Musik vorspielen wolle.
Englands führender Kryptologe Alan Turing wurde nach seiner Rückkehr
aus den USA, 1943, nicht mehr in Bletchley Park eingesetzt. Auf uns macht dieses
verblüffende und dunkle Kapitel in seiner Geschichte den Eindruck, dass dort
geheim(dienstlich)e Mächte im Spiel gewesen sind. Der schwer berechenbare
Turing war seit seiner Reise Träger von kriegswichtigen Geheimnissen auf
höchster diplomatischer Ebene; – vielleicht musste er deshalb an einen
Ort verfrachtet werden, an dem er unter „besserer Kontrolle“ war als
im nur noch schwer überschaubaren Bletchley Park. Vielleicht wollten SIE
Informationen in Sicherheit bringen. Turing wurde in die Geheimdiensthochburg
Hanslope Park versetzt, bekam dort seine eigene Werkstatt, und arbeitete darin
mit geringer Hilfe bis Kriegsende an einem Sprachverrauschungsapparat mit dem
biblischen Namen Deliah. Niemand außer Turing selbst, der in von den Sprachverschlüsselungsmaschinen
der Bell Labs fasziniert gewesen war, interessierte sich sonderlich dafür.
In Bletchley begann unterdessen die Computerentwicklung ohne Turing. Sein Lehrer
Newmann, der natürlich gute Kenntnis von OCN und Turings Arbeit in Hut 8
hatte, baute 1943, mit einer Gruppe der „besten Talente [...] von den anderen
Baracken [Bletchley Park war in Baracken, „Huts“, aufgeteilt] und
von der mathematischen Welt draußen“ (E: 309) eine Maschine, die Kittler
den „ersten Computer der Wissenschafts- oder Kriegsgeschichte“ (GFT:
371) nennt und die ihre stolzen Konstrukteure, wohl weil sie eine ganze Halle
füllte und einige Tonnen wog, COLOSSUS tauften. Die COLOSSI, die in verwendbarer
Version Bletchley etwa im Juni/Juli 1944 zur Verfügung standen hatten 2400
Röhren und arbeiteten mit einer Geschwindigkeit von 5000 Impulsen je Sekunde
(Vgl. BdE: 161f.). Sie entschlüsselten den deutschen Baudot-Murray Code,
der zwar selten war, aber „signifikant und übertrug ranghohe Berichte
und Einschätzungen. Er brachte Bletchley viel näher an Berlin, als Hitler
gerade die persönliche Lenkung des Krieges übernahm.“ (E: 267)
Dieser Code funktionierte binär, indem er die „Buchstaben des Alphabets
mittels zweiunddreißig verschiedenen Möglichkeiten [darstellte], die
ein fünflöchriges Band bot.“ (E: 265) Ein Band mit Klartext konnte
anhand eines Schlüsselbandes mit einer einfachen Regel zu Code „addiert“
werden. „Selbstredend schlug COLOSSUS binäre Addition durch binäre
Addition“ (GFT: 371) was ihn schon sehr in die Nähe des Computers rückte.
Bei Kittler findet sich eine Liste seiner Eigenschaften „Dateneingabe, Programmiermöglichkeiten
und [die] große Neuerung interner Speicher“(GFT: 370), die dazu bewegt,
ihn Computer zu nennen. Für Hodges sind die Programmiermöglichkeiten
der COLOSSI aber noch nicht universell genug, er schreibt:
Denn die
Bomben [und] Colossi [...] waren Parasiten, abhängig von den Launen und der
Blindheit der deutschen Kryptographen. Eine einzige Änderung auf der anderen
Seite des Kanals konnte zur Folge haben, dass die gesamte Technik [...] mit einem
Mal nutzlos wurde. [...] Eine universelle Maschine hingegen, sofern sie sich nur
in der Praxis verwirklichen ließe, erforderte keine Neukonstruktion, sondern
lediglich neue, als „Beschreibungszahlen“ kodierte und auf ihr „Band“
geschriebene Tabellen. [D.h.: Eine neue Programmierung] Eine derartige Maschine
konnte nicht nur Bomben, Colossi, Entscheidungsbäume und alle anderen mechanischen
Aufgaben in Bletchley ersetzen, sondern die gesamte mühselige Rechenarbeit,
zu der Mathematiker durch den Krieg verpflichtet worden waren. (E: 338)
Erst nach dem Krieg kam Turing dazu, mit seiner Automatic Computing Engine (ACE),
die von den COLOSSI übriggelassenen menschlichen Computer noch durch eine
Maschine zu ersetzen. Die unmittelbare Nachkriegsgeschichte des Computers fasst
Kittler so zusammen:
COLOSSUS
[gebar] Sohn auf Sohn, jeder kolossaler noch als der geheime Vater. Turings Nachkriegscomputer
ACE sollte laut Versorgungsministerium „,Granaten, Bomben, Raketen und Fernlenkwaffen‘“
berechnen, der amerikanische ENIAC „simulierte Geschoßbahnen bei variablen
Bedingungen von Luftwiderstand und Windgeschwindigkeit [...]“ John von Neumanns
geplanter EDVAC löste „dreidimensionale ,Explosionswellenprobleme bei
Granaten, Bomben, Raketen, Antriebs- und Sprengstoffen‘“, BINAC arbeitete
für die US AirForce, ATLAS für die Kryptoanalyse, MANIAC schließlich,
wenn dieser schöne Name rechtzeitig implementiert worden wäre, hätte
die Druckwelle der ersten Wasserstoffbombe optimiert. (GFT: 375)
Turings Vermächtnis: Die Erfindung der theoretischen Informatik und Heeresgerät
soweit das Auge reicht.
Der Privaterfinder Konrad
Zuse
Eine besondere Eigenschaft unterscheidet die COLOSSI für Kittler aber erst
signifikant von einer „tonnenschweren Ausgabe der Remington- Sonderschreibmaschine
mit Rechenwerk“ (GFT: 375): Ihr Programm enthielt bedingte Sprungbefehle.
(Die in den heute gängigen Programmiersprachen mit den Worten „IF“,
„THEN“ und „ELSE“ gegeben werden.) Nur ist Kittlers erster
Computer der Wissenschafts- oder Kriegsgeschichte nicht die erste Maschine gewesen,
die die Remington in dieser Weise überholte. Kittler bemerkt die Maschinen,
die COLOSSUS zuvorkamen, mit den Worten:
Bedingte
Sprünge, in Babbages unvollendeter Analytical Engine von 1835 erstmals vorgesehen,
kamen 1938 in Konrad Zuses Berliner Privatwohnung zur Maschinenwelt [...] Vergebens
bot der Autodidakt seine Binärrechner als Chiffriermaschinen und zur Überbietung
der angeblich sicheren Enigma an. Die von Wehrmachtsnachrichtenverbindungen verpasste
Chance ergriff erst 1941 die deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt –
zur „Berechnung, Erprobung und Überprüfung von ferngesteuerten
Flugkörpern“ (GFT: 371)
An dieser Stelle ist bei uns das eingetreten, vor dem der kluge Locke gewarnt
hat: Verwirrung wegen unterschiedlicher Gebrauchsweisen ein und desselben Wortes:
„Computer“. Kittler meint wahrscheinlich mit „bedingte Sprünge
kamen zur Maschinenwelt“, dass Zuses Rechenmaschinen (besonders wohl: Z3
& Z4) bedingte Sprünge ausführen könnten – ihre Architektur
wäre in diese Richtung erweiterbar gewesen. Ein paar Sätze weiter zitiert
Kittler nämlich selbst eine Stelle aus Zuses Autobiografie, aus der hervorgeht,
dass Zuse die Möglichkeit bedingter Sprünge nicht installiert hat, als
er sie 1944 bei der Arbeit an der Z4 bemerkte:
Da Programme
wie Zahlen aus Folgen von Bits aufgebaut sind, lag es nahe, auch die Programme
zu speichern. Damit hätte man bedingte Sprünge, wie wir heute sagen,
ausführen und Adressen umrechnen können. [...] Ich hatte, offen gesagt,
eine Scheu davor, diesen Schritt zu vollziehen. Solange dieser Draht nicht gelegt
ist, sind die Computer in ihren Möglichkeiten und Auswirkungen gut zu beherrschen.
(CmL: 76f.)
Kittler wendet das Wort „Computer“ an keiner Stelle auf die Maschinen
Zuses an. Er nennt sie konsequent „Binärrechner“ (einmal nennt
er sie „algorithmische Golems“(GFT: 373), was uns aber beim Verständnis
auch nicht weitergeholfen hat). Sollte Kittler die Worte „Computer“
und „Binärrechner“ synonym gebrauchen, dann wäre es ein
immanenter Widerspruch, COLOSSUS, von 1943, den „ersten Computer der Wissenschafts-
oder Kriegsgeschichte“ zu nennen; – es sei denn, er sieht die Unterscheidung
in den Attributen und würde spätestens Zuses Z3, von 1941, als den ersten
vollendeten Computer der Wissenschafts- oder Zivilgeschichte bezeichnen. (Das
halten wir aber für unwahrscheinlich, weil er damit seiner These von der
exklusiven Produktivität der Kriege selbst das Wasser abgrübe.) Kittler
muss also um konsistent zu bleiben zwischen „Zuses Binärrechner“
und dem „COLOSSUS- Computer“ einen Unterschied sehen, der der Z3 den
Namen Computer verweigern kann. Der Unterschied, den er implizit ausmacht, ist
der, dass – die Konsequenz aus seiner Scheu – Zuses frühe Rechner
keine bedingten Sprünge implementierten.
Unsere Verwirrung wurde nicht geringer, als wir bemerkt haben, dass Kittler eigens
betont, dass ENIAC „nach amerikanischer Geschichtsklitterung der ‚erste
operationale Computer‘“ (GFT: 357) sei, aber verschweigt, dass es
noch eine andere Geschichtsschreibung gibt, von der Zuse nicht unvergnügt
bemerkt, dass es nicht nur eine deutsche Klitterung sondern mittlerweile die allgemeine
Ansicht ist:
Nach dem
Krieg dann erregten die Nachrichten über die amerikanischen Geräte weltweites
Aufsehen. Von unserer Arbeit erfuhr die Weltöffentlichkeit lange nichts.
So musste der Eindruck entstehen, der Computer sei eine amerikanische Erfindung.
Erst nach und nach sollte sich die Wahrheit durchsetzten. Heute wird kaum noch
ernsthaft bestritten, dass die in meiner Berliner Werkstatt 1941 fertig gestellte
Z3 der erste zufrieden stellend arbeitende Computer der Welt war. (CmL: 96)
Zuse gebraucht das Wort „Computer“ anders als Kittler, indem er es
auf seine Maschinen und auf COLOSSUS anwendet. Sicherlich hält er die Programmierbarkeit
von bedingten Sprungbefehlen nicht für eine notwendige Eigenschaft von Computern,
wenn er einräumt, dass die Z1-Z4 keine erlaubten. Er folgt offensichtlich
den Kriterien: Programmierbare Rechenmaschine mit Speicher. Dazu kompatibel schreibt
das Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB) in der für
das World Wide Web praktischen Kürze und Sprache die Kriegsbiographie Zuses
als Geschichte seiner Computer:
1938 Completion
of Z1, a fully mechanical programmable digital computer (test model). This model
never functioned in practice for reasons of lack of perfection of the mechanical
elements. ( A rebuilt model can be seen in the Berlin Museum für Verkehr
und Technik.)
1940 Completation of Z2, the first fully functioning electro mechanical computer
of the world.
1941 Development of Z3. First realisation of a programm control using binary digits.
1945/46 Development of Plankalkül (plan calculus), perhaps the wold’s
first programming language, a predecessor of the modern algorithmic programming
languages also including concepts of logic programming. (ZIB: zuse.html; 17. März.
1997)
Durch diese Gebrauchsverwirrung sind wir darauf aufmerksam geworden, dass es in
der Literatur über Computergeschichte von mehr oder minder subtilen und mehr
oder minder deutlich definierten Unterscheidungen bei der Bedeutung von „Computer“
nur so wimmelt. Hodges z. B. nennt, sicherlich wegen der relativen Abhängigkeit
von den Problemen der Kryptologie, COLOSSUS schlicht Maschine. Auch Zuses erste
Konstruktionen scheinen ihm für das Prädikat Computer noch nicht reif
genug zu sein, er schreibt:
Es waren
tatsächlich genau einhundert Jahre seit der Erfindung der Analytischen Maschine
vergangen, bis es substantiell neue Entwicklungen sowohl in der Theorie als auch
für die Konstruktion einer derartigen universellen Maschine gab. [...]
Die erste Entwicklung hatte es in der Tat 1937 in Deutschland gegeben, im Berliner
Domizil von Konrad Zuse, einem Ingenieur, der viele von Babbages Ideen wieder
entdeckt hatte, wenn auch nicht die der bedingten Sprünge. Wie auch Babbages
Maschine war seine zuerst entworfene Maschine, die tatsächlich 1938 fertig
gestellt wurde, mechanisch und nicht elektrisch. [...] Zuse war schnell dazu übergegangen,
weitere Versionen seiner Maschine zu konstruieren, in denen er von elektromagnetischen
Elementen Gebrauch machte. Mit Mitarbeitern experimentierte er vor Ende des Krieges
mit Elektronik. (E: 344)
Hodges gibt zwei Seiten vorher zumindest in einer Fußnote eine Definition
an, die seine Entscheidung bei der Verwendung von „Computer“ plausibel
macht. Darin steht, dass er in seinem Text fortan Maschinen der Art des „automatischen,
elektronischen, digitalen Computers mit interner Speicherung“ mit dem Wort
„Computer“ bezeichnen wolle (Vgl. E: 340). Spätestens mit dieser
doch ziemlich eingeschränkten, aber sicherlich auf alle heute handelsüblichen
Computer zutreffenden, Bedeutung zeigen sich alle Autoren einverstanden. Die Geister
der Wissenschaftler scheiden sich von allem dort, wo es um den ersten funktionierenden
Computer geht; man kann ihn nämlich – je nach Kriterium – nach
Deutschland (Z3), England (COLOSSUS), oder in die USA (wie etwa in der „ENIAC-Story“
in der es heißt: „The world’s first electronic digital computer
was developed by Army Ordance to compute World War II ballistic firing tables“
(Eniac-Story.html; 17.Mrz.1997) verlegen und damit auf verschiedene Weise mit
dem Zweiten Weltkrieg verknüpfen.
Leider haben wir – weil wir hier Texte und keine Menschen versammelt haben
– nicht die Chance Lockes, zu bitten, man möge, ehe man sich weiter
streite, zunächst prüfen, was das Wort „Computer“ bedeute,
um sich dann auf eine deutliche Menge von notwendigen und hinreichenden Bedingungen
für seine Verwendung zu einigen.
Wir verwenden in diesem Text die oben genannten Minimalbedingungen für „Computer“,
d. h. das Wort im weitesten Sinne zu gebrauchen: als Programmierbare Rechenmaschine
mit Speicher. Nach dieser Bedeutung sieht die Erkenntnis derzeit so aus, dass
Charles Babbage 1843 das Konzept des Computers erfunden hat, und Konrad Zuse 1941
einen „zufrieden stellend funktionierenden“ Computer vorführen
konnte. Dies ist gewissermaßen eher eine stilistische Entscheidung als eine
inhaltliche, da wir uns – wenn man schärfere „Computer“-Bedingungen
anlegen möchte – für unsere These damit zufrieden geben, dass
die Geschichte, die wir im folgenden darstellen, unabhängig von den Entwicklungen
in England und den USA und unabhängig vom Zweiten Weltkrieg auf den vollautomatischen,
elektronischen, programmierbaren, digitalen Computer mit internem Speicher und
bedingten Sprungbefehlen hinauslief.
Anders als in der Biografie Turings oder auch in der „ENIAC-Story“
findet der Zweite Weltkrieg in der o. g. ZIB-Kurzbiografie Zuses keine Würdigung,
– nicht einmal Erwähnung. Das ist auch nicht nötig, denn Weltkrieg
II hat keinen produktiven Einfluss auf Zuse ausgeübt. Das Gegenteil ist der
Fall gewesen.
Nach dem
Studium [Dipl.-Ing.] wurde ich Statiker bei den Henschel Flugzeugwerken. Es war
das Jahr 1935. Aber ich gab diese Stelle bald auf und richtete mir eine Erfinderwerkstatt
in der Wohnung meiner Eltern ein. Ich wollte mich ganz dem Computer widmen können.(CmL:
30)
So beschreibt Konrad Zuse in seiner Autobiographie „Der Computer –
Mein Lebenswerk“ seine Ausgangslage. Die Erfinderwerkstatt eines besessenen
Bastlers im Edisonschen Stil. Eine klassische Gründerstimmung im Privaten
und Geheimen. Nur die engsten Vertrauten wurden eingeweiht, die alle fest „an
ihn und seine Erfindung glaubten“. Die ebenfalls von seinen Fähigkeiten
überzeugten Eltern überließen ihrem Erfindersohn das große
Wohnzimmer ihrer Wohnung, Freunde und Verwandte halfen mit Geld und Arbeit. Die
Mutter kochte für die versammelten Erfinder; der zu der Zeit schon pensionierte
Vater Zuse „ließ sich wieder für ein Jahr reaktivieren, seine
Schwester steuerte ihr Gehalt dazu, [...] [ein Freund] schickte einen Teil seines
geringen Refrendar-Einkommens.“ „[U]nd am Ende waren etliche Tausend
Mark zusammengekommen.“ Das behelfsmäßig Genial-Dilettantische
an der Gründerzeit der Zusecomputer beschrieben die Studienfreunde, die Konrad
(„Kuno“) Zuse bei der „Transpiraton, die auf die Inspiration
folgt“ mit Kopf und Körper weiterhalfen, besser als wir, die wir kleine
Erfinderwerkstätten nur aus alten Büchern kennen, das könnten:
Natürlich
verstand ich als mathematisch geschulter Mensch das Prinzip und das Vorhaben,
ich war aber nicht in der Lage, zu verstehen, wie z. B. das Speicherwerk seiner
utopischen Maschine funktionieren sollte. Was war nun meine Aufgabe? Nun, in der
Hauptsache habe ich die Blechrelais für die erste Maschine, die heute unter
der Bezeichnung „Z1“ in die Geschichte eingegangen ist, gebastelt.
[...] Kuno zeichnete die Form exakt auf Papier. Ich klebte das Papier auf ein
Sperrholzbrettchen, befestigte zwischen diesem und einem zweiten Brettchen, das
unten lag, die Anzahl der nötigen Bleche, schraubte die zwei Brettchen mit
Gewindeschrauben zusammen und sägte mit einer kleinen elektrischen Laubsäge
die Form der Relais aus. Diese Relais fertigte ich zu Tausenden. Das war meine
Hauptaufgabe. [...] Ich bin ehrlich genug zu sagen, dass ich blind arbeitete und
nicht genau wusste, wie dieses Monstrum, das da entstand, einmal arbeiten sollte.
Und trotzdem, war die Maschine einmal fertig, arbeitete sie unter heillosem Gerassel
und gab die exakten Lösungen für komplizierte Aufgaben. Sie nahm fast
das ganze Wohnzimmer ein. Sie war nicht mehr aus der Wohnung zu entfernen. Ich
glaube, erst nach der Zerbombung des Hauses konnte diese erste Zuse-Universal-
Rechenmaschine im Kriege ins Museum geschafft werden. (Andreas Grohmann in CmL:
32)
Mit seinen ersten Computern hat Zuse von Anfang an einen universellen Ansatz verfolgt.
Schon 1937 finden sich in seinen in Stenografie verfassten Tagebüchern Notizen
zum „Mechanischen Gehirn“, das sämtliche Denkaufgaben lösen
soll, die von Mechanismen erfassbar sind. Wohl weil Zuse ausgebildeter Bauingenieur
gewesen ist, orientierten sich seine Testläufe vorwiegend an Problemen der
Baustatik. Seinen verblüfften Koingenieuren erklärte er aber, dass seine
Maschinen dereinst sogar imstande sein würden, Großmeister im Schach
zu schlagen. Zuse-Hilfserfinder Walther Buttmann schreibt:
Eine Maschine
erfinden zu müssen, die dem Ingenieur stures Wiederholen von Rechengängen,
besonders langen, wie bei Matrizen, abnimmt, leuchtete uns Studenten ein. Aber
Zuse machte uns klar, dass Rechnen nur ein Spezialfall logischer Operationen ist
und dass sein Apparat auch Schach spielen können müsse. (Walter Buttmann
in CmL: 33)
Um weitgehend von dem Problem loszukommen, dass alle damals bekannten Rechenmaschinen
„noch stark an die zu lösenden Aufgaben gebunden“ gewesen sind,
erfand Zuse die Programmierbarkeit:
In der Statik waren für immer wiederkehrende Rechnungen sog. Rechenformulare
üblich. Formeln wurden so umgesetzt, dass Festwerte vorgedruckt, nebeneinander
eingetragene Zahlen zu multiplizieren und untereinander eingetragene Zahlen zu
addieren waren. Diese Rechenformulare machte Zuse zunächst für seine
Rechenmaschine lediglich maschinell lesbar, indem er die Zahlenwerte einlochte.
Die „Abfühl- und Locheinheit“ musste allerdings noch von Hand
an die richtigen Felder der Rechenformulare bewegt werden. Daraufhin ersetzte
er die nur einmal verwendbaren Lochkarten durch ein Register, auf dem die Zahlen
durch verriegelbare Stifte gespeichert wurden, und die manuelle Fortführung
der „Abfühl- und Locheinheit“ durch eine maschinell gesteuerte
X/Y-Führung. So war ein automatisches Lesen des Registers möglich. Doch
Zuse suchte eine allgemeinere Lösung:
Die bisherige
Konstruktion baut immer noch auf der Idee des Rechenformulars auf. Es muss ein
Freieres Schema gefunden werden, gewissermaßen ein „universelles Superformular“.(CmL:
167)
Ihm wurde klar, dass durch das maschinelle Auswerten des Registers – im
Gegensatz zum vom Menschen zu lesenden Formular – nur noch wichtig war,
wo welcher Wert gespeichert wurde. Er hatte einen universellen Zahlenspeicher
geschaffen.
Anstelle
der topologischen Anordnung der Werte einer Formel entsprechend, kann die einfache
Durchnummerierung der Werte und der zugeordneten Register treten. Damit war das
schon von Babbage entwickelte Verfahren des Rechenplanes oder Programms, wie wir
heute sagen, neu erfunden. (CmL: 168)
Diese Stift-Register waren jedoch für größere Speicherkapazität
nicht zu gebrauchen, und andere Versuche Dezimalzahlen zu speichern, scheiterteten
am mechanischen Aufwand. Durch logische Überlegungen, angeregt von der Lektüre
zunächst Leibniz’ Dyadik (Leibniz’ Bezeichnung für das Binärsystem),
und später des Aussagenkalküls (in etwa vergleichbar mit der Boolschen
Logik) der Logiker Hilbert, Ackermann, Frege und Schröder, fand er zur mechanischen
Schaltgliedtechnik. Zuse speicherte jetzt nur noch Kombinationen von Ja-Nein-
Werten, auch die Auswahl- und Übertragungseinrichtungen arbeiteten digital.
Wenn einmal
der Schritt fort vom Dezimalsystem gewagt ist, kann man auch die Numerierung der
Speicherzellen im binären Zahlensystem durchführen. [...] Dieser Erfolg
verlockte natürlich dazu, auch den Rechner und alle übrigen Teile der
Gesamtanlage nach diesem Prinzip zu bauen. (CmL: 171f.)
Will man bei der Erklärung für den Beginn der Entwicklung des Computers
in Deutschland eine Struktur und kein „Ich“ bemühen, so muss
man diese also eher bei den Rechenformularen der Baustatiker suchen, als in den
Kryptogrammen des Zweiten Weltkrieges.
1938, wie gesagt, war die seit hundert Jahren vergessene Computertechnik, ohne
den Druck, den die Probleme der Informationsverarbeitung im Krieg bereiten, mit
der praktischen Neuerung Digitaltechnik wieder aufgetaucht. Keine kreative Struktur,
wie in Bletchley, sondern ein einzelner kreativer Kopf hat das Ergebnis eines
hektischen, gigantischen Aufklärungsbetriebes in seiner privaten Werkstatt
ebenfalls formuliert; – zeitgleich und unabhängig. Er kehrte den festgefahrenen
Technischen Universitäten, an denen er ständig zu hören bekam,
dass alles was überhaupt möglich sei in der Rechnertechnik, auch schon
gemacht würde, den Rücken und bastelte in Eigenregie sein Zeug zusammen.
Dem hoch gesponserten COLOSSUS in England (es standen Bletchley die Produktionsmittel
einer ganzen Fabrik und unzählige Arbeitskräfte zur Verfügung)
stehen in Deutschland die Low-Budget-Computer der Z(use)-Serie gegenüber.
Sie sind nie gegeneinander ausgespielt worden.
Für Zuse, seine Kollegen und seine Maschinen spielte der Zweite Weltkrieg
eine düstere, destruktive Rolle. Viel mehr als von der knappen Förderung
einer späten Teilfinanzierung der Z3, die ihn auch nicht davon befreite,
seine Computer größtenteils aus Abfällen zusammenbauen zu müssen,
erzählt seine Biografie davon, wie es gelang, den Z4-Computer (und viel zu
wenig Unterlagen), davor zu retten, bei Blitzkrieg oder Totalmobilmachung oder
Berliner Bombenhagel, in die Asche des Vergessens zurückgefeuert zu werden.
„[N]icht viel hat gefehlt, dass Zuses Binärrechner, statt das Schicksal
der V2 erst im letzten Augenblick unter Harz-Felsen zu kreuzen, schon von Anbeginn
den freien Raketenflug programmiert hätten“ (GFT: 373) glaubt der Kriegs-
und Medientheoretiker Friedrich Kittler; – viel weniger hat gefehlt, dass
Zuses Computer unter den Trümmern Berlins, und der junge Soldat Zuse in irgendeinem
der namenlosen Massengräber, die dem größenwahnsinnigen Naziversuch
einer „Eroberung neuen Lebensraums im Osten“ folgten, spurlos begraben
worden wären. Wenn V2-Wissenschaftler Wernher von Braun 1939 eine „Aufgabensammlung“
an die deutschen Universitäten zusammengestellt hat, in der auch „der
erste Versuch einer elektronischen Digitalrechnung“ verlangt worden ist
(Vgl. GFT: 373), dann ist sie dort auf ziemlich taube Ohren oder Köpfe gestoßen:
Kein Auftrag oder Befehl, keine Dringlichkeitsbescheinigung und keine ausreichenden
Produktionshilfen des Militärs, haben den Ingenieur erreicht, der diesen
Versuch schon längst erfolgreich begonnen hatte. Was ihn trotzdem erreicht
hat, das sind zwei Einberufungen gewesen.
Die erste kam Ende 1939, als die Arbeit an der Z2 kurz vor dem Abschluss stand.
Ein mit Zuse bekannter Spezialist für Rechenmaschinen, Dr. Pannke, der auch
die Z2 mit Geldmitteln gefördert hatte, versuchte, eine Beurlaubung für
Zuse zu erreichen, indem er einen Brief verfasste. Zuse dazu:
Er schrieb
sinngemäß, ich arbeite an einer großen wissenschaftlichen Rechenmaschine,
die auch im Flugzeugbau verwendet werden könne. Dieses Schreiben übergab
ich meinem Hauptmann, der es sogleich weiterleitete. Der Bataillonskommandeur,
ein Major, bestellte mich zu sich, eröffnete mir zunächst, dass ich
als junger Soldat ohnehin kein Recht auf Urlaub hätte, und fuhr fort: „Was
heißt hier, Ihre Maschine kann im Flugzeugbau verwendet werden? Die deutsche
Luftwaffe ist tadellos, was braucht da noch berechnet zu werden?“ –
Was hätte ich darauf erwidern sollen? Der Urlaub wurde nicht gewährt.
(CmL: 50)
Zum Glück für Zuse und seine Rechner, war er in der Eifel stationiert,
wurde dort in keine Schlacht verwickelt, und hatte so in dem halben Jahr, das
sein erster Militärdienst dauerte, genügend Zeit, sich mit Logik zu
beschäftigen. „Mein Hauptmann wusste, woran ich arbeitete, und stellte
mir zeitweise sogar sein Zimmer zur Verfügung, damit ich in Ruhe meinen Studien
nachgehen konnte“(CmL: 51) bemerkt Zuse eine kleine Anerkennung innerhalb
der Ablehnung. Wenn der Krieg für Zuse und seine gedankliche Entwicklung
etwas getan hat, dann hat er ihm den Abstand von der konkreten Maschine besorgt,
den es manchmal braucht, um einen theoretischen Schritt weiter zu kommen. In Zuses
Eifelzeit fällt auch seine kurze Beschäftigung mit Kryptologie; er entwarf
ein Chiffriergerät, das mit binärer Addition arbeiten sollte. Der Entwurf
wurde vom Heereswaffenamt mit dem Verweis auf die Enigma abgelehnt; anders den
englischen entging den deutschen Kommunikationsstrategen damals der Punkt: Computer
als Medium völlig; diese Chance blieb verpasst. Zuses Erfinderbriefe ans
Amt sorgten aber wenigstens dafür, dass man ihn auf Besprechungen nach Berlin
einlud, die es ihm möglich machten, seine Computer-Ideen verschiedenen Leuten
vorzustellen. Er hatte keine Chance, eine „uk“ (Unabkömmlichkeitsstellung)
für ein Computerprojekt zu bekommen; es war kein Interesse vorhanden. Zuse-
Coerfinder Helmut Schreyer, der sofort, als er die Z1 gesehen hatte, meinte „das
musst Du mit Röhren machen“, und eine Röhrenschaltung entwarf,
hatte 1939 ebenso wenig Erfolg bei den Behörden:
Er schlug
vor, eine Röhrenmaschine zu entwickeln, die unter anderem zur Flugabwehr
geeignet sein würde. Auf die Frage, wie lange er für die Entwicklung
wohl brauche, entgegnete er vorsichtig: „Etwa zwei Jahre.“ –
„Ja, was glauben sie denn, wann wir den Krieg gewonnen haben?“ war
die Antwort. (CmL: 53)
Für das „tausendjährige Reich“ war kein Computer vorgesehen.
Nirgends. Eine traurige Vision, wie wir finden ...
Zuses Beruf, nicht seine Berufung, ist letztlich das gewesen, was ihn vom Militärdienst
befreite. In Berlin, bei seinen Versuchen, jemanden für den Computer zu begeistern,
lernte er Professor Herbert Wagner kennen:
Er war
Leiter der Sonderabteilung F bei den Henschel-Flugzeug-Werken und entwickelte
dort ferngesteuerte Bomben. „Ihre Rechnerentwicklung ist sicher sehr interessant,
aber dafür kann ich Sie nicht vom Militärdienst befreien. Ich kann aber
einen Statiker gebrauchen.“ meinte er. (CmL: 53)
So kam er zurück nach Berlin, zurück zu seiner Z2, an der er neben der
Arbeit in den Henschel-Werken am Abend und an den Wochenenden weiterarbeitete,
bis sie schließlich 1940 „einigermaßen vorführbereit“
gewesen ist. Sie funktionierte nicht besonders gut, was daran lag, dass sie aus
alten Telefonrelais zusammengebaut worden war, die für diese Anforderungen
einfach nicht taugten. Dennoch gelang es, den Leiter der Deutschen Versuchsanstalt
für Luftfahrt, Professor Bock, soweit dafür zu interessieren, dass er
eine Teilfinanzierung der bereits begonnenen Z3 bewilligte. Es scheint aber eher
eine respektvolle Duldung Zuses, als ein brennendes Interesse im Spiel gewesen
zu sein. Zum einen wurde auch die Z3 „zum größten Teil aus Altmaterial
gebaut“ (CmL: 56), was bei einer für echt kriegswichtig gehaltenen
Produktion sicher nicht der Fall gewesen wäre, zum anderen war seine versuchsanstaltsgeförderte
Bastelei weiterhin von seinem Job abhängig:
Die Z3
wurde während des Krieges mehreren Dienststellen vorgeführt; sie wurde
indes nie für den Routinebetrieb eingesetzt. Dazu wäre unter anderem
meine Unabkömmlichkeitsstellung für diese Aufgabe nötig gewesen.
Offiziell aber galt die Z3 nicht als dringlich. Sie wurde mehr oder weniger als
Spielerei und als Privatvergnügen meiner Freunde und mir angesehen. Meine
„uk-Stellung“ galt nach wie vor ausschließlich für meine
Tätigkeit als Statiker.(CmL: 57)
Die verlor er auch beinahe 1941, als weiteres Kanonenfutter für die Ostfront
benötigt wurde: die zweite Einberufung flatterte ihm ins Haus. Noch während
seines Marsches in Richtung Osten wurde Zuses „uk“ bei den Henschel-Werken
jedoch überraschend erneuert. Er durfte umdrehen. Der glückliche Zuse
schreibt dazu: „Das Schicksal, sagte ich mir, hatte entschieden, dass ich
[...] weiterarbeiten durfte.“ (CmL: 57) Wir halten es nicht für ausgeschlossen,
dass hier einige hellsichtige Mächtige dem Schicksal ein bisschen auf die
Sprünge geholfen haben. Die Zeiten wurden nämlich etwas besser für
den Privaterfinder Konrad Zuse.
Für die Arbeit an der Z4, die 1942 begann, konnte er mitten im Krieg, neben
seiner jetzt nur noch Teilzeit-Arbeit in den Henschel-Werken, eine fast zivile
Firma gründen; die „Zuse Ingenieurbüro und Apparatebau, Berlin“.
Zivil war sie insofern, als sie nur Personal bekommen konnte, die vom Krieg übriggelassen
worden sind: Ungelernte Frauen, Diebe, Invalide und Verrückte. (Vgl. CmL:
58&72)Arbeitskräfte für Projekte ohne Prioritäten. Qualifizierte
Techniker musste er sich bei den Henschel-Werken und vom Fernsprechamt stunden-
oder tageweise ausleihen. Die Materialbeschaffung lief häufig unter der Hand
ab, weil für eine offizielle Beschaffung die Dringlichkeit nicht reichte.
Immer wieder mussten Einzelteile aus „Abfallkisten“ zusammengesucht
werden oder konnten irgendwo abgestaubt werden. Nicht zivil war sie natürlich
insofern, als im Nazideutschland von 1942 überhaupt nichts mehr ohne militärische
Erlaubnis ablief. Jeder „zivile“ Arbeiter brauchte eine „uk“,
jede Produktion einen Befehl. Zuse trickste sich und seine Computerfirma durch
den Krieg so gut es ging. Sehr gut ging es nicht; er gelangte nie unter den Schutz
und an das Geld drängender Kriegswichtigkeit. Zuse hat deshalb nichts extra
für den Krieg erfunden; – er hat sich mit ihm arrangiert.
Das einzige Arrangement, welches das Papier der Entwürfe und Verträge
verließ – die Konstruktionen der Z-Computer orientierten sich sämtlich
an der Mathematik der Baustatik (Vgl. FzK: 12), Zuses Chiffrierer wurde nie gebaut
– ist die S1 gewesen; ein Spezialcomputer, der in den Henschel-Werken 1942-1944
für die Flügelvermessung ferngesteuerter fliegender Bomben eingesetzt
worden ist. Es braucht schon einen stark usurpatorischen Begriff von Heeresgerät,
um aus diesem Punkt eine kriegsbedingte Entwicklung des Computers in Deutschland
zu schließen. Soweit es sich aus Zuses Text herauslesen lässt, ist
die S1 keine besondere Neuerung, sondern eine Anwendung von Zuses Wissen gewesen.
Wir neigen dazu, wegen der privaten, bürgerlichen Karriere dieses Wissens,
den Missbrauchssatz an dieser Stelle anders herum anzubringen: Die S1 ist kriegerischer
Missbrauch von Zivilgerät gewesen.
„Der feindliche Ring um Deutschland freilich zog sich 1944 mehr und
mehr zusammen. Bald ging es nur noch ums Überleben. Die Arbeitsverhältnisse
wurden immer unerträglicher. Es erschien notwendig, meinen Betrieb zu evakuieren.“
(CmL: 72) beginnt Zuse den Bericht der bombengescheuchten Reise, die er, seine
Mitarbeiter und die Z4 angetreten haben. (Z1-3, sowie die S1, blieben in Berlin
und wurden dort zerstört.) Sie ging über Göttingen und endete kurz
nach dem Krieg in Hinterstein im Allgäu. Unterwegs „kreuzte“
sie in der Tat das Schicksal der V2 unter Harz-Felsen (Kittler). Eine Formulierung,
die eine Intention suggeriert, die bei Zuse an keiner Stelle zu finden ist:
Die meisten
Versuchsgeräte waren schon durch den Bombenkrieg zerstört oder beschädigt,
aber die Z4 stand kurz vor der Vollendung. Sie hieß damals noch nicht Z4
sondern V4, was nicht mehr war, als eine Abkürzung für Versuchsmodell
4. Der Gleichklang dieser Abkürzung mit der für die so genannten Vergeltungswaffen
V1 und V2 hat unseren Computer gerettet: „Die V4 muss aus Berlin in Sicherheit
gebracht werden“, lautete die Parole. Sie stammte natürlich von Dr.
Funk [einem findigen Henschel-Zuse Mitarbeiter]. [...] Schließlich erhielten
wir den „Befehl“, sie in eines der unterirdischen Rüstungswerke
zu bringen. Der erste Besuch dort war selbst für uns, die wir durch den Berliner
Bombenkrieg allerhand gewohnt waren, erschütternd. Zum ersten Mal standen
wir der unmenschlichen Grausamkeit des Dritten Reichs gegenüber. In kilometerlangen
Stollen arbeiteten zwanzigtausend KZ-Häftlinge unter unvorstellbaren Bedingungen.
[...] Nach dem Besuch sagten wir uns: Überall hin nur nicht hierher! Wir
ließen uns lediglich einen Wehrmachtslastwagen mit Anhänger geben,
mit dem wir das Gerät transportieren konnten. (CmL: 81)
Unter Harz-Felsen zeigte Zuse nach Zuse mehr als nur
„eine gewisse Scheu“, hier hatte das Arrangieren mit dem Krieg und
mit den Nazis ein jähes Ende. Der Moralist Zuse wollte lieber seine Maschine,
als die Verantwortung des Wissenschaftlers aus den Augen verlieren. Die Flucht
ins Allgäu glückte knapp.
Soweit die Kriegsgeschichte Zuses, die trotz des Zweiten Weltkriegs zum Computer
– in der strengen Bedeutung des Wortes – führte. Die Z3 hatte
folgende Eigenschaften: Elektromagnetisches Rechenwerk; Binäres Zahlensystem;
Gleitendes Komma; Wortlänge 22 Bit; Speicherkapazität 64 Worte; Steuerung
über 8-Kanal-Lochstreifen (d. h. dass ein Befehl aus 8 Bit bestand); Eingabe
über eine Spezialtastatur, bei welcher die Lage des Kommas relativ zu vier
Dezimalstellen eingestellt werden konnte; Geschwindigkeit: etwa 3 Sekunden für
Multiplikation, Division bzw. Quadratwurzelziehen. (CmL: 55) Die Z4 „was
essentially the same computer as the Z3 except that it had a word length of 32
bits. (Z1-Z4.html; 17. Mrz. 1997)“ Was noch fehlte, waren die bedingten
Sprünge: diese Scheu hat Zuse bei der Arbeit am Plankalkül und der Weiterentwicklung
der Z4 sehr schnell überwunden, und das Attribut elektronisch. Dazu sind
aber, wie gesagt, die grundlegenden Ideen bereits 1939 entwickelt worden; einen
Röhrencomputer zu bauen ist bloß zu teuer gewesen, Anfänge hat
es trotz allen Mangels doch gegeben:
Schreyers
Problem beim Bau dieses Versuchsmodells war, dass er Spezialröhren mit zwei
parallelen Gittern benötigte und dass er, jedenfalls offiziell, für
eine derartige Sonderentwicklung keine ausreichende Dringlichkeitsstufe bekam.
Wir hatten aber einen guten Freund, der Entwicklungsingenieur bei Telefunken war
und den Mut hatte, die Entwicklung und Fertigung dieser Röhren zwischen die
kriegswichtigen sonstigen Arbeiten in seinem Labor hineinzumogeln.(CmL: 69)
Es ist also im Wesentlichen alles da gewesen, außer ausreichenden Produktionmitteln.
Die Computergeschichte hat sich noch im II. WK einen schmalen zivilen Parallelweg
gepflastert.
Was vom Kriege übrig
blieb
Und der wurde – hier liegt die häufigere, hässliche Seite einer
Münze, die immer keiner werfen will – durch die Folgen des Zweiten
Weltkriegs abgerissen.
Der Computerhistoriker Reinhard Keil-Slavik schreibt:
Der Zusammenbruch
des Hitler-Faschismus setzt der deutschen Rechnerentwicklung vorerst ein Ende.
Im Rahmen der nationalen und internationalen Entwicklung der Informatik sind Zuses
Arbeiten lediglich von historischem Wert. Zwanzig Jahre nach Beendigung des Zweiten
Weltkriegs gibt es die von Zuse gegründete Firma nicht mehr. Sie ist von
dem größten deutschen Rechnerhersteller, der Siemens AG, aufgekauft
worden. Doch auch bei Siemens ist der deutliche Einfluss der amerikanischen Entwicklung
sichtbar geworden. (FzK: 12)
Auch die Engländer konnten einen anfänglichen Vorsprung vor den Amerikanern
nicht halten. Die heutigen Computer stammen alle in direkter Linie vom amerikanischen
ENIAC ab, wie ein von Keil-Slavik vorgestellter Computerstammbaum zeigt (Vgl:
FzK: 16).
De facto also sind die Computer weiterentwickelte amerikanische Heeresgeräte.
Ein Grund dafür wird sein, dass die kaputte europäische Wirtschaft andere
Sorgen hatte, als sich irgendein millionenschweres Computerprojekt zu leisten.
Ein anderer Grund ist die Bedrohungen und Gespinste des Kalten Krieges und die
Gelder und Ideen die in Amerika deshalb in computergesteuerte Verteidigungssysteme
investiert worden sind.
Die Geschichte Zuses ist selbstredend kein Beweis gegen die produktiven Einfluss
von Kriegen auf technische Entwicklungen. Wir haben die spezielle Medienproduktionsdynamik
die in Kriegen steckt auch ausführlich dargestellt. Sie greift aber nicht
immer und überall. Die „Z-Story“ zeigt deutlich, dass der Krieg
nicht unbedingt „der Vater aller Medien ist“ (EGU: 130), wie Kittlers
Meinungspartner Norbert Bolz schreibt. Ein Erfinder des Neuen Mediums Computer
stand zu Hause in Zivil vor seiner Maschine. Er selbst deutet eine zweite Macht
an, die durchaus Vaterschaften übernehmen kann:
Nur zu
oft ist der Erfinder der faustische Idealist, der die Welt verbessern möchte,
aber an den harten Realitäten scheitert. Will er seine Ideen durchsetzen,
muss er sich mit Mächten einlassen, deren Realitätssinn schärfer
und ausgeprägter ist. In der heutigen Zeit sind solche Mächte [...]
vornehmlich Militärs und Manager. So ist etwa die amerikanische Computerentwicklung
– oder gar die Raumfahrt – gar nicht denkbar ohne die Unterstützung
des Militärs. Ich selber habe es mehr mit Managern und Wissenschaftlern zu
tun gehabt. (CmL: X)
Wozu nun also war der Zweite Weltkrieg bei der Entwicklung des Computers notwendig?
Für seine Erfindung?: Nein. Zuse wäre ohne WK II sicher besser zu Recht
gekommen. Für die „Umstellung auf Massenproduktion“? Das ist
wenigstens unklar. Leicht asymmetrisch zum Ersten Weltkrieg, in dessen Folge das
Unterhaltungsgerät Radio eingeführt wurde, hat die massenhafte Einführung
des Unterhaltungsgerätes Computer noch einige Jahrzehnte auf sich warten
lassen. Dazu brauchte es neben den Produktionen, die ein halluzinierter Krieg
– kein echter – bei der US-Army anspornte, denn doch noch die Management-
und Marketingstrategien der Firmen IBM, Intel, Apple, Microsoft, und dergleichen
mehr. Hier vermischen sich bereits die Mächte. Und das mediale Militäprojekt
ARPA-Net aus dem kalten Friedensjahr 1963, aus dem das Internet erwuchs, verbreitet
sich massenhaft erst heute, nach gut 50 Jahren zumindest von uns so genannter
Nichtkriegszeit.
Literatur
Texte aus Büchern:
- Bolz, Norbert: Am Ende der Gutenberggalaxis, München 1993 (EGU)
- Hodges, Andrew: Alan Turing, Enigma, Wien 1994 (E)
- Hofstadter, Douglas:Gödel Escher Bach, Stuttgart 1985 (GEB)
- Keil-Slawik, Reinhard: Von der Feuertafel zum Kamproboter, in J. Bickenbach
u.a., Militarisierte Informatik, Berlin 1985 (FzK)
- Kittler, Friedrich: Grammophon Film Typewriter, Berlin 1986 (GFT)
- Kleist, Heinrich von, Entwurf einer Bombenpost, in: ders. Sämtliche Werke
und Briefe, Darmstadt 1980, Bd II, S. 385-388. (EeB)
- Kozaczuk, Wladyslaw: Im Banne der Enigma, Berlin 1987 (BdE)
- Locke, John: Versuch über den menschlichen Verstand Bd II, Hamburg 1988
(VmV)
- Pynchon, Thomas:Die Versteigerung von No. 49, Reinbeck 1980 (Vv49)
- Schöning, Uwe: Theoretische Informatik kurz gefasst, Mannheim 1992 (TI)
- Siegert, Bernhard: Relais – Geschicke der Weltliteratur als Epoche der
Post, Berlin 1993 (R)
- Zuse, Konrad: Der Computer – Mein Lebenswerk,Berlin 1986 (CmL)
Texte aus dem Internet:
- Moye, William, ENIAC: The Army-Sponsored Revolution, http://ftp.arl..mil/~mike/comphist/96summary
- Weik, Martin, The Eniac Story, http://ftp.arl.mil/~mike/comphist/eniac-story.html
- Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB), Konrad Zuse,
http://www.zib-berlin.de/Prospect/zuse.html
- Rogers, Harold, Z1-Z4, http://bang.lanl.gov/video/sunedu/computer/z1z4.html
Fußnoten
... sondern nur Verwirrung dabei herum:
Locke schreibt in VmV: 112 zum Beispiel: „Ich nahm einst an einer Zusammenkunft
hochgelehrter und sehr geistvoller Ärzte teil, auf der zufällig die
Frage aufgeworfen wurde, ob eine Flüssigkeit die Fasern der Nerven durchdringe.
Die Debatte wurde eine ganze Weile von beiden Seiten mit den verschiedensten Argumenten
geführt. Da bat ich (da sich mir schon immer der Verdacht aufgedrängt
hatte, dass sich die meisten Streitigkeiten mehr um die Bedeutung der Wörter
als um die reale Verschiedenheit der Dinge drehen), man möge, ehe man sich
weiter streite, zunächst prüfen, was des Wort Flüssigkeit bedeute.“
Alan Turing war dieses Problem bekannt. In einem Brief schreibt er: „Lieber
Young! Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass unsere Unstimmigkeiten
hauptsächlich die Verwendung von Wörtern betreffen.“ (Turing an
den Physiologen John Young, in E: 503)
[back]
... so etwas wie ein Unlösbares Problem nicht
gibt:
Hilbert: „Der Grund dafür, dass Compte kein unlösbares Problem
finden konnte, liegt meiner Ansicht nach in der Tatsache, dass es so etwas wie
ein unlösbares Problem nicht gibt.“ (E: 108) Es ist anzunehmen, dass
Hilbert hier die Ansicht der meisten Naturwissenschaftler seiner Zeit ausspricht.
[back]
... Zuse nach Zuse:
Da Kittler bei seiner geheimnisvollen Formulierung, dass die Z4 das Schicksal
der V2 unter Harz-Felsen gekreuzt habe, vergleichend auf Hodges verweist, haben
wir auch einmal verglichen.
Hodges schreibt: “Zuse Rechner [wurden] für die Entwicklung der V2-Raketen
verwendet, während Zuse selbst 1945 in der unterirdischen Fabrik „Dora“
eingesetzt wurde.“ (E: 344)
Wir haben daraufhin Hodges, der in Enigma Zuses Der Computer – mein Lebenswerk
als einzige Referenz angibt, gefragt, wie er zu dieser Zuse widersprechenden Darstellung
gelangt sei.
Hodges Antwort:
There is no contradiction – simply my mistake. [...] It is the worst mistake
that has come to light. [...] It surprises me that no-one has noticed this error
before; not even in the seven years in which it has been available in German translation.
Das hat uns allerdings auch gewundert ...
[back] |
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