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Infowar und Kriegsstrategie der Bundeswehr
Stefan Krempl Telepolis 23. November 1998


Ein Gespräch mit Wolfgang Haas, Programm-Manager des Bereichs Führung, Information und Kommunikation bei der IABG

Information Warfare hat viele Facetten und entwickelt sich zu einer Art Glaubenskrieg zwischen Anhängern und Gegnern der Theorie vom „elektronischen Pearl Harbour“. Doch während in den USA die Bedrohungen seit langem analysiert werden und die Feindbilder ausgemacht sind, beginnt hierzulande die „offizielle“ Debatte um den Krieg mit und um die Information gerade erst: Lange genug wurde der Infokrieg in Bonn eher als Ausgeburt des amerikanischen Vernetzungswahns belächelt, zuständig fühlte sich niemand, weder im Innen- noch im Verteidigungsministerium. Doch die Umstellung auf offene Kommunikationsstandards und der verstärkte Einsatz des Internet lassen auch bei der Bundeswehr die Alarmglocken schrillen.

Das Risikopotential der neuen Kriegsführungsarten für die Streitkräfte lässt das Verteidigungsministerium unter anderem von der Ottobrunner Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG) abschätzen. Das Technologieunternehmen, das rund 13 000 Mitarbeiter beschäftigt und im vergangenen Jahr auf etwa 300 Millionen Mark Umsatz kam, versteht sich selbst als eine Mischung aus Think Tank und TÜV für Informations- sowie Waffensysteme. Momentan kommen noch 50 Prozent der Aufträge von militärischer Seite, doch in Zeiten knapper Staatsetats setzt die IABG auch verstärkt darauf, im Sicherheitsbereich Lösungen für Unternehmen anzubieten. Stefan Krempl sprach am Rande einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik mit Wolfgang Haas, Programm-Manager des Bereichs Führung, Information und Kommunikation bei der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft, über die Kriegsführung der Zukunft aus deutscher Perspektive.

In Ihrem Vortrag haben Sie die Affäre um Monica Lewinsky und Bill Clinton als Beispiel für die Konfliktaustragung mit Mitteln des Information Warfare beschrieben. Ist der Krieg der Zukunft ein reiner Medienkrieg?

Wolfgang Haas: Ich glaube, dass Information Warfare ein wesentlich breiteres Spektrum abdeckt als nur offensive Angriffe auf Informationstechnik. Das Ziel ist, dass man überlegene Informationen in Konflikten in allen Bereichen hat, und da spielt natürlich nicht nur die Information, die mit Hilfe der Technik gewonnen wird, eine Rolle, sondern auch die Kenntnis der psychologischen Lage des Kontrahenten und die Einflussnahme auf die Einschätzung der Situation durch die interessierte Öffentlichkeit. Das heißt, Information Warfare ist sehr stark ein Phänomen, das auch auf die psychologische Ebene zielt. Neben den technischen Einwirkungen sind also die Einwirkungen direkt auf die Psyche des Menschen, also das, was man früher als psychologische Kriegsführung und Propaganda bezeichnet hat, bedeutend. Im Vordergrund steht dabei, dass man den Verbund des Menschen einerseits mit seinen begrenzten Verarbeitungskapazitäten von Information und die Nutzung der informationstechnischen Systeme andererseits optimiert, dass man also schneller und besser informiert ist als der Gegner.

Das hört sich stark nach Knowledge Engineering an.

Wolfgang Haas: Ja, natürlich. Knowledge Management ist ein ganz wesentliches Problem in diesem Zusammenhang, und im Moment liegt der Schwerpunkt im Bereich Information Warfare bei der Bundeswehr nicht auf der Entwicklung offensiver Mittel, also dem Einsatzgebiet der herkömmlichen Elektronischen Kampfführung (EloKa), sondern im Schutz vor entsprechenden Bedrohungen. Zusätzlich bemüht man sich, die Nachrichtengewinnung durch leistungsfähige Sensoren im gesamten Spektrum effizienter zu gestalten, ein besseres Informationsmanagement zu entwickeln und die aufbereiteten Informationen zeitgerecht den Bedarfsträgern zur Verfügung zu stellen: aus der Fülle von Sensordaten soll ein treffendes Bild der Lage abstrahiert werden, um dadurch natürlich auch frühzeitig gegnerische Absichten zu erkennen.

Krieg ist ja ein sehr komplexes System und, so wie Sie es beschreiben, ein Zusammenwirken von Technik, Maschine und Mensch. Wie lange braucht man den menschlichen Anteil noch?

Wolfgang Haas: Der Mensch ist eigentlich die zentrale Größe in allen Arten von Konflikten, und die Technik ist ja nur ein Mittel zum Zweck, um dem Menschen in seiner Lagebeurteilung und anschließend in seiner Entscheidungsfindung sowie in der Umsetzung von Entscheidungen zu unterstützen.

Was ist das Neue an Information Warfare? Im Krieg ging es ja schon immer um den Kampf um Informationsüberlegenheit, um Spionage, Aufklärung und Intelligence.

Wolfgang Haas: Das wesentlich Neue ist aus meiner Sicht, dass immer mehr informationstechnische Systeme um den Menschen herum gebaut werden und ihm helfen, seine Entscheidungen zu finden. Vieles sieht er nicht mehr mit seinen Augen, sondern er erfährt es sekundär über Sensoren, deren unterschiedliche Informationen er miteinander zu verknüpfen sucht. Das Neue daran ist, dass dazu ein sehr komplexer Verbund von Aufklärung, Führung und Wirkung entstanden ist, wo aber immer als entscheidende Größe im Mittelpunkt noch der Mensch steht. Überall dort, wo die Informationstechnik in diesem Verbund die entscheidende Rolle spielt zum Beispiel in Kommunikationsbeziehungen oder Informationsbearbeitungsvorgängen, ist aber auch festzustellen, dass dort durch dieses komplexe Wechselspiel eine enorme Verletzlichkeit auftritt.

Wie umfangreich sind diese Verletzlichkeiten? Wie real sind die Bedrohungen eines Info War, die vor allem von den amerikanischen Streitkräften und Sicherheitsbehörden an die Wand gemalt werden?

Wolfgang Haas: Die maßgebliche Schwachstelle ist meiner Meinung nach immer noch der Faktor Mensch in diesem System. Die Masse der Bedrohungen geht vom Menschen aus, weil er Fehler macht, weil ihm Nachlässigkeiten unterlaufen. Und natürlich kann man auch nicht ausschließen, daß im eigenen System Personen sind, die andere Ziele haben, die bewusst irgendwelche Schwachstellen ausnutzen oder sich vom Gegner ausnutzen lassen. Die zweitwichtigste Fehlerstelle ist die Kommunikation: gerade die „Luftschnittstelle“ beim Funkverkehr ist dabei der Angriffspunkt, wo man am leichtesten in gegnerische Informationssysteme eindringen kann. Nicht nur, weil man den Informationsfluss absaugen kann, sondern auch, weil man dort manipulieren und eine scheinbare Realität vorspiegeln kann: Es ist möglich, Meldungen, die zunächst plausibel erscheinen, dort einzuspielen und so den gegnerischen Entscheidungsprozeß zu beeinflussen.

Das Eindringen in Führungs- und Computersysteme durch Hackerangriffe halte ich im Moment bei uns noch nicht für eine so große Schwachstelle wie im sehr viel stärker vernetzten Kommunikationssystem der US-Streitkräfte. Wir haben momentan noch sehr viel abgeschottete Systeme bei der Bundeswehr im Einsatz, die keine Verbindung mit öffentlichen Netzen haben. Doch was gerade an neuen Führungssystemen aufgebaut wird, das ist immer komplexer und immer vernetzter, so dass wir den USA nur noch einige Schritte hinterher sind. Und wenn die Bundeswehr ein Intranet aufbauen will, wird man auf Schnittstellen nach außen nicht verzichten können. Es gibt ja auch sehr viele Informationen, die man aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen erhalten kann. Wenn es zum Beispiel bei einem Auslandseinsatz darum geht, sich von der politischen Lage oder der Situation der Bevölkerung ein Bild zu machen, dann muss man natürlich auch offene Quellen nutzen und Verbindungen in andere Netze schaffen.

Um noch einmal auf die „Schwachstelle Mensch“ zurückzukommen: Wäre es nicht doch das Ideal eines virtuellen Kriegs, den Mensch zu ersetzen?

Wolfgang Haas: Das wäre dann ein Szenario, das von Martin Libicki als Cyberwar umschrieben worden ist, wo sich nur irgendwelche informationstechnischen Systeme gegenüberstehen. Ich glaube aber, dass das Entscheidende auch in zukünftigen Konflikten immer noch das überlegene Führungskönnen sein wird, die Fähigkeit durch Nutzung von Informationstechnik eine Lage zutreffend einzuschätzen, zu beurteilen und in einer Art und Weise zu reagieren, die den Gegner überrascht.

Der Krieg im Computer hätte zumindest den Vorteil, dass zunächst kein Blut fließt.

Wolfgang Haas: Wenn man von den wahrscheinlichen Konflikten ausgeht, mit denen auch die Bundeswehr in naher Zukunft konfrontiert werden könnte, dann sind das nicht mehr die Landesverteidigungen gegen starke oder sogar überlegene Gegner, sondern es geht zunehmend um Engagements zur internationalen Friedenssicherung in Konflikten minderer Intensität. Dabei ist die Sensibilität in der Bevölkerung, dass Menschenleben gefährdet sein könnten, natürlich sehr groß. Deswegen wird in zukünftigen Konflikten verstärkt dazu übergegangen – wie wir es ja auch im Golfkrieg erstmals so drastisch erlebt haben – dass mit chirurgisch genauen Präzisionsschlägen aus der Entfernung versucht wird, die technischen Elemente, die der Gegner braucht, um sich ein Bild von der Situation zu machen, als erstes einmal auszuschalten und ihm deutlich macht, dass man die Informationsüberlegenheit besitzt. Zumindest ein rational handelnder Gegner wird in einer solchen Situation einsehen, dass es keinen Sinn macht die Aggression fortzusetzen.

Chirurgisch genau, bedeutet das also das Ende größeren Blutvergießens?

Wolfgang Haas: Ganz wird man Blutvergießen natürlich nie verhindern können. Soldaten, die solche Informationssysteme bedienen, sind ja gerade besonders gefährdet. Die großen Massenschlachten zwischen gepanzerten Armeen werden dagegen immer unwahrscheinlicher, weil es oft reicht, dem Gegner durch Beeinträchtigung seiner Sensoren die Sicht auf die Lage zu nehmen und seine Kommunikationssysteme auszuschalten. Er wird dann einsehen, dass eine große Abnutzungsschlacht aufgrund der eigenen Orientierungslosigkeit in diesem Fall keinen Sinn mehr macht.

Wenn die Erringung der Informationsüberlegenheit auf beiden Seiten das Ziel ist, befinden wir uns dann nicht längst in einer neuen, digitalen Rüstungsspirale?

Wolfgang Haas: Die Rüstungsprioritäten liegen momentan eindeutig im Bereich Führung und im Bereich Aufklärung. Man versucht also, sich möglichst hochtechnisierte Systeme zu verschaffen, die einen überlegenen Führungs- und Aufklärungsprozess sicherstellen. Die entscheidenden Bestrebungen in den nächsten Jahren werden sicher nicht darauf abzielen, Panzer zu bauen, die auf noch weitere Entfernung noch größere Löcher schießen können.

Was ist dran an den Berichten über elektromagnetische Bomben, die bei ihrer Explosion ganze Computersysteme lahm legen können sollen?

Wolfgang Haas: Wir wissen, dass insbesondere im Bereich der ehemaligen Sowjetunion die Forscher schon sehr weit waren, Munition zu entwickeln, die von der Artillerie auf weite Entfernungen hin verschossen werden kann, und dann durch eine so genannte Flux Compression direkt über dem Ziel hohe elektromagnetische Impulse ausgelöst werden. Solche Systeme sind heute realisierbar, und wir gehen davon aus, dass sie sicherlich auch auf der westlichen Seite in Forschungslabors existieren. Es gab auch bereits Laborversuche, in denen nachgewiesen wurde, dass ein System, das einen nichtnuklearen elektromagnetischen Impuls auslösen kann, der zumindest in einem Umkreis von 50 bis 100 Meter alles, was dort an Informationstechnik vorhanden ist, nachhaltig schädigt, in einem Aktenkoffer untergebracht werden kann.

Sollte man solche Waffen, die ja nicht nur die Rechnersysteme von Einrichtungen der Streitkräfte, sondern genauso Anlagen in Krankenhäusern oder Verkehrsleitstellen zum Absturz bringen könnten, nicht völkerrechtlich ächten? Mich erinnern solche E-Bomben schon fast an biochemische Waffen.

Wolfgang Haas: Biologische oder chemische Kampfmittel haben aus meiner Sicht eine ganz andere Dimension, weil der Mensch das alleinige Ziel ist. Das ist also in jedem Fall eine inhumane Kriegsführung. Ich empfinde es da schon wesentlich „menschlicher“, wenn man sich gegenseitig die Technik zerstört, als wenn man hohe Verluste an Menschenleben hinnimmt. Andererseits sind heute in der gesamten zivilen Infrastruktur, ja selbst schon in Privathaushalten überall so viele Computerchips, dass im eigentlichen Kampfgebiet sicher nichts mehr funktionieren würde – außer dem menschlichen Organismus. Wenn solche Bomben also großflächig gegen zivile Ziele eingesetzt würden, wäre die Zivilbevölkerung natürlich in großem Ausmaß betroffen. Derartige Waffen machen meiner Ansicht nach aber nur Sinn, wenn man sie für chirurgisch genaue Angriffe auf militärische Ziele mit der Absicht der Vermeidung von Kollateralschäden und Verlusten an Menschenleben einsetzt.
 23. November 1998