|
|
|
|
Broschüre
„Der Informationskrieg“
Broschüre vom Gegeninformationsbüro
21. April 2000
Kosovo-Chronologie
Zeittafel von 1941 bis 1999
6. April 1941
Hitler überfällt ohne Kriegserklärung Jugoslawien. Serbien und
der Norden des Kosovo werden unter deutsche Militärverwaltung gestellt. Die
Mitte und der Süden des Kosovo kommen zu Albanien, das 1939 nach seiner Eroberung
durch das faschistische Italien Mussolinis ein italienisches Protektorat geworden
war. So entsteht am 12. August 1941 ein italienisch beherrschtes „Großalbanien“.
Das mit Deutschland verbündete Bulgarien besetzt die östlichen Gebiete
des Kosovo.
1943
Mussolini wird vorübergehend gefangen genommen. Der italienische König
erklärt Deutschland den Krieg. „Großalbanien“, also Albanien
und der größte Teil des Kosovo, wird nun von Deutschland besetzt. Ministerpräsident
und Innenminister dieses Nazi-Vasallenstaats werden zwei Politiker aus dem Kosovo.
April 1941 bis Oktober 1944
Faschistische kosovo-albanische Milizen, „Balli Kombetar“ oder „Ballisten“
(„Nationale Front“) genannt, kollaborieren mit der italienischen Besatzungsmacht
und kämpfen für ein „völkisches“, d.h. „ethnisch
reines“ Großalbanien.
Als 1943 die deutsche Besatzung die italienische Besatzung ablöst, unterstellen
sie sich der SS. Die Ballisten verfolgen und töten zahlreiche SerbenInnen,
MontenegrinerInnen, Juden, Jüdinnen und Roma, die im Kosovo leben. Dadurch
wird die Minderheitsposition der Serben im Kosovo verstärkt. (1939 lag der
Bevölkerungsanteil der Kosovo-Albaner erst bei 60 Prozent und der der Serben
und anderen Minderheiten noch bei 40 Prozent.)
September bis Oktober 1944
Kommunistische Partisanen und die Rote Armee der Sowjetunion zwingen die deutschen
Truppen zum Rückzug aus Jugoslawien. Am 22. Oktober 1944 wird Belgrad befreit,
aber deutsche Truppen stehen zu dieser Zeit noch im Kosovo, in Bosnien, in Kroatien
und in Slowenien.
1945
Aus dem Partisanenkrieg gegen die Nazi-Besatzer sind zwei kommunistische Partisanenführer
hervorgegangen, der Kroate Tito und der Albaner Enver Hodscha. Nach der Niederlage
der Deutschen in Jugoslawien im Oktober 1944 übernehmen aber nicht die Tito-Partisanen
im Kosovo die Macht, sondern die Ballisten, weil sie einen starken Rückhalt
in der Bevölkerung haben. Tito stellt mit militärischer Unterstützung
Enver Hodschas das Kosovo im Frühjahr 1945 unter die Militärverwaltung
der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee. Erst im Juli 1945 sind die Ballisten
besiegt. Die Militärverwaltung wird wieder aufgehoben. Die Ballisten kämpfen
aber noch längere Zeit als Partisanen weiter.
6. März 1945
Das „Nationalkomitee der Befreiung Jugoslawiens“ beschließt,
dass die aus dem Kosovo geflüchteten/ vertriebenen Serben nicht dorthin zurückkehren
dürfen. Dadurch sollen mögliche Racheakte vermieden werden, die die
Idee der „Einheit und Brüderlichkeit“ in Jugoslawien gefährden
würden. Das Nationalkomitee will aber auch dem inzwischen ebenfalls von den
kommunistischen Partisanen eroberten Albanien entgegenkommen, das für eine
„Balkanföderation“ (s.u.) gewonnen werden soll. Die von den Ballisten
erzwungene albanische Mehrheitsposition im Kosovo bleibt also erhalten.
1946
Tito plant eine Balkanföderation mit Albanien, Bulgarien und, wenn möglich,
mit Griechenland. Das Hauptmotiv ist, alle ethnischen Konflikte zu entschärfen,
speziell die Konfliktherde Kosovo und Mazedonien. Stalin sieht in der Balkanföderation
jedoch eine Bedrohung des sowjetischen Führungsanspruchs im Ostblock und
lehnt ab.
30. Januar 1946
Verabschiedung der Verfassung Jugoslawiens. Sie teilt das Land in sechs Republiken
(Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Mazedonien) und
zwei zur Republik Serbien gehörende autonome Gebiete (Vojvodina, Kosovo)
ein.
1946 bis 1990
Albanien bleibt unter Enver Hodscha zunächst der Sowjetunion unter Stalin
eng verbunden. Hodscha wirft Tito folgendes vor: a) Revisionismus, d.h. Verrat
am Marxismus b) den Plan, Albanien mit Hilfe der Balkanföderation dominieren
zu wollen. Umgekehrt hat Hodscha eine starke nationalistische Komponente, d.h.
den Anspruch, alle Albaner, auch die des Kosovo, zu Albanien zu bringen. Später,
nach Stalins Tod 1953, bezeichnet er auch dessen Nachfolger Chruschtschow als
Revisionisten und wirft ihm vor, Albanien innerhalb des Ostblocks zum „Zitronenland“
machen zu wollen, d.h. ohne Entwicklung der Industrie. Enver Hodscha schließt
deshalb Albanien nach dem Abbruch der Beziehungen zur Sowjetunion (1961) an Mao
Tse Tungs China der „Kulturrevolution“ an. Als sich die chinesische
Außenpolitik gegenüber den USA öffnet, und als nach Maos Tod (1976)
seine innerparteilichen Gegenspieler an die Macht kommen, die (bis heute) in China
den Kapitalismus restaurieren, zerbricht auch diese Verbindung. China zieht –
wie zuvor die Sowjetunion – sofort seine Techniker aus Albanien ab. Eine
erneute Wirtschaftskrise und die vollkommene außenpolitische Isolation Albaniens
ist die Folge.
1948
Jugoslawien wird aus dem Kominform ausgeschlossen. Tito versucht, das Kosovo-Problem
mit wirtschaftlichen Mitteln zu lösen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass
es in Jugoslawien noch aus der Zeit vor 1918 ein starkes wirtschaftliches Nord-Süd-Gefälle
gibt. In der Habsburger Zeit wurden Slowenien und Kroatien teilindustrialisiert.
Im Süden Jugoslawiens herrscht dagegen die agrarische Subsistenzwirtschaft
vor. Deshalb werden anfangs die Investitionen stark auf den Süden konzentriert.
1949
Wegen der Wirtschaftblockade des Ostblocks schließt Tito mehrere Handelsabkommen
mit westlichen Ländern ab.
1950
Einführung des „Selbstverwaltungssozialismus“ (ArbeiterInnenräte
wählen u.a. die Betriebsleitung).
1952
US-Finanz-und Militär-„hilfe“ für Jugoslawien.
1953
Zehnjahresplan für die Landwirtschaft. Unter anderem wird die begonnene Kollektivierung
der Landwirtschaft rückgängig gemacht.
Im Kosovo liegt der Bevölkerungsanteil der Kosovo-Albaner jetzt bei 65 Prozent,
der der Serben bei 24 Prozent. Andere Minderheiten machen elf Prozent aus. 35
Prozent der Bevölkerung sind also keine Albaner.
1954
Spannungen mit Albanien wegen des Kosovo.
1956
Beginn der Politik der „Blockfreiheit“ zusammen mit Ägypten (Nasser)
und Indien (Nehru).
1962
US-Kredite für Jugoslawien
60er Jahre
65 Prozent des Geldes aus dem „Bundesentwicklungsfonds“ Jugoslawiens,
in den die wirtschaftlich stärkeren Republiken Slowenien und Kroatien einen
Teil ihrer Einnahmen zur Förderung der unterentwickelten Gebiete einzahlen,
fließen in das Kosovo.
60er und 70er Jahre
Jugoslawien nimmt zwecks Industrialisierung zunehmend Kredite aus dem Westen auf.
Das meiste Geld fließt nach Slowenien und Kroatien.
Mitte 60er Jahre
Wirtschaftskrise. Erste separatistische Kundgebungen in Kroatien und im Kosovo.
Die Zusammenstöße zwischen Kosovo-Albanern und Serben im Kosovo nehmen
zu.
70er Jahre
Steigender Lebensstandard durch weitere Aufnahme westlicher Kredite.
1974
Eine neue Verfassung gibt allen sechs jugoslawischen Republiken größere
politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit auf Kosten der Föderation
und erweitert den Autonomiestatus der beiden autonomen Gebiete Serbiens (Kosovo
und Vojvodina). Diese werden weitgehend gleichgestellt mit den Republiken, d.h.
sie entsenden ihre Vertreter nicht mehr in das serbische Parlament, sondern in
das gesamtjugoslawische Parlament. Sie erhalten weiterhin je einen Vertreter im
neu eingerichteten Staatspräsidium, das dementsprechend acht Mitglieder hat,
und ebenfalls je einen Vertreter in der Führung des BdKJ („Bund der
Kommunisten Jugoslawiens“), der einzigen zugelassenen Partei. Allerdings
erhalten sie – im Unterschied zu den Republiken – nicht das Recht
auf Lostrennung. Die Erweiterung der Autonomie beseitigt aber nicht die nationalistischen
Tendenzen, die es im „Bund der Kommunisten des Kosovo“ ebenso gibt
wie in den Parteien der Republiken, sondern heizt sie an.
Seit 1974
Kosovo-Albaner beginnen, massiven Druck auf Roma auszuüben (Drohungen, Zerstörungen,
Prügel, Mordanschläge), damit sie sich zur kosovo-albanischen Seite
bekennen.
4. Mai 1980
Tod Titos. Ab jetzt regiert das (schon seit 1974 bestehende) Staatspräsidium,
das aus je einem Vertreter der Republiken und der beiden autonomen Gebiete Serbiens
besteht, und dessen Vorsitz jährlich wechselt. Beginn einer schweren Wirtschaftskrise.
Neue Kredite sind wegen der bereits hohen Auslandsverschuldung nicht mehr erhältlich,
obwohl Jugoslawien im Vergleich zu anderen – vor allem westlichen –
Staaten nicht übermäßig verschuldet ist. Dennoch muss Jugoslawien
1980 dem IWF beitreten, erhöhte Schuldentilgungsraten akzeptieren und sich
1982 und 1987 neoliberalen sogenannten „Strukturanpassungen“ des IWF
unterwerfen, die die Privatisierung von selbstverwalteten vergesellschafteten
Betrieben, Lohnstop und Massenentlassungen beinhalten. Dadurch verschärfen
sich die Armut und die Konkurrenz in der Bevölkerung.
März 1981
Bei einer Demonstration kosovo-albanischer StudentenInnen der Universität
Pristina wegen schlechten Mensaessens werden mehrere Milizionäre schwer verletzt.
Daraufhin setzt die Miliz Schusswaffen ein. In den darauf folgenden Wochen entwickeln
sich im gesamten Kosovo militante Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es gibt
nach staatlichen Angaben neun Tote und 257 Verletzte, nach Angaben der kosovo-albanischen
Seite 200 Tote.
Forderung von Kosovo-Albanern nach dem Republikstatus anstelle des Status eines
autonomen Gebiets der Teilrepublik Serbien. Die serbische Bevölkerung im
Kosovo beginnt, sich gegen ihre Diskriminierung durch Kosovo-Albaner aufzulehnen.
2. April 1981
Die jugoslawische Regierung verhängt im Kosovo für drei Monate den Ausnahmezustand
und setzt die Armee ein. Präsident Jugoslawiens ist zu dieser Zeit der Vertreter
der Teilrepublik Bosnien-Herzogowina.
1981
Der Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und spätere Außenminister
Kinkel (FDP) entsendet über 100 Agenten nach Jugoslawien, um das Land zu
destabilisieren. Danach: Weitere nationalistische Radikalisierung.
1982
Gründung der LSRHJ („Bewegung für die albanische Republik Jugoslawiens“),
die sich am Albanien Enver Hodschas orientiert und Morde und Bombenattentate verübt.
Harte Reaktion der Regierung (Verhaftungen, Ermordung zweier nationalistischer
Aktivisten).
1984
Trotz der Blockfreiheit Jugoslawiens und trotz seiner umfangreichen Handelsbeziehungen
zur EG und zu den USA nimmt die Reagan-Regierung in den USA in einer geheimen
Direktive („National Security Decision Directive – NSDD 133“)
mit dem Titel „Die Politik der Vereinigten Staaten gegenüber Jugoslawien“
die jugoslawische Wirtschaft ins Visier. Eine zensierte Version von NSDD 133,
die 1990 freigegeben wird, bezieht sich auf eine frühere Direktive (NSDD
54) für Osteuropa, die 1982 veröffentlicht worden war, und führt
diese näher aus. NSDD 54 befürwortete „gesteigerte Anstrengungen
zur Förderung einer stillen Revolution, um die kommunistischen Regierungen
und Parteien zu Fall zu bringen.“ Gleichzeitig sollten die Länder Osteuropas
in eine marktorientierte Weltwirtschaft zurückgeführt werden. (Von einer
Zersplitterung Jugoslawiens ist in den Direktiven allerdings keine Rede. Dessen
territoriale Integrität soll aus der Sicht der USA offenbar erhalten bleiben.)
11. April 1985
Tod Enver Hodschas
1985
Die LSRHJ benennt sich in LRPK („Bewegung für die Volksrepublik Kosovo“)
um und kämpft jetzt für die Separierung des Kosovo. In der Namengebung
spiegelt sich ihre proenveristische und anti-jugoslawische Einstellung wieder.
24. September 1986
Die serbische „Akademie der Wissenschaft und Künste“ erstellt
ein Memorandum, das nach allgemein verbreiteter westlicher Auffassung als geistiger
Urheber Großserbiens und Auslöser der neuen Balkankriege gilt. Das
Memorandum wird am 24. und 15. September 1986 in einer belgrader Zeitung der Öffentlichkeit
präsentiert. Es verursacht in den kommunistischen Reihen quer durch das Land
helle Empörung. Zu jenen, die das als Dokument vorgestellte Schriftstück
wegen seiner „anti-jugoslawischen Agitation“ scharf verurteilen, gehört
Slobodan Milosevic.
1987
Massenstreiks und -demonstrationen in Jugoslawien gegen Lohnstop und Entlassungen
(als Folge der IWF-Auflagen).
Juni und Juli 1987
Anschläge kosovo-albanischer Separatisten auf serbische Klöster, Kirchen,
Friedhöfe, auf Getreidevorräte und Viehbestände von Kosovo-Serben.
(Le Monde, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Zahlreiche Serben und Montenegriner
verlassen das Kosovo. In den 80er Jahren sind es insgesamt ca. 200 000 Ende
1987 ist bereits mehr als die Hälfte aller Dörfer im Kosovo ohne serbische
BewohnerInnen, so dass große „ethnisch reine“ kosovo-albanische
Gebiete entstehen. Die Verdrängung durch Kosovo-Albaner führt bei noch
zurückgebliebenen Serben zur Radikalisierung. Sie vertreiben ihrerseits Kosovo-Albaner
aus überwiegend serbischen Dörfern, sodass kleine „ethnisch reine“
serbische Enklaven entstehen. Wirtschaftliche Rückständigkeit und hohe
Arbeitslosigkeit sind die Hauptursachen für die Eskalierung des nationalen
Konflikts (Neue Züricher Zeitung, 1987).
Juni 1987
Der „Bund der Kommunisten“ fordert die vertriebenen Serben auf, in
das Kosovo zurückzukehren. Die serbische Regierung verstärkt ihre nationalistische
Propaganda, um von der Wirtschaftskrise abzulenken, um dem kosovo-albanischen
Separatismus entgegenzutreten und um trotz des Rückgangs des serbischen Bevölkerungsanteils
nicht die Kontrolle über das Kosovo zu verlieren.
September 1987
Milosevic wird Vorsitzender des „Bundes der Kommunisten Serbiens“.
1988
Slowenien und Kroatien wollen den armen Süden nicht mehr mitfinanzieren und
zahlen nichts mehr in den „Bundesentwicklungsfonds“ ein. Hauptbetroffener
ist das Kosovo. Auch bei Entlassungen in Slowenien und Kroatien werden zuerst
die Wanderarbeiter aus dem Süden Jugoslawiens entlassen.
Während die beiden nördlichen Republiken sich separieren wollen, um
in die EG hineinzukommen, versucht die jugoslawische Regierung, den Staat zusammenzuhalten
und ihn als Ganzes in die EG zu integrieren. Auf diese Weise sollen auch Serbien
und der Süden Jugoslawiens (also auch das Kosovo) eine Chance erhalten, am
europäischen Markt teilzuhaben, denn für ein armes „Restjugoslawien“
(d.h. ohne Slowenien und Kroatien) gibt es kaum eine Aussicht, in die EG aufgenommen
zu werden. Aus diesem Grund setzt sich Milosevic dafür ein, jede Art von
Separatismus mit Gewalt zu unterdrücken. Deshalb führt das serbische
Parlament ein Jahr später, im März 1989, die Rechte der autonomen Gebiete
Kosovo und Vojvodina wieder auf den Stand von vor 1974 zurück - als Reaktion
auf den dortigen Separatismus. Das Motiv ist, das sich das Kosovo und die Vojvodina
nicht als unabhängig erklären können sollen. (Vgl. dazu 23. März
1989). Deutschland (Außenminister Genscher) drängt indes Slowenien
und Kroatien dazu, eigene Staaten zu gründen und dafür auch militärische
Kämpfe mit der gesamtjugoslawischen Armee in Kauf zu nehmen. (Genscher 1991
zur kroatischen Regierung: „Mit jedem Schuss rückt die Unabhängigkeit
näher.“) 1991 beschließen alle Parteien mit Ausnahme der PDS,
Slowenien und Kroatien zur Not auch im Alleingang ohne die anderen europäischen
Staaten zu Weihnachten 1991 als souveräne Staaten anzuerkennen. („Die
Grünen“ spielen dabei übrigens eine Vorreiterrolle, indem sie
bereits im Frühjahr 1991 die Anerkennung fordern, also noch einige Monate
früher als Genscher!). Damit beginnt die Zerlegung Jugoslawiens, eines Staates,
der nach dem 1.Weltkrieg auf französisches und englisches Drängen hin
neben Polen und der Tschechoslowakei neu gegründet worden war, um Deutschland
mit einem Zweifrontenkrieg drohen zu können, falls es wie 1870 und 1914 einen
Krieg gegen Frankreich anzettelt bzw. wenn es nach einer Vormachtstellung auf
dem europäischen Kontinent strebt. Insofern ist es das erste Ziel Deutschlands
nach seiner Wiedervereinigung, die Versailler Friedensordnung von 1919 zu beseitigen.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz
sagt später (1991) vor Managern und Generälen: Nach der Überwindung
der wichtigsten Folgen des Zweiten Weltkriegs (gemeint sein dürfte vor allem
die Spaltung Deutschlands) „sind wir heute damit befasst, noch die Folgen
des Ersten Weltkriegs zu bewältigen.“ Denn: „Jugoslawien ist
als Folge des ersten Weltkrieges eine sehr künstliche, mit dem Selbstbestimmungsgedanken
nie vereinbar gewesene Konstruktion.“ Scholz forderte daher, die Abspaltungen
der Teilrepubliken von Jugoslawien anzuerkennen. Deutschland steht damit in der
außenpolitischen Tradition des Dritten Reiches, das die Versailler Ordnung
als Hemmschuh für Deutschlands zweiten „Griff nach der Weltmacht“
(nach dem ersten Versuch im Jahr 1914) ansah. Auch in der Anerkennungspolitik
gegenüber nationalen „Befreiungs“bewegungen wird diese Tradition
fortgesetzt. (Himmler 1940: „Bei der Behandlung von Fremdvölkischen
im Osten müssen wir darauf sehen, so viel wie möglich einzelne Völkerschaften
anzuerkennen (...) Ich will damit sagen, dass wir nicht nur das größte
Interesse daran haben, die Bevölkerung des Ostens nicht zu einigen, sondern
im Gegenteil in möglichst viele Teile und Splitter zu zergliedern.“)
Herbst 1988
Absetzung und Verhaftung des Parteichefs des „Bundes der Kommunisten des
Kosovo“, Azem Vllasi und seiner Stellvertreterin Kaquska Jashari. Vorwurf:
Nationalismus.
Politische Provokationen weiterer kosovo-albanischer Führer, die ausschließlich
ethnisch-national argumentieren, verschärfen den Konflikt.
1. März 1989
Generalstreik und gewaltsame Zusammenstöße im Kosovo. Verhängung
des Ausnahmezustands.
23. März 1989
Änderung der Verfassung Serbiens. Die Rechte der autonomen Gebiete Serbiens
(Vojvodina, Kosovo) werden aber nicht beseitigt, sondern nur auf das Niveau von
vor 1974 zurückgeführt, d.h. die Autonomie wird nicht beseitigt, sondern
nur die weitgehende Gleichstellung der autonomen Gebiete mit den Republiken wird
rückgängig gemacht. Sie behalten aber weiterhin das Recht auf albanischsprachigen
Unterricht, Theater usw. Im März 1999, also kurz vor Beginn des Nato-Angriffs
auf Jugoslawien, gibt es im Kosovo 52 albanischsprachige Zeitungen und Zeitschriften,
die nicht behindert werden und die zum Teil sogar Aufrufe der UCK veröffentlichen,
sich dem Kampf gegen die „serbischen Okkupanten“ anzuschließen.
(Zum Motiv für die Statusänderung der beiden autonomen Gebiete vgl.
„1988“.) Massenproteste der Kosovo-Albaner gegen die Verfassungsänderung
werden gewaltsam niedergeschlagen.
2. Mai 1989
Beginn der Auflösung des sog. „Ostblocks“. Grenzöffnung
zwischen Ungarn und Österreich.
Mai 1989
Das serbische Parlament wählt Milosevic zum Vorsitzenden des Präsidiums
der serbischen Teilrepublik.
28. Juni 1989
Amselfeldgedenktag der serbischen Nationalisten: Marsch von 1 Million Serben in
das Kosovo zum 600. Gedenktag an die Schlacht von Kosovo Polje (Amselfeld) gegen
die Türken, um den serbischen Anspruch auf das Gebiet zu demonstrieren. In
einer von westlichen Medien als „chauvinistisch“ und „nationalistisch“
bewerteten Rede betont Milosevic jedoch mehrfach, dass Jugoslawien ein multiethnischer
Staat sei, dass er dies als einen Vorzug ansehe und dass dies so bleiben solle.
Der Sozialismus könne eine Trennung nach Nationalitäten und Religionen
nicht erlauben. Grundlage sei die völlige Gleichberechtigung der in Jugoslawien
lebenden Nationen.
1990
Albanien beginnt sich am Westen zu orientieren und den Kapitalismus wieder einzuführen.
Januar 1990
Die von IWF und Weltbank erzwungenen neoliberalen Wirtschaftsreformen in Jugoslawien
erreichen unter der US-freundlichen jugoslawischen Bundesregierung (Ministerpräsident:
Markovic) ihren Höhepunkt. Unter anderem müssen Steuergelder, die eigentlich
als Ausgleichsgelder für die ärmeren Teilrepubliken und autonomen Gebiete
bestimmt sind, zur Schuldentilgung bei Pariser und Londoner Kreditgebern verwendet
werden. Die Ausgleichszahlungen werden deshalb auf Druck des IWF hin eingestellt.
Besonders betroffen ist erneut das Kosovo. Die politische Zersplitterung in Jugoslawien
vertieft sich, und der Sezessionismus in den Republiken und in den autonomen Gebieten
greift immer weiter um sich. Alle jugoslawischen Republiken weisen das neoliberale
Sparprogramm von Markovic zurück, was zu einem Spontanstreik von 650 000
ArbeiterInnen in ganz Jugoslawien gegen Markovic führt. Dabei spielt die
sog. ethnische Zugehörigkeit keine Rolle. Die Zersplitterung dieser gemeinsamen
Front in möglichst viele nationale Gruppen und Grüppchen wird deshalb
zu einem Hauptanliegen des Westens.
April und Mai 1990
In Slowenien und Kroatien finden die ersten Mehrparteienwahlen statt, im gleichen
Jahr auch in Mazedonien und in Bosnien-Herzegowina. Die Wirtschaftspolitik spielt
im Wahlkampf eine wichtige Rolle. Die verbündeten nationalistisch –
separatistischen Parteien gewinnen die Wahlen. Nur in Serbien und Montenegro gewinnen
die sozialistischen Parteien. Aus der Sicht der Nato-Länder bleibt dadurch
trotz der beginnenden Auflösung Jugoslawiens ein „weißer Fleck“,
ein „Störfaktor“ auf dem Balkan erhalten, den es zu beseitigen
gilt.
Im Kosovo kommt es zu einem scharfen Konflikt um das Schulwesen. Nachdem die Kosovo-Albaner
seit 1974 die bestimmende Kraft im Gebiet geworden sind, werden an den Schulen
zunehmend Lehrpläne und Schulbücher aus dem Nachbarstaat Albanien (!)
eingesetzt. 1990 verlangt die serbische Regierung, dass dies rückgängig
gemacht wird und wieder nach staatlichen Lehrplänen und mit staatlichen albanischsprachigen
Lehrbüchern unterrichtet wird. Dies bedeutet keine sprachliche Unterdrückung.
Die Unterrichtssprache ist albanisch, wo es mehrheitlich kosovo-albanische Kinder
gibt, und sie ist – seltener – serbokroatisch, wo es mehrheitlich
serbische Kinder gibt. Albanisch gibt es für serbokroatisch sprechende Kinder
als Angebot. Serbokroatisch ist dagegen festes Unterrichtsfach für albanischsprachige
Kinder. Dieses Fach wird jedoch seit 1974 zunehmend boykottiert. Deshalb haben
AbsolventenInnen der albanisch- sprachigen Universität von Pristina, die
in den 70er Jahren mit großem finanziellen Aufwand zur größten
Universität Jugoslawiens ausgebaut wurde, in anderen Teilen Jugoslawiens
verminderte Berufsaussichten, weil ihnen die sprachliche Kompetenz fehlt, was
zum Beispiel für JuristenInnen unabdingbar ist. Es kommt zu Unruhen.
26. Juni 1990
Das serbische Parlament löst das Parlament und die Regierung des Kosovo auf.
2. Juli 1990
Die kosovo-albanischen Abgeordneten erklären ihre Abspaltung von Serbien.
5. Juli 1990
Das serbische Parlament erklärt die Abspaltung für nichtig. Einführung
einer Zwangsverwaltung für das Kosovo.
9. Dezember 1990
Milosevic wird durch allgemeine Wahlen in Serbien zum Präsidenten der jugoslawischen
Teilrepublik Serbien gewählt.
25. Juni 1991
Kroatien und Slowenien erklären ihre Abspaltung.
15. September 1991
Mazedonien erklärt ebenfalls seine Abspaltung.
30. September 1991
Nach einer geheimen Volksabstimmung wird eine „Republik Kosovo“ ausgerufen.
Sie wird aber nur von Albanien anerkannt. Die serbische Regierung erklärt
die Volksabstimmung für illegal.
15. Oktober 1991
Bosnien-Herzegowina erklärt seine Abspaltung.
19. Dezember 1991
Die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Slowenien werden von
Deutschland im Alleingang als Staaten völkerrechtlich anerkannt, trotz der
Warnungen der anderen europäischen Staaten vor den unabsehbaren Folgen. Jugoslawien
ist damit zerbrochen.
1992
Wegen der Abspaltung Sloweniens und Kroatiens und wegen des Wirtschaftsembargos
des Westens (seit dem 30. Mai 1992) gegen das nunmehrige „Restjugoslawien“
verringert sich die gesamtwirtschaftliche Produktion Serbiens um 55 Prozent. Die
offizielle Arbeitslosenquote im Kosovo steigt auf 60 Prozent.
27. April 1992
Proklamierung der „Bundesrepublik Jugoslawien“ anstelle der bisherigen
„Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“. Sie besteht
aus Serbien mit seinen beiden autonomen Regionen Kosovo und Vojvodina und aus
Montenegro.
1992
Ein US-Industrieller serbischer Herkunft, Milan Panic, wird vom Bundesparlament
zum Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien gewählt.
24. Mai 1992
Unter Missachtung der gültigen Verfassung und unter Ausschluss der anderen
„nationalen Gemeinschaften“ des Kosovo wählen die Kosovo-Albaner
ein Parlament und einen Präsidenten, den Schriftsteller Rugova. Er gilt als
gemäßigter Nationalist und später als Gegenspieler des ultranationalistischen
UCK-Führers, Demaci. (Demaci verliert allerdings Anfang 1999 sein Amt an
den USA-freundlichen UCK-Führer Thaci.) Die serbische Regierung erklärt
die Wahl Rugovas zwar für illegal, geht aber weder gegen das kosovo-albanische
Parlament noch gegen Rugova vor und toleriert damit faktisch dessen Schattenregierung.
Dadurch scheint das Kosovo-Problem seiner Lösung einen Schritt näher
zu kommen.
Danach: Boykott aller jugoslawischen staatlichen Einrichtungen im Kosovo. Dazu
gehören auch – wie schon zuvor – die staatlichen Lehrpläne
und Schulbücher und die Wahlen zum serbischen und zum Bundesparlament.
Ende 1992
Formierung einer so genannten Befreiungsarmee des Kosovo, der UCK. Viele arbeitslose
junge Männer treten in sie ein. In der UCK entwickeln sich drei Fraktionen:
Eine national-kommunistische, eine faschistische und eine fundamentalistische.
Dominierend sind die National-Kommunisten, ehemalige Anhänger Enver Hodschas,
die ab 1992 beim Aufbau der UCK in Deutschland und in der Schweiz maßgebend
sind. Die faschistische Strömung sitzt vor allem in den USA. Es sind ehemalige
Nazi-Kollaborateure und Angehörige der SS-Division „Skanderbeg“,
die 1947 mit Hilfe der USA dorthin geflüchtet waren. (Skanderbeg lebte um
1450 und gilt als albanischer Nationalheld.) Die fundamentalistische Strömung
wird vom Iran und von Afghanistan finanziert.
1993
Die LRPK benennt sich in LPK („Volksbewegung des Kosovo“) um.
1995
Bis zu diesem Zeitpunkt gilt das Kosovo-Problem für den Westen als inneres
Problem Serbiens. Es finden „intensive Gespräche“ und „perspektivische
Überlegungen zwischen albanischen und serbischen Kreisen darüber, wie
man weiterkommen könnte“ (Willy Wimmer, CDU-Bundestagsabgeordneter
und Vizepräsident der parlamentarischen Versammlung der OSZE-Staaten) statt.
14. Dezember 1995
Unterzeichnung des vom Westen erzwungenen Abkommens von Dayton: Bosnien-Herzogowina
bleibt als Staat mit gemeinsamer Präsidentschaft, Parlament, Regierung und
Zentralbank erhalten und wird im Verhältnis von 51 zu 49 zwischen der moslemisch-kroatischen
Föderation und der Republik Srpska aufgeteilt. Ein von der EU ernannter „Hoher
Repräsentant“ hat diktatorische Vollmachten, indem er zum Beispiel gewählte
Bürgermeister oder (im März 1999) sogar den gerade gewählten Präsidenten
der Republik Srpska, Poplasen, aus den Ämtern werfen kann. Die Zentralbank
wird von einem Vertreter des IWF geleitet. (Nach einer Auflage des IWF darf der
Chef der Zentralbank kein Bosnier sein.) Milosevic gilt bei vielen bosnischen
Serben als „Verräter“ an der serbischen Sache, weil er die Unterschrift
ihrer Repräsentanten unter das Abkommen von Dayton durch den Abbruch der
Beziehungen erzwingt. Im Westen gilt Milosevic zu dieser Zeit dagegen als realistischer,
kompromissbereiter Politiker. Der Sicherheitsrat der UNO hebt daraufhin die Sanktionen
gegen Jugoslawien auf. Dagegen lösen die USA ihre Zusage an Milosevic nicht
ein, dass die Bundesrepublik Jugoslawien den Sitz der ehemaligen „Sozialistischen
Föderativen Republik Jugoslawien“ in der UNO erhält und Kredite
bekommt, falls er die bosnischen Serben zur Unterschrift unter Dayton bewegt.
Die USA machen plötzlich beides davon abhängig, dass es zu einer „inneren
Demokratisierung“ (wie sie sie verstehen) kommt und dass das Kosovo-Problem
(in ihrem Sinn) gelöst wird. Ein Bericht der CIA definiert die „innere
Demokratisierung“ als Ausschaltung der Sozialistischen Partei. Die USA verhängen
Wirtschaftssanktionen gegen Serbien, die auch das Kosovo treffen.
1993 bis 1996
Die UCK baut ihre Strukturen auf, mit den LPK-Kämpfern als hartem Kern und
mit einer doppelten Führung, einer in Pristina und einer in der Schweiz.
1996
Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) beginnt unter Beteiligung der Bundeswehr
in der BRD mit der verdeckten Unterstützung und Ausbildung der UCK. (Der
BND behält seine dominierende Stellung bei der UCK bis zum Jahreswechsel
1998/99, verliert sie dann aber an die CIA).
11. Februar 1996
Die UCK verübt Bombenattentate in fünf Lagern von serbischen Flüchtlingen
aus Bosnien und der Kraina. Sie tritt mit dem Bekenntnis zu den Terroranschlägen
erstmals an die Öffentlichkeit.
April 1996
Die UCK tötet in Decani acht serbische Polizisten in Zivil. Dies hat für
viele Serben einen Symbolwert, weil die Ballisten ihren Sitz in Decani hatten.
21. April 1996
Bei Unruhen in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, werden fünf Serben und
ein Albaner getötet. Die UCK bekennt sich zu den antiserbischen Gewaltakten.
12. Juli 1996
Der deutsche Außenminister Kinkel (FDP) trifft sich in Bonn mit Rugova.
1996
Das jugoslawische Bundesparlament wählt Milosevic zum Präsidenten der
Bundesrepublik Jugoslawien.
1997
Die UCK verübt 14 Attentate und liquidiert auch kosovo-albanische „Verräter“.
Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst
(MAD) liefern der UCK Funkgeräte und Überwachungstechnik. Später
beteiligen sich auch die USA an der Ausrüstung der UCK und bilden sie militärisch
aus. Dabei wird die Söldnerfirma „Militär und Professionelle Ressourcen
International“ (MIPRI) eingeschaltet. Sie wird von ehemaligen US-Offizieren
geleitet, die mit halboffizieller Zustimmung aus dem Pentagon operieren und bereits
während des Kriegs in Bosnien eine Schlüsselrolle beim Aufbau der kroatischen
Armee spielten. Die UCK gründet den Verein Vendlindja Therret („Das
Vaterland ruft dich“). Er sammelt Spendengelder aus der ganzen Welt auf
einem Konto der „Alternativen Bank“ in Olten (Schweiz). 1998 sperrt
die schweizer Justiz dieses Konto. Das Geld wird von da an bar und in Koffern
transportiert.
8. April 1997
Der in Bonn residierende „Ministerpräsident“ der „Übergangsregierung“
des Kosovo, Bukoshi, äußert in einem Interview: „Die Albaner
sind ein Volk, das nichts (!) mit den anderen slawischen Völkern gemein hat.“
(Der Hintergrund ist, dass sich viele Albaner für Nachkommen der indogermanischen
Illyrer halten.)
April 1997
In Albanien brechen die „Pyramiden-Banken“ zusammen („Pyramiden“:
Spekulative Geldspiele). Der größte Teil der Bevölkerung verliert
sämtliche Ersparnisse. Während des darauf folgenden Aufruhrs gegen die
Regierung Berisha werden die staatlichen Waffenarsenale geplündert. Die meisten
Waffen werden zur UCK in das Kosovo verschoben. Durch den Aufstand wird der autoritär
regierende Präsident Berisha gestürzt. Während seiner Präsidentschaft
hatte Deutschland damit begonnen, an Albanien „Militär- und Polizeihilfe“
zu leisten und beim Aufbau des Geheimdienstes mitzuwirken. Die Konrad-Adenauer-Stiftung
der CDU unterstützte ihn mit der Ausarbeitung eines auf ihn zugeschnittenen
Wahlrechts. (Diese Stiftung hat ebenso wie die Hanns-Seidel-Stiftung der CSU eine
Niederlassung in Tirana.) Nach seinem Sturz zieht sich Sali Berisha mit seinen
Anhängern nach Nordalbanien zurück, das zum neuen Hauptaufmarschgebiet
der UCK wird. Berisha verschafft sich durch die Destabilisierung des Kosovo, durch
das Anheizen des großalbanischen Nationalismus und durch Gewinne aus dem
Waffenhandel eine Ausgangsposition für die erhoffte Rückkehr an die
Macht.
Ende Dezember 1997
US-Außenminister Cohen besucht die Regierung Mazedoniens. Ziel: Die Errichtung
einer Basis für Nato-Kampftruppen. Damit beginnt die „heiße“
Phase der Planung für den Jugoslawien-Krieg.
Januar 1998
Die UCK kündigt die Ausdehnung ihres Kampfes auch auf Mazedonien an. Das
Ziel ist damit offenkundig: Die Schaffung eines „ethnisch reinen“
Großalbaniens.
Februar 1998
Die UCK beginnt ihre erste Großoffensive im Kosovo. In eroberten Dörfern
verbietet sie alle politischen Parteien und geht gewaltsam gegen die Minderheiten
der Serben, Roma und Goranen (islamisierte Mazedonier) vor. Sie greift zunehmend
auch Rugova, seine LDK („Demokratische Liga des Kosovo“) und das Kosovo-Parlament
an.
Ende Februar 1998
Der US-Sondergesandte, Botschafter Gelbard, bezeichnet die UCK als „terroristische
Organisation“. Wenn die UCK nicht sofort mit ihren Überfällen
auf die serbische Polizei aufhöre, werde er dafür sorgen, dass sie auf
die Liste der internationalen Terrororganisationen gesetzt werde. Die UCK kommt
jedoch nicht auf die Liste, stattdessen wird Gelbard abgelöst.
März 1998
Die Polizei versucht zum wiederholten Mal, den bereits vor einigen Jahren wegen
Polizistenmordes verurteilten Adem Jashari festzunehmen, der Oberhaupt des in
Drogen- und Waffengeschäfte verwickelten Jashari-Clans ist. Vorhergegangene
Versuche, die sich über Jahre hinstreckten, waren gescheitert, weil Jashari
immer auf die Polizei schießen ließ, wenn sie sich seinem Haus näherte.
Beim Sturm auf sein Anwesen am 4. März 1998 werden bei den Kämpfen 80
Menschen getötet, vorwiegend Mitglieder des weitverzweigten Clans Jasharis.
Es folgt ein überraschender Aufstand im Kosovo, bei dem die UCK eine Kette
schneller militärischer Erfolge erringt. Die „befreiten Gebiete“
dehnen sich rasch aus. Bei den Gegenangriffen gegen die UCK, die immer moderner
bewaffnet ist, setzen die serbischen Kräfte auch schwere Waffen ein. Bei
den Kämpfen werden Terroristen, Polizisten und Zivilisten getötet. Eine
Kampftaktik der UCK besteht darin, die Polizei zu überfallen und sich danach
in ein Dorf zurückzuziehen. Die Eroberung dieser Dörfer wird dann von
den westlichen Medien als brutales Vorgehen gegen friedliche Bauern dargestellt.
Es kommt zu Massendemonstrationen, auf denen die Separierung des Kosovo gefordert
wird.
31. März 1998
Nachdem Holbrooke bereits zuvor die Mitgliedsländer der „Kontaktgruppe“
aufgefordert hat, die Geldsammlungen der UCK in ihren Ländern zu verbieten,
beschließt die UNO die Resolution 1160, die „alle terroristischen
Aktionen der UCK, einer anderen Gruppierung oder einer Einzelperson und jegliche
Unterstützung von außen für die terroristischen Aktivitäten
im Kosovo, einschließlich Geldmitteln, Waffen und Ausbildung“ verurteilt.
Dennoch sammelt die UCK auf Bankkonten in Deutschland weiterhin ganz offen Geld,
das für Waffenkäufe verwendet wird, ohne dass die deutsche Bundesregierung
dagegen vorgeht. Die in Deutschland lebenden 400 000 Kosovo-Albaner sollen
drei Prozent ihres Einkommens oder ihrer Sozialhilfe an die seit 1993 in Bonn
residierende Bukoshi-„Regierung“ abführen, die unter dem Schutz
der Bundesregierung steht. Die aus illegalen Geschäften stammenden und von
Deutschland aus in das Kosovo oder nach Albanien transferierten Gelder sollen
bei einer Milliarde DM jährlich liegen. Mit Hilfe von zum Beispiel albanischen Reisebüros,
die weniger Tickets verkaufen als Geldsammelstellen dienen, und mit Hilfe eines
illegalen Untergrundnetzes von „Schattenbanken“ werden die Beträge
auf ein Pool-Konto gezahlt und von Kurieren bar aus dem Land geschafft. Zahlreiche
Transaktionen landen bei Firmen, die mit Militärgerät handeln (Frankfurter
Rundschau 16. Juni 1999). Es werden auch offen Kämpfer für die UCK rekrutiert.
Die deutsche Bundesregierung schließt am Wochenende vor Kriegsbeginn erstmals
deutsche Konten mit UCK-Geldern. (Dagegen sind Geldsammlungen beispielsweise für
die kurdische PKK als „Schutzgelderpressung“ verboten und werden strafrechtlich
verfolgt, von Rekrutierungen ganz zu schweigen.) UCK-Kämpfer erhalten nach
Auskunft des OSZE-Büros in Tirana (Albanien) monatlich 1000 DM Sold, das
Zehnfache eines durchschnittlichen Monatslohns in Albanien.
23. April 1998
Volksabstimmung in Serbien über die Frage einer „internationalen Vermittlung“
im Kosovo-Konflikt. 73 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen sich, davon lehnen
95 Prozent eine derartige Vermittlung ab.
15. Mai 1998
Milosevic und Rugova sprechen sich bei einem Treffen für eine friedliche
Lösung des Kosovo-Konflikts aus.
Mitte 1998
Die Nato geht von der seit Mitte der 90er Jahre üblichen „verdeckten“
Unterstützung und Ausbildung der UCK zur „offenen“ (offiziellen)
Unterstützung durch die CIA und den BND über, unter Verletzung der UNO-Resolution
1160 vom März des Jahres.
Nach einer (späteren) Information des US-Verteidigungsministeriums finden
die „ersten Kontakte“ der Nato zur UCK statt. „Die Leute (bei
der Nato) waren zu der Erkenntnis gelangt, dass wir (die Nato) die UCK in diesen
Prozess einbinden müssen, weil sie zumindest die Fähigkeit gezeigt habe,
jede Vereinbarung abzulehnen, die dort mit den existierenden Kosovo-Parteien getroffen
würde. So mussten sie irgendwie eingebracht werden, und das ist der Grund,
warum wir einige erste Kontakte mit der Gruppe dort geknüpft haben, hoffentlich
mit den richtigen Leuten in der Gruppe, um sie auf die Probe zu stellen und sie
in diesen Verhandlungsprozess einzubringen.“ (US-Verteidigungsministerium,
Hintergrundinformationen, 15. Juli 1998)
Sommer 1998
Gegenoffensive der serbischen Polizei und der jugoslawischen Armee gegen die UCK.
Dorf um Dorf wird zurückerobert. Folge der Kämpfe zwischen serbischer
Armee und UCK: 800 Tote. 150 000 Kosovo-Albaner und Serben und andere fliehen
aus den Kampfgebieten.
Die USA versuchen, eine eigene Untergrundarmee als Konkurrenz zur UCK aufzubauen,
die „Streitkraft der Republik Kosovo“ (FARK).
18. September 1998
Die UCK ermordet in Tirana (Albanien) den Armeechef der FARK. Nach dem Fehlschlag
mit der FARK entschließen sich die USA, die UCK zu „amerikanisieren“.
24. Septemner 1998
Resolution des UN-Sicherheitsrats, der „die Regierung in Belgrad und die
Führung der Kosovaren auffordert, dringend ohne Vorbedingungen in einen sinnvollen
Dialog über die Probleme des politischen Status einzutreten.“ Belgrad
wird außerdem aufgefordert, seine Truppen aus dem Kosovo abzuziehen.
Herbst 1998
Jugoslawien wirft der UCK die Ermordung von 22 Serben in einem serbischen Dorf
im Kosovo vor. Einsatz von Truppen.
6. Oktober 1998
Beschluss der Nato über mögliche Luftangriffe auf Jugoslawien, falls
dieses die Forderungen der Nato nicht erfüllt.
13. Oktober 1998
Abkommen zwischen Milosevic und Holbrooke. Jugoslawien zieht vereinbarungsgemäß
seine bewaffneten Kräfte teilweise aus dem Kosovo zurück. (Die OSZE
bestätigt im November die Reduzierung der Truppen auf den Stand vor der Offensive.)
Die UCK rückt jedoch in die von den Serben geräumten Stellungen ein
und provoziert neue Kämpfe. Dabei nimmt sie auch Führungskräfte
von Rugovas LDK gefangen.
Einrichtung einer Überwachungskommission der „Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE), die die Befolgung der UN-Resolutionen
1160 und 1199 sicherstellen soll. Leiter wird William Walker, US-Diplomat und
„Spezialist“ für Süd- und Mittelamerika. In der Amtszeit
des US-Präsidenten Reagan war er in den „Iran-Contragate-Skandal“
verwickelt. (Nikaraguanische „Contras“ bekämpften die sandinistische
Regierung und finanzierten ihre Waffenkäufe mit Hilfe der CIA bei dem von
den USA als „Schurkenstaat“ bezeichnete Iran). Später wurde William
Walker US-Botschafter in El Salvador. Während seines Aufenthaltes entstanden
dort die „Todesschwadronen“. Als Leiter der OSZE-Beobachtertruppe
„Kosova Verification Mission“ (KVM) im Kosovo unterhält Walker
enge Verbindungen zum militärischen Kommando der UCK.
Die vor den Kämpfen zwischen UCK und jugoslawischer Armee geflohenen Kosovo-Albaner
kehren nach dem Holbrooke-Milosevic-Abkommen laut Angaben der OSZE in ihre Wohnorte
zurück.
29. Oktober 1998
Aus einem Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs über einen Asylantrag:
„Die den Klägern in der Ladung zur mündlichen Verhandlung angegebenen
Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 6. Mai, 8. Juni und 13. Juli 1998 lassen
einen Rückschluss auf eine Gruppenverfolgung ethnischer Albaner aus dem Kosovo
nicht zu. Nicht einmal eine regionale Gruppenverfolgung, die allen ethnischen
Albanern aus einem bestimmten Teilgebiet des Kosovo gilt, lässt sich mit
hinreichender Sicherheit feststellen. Das gewaltsame Vorgehen des jugoslawischen
Militärs und der Polizei seit Februar 1998 bezog sich auf separatistische
Aktivitäten und ist kein Beleg für eine Verfolgung der gesamten ethnischen
Gruppe der Albaner aus dem Kosovo oder einem Teilgebiet desselben. Es handelt
sich bei den jugoslawischen Gewaltaktionen und Gewaltexzessen seit Februar 1998
um ein selektives gewaltsames Vorgehen gegen die militärische Untergrundbewegung
(insbesondere der UCK) und deren Umfeld in deren Operationsgebieten. Ein staatliches
Verfolgungsprogramm, das sich auf die gesamte ethnische Gruppe der Albaner bezieht,
besteht nach wie vor nicht.“
18. November 1998
Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes in Bonn: „Im Kosovo selbst
hat sich die schwierige humanitäre Situation etwas entspannt. Die Rahmenbedingungen
für die Versorgung von Bedürftigen haben sich verbessert. (...) Die
Kampfhandlungen im Kosovo werden von beiden Seiten mit militärischen Mitteln
geführt, wobei auf serbisch-jugoslawischer Seite die Sicherheitskräfte
bei der Einnahme von Ortschaften auch mit schweren Waffen vorgingen. Beim Einzug
der serbischen Sicherheitskräfte in (von der UCK) zurückeroberte Ortschaften
kam es zu Übergriffen gegen dort verbliebene Bewohner. Die durch die Presse
wiederholt gemeldeten „Massaker“ und Meldungen über „Massengräber“
trugen zur Beunruhigung der Flüchtlinge bei, konnten jedoch durch internationale
Beobachter bisher nicht bestätigt werden.“
22. November 1998
Als weiteres Ergebnis der Verhandlungen zwischen Milosevic und Holbrooke unterbreitet
der serbische Präsident Milutinovic nach Verhandlungen mit Rugova ein Rahmenabkommen
für eine Autonomie des Kosovo, das allen Regeln des Völkerrechts entspricht.
Es wird jedoch im Westen kaum zur Kenntnis genommen.
12. Dezember 1998
Maskierte UCK-Terroristen ermorden sechs serbische Barbesucher in Polje. Die UCK
entführt außerdem den stellvertretenden Bürgermeister von Kosovo-Polje.
Tags darauf wird seine Leiche in einem Straßengraben entdeckt.
21. Dezember 1998
Das US-Außenministerium schreibt über die UCK: „Die UCK belästigt
oder kidnappt jeden, der zur Polizei kommt, (...) UCK-Vertreter haben Dorfbewohnern
mit dem Tode oder dem Verbrennen ihrer Häuser gedroht, wenn sie nicht in
die Reihen der UCK treten wollen. (...) Der Druck durch die UCK hat eine Intensität
erreicht, dass die Bewohner von 6 Dörfern in der Region Stimlje bereit sind
zu flüchten.“
28. Dezember 1998
Das Auswärtige Amt in Bonn an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht:
„Nach Erkenntnis des Auswärtigen Amtes sind die Maßnahmen der
Sicherheitskräfte in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK gerichtet,
die unter Einsatz terroristischer Mittel für Unabhängigkeit des Kosovo,
nach Angaben einiger ihrer Sprecher sogar für die Schaffung eines „Groß-Albanien“
kämpft.“
6. Januar 1999
Das Auswärtige Amt in Bonn an das Bayrische Verwaltungsgericht in Ansbach:
„Derzeit ist eine steigende Tendenz bei der Rückkehr der innerhalb
der Bundesrepublik Jugoslawien geflohenen Personen an ihre Wohnsitze zu verzeichnen.
Ungeachtet der desolaten wirtschaftlichen Lage der Bundesrepublik Jugoslawien
sind auch aus Reihen der Flüchtlinge (nach Angaben offizieller Stellen der
Bundesrepublik Jugoslawien haben seit 1991 zirka 700 000 (serbische) Flüchtlinge
aus Kroatien und Bosnien und Herzogowina Aufnahme gefunden) keine Fälle von
chronischer Mangelernährung oder unzureichender medizinischer Versorgung
bekannt, und beachtliche Obdachlosigkeit ist nicht zu beobachten. (...) Für
Kosovo-Albaner besteht damit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes
nach wie vor eine begrenzte Möglichkeit, sich einzeln (mit der engeren Familie)
insbesondere in jenen Landesteilen Jugoslawiens niederzulassen, in denen bereits
ihre Landsleute oder Bekannte leben, die bereit sind, sie aufzunehmen und sie
zu unterstützen.“
Januar 1999
Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Vizepräsident der parlamentarischen Versammlung
der OSZE-Staaten, Willy Wimmer: Die USA verhindern die Erhöhung der OSZE-Beobachter
auf die vereinbarte Zahl, weil sie kein Interesse daran haben.
12. Januar 1999
Das Auswärtige Amt in Bonn an das Verwaltungsgericht Trier: „Eine explizit
an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung
ist auch im Kosovo nicht festzustellen. Der Osten des Kosovo ist von den bewaffneten
Konflikten bislang nicht erfasst, das öffentliche Leben in Städten wie
Pristina, Krosevac, Gujilan usw. verlief im gesamten Konfliktzeitraum in relativ
normalen Bahnen. (...) (Das) Vorgehen der Sicherheitskräfte (war) nicht gegen
Kosovo-Albaner als ethnisch definierte Gruppe gerichtet, sondern gegen den militärischen
Gegner (die UCK) und dessen tatsächliche oder vermutete Unterstützer.“
15. Januar 1999
Angebliches Massaker der jugoslawischen Armee an 44 Bewohnern des Dorfes Racak.
Gerichtsmedizinische Untersuchungen können nicht endgültig klären,
ob es sich um Zivilisten oder um Kämpfer der UCK handelt. Die Kurzfassung
des finnischen Untersuchungsberichts zweifelt nicht den serbischen und den weißrussischen
Bericht an und vermeidet das Wort „Massaker“, das der Chef der OSZE
Beobachtermission im Kosovo, der US-Amerikaner Walker, noch am gleichen Tag benutzt,
ohne Untersuchungsergebnisse abzuwarten. Erst später räumt Walker die
Möglichkeit ein, dass es sich bei den Getöteten um UCK-Kämpfer
handeln könnte. Französische Medien (Le Monde, Le Figaro) äußern
starke Zweifel am „Massaker“ von Racak, aber in fast allen westlichen
Medien wird es groß herausgebracht, und es spielt nach der Aussage von US-Außenministerin
Albright in der Entscheidung für den Luftkrieg eine entscheidende Rolle.
Die vollständige Fassung des finnischen Berichts wird Ende 1999 noch immer
vor der Öffentlichkeit verborgen.
Im August 1999 sagt die finnische Pathologin Helena Ranta, die im Auftrag der
EU die Toten von Racak untersucht hat, in einem Interview: „Einige Körper
wurden bewegt. Es besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen erst nachträglich
nach Racak transportiert wurden. Leider konnte ich Racak nie besuchen. Ich wollte
eine vollständige Aufklärung erreichen, aber das wurde mir damals nicht
erlaubt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das Haager Tribunal an einer weiteren
Untersuchung tatsächlich interessiert ist.“
Ende Januar bis Anfang Februar
1999
Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) verliert seinen Einfluss auf die UCK,
weil er im Unterschied zur CIA auf die Entwaffnung der UCK drängt. Der „Mann
der Amerikaner“, der in den USA ausgebildete und für den Nachrichtendienst
der UCK zuständige Hashim Thaci aus dem Jashari-Clan, verdrängt den
bisherigen UCK-Führer und Gegenspieler Rugovas, Adem Demaci, von der Spitze
der UCK.
4. Februar 1999
Aus einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg: „Die
dem Senat vorliegenden Erkenntnisse stimmen darin überein, dass die zeitweise
befürchtete humanitäre Katastrophe für die albanische Zivilbevölkerung
(...) nach dem Abflauen der Kämpfe im Anschluss an die Ende 1998 mit der
serbischen Führung getroffene Übereinkunft (gemeint ist das Milosevic-Holbrooke-Abkommen;
d. Verf.) abgewendet werden konnte und dass sich seitdem sowohl die Sicherheitslage
wie auch die Lebensbedingungen der albanisch-stämmigen Bevölkerung spürbar
gebessert haben. (...) Namentlich in den größeren Städten verläuft
das öffentliche Leben wieder in relativ normalen Bahnen, auch wenn sich die
Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen auf Grund einzelner Gewalttaten
zwischenzeitlich erhöht haben. (...) Auch einzelne Fälle exzessiver
Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, die, wie etwa in Racak, in der Weltöffentlichkeit
der serbischen Seite zur Last gelegt werden und große Empörung ausgelöst
hatten (...), lassen nach Zahl und Häufigkeit derartiger Exzesstaten nicht
den Schluss zu, dass deshalb jeder im Kosovo lebende Albaner mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt ist
und mithin auch jeder Rückkehrer von Tod und schwersten Verletzungen bedroht
sei.“
5. Februar 1999
Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichts zur Zurückweisung der Klagen von
Asylbewerbern gegen ihre Ablehnung: „Der beschließende Senat ist zu
der Überzeugung gelangt, dass die Kläger als albanische Volkszugehörige
aus dem Kosovo weder im Zeitpunkt ihrer Ausreise noch im Falle ihrer jetzigen
Rückkehr einer asylerheblichen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren bzw. wären
und dass ihnen auch keine politische Verfolgung aus individuellen Gründen
drohte bzw. drohen würde. (...) Die in Rahmen einer Gesamtbetrachtung gebotene
Würdigung der zur Situation der albanischen Volkszugehörigen aus dem
Kosovo getroffenen Feststellungen hat den Senat nicht hinreichend davon zu überzeugen
vermocht, dass alle Kosovo-Albaner oder wenigstens ein sachlich oder persönlich
begrenzter Kreis von ihnen als Zielgruppe eines – landes- oder kosovoweit
oder begrenzt auf Teilgebiete des Kosovo angelegten – staatlichen Verfolgungsprogramms
gruppenverfolgt sind. Denn die gewonnen Erkenntnisse lassen für die Zeit
von 1990 bis heute den Schluss auf das Bestehen eines entsprechenden staatlichen
Verfolgungsprogramms (...) nicht zu (...) Auch die asylrelevanten Übergriffe
der serbischen Sicherheitskräfte im Verlauf der bewaffneten Auseinandersetzungen
seit Ende Februar/Anfang März 1998 stellen sich (...) nicht als Ausdruck
und begonnene Umsetzung eines Verfolgungsprogramms im vorgenannten Sinne dar,
weil das auf die Abwehr von gewaltsamen Sezessionsbestrebungen der UCK gerichtete
Vorgehen der serbischen Sicherheitsbehörden – in dessen Gefolge die
fraglichen Übergriffe verübt worden sind – dem Grunde nach legitim
ist und es zu den allein asylerheblichen überschießenden harten Maßnahmen
weder generell gekommen ist, noch hinreichende Anzeichen dafür vorliegen,
dass derartige Maßnahmen generell beabsichtigt (gewesen) sind (...).
11. Februar 1999
Vertraulicher Lagebericht des deutschen Bundesverteidigungsministeriums an den
Verteidigungsausschuss des Bundestages: „Die serbischen Sicherheitskräfte
beschränken ihre Aktionen in jüngster Zeit auf Routineeinsätze.“
6. bis 17. Februar 1999
Auf der Konferenz von Rambouillet ist die kosovo-albanische Delegation gespalten.
Die UCK, die inzwischen unter den Einfluss der CIA, also der USA, geraten ist,
setzt sich aber gegen Rugovas LDK durch. Thaci gibt die Bildung einer weiteren
Regierung für das Kosovo bekannt, die an die Stelle der 1992 unter „Präsident“
Rugova gebildeten Regierung treten soll. Er ernennt sich selbst zum „Premierminister“
und bestreitet damit den Machtanspruch des bereits seit 1992 in Bonn residierenden
anderen „Premierministers“ Bukoshi. In der Folgezeit weigert sich
Bukoshi, die in Westeuropa gesammelten Zwangssteuern (allein in der BRD jährlich
zehn Millionen DM) an die jetzt unter Thacis Führung stehende UCK freizugeben,
während Thaci die Einnahmen aus dem organisierten Verbrechen (die Balkanroute
des Heroinhandels) kontrolliert.
Die Delegation der Republik Serbien unterschreibt den Zehn-Punkte-Plan der Kontaktgruppe.
Die von der UCK geleitete kosovo-albanische Delegation und vor allem Demaci, der
den USA misstraut, lehnen die Unterschrift ab und fordern die Lostrennung des
Kosovo. Anschließend legen die Nato-Staaten ein Implementierungs-Abkommen
vor (Implementierung: Erfüllung eines Vertrages), dessen Kern in der Okkupation
des Kosovo durch eine 28 000 Mann starke Nato-Truppe und in der Verwandlung
des Kosovo in ein Nato-Protektorat besteht mit der Perspektive seiner Lostrennung
von der Republik Serbien nach drei Jahren. In einem – jallerdings erst später
bekanntgewordenen – Anhang („Annex B“) ist sogar vorgesehen,
dass ganz Jugoslawien von Nato-Truppen besetzt wird. Der Annex war laut Angaben
der russischen Delegation in der „Kontaktgruppe“ nicht behandelt worden.
Die serbische Delegation lehnt das zweite Abkommen, also das Implementierungsabkommen
einschließlich des Annex B, als Nato-Diktat ab.
24. Februar 1999
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster: „Für ein geheimes
Programm oder einen auf serbischer Seite vorhandenen stillschweigenden Konsens,
das albanische Volk zu vernichten, zu vertreiben oder sonst in der vorstehend
beschriebenen extremen Weise zu verfolgen, liegen keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte
vor. (...) Wenn die serbische Staatsmacht ihre Gesetze durchsetzt und dadurch
zwangsläufig Druck auf die sich vom Staat abkehrende und eine Boykotthaltung
einnehmende Volksgruppe ausübt, geht die objektive Zielrichtung dieser Maßnahmen
eben nicht auf eine programmatische Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppe
(...) Selbst wenn der serbische Staat wohlwollend in Kauf nimmt oder gar beabsichtigt,
dass ein Teil der Bürger, der in einer solchen Situation für sich keine
Perspektiven sieht oder Zwangsmaßnahmen entgehen will, ins Ausland ausweicht,
stellt dies kein auf die Gesamtheit der albanischen Bevölkerungsmehrheit
(im Kosovo) zielendes Verfolgungsprogramm dar. (...) Wenn im übrigen der
(jugoslawische) Staat auf die Separatismusbestrebungen mit konsequenter und harter
Durchführung der Gesetze sowie mit antiseparatistischen Maßnahmen regiert,
denen sich ein Teil der Betroffenen ins Ausland entzieht, ist dies kein vom (jugoslawischen)
Staat programmatisch gesteuerter Vorgang, der auf die Ausgrenzung und Vertreibung
der Minderheit abzielt, sondern im Gegenteil auf ein Sicheinfügen dieses
Volkes in den Staatsverband. (...) Auch die Ereignisse seit Februar/März
1999 lassen ein Verfolgungsprogramm wegen albanischer Volkszugehörigkeit
nicht erkennen. Die Maßnahmen der bewaffneten serbischen Kräfte sind
in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK und deren vermutete Anhänger
und Unterstützer gerichtet.“
28. Februar 1999
Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger sagt zum Vertrag von Rambouillet:
„Von Jugoslawien, einem souveränen Staat, verlangt man die Übergabe
der Kontrolle und Souveränität über eine Provinz mit etlichen nationalen
Heiligtümern an ausländisches Militär. Analog dazu könnte
man die Amerikaner auffordern, fremde Truppen in Alamo einmarschieren zu lassen,
um die Stadt an Mexiko zurückzugeben, weil das ethnische Gleichgewicht sich
verschoben hat (...) Ironischerweise erhöht das geplante Friedensabkommen
die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Eskalationen, die von Präsident
Clinton zur Rechtfertigung eines amerikanischen Einsatzes genannt werden. Ein
unabhängiges albanisches Kosovo wird mit Sicherheit danach trachten, die
benachbarten albanischen Minderheiten – überwiegend in Mazedonien –
zu vereinnahmen. Und am Ende vielleicht sogar das Mutterland Albanien selbst (...)
Wird die Nato zur Artillerie für ethnische Konflikte?“
4. März 1999
Vertraulicher Lagebericht des deutschen Verteidigungsministeriums an den Verteidigungsausschuss
des Bundestages: „Die UCK entführte in Velika Hoca zwei serbische Zivilisten.
Nach eigenen Angaben wurde einer sofort erschossen. Der zweite Entführte
wurde auf Vermittlung der OSZE freigelassen. In Pustenik wurden bewaffnete Auseinandersetzungen
zwischen der UCK und Kräften der VJ (Armee Jugoslawiens) festgestellt. Kosovo-albanische
Behauptungen, es habe bei dem Gefecht ein Massaker an Kosovo-Albanern gegeben,
erwiesen sich als nicht zutreffend.“
5. März 1999
„Kosovo update“ des US-State Department: „Die Anzahl der Serben,
die aus ihren Häusern geflohen sind, ist in diesem Zeitraum (seit Weihnachten
1998) dramatisch angestiegen, Schätzungen gehen von bis zu 30 000 aus.
Sie haben 90 früher ethnisch gemischte Dörfer verlassen, und die meisten
haben sich wieder in Zentralserbien niedergelassen. Offizielle Belgrader Statistiken
geben an, dass 50 000 der 200 000 Kosovo-Serben die Provinz verlassen
haben, seit die Kämpfe vor einem Jahr begonnen haben.“
11. März 1999
Vertraulicher Bericht des deutschen Verteidigungsministeriums an den Verteidigungsausschuss
des Bundestages: „Bei einem Anschlag der UCK auf eine Polizeistreife wurde
in Podujevo ein Polizist getötet. In Mijalic wurden drei Mitglieder einer
serbischen Familie vermutlich von UCK-Angehörigen entführt.“
15. März 1999
Beginn von Kämpfen im Süden und Norden des Kosovo. Das Auswärtige
Amt in Bonn an das Verwaltungsgericht in Mainz: „Wie im Lagebericht vom
18. November 1998 ausgeführt, hat die UCK nach dem Teilabzug der (serbischen)
Sicherheitskräfte im Oktober 1998 ihre Stellungen wieder eingenommen, so
dass sie wieder weite Gebiete im Konfliktgebiet kontrolliert. Auch vor Beginn
des Frühjahrs 1999 kam es weiterhin zu Zusammenstößen zwischen
UCK und Sicherheitskräften, auch wenn diese bislang nicht die Intensität
der Kämpfe vom Frühjahr/ Sommer 1998 erreicht haben.“
Fortsetzung der sogenannten „Friedensgespräche“ in Rambouillet.
Die UCK lehnt direkte Gespräche mit der serbischen Delegation, sogar auf
Expertenbasis, ab. Statt Verhandlungen zu führen, fordern die Nato-Vertreter
die serbische Delegation ultimativ auf, das unverhandelte „Friedensabkommen“
(das Implementierungsabkommen) zu unterschreiben. Die jugoslawische Regierung
verstärkt während der Verhandlungen ihre Truppen im Kosovo, weil die
Nato entgegen dem Holbrooke-Abkommen 12 000 Soldaten in Mazedonien stationiert,
angeblich um die OSZE-Beobachter im Kosovo zu schützen, für deren Schutz
jedoch Jugoslawien zuständig sein sollte. (Die Nato stationiert jedoch keine
Soldaten in Albanien, um den Waffennachschub und die militärische Ausbildung
der UCK zu verhindern.)
17. März 1999
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge:
„Kosovo-Albaner unterliegen bei ihrer Rückkehr ins Heimatland weiterhin
keiner Gruppenverfolgung (...) Die Situation im Kosovo hat sich durch das zwischen
der OSZE unter der Leitung des amerikanischen Sondervermittlers Holbrooke und
der jugoslawischen Staatsführung erzielte Abkommen zur Befriedung der Region
grundlegend geändert (...) Die ca. 50 000 Flüchtlinge, die sich vorübergehend
in den Bergen und Wäldern (meist in unmittelbarer Nähe ihrer Dörfer)
aufgehalten hatten, sind seit dem Abzug der Sicherheitskräfte fast vollständig
in feste Unterkünfte zurückgekehrt (...) Gleichwohl kommt es hin und
wieder zu bewaffneten Zwischenfällen. Dabei handelt es sich überwiegend
um Überfälle der UCK und deren Umfeld unter Einsatz terroristischer
Mittel, auf die der jugoslawische Staat in deren Operationsgebiet gezielt reagiert.“
18. März 1999
Vertraulicher Lagebericht des deutschen Verteidigungsministeriums an den Verteidigungsausschuss
des Bundestages: „Jugoslawische Grenztruppen bekämpften nahe Gorozup
eine Nachschubkolonne (der UCK; der Verf.) bei dem Versuch, Waffen und Ausrüstung
von Albanien in das Kosovo zu schmuggeln. Kräfte der UCK provozierten mit
einem Angriff auf die Polizeistation in Luzane den sofortigen Einsatz von Einheiten
der VJ in diesem Raum. (...) Im Dorf Mijalic entdeckten Kräfte der VJ in
Häusern vermutlich von der UCK vorbereitete Sprengfallen.“ In Rambouillet
unterschreibt die UCK-Delegation das gesamte Abkommen,da ihr klar ist, dass die
serbische Delegation das Implementierungsabkommen niemals unterschreiben kann,
so wenig wie jede andere serbische Regierung. Die serbische Seite lehnt das Diktat,
das einer bedingungslosen Kapitulation gleichkommt, ab.
20. März 1999
Zur Vorbereitung ihres Angriffs veranlasst die Nato den Abzug von 1200 OSZE-Beobachtern
aus dem Kosovo. Die amerikanischen und englischen Beobachter hinterlassen der
UCK Dutzende von Satellitentelefonen.
22. März 1999
Beginn einer Offensive der jugoslawischen Armee und der serbischen Sonderpolizei
gegen die UCK. Die westlichen Medien bezeichneten sie als „Operation Hufeisen“
und behaupten, ihr Ziel sei nicht nur die Bekämpfung der UCK, sondern auch
die Vertreibung der AlbanerInnnen aus dem Kosovo. Ein Jahr später tauchen
starke Zweifel an der Existenz einer „Operation Hufeisen“ auf.
23. März 1999
Brief von Slobodan Milosevic an die Außenminister Großbritanniens
und Frankreichs, Robin Cook und Hubert Védrine: „Meine Herren Minister,
auf die Botschaft, die Sie mir übermittelt haben, möchte ich wie folgt
antworten: Die Gespräche in Paris, die Sie als beendet bezeichnen, haben
gar nicht stattgefunden. Die Delegationen der Republik Serbien und der albanischen
separatistischen und terroristischen Bewegungen haben nicht ein einziges Mal miteinander
gesprochen (...), es gibt also kein gemeinsames Dokument, das akzeptiert oder
abgelehnt werden könnte. Im übrigen ist der Text, den Sie als „Abkommen
von Rambouillet“ bezeichnen, schon vor den Gesprächen in Rambouillet
in der kosovo-albanischen Presse, und zwar in der Zeitung „Koha Ditore“,
veröffentlicht worden. Belgrad ist tolerant, aber nicht dumm (...) Wir haben
gewiss nichts dagegen, dass vor den Gesprächen ein Vorschlag für die
Diskussion vorbereitet wird. Aber wir wenden uns mit allem Nachdruck dagegen,
dass die Gespräche gar nicht stattfinden und dass dann von uns verlangt wird,
etwas, das eventuell ein Vorschlag für das Abkommen hätte sein können,
als Abkommen zu unterzeichnen (...)“.
Das Parlament der Republik Serbien lehnt eine Nato-Okkupation des Kosovo ab und
erneuert seine Bereitschaft zu tatsächlichen Verhandlungen über eine
umfassende Autonomie des Kosovo auf der Grundlage der Respektierung der Gleichberechtigung
aller nationalen Gemeinschaften des Gebiets und der territorialen Integrität
Serbiens und Jugoslawiens.
1. März bis 24. März
1999
34 500 Menschen fliehen aus dem Kosovo. Zum Vergleich: Bei der allerersten
großen Vertreibungswelle im Bürgerkrieg in Kroatien vertrieb die kroatische
Armee 1995 600 000 der 650 000 in Kroatien lebenden Serben aus der Krajina,
davon 250 000 im August 1995 in nur drei Tagen. Sie tötete 1000 Serben.
Aus Zentralbosnien wurden ebenfalls 600 000 Serben vertrieben. Dies alles
wurde von den westlichen Medien jedoch kaum wahrgenommen.
24. März 1999
Die Nato beginnt mit den Luftangriffen auf Jugoslawien. Sie begründet die
Bombardierungen damit, dass sie die Stationierung ihrer Truppen erzwingen will,
um eine „humanitäre Katastrophe“ zu beenden.
Ende März 1999
Die UCK beginnt mit Freiwilligen- und Zwangsrekrutierungen unter den Flüchtlingen.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 1. April 1999: „In langen Kolonnen
fahren die Busse (der Flüchtlinge) die Straße hinunter, die in die
200 Kilometer entfernte Hauptstadt Tirana führt. Doch schon nach 15 Kilometern
werden alle Fahrzeuge an einer Straßensperre gestoppt. Hier hat die UCK
das Kommando. Rund 30 Uniformierte mit Kalaschnikows kontrollieren jeden Wagen.
Die Männer im kampffähigen Alter müssen aussteigen. „Wir
erlauben ihnen nicht zu fliehen“, erklärt ein UCK-Offizier mit grauem
Stoppelbart. „Sie müssen zurück in den Kosovo.“
Zu dieser Zeit müssen alle 220 000 in der Schweiz lebenden Kosovo-Albaner
monatlich bis zu 2000 DM an die UCK „spenden“. Die in Frankreich lebenden
zahlen 50 Prozent ihres Einkommens.
1. April 1999
Vertraulicher Lagebericht des deutschen Verteidigungsministeriums an den Verteidigungsausschuss
des Bundestages: „Die serbisch-jugoslawischen Kräfte haben ihre Säuberungsaktionen
gegen die UCK fortgesetzt.“
22. April 1999
Vertraulicher Lagebericht des deutschen Verteidigungsministerium an den Verteidigungsausschuss
des Bundestages: „Die Landstreitkräfte (Jugoslawiens) führen weiterhin
keine größeren beweglichen Operationen durch. Im Grenzgebiet zu Albanien
mehren sich allerdings die Angriffe auf UCK-Kämpfer und deren Versorgungswege.“
April 1999
Die Bundesregierung veröffentlicht mehrfach unbewiesene Greuelberichte (angebliches
KZ im Fußballstadion von Pristina; Video mit Greueltaten an Kosovo-Albanern;
Berichte von herausgeschnittenen Föten usw.)
Das Washingtoner Büro der UCK hat die Public-Relations-Firma „Ruder
Finn Global Public Affairs“ unter Vertrag. Sie wurde bereits im August 1991
von der Regierung Kroatiens engagiert und führte später auch PR-Kampagnen
für Bosnien-Herzogowina durch. Ihr Einfluss reicht bis in den Sicherheitsrat
der UNO. Sie organisierte vor der Anerkennung Kroatiens durch die USA (April 1991)
Reisen von Kongressabgeordneten nach Kroatien und verteilte im Oktober 1993 im
amerikanischen Kongress „Informationsmaterial“ (unter anderem Videoclips),
das Kroatien als angebliches Opfer einer großserbischen Aggressionspolitik
auswies. Ihr Chef James Harff sagte in einem Interview mit Jacques Merlino am
24. April 1993 über das Geheimnis seines Erfolgs: „Eine Kartei, ein
Computer und ein Faxgerät, das ist im wesentlichen unser Werkzeug. (...)
Und unser Handwerk besteht darin, Nachrichten auszustreuen, sie so schnell wie
möglich in Umlauf zu bringen, so dass die Behauptungen, die unserer Sache
dienen, als erste an die Öffentlichkeit gelangen. Die Schnelligkeit ist entscheidend.
Sobald irgendeine Information für uns vorteilhaft ist, sehen wir uns verpflichtet,
sie sofort in die öffentliche Meinung einzupflanzen. Denn wir wissen genau,
dass die erste Nachricht von Bedeutung ist. Ein Dementi hat keine Wirkung mehr.
(...) Wichtig ist die Fähigkeit, im richtigen Moment an der richtigen Stelle
zu handeln.“
Auf die Frage, auf welchen Erfolg er besonders „stolz“ sei, antwortete
James Harff: „Dass es uns gelungen ist, die Juden auf unsere Seite zu ziehen.
Das war eine sehr heikle Angelegenheit, das Dossier enthielt in dieser Hinsicht
eine sehr große Gefahr. Denn Präsident Tudjman war in seinem Buch „Ruin
der historischen Wahrheit“ sehr unvorsichtig. Wer diese Schrift liest, könnte
ihn des Antisemitismus beschuldigen. Auf bosnischer Seite war es nicht viel besser,
denn Präsident Izetbegovic sprach sich in seiner islamischen Erklärung
von 1970 zu einseitig für einen fundamentalistischen islamischen Staat aus.
(...). Die jüdischen Intellektuellen und Organisationen hatten daher allen
Grund, den Kroaten und Bosniern feindlich gesinnt zu sein. Diese Tatsachenlage
umzukehren, das war für uns eine Herausforderung. Wir haben das meisterhaft
geschafft, und zwar zwischen dem 2. und 5. August 1992, als die New Yorker „Newsday“
die Sache mit den Lagern herausbrachte. (Roy Gutmann erhielt dafür 1993 den
Pulitzer-Preis, Titel: „Todeslager“,“Gulag“ und „Todeslager
der Serben“). Wir sind sofort auf den Zug aufgesprungen und haben drei große
jüdische Organisationen in unserem Sinn beeinflusst, die B’nai B’rith
Anti-Defamation League, das American Jewish Commitee und den American Jewish Congress.
Wir haben ihnen vorgeschlagen, eine Anzeige in der „New York Times“
zu veröffentlichen und vor den Vereinten Nationen eine Protestkundgebung
zu organisieren. Das hat hervorragend geklappt; die Parteinahme der jüdischen
Organisationen für die Bosnier war ein außerordentlich gelungener Schachzug.
Im Handumdrehen konnten wir die Serben in der öffentlichen Meinung mit den
Nazis gleichsetzen. (...) Sehen Sie, das jugoslawische Problem ist sehr vielschichtig,
niemand verstand, was dort vor sich ging. (...) auf einen Schlag hatten wir eine
einfache Geschichte mit Guten und Bösen, wir wussten, dass alles davon abhing.
Und wir haben gewonnen, weil wir das jüdische Publikum anvisiert haben. Die
Presse wandelte umgehend ihren Sprachgebrauch und verwendete ab sofort emotional
stark aufgeladene Begriffe wie ethnische Säuberung, Konzentrationslager usw.,
bei denen man an Nazideutschland, Gaskammern und Auschwitz denkt. Die emotionale
Aufladung war so stark, dass niemand mehr eine gegenteilige Meinung vertreten
konnte oder andernfalls Gefahr lief, des Revisionismus beschuldigt zu werden.
Da haben wir voll ins Schwarze getroffen.“ Auf die Frage von Jacques Merlino,
dass er zwischen dem 2. und 5. August 1992 keinerlei Beweise für solche Behauptungen
gehabt haben kann, sondern lediglich den Artikel aus der „Newsday“,
sagt er: „Es ist nicht unsere Aufgabe, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt
hin zu prüfen. Wir haben dafür nicht die nötigen Mittel. Ich sagte
Ihnen bereits: Unsere Aufgabe besteht darin, Informationen, die unserer Sache
dienlich sind, schneller unter die Leute zu bringen und zu diesem Zweck sorgfältig
ausgewählte Zielpersonen anzusprechen. Wir haben nicht behauptet, dass es
in Bosnien Todeslager gibt, sondern wir haben bekannt gemacht, dass „Newsday“
das behauptet.“ - Laut albanischem Staatsfernsehen verurteilt die UCK Rugova
zum Tode, weil er „ein Agent des Regimes in Belgrad sei.“ Fehmi Agani,
einer der engsten Mitarbeiter Rugovas in der Demokratischen Liga (LDK), wird ermordet.
Eine makedonische Zeitung behauptet unter Berufung auf verlässliche Quellen
in Albanien, dies sei auf Befehl der UCK geschehen.
Die UCK erklärt die im März 1998 von der „Demokratischen Liga“
organisierten Wahlen im Kosovo für ungültig.
Die selbsternannte Kosovo-Regierung unter Hashim Thaci wird von der UCK und der
„Demokratischen Unionsbewegung“ (LBD) gestellt, einer Koalition von
fünf Oppositionsparteien, die gegen Rugova eingestellt ist. Sie kontrolliert
zusätzlich zum Posten des Premierministers das Finanz- und das Verteidigungsministerium
sowie das Ministerium für öffentliche Ordnung. Der Sprecher des US-Außenministeriums,
James Foley, sagt dazu: „Wir wollen eine gute Beziehung entwickeln mit ihnen
(gemeint ist die UCK; d. Verf.), währenddem sie sich in eine politisch orientierte
Organisation verwandeln (...) Wir glauben, dass wir über viele Ratschläge
und viel Hilfe verfügen, die wir ihnen weitergeben könnten, wenn sie
tatsächlich die Art von politischem Akteur werden, wie wir es gerne sehen
würden, dass sie es werden.“
1989 bis 1999
Ungefähr 400 000 Einwohner des Kosovo verlassen das Gebiet. Die meisten
fliehen vor der Armut, aber auch vor der wechselseitigen Rache. Es fliehen auch
10 000 serbische Bauern vor der ständigen Bedrängung durch Kosovo-Albaner
und vor den Gewalttaten der UCK. 80 000 Kosovo-AlbanerInnen leben vor Beginn
des Nato-Krieges in Belgrad und ca. 100 000 in Südserbien. Nach Kriegsbeginn
erhöht sich ihre Zahl noch.
Mai 1999
Agim Ceku, gebürtiger Albaner und ehemaliger Brigadegeneral der kroatischen
Armee, wird neuer Stabschef der UCK. Gegen ihn läuft zur Zeit ein Verfahren
vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen „Massenexekutionen, wahlloser
Beschießung der Zivilbevölkerung sowie ethnischen Säuberungen
während des Kriegs in Bosnien.“ Ceku arbeitet eng mit der Söldnerfirma
MIPRI (vgl. 1997) zusammen.
Roland Keith, im Februar und März 1999 Direktor der OSZE-Kosovo-Überwachungskommission
(Kosovo Verification Mission – KVM) in Polje, westlich von Pristina, schreibt
in der kanadischen Zeitung „The Democrat“: „In den letzten fünf
Monaten der Anwesenheit von OSZE-Beobachtern im Kosovo hat es keine internationalen
Flüchtlinge gegeben, und in den Wochen vor dem Beginn der Bombardierungen
nur einige tausend Flüchtlinge innerhalb der Landesgrenzen (...) Die Situation
war eindeutig die, dass die Provokationen durch die UCK, welche ich persönlich
bezegen kann für Überfälle aus dem Hinterhalt auf Sicherheitspatrouillen
(der Serben; d. Verf.) und welche Tote und Verletzte forderten, klare Verletzungen
des Oktober-Abkommens (zwischen Milosevic und Holbrooke; d. Verf.) waren. Die
Sicherheitskräfte schlugen zurück, und der daraus folgende Kleinkrieg
und die Gegenaktionen führten zu einem verstärkten Aufstandskrieg, doch,
wie ich bereits an anderer Stelle feststellte, wurde ich weder Zeuge noch erhielt
ich Informationen über sogenannte „ethnische Säuberungen“,
und mit Sicherheit gab es keine Vorkommnisse von „Völkermord-Politik“,
solange ich mit der KVM im Kosovo war. Was bekannt wurde, seit die OSZE-Beobachter
am 20. März evakuiert wurden, um durch diese vorletzte Warnung die jugoslawische
Zustimmung zu den Dokumenten von Rambouillet und den folgenden von Paris zu erzwingen,
und was seit dem Beginn der Nato-Bombenangriffe am 24. März bekannt wurde,
hat offenkundig zu Menschenrechtsverletzungen und zu einer ganz furchtbaren humanitären
Katastrophe geführt, als etwa 600 000 albanische Kosovaren flohen oder
aus der Provinz vertrieben wurden. Dies fand jedoch nicht vor dem 20. März
statt, und deshalb würde ich die humanitäre Katastrophe direkt oder
indirekt den Bombardements der Nato und dem darauffolgenden antiterroristischen
Feldzug zuschreiben.“ Keith beschreibt in seinem Bericht auch den gelungenen
Versuch, dass in seinem Verantwortungsbereich durch die Vermittlung der OSZE-Beobachter
die UCK und die jugoslawischen Sicherheitskräfte auf gegenseitige Provokationen
verzichteten und die BewohnerInnen eines bereits verlassenen Dorfes nach Hause
zurückkehrten.
Der englische General und OSZE-Beobachter Drewenkiewicz gab später zu, 250
GPS-Ortungssysteme im Kosovo gelassen zu haben, die zur Zielmarkierung für
die geplanten Nato-Luftangriffe dienen sollten.
10. Juni 1999
Ende der Nato-Bombardierung
Juni 1999
Nach dem Ende der Bombardierungen, dem Abzug der jugoslawischen Armee und nach
dem Einrücken der UCK und der Nato-Besatzungstruppen werden innerhalb von
zwei Wochen 100 000 Serben und Roma aus dem Kosovo vertrieben, bis Juli weitere
70 000. In der Sprachregelung der westlichen Medien werden sie aber nicht
als Vertriebene, sondern als „Flüchtlinge“ bezeichnet. (Bei den
Kosovo-Albanern war es umgekehrt.) Roma waren schon seit Anfang der 80er Jahre
bis zur teilweisen Zurücknahme der Autonomie 1989 massiven Pressionen durch
die kosovo-albanische Mehrheit ausgesetzt, wenn in ihren Pässen als Nationalität
nicht „albanisch“ eingetragen war. Es kam zu Entlassungen, Verweigerung
der medizinischen Versorgung und Prügeln. Besonders brutal soll das Vorgehen
bei der Volkszählung von 1981 gewesen sein, als sie aufgefordert wurden,
sich als Albaner registrieren zu lassen. Häuser und Wohnungen von Roma-Vertretern,
die sich weigerten, wurden zerstört. Amnesty International erhielt 1998 Kenntnis
von zahlreichen Berichten, denen zufolge die UCK und andere bewaffnete ethnische
Albaner für Vertreibungen, Misshandlungen, Entführungen und Inhaftierung
von nicht an Kampfhandlungen beteiligten Personen verantwortlich zeichnete, bei
denen es sich neben Serben, Montenegrinern und Kosovo-Albanern auch um Roma handelte.
Die katholische „Zigeunerseelsorge“ registrierte bis kurz vor Kriegsbeginn
Berichte über Roma, die Opfer von Angriffen von Kosovo-Albanern bzw. Bombenanschlägen
wurden. Ein ehemaliges Mitglied des Europaparlaments der spanischen Sozialisten
verfügt über eine Liste von Kosovo-Roma, die von bewaffneten Gruppen
entführt wurden.
Die Nato stellt der UCK in Aussicht, nach US-Vorbild eine Nationalgarde und die
Polizei im Kosovo aufstellen zu dürfen. Ihre Entwaffnung verläuft äußerst
schleppend. Die Waffen sollen in UCK-eigenen Depots gelagert werden, die von den
KFOR-Truppen lediglich überprüft werden.
Die Nato-Staaten erpressen die jugoslawische Bevölkerung: Kredite zum Wiederaufbau
der fast völlig zerstörten Industrie und der Infrastruktur und zur im
Grunde genommen unmöglichen) Beseitigung der Umweltschäden werde es
nur bei „politischen Reformen“ geben. Konkret ist damit die Abwahl
des demokratisch gewählten Präsidenten Milosevic, die Beseitigung der
Sozialistischen Partei, die Bereitschaft zur Auslieferung der Industrie an die
westlichen Konzerne und die Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsprinzipien gemeint.
|
|
|