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Broschüre
„Der Informationskrieg“
Broschüre vom Gegeninformationsbüro
21. April 2000
Warum dieser Krieg
Weil es „... zu Zeiten notwendig ist, Absatzmärkte zu Schlachtfeldern
zu verwandeln, damit aus diesen wieder Absatzgebiete werden.“ (Karl Kraus)
Welche Interessen haben diejenigen, die die Kriegsmaschine in Gang gesetzt haben?
Welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer
dem Krieg, um das Missverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte
und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und
der „Einflusssphären“ des Finanzkapitals andrerseits zu beseitigen?
In diesem Krieg ging und geht es darum, sich geographisch und ökonomisch
neue Akkumulationsräume zu erschließen. Ganz Osteuropa ist in den letzten
Jahren nach und nach in den wirtschaftlichen und militärischen Einflussbereich
des Westens integriert worden. Es soll auf Dauer und unumkehrbar frei verfügbare
Interessenssphäre kapitalistischer Ausbeutung sein.
Abweichende und störende Strukturen werden nicht mehr geduldet. Jugoslawien
störte. Viele Transportwege führen durch den Balkan: Pipelines, Straßen,
die Donau. Die Nato sah Jugoslawien als Riegel. Es hat viele Versuche gegeben,
diesen Riegel zu sprengen mit Geld, Nötigung, Erpressung und den verschiedenen
Formen zivilgesellschaftlicher Brutalität, aber was man eigentlich wollte,
hat nicht geklappt: Die totale ökonomische und militärische Integration.
Jugoslawien war störrisch. Deshalb wurde dieser letzte Balkanstaat, der Nato-Interessen
im Wege stand, zerstückelt und zerschlagen.
Die nächstfolgende Abspaltung der Republik Montenegro und die Sezession der
Provinz Vojvodina stehen oben auf der Tagesordnung. Die Steigerung von Chaos,
Krieg und Krise ist einkalkuliert.
Die Nato hat an Jugoslawien ein Exempel statuiert: Dass es sich kein Staat leisten
kann, einem Diktat der Nato-Staaten zu widersprechen. Der Krieg hat an erster
Stelle demonstriert, dass keine Ausnahmen zugelassen werden.
Gleichzeitig soll die Rolle Russlands geschwächt werden, Russland vom Zugang
zum Mittelmeer und zu den Erdölvorkommen der ehemaligen Sowjetunion abgeschnitten
werden.
Die Kriegsziele weisen über den europäischen Raum hinaus. Die ehemaligen
Staaten der SU bis hin zur chinesischen Grenze sollen der Kontrolle imperialistischer
Macht unterworfen werden. Die Türkei wird dabei zu einem strategischen Dreh-
und Angelpunkt zwischen dem Balkan und den im Osten angrenzenden Staaten.
Generell ist es das Ziel, weitere Einflusssphären zu schaffen und verbesserte
Ausgangsbedingungen zu erringen, und zwar in neuer imperialistischer Konkurrenz.
Der Zugriff auf die Erdölvorräte unter dem Kaspischen Meer war bereits
wichtiges Kriegsziel im 2. Weltkrieg, und auch jetzt stehen sie wieder im Zentrum
des Interesses: Zentralasien, mit seinen Erdgas- und Erdölvorkommen, bereit
für den, der zuerst kommt.
Das Gebiet umfasst den Kaukasus, das Schwarze Meer, die Anliegerstaaten des Kaspischen
Meeres bis Pakistan. Im April 1999 wurde die Pipeline vom Kaspischen Meer zum
Schwarzen Meer durch Aserbeidschan und Georgien eröffnet. Es fehlt nur noch
der ungestörte Transfer durch den Balkan und zum Mittelmeer.
Noch mehr gibt es in Ostasien zu holen, wo sich gigantische Märkte entwickeln,
die es zu erobern gilt.
Krieg als Mittel ökonomischer Expansion: Auch die deutsche Export- und Rüstungsindustrie
kommt voll auf ihre Kosten.
Man führte zwar diesen Krieg gemeinsam, aber die Alliierten in diesem Krieg
sind zugleich Gegner. Die USA versuchen sich als die Macht zu beweisen, die allein
die Fähigkeit und die Mittel besitzt, überall – im eigenen Hinterhof
wie in dem der Konkurrenz – das letzte Wort zu sprechen.
Doch das europäische Konzept einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
(GASP) ist das Konzept eines konkurrierenden imperialistischen Zentrums, das versucht,
Stück um Stück die amerikanische Dominanz zurückzudrängen,
um sich selbst einen größeren Spielraum zu verschaffen für die
Durchsetzung eigener Interessen, wenn nötig mit militärischen Mitteln.
Allen voran steht Deutschland: „Vor den Augen des staunenden Publikums vollzieht
sich in Deutschland eine Konzentration ökonomischer Macht, wie sie der Erdball
bisher nicht gesehen hat ...“ (Pomrehn in Konkret, April 2000)
Der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Brezinski skizziert die US-Interessen
so: Der Brückenkopf der USA auf dem euroasiatischen Kontinent müsse
so gefestigt werden, dass ein wachsendes Europa ein brauchbares Sprungbrett werden
kann, von dem aus sich eine internationale Ordnung nach Eurasien hinein ausbreiten
läßt.
Die amerikanische Denkfabrik Rand Corp. spricht davon, dass sich die direkte amerikanische
Militärpräsenz in den kommenden Jahren in Europa weiter reorganisieren
wird „entlang den geographischen Grenzen Europas in Richtung Osten und Südosten,
und dahinter werden die Vereinigten Staaten dauerhaft präsent sein.“
In der Verfolgung seiner Interessen, im Übergang von „Nie wieder Krieg“
zum Krieg, hatte Deutschland ein kleines Problem, nämlich Auschwitz und den
NS-Faschismus.
Deutsche Interessen und der
Überfall auf Jugoslawien.
„... wir wollen hoffen, dass in zukünftigen Fällen,
wenn es auf der Erde vielleicht wieder einmal etwas zu verteilen gibt oder wenn
es wieder Umwälzungen gibt ... man nicht erst kommt,wenn die Welt bereits
verteilt ist... sondern dass man gleich vorgeht und gleich das nimmt, was man
kriegen kann...“ meinte der Generalsekretär des Zentralverbandes deutscher
Industrieller H. A. Bueck im Jahr 1898.
Das erste, was zu kriegen war bei der Aufteilung der Beute, nach der Einverleibung
der DDR und dem Ende der sowjetischen Gegenmacht, die den deutschen Imperialismus
bis dahin im Zaum hielt, war Kroatien und Slowenien.
Mit seiner kriegsverschärfenden Anerkennung dieser ehemaligen jugoslawischen
Teilrepubliken übernahm Deutschland 1991 eine Vorreiterrolle. Es geht dem
deutschen Imperialismus seit 1933, eigentlich seit 1918 darum, die Ergebnisse
des 1.Weltkriegs rückgängig zu machen und seine Herrschaft in Europa
und darüber hinaus wiederherzustellen, wenn nötig mit Krieg.
„Die deutsche Außenpolitik war dabei bereit gewesen, gegebenenfalls
große Risiken zu übernehmen ... immerhin standen sogar eine Spaltung
der EG, die eventuelle Eskalation eines Krieges und die Destabilisierung des gesamten
Balkans und Mitteleuropas auf dem Spiel. Trotzdem war Deutschland bereit, im Alleingang
seine Einschätzung durchzusetzen“, erklärte das Südostinstitut
in München 1993.
Der amerikanische Balkan-Vermittler, Cyrus Vance, sprach von „Genscher’s
War“.
Die TAZ schrieb in einem Leitartikel 1991: „Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen
Scheinalternative werden nun, und das ist begrüßenswert, viele regionale
Konflikte auf der Welt beigelegt.“
Der damalige Bundesaußenminister Kinkel erklärte 1993: „Nach
außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert
sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen
und unserem Potential entspricht... Unsere Bürger haben begriffen, dass die
Zeit unseres Ausnahmezustandes vorbei ist.“
Woran sind „wir“ denn nach Meinung Kinkels „zweimal zuvor gescheitert“?
Daran, dass zwei furchtbare Weltkriege von deutschem Boden ausgingen?
Der deutsche Imperialismus trat am Ende des 19. Jahrhunderts auf den Plan, als
die territoriale Aufteilung der Erde bereits abgeschlossen war. Die Vorbereitung
auf den Kampf um die Neuaufteilung der Welt mit Hilfe von Kriegen führte
vor 1914 zur forcierten Kriegsrüstung, zu einer besonders abenteuerlichen
Außenpolitik, zum hektischen Anwachsen des Militarismus und zum hemmungslosen
Chauvinismus.
Ebenso wie Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts einen Sprung nach vorne machte
und an der bestehenden Aufteilung der Welt zu rütteln begann, werden auch
heute die globalen Strukturen in Frage gestellt. Ihr Interesse gilt nicht der
Stabilisierung, sondern der Veränderung der Grenzen in Osteuropa und auf
dem Balkan.
Der ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz äußerte sich 1991
in der Welt:
„Wenn einzelne Nationen in ungewollten widernatürlichen oder aufgezwungenen
staatlichen Organisationen festgehalten werden, so schafft dieses alles andere
als wirkliche Stabilität ...“
In einer Besprechung hochrangiger Osteuropa-Experten im Auswärtigen Amt im
Dezember 1991 war die Rede davon, dass Chaos und Krise die angemessenen Formen
der Veränderung und Überwindung seien. Chaos und Krise werden hier als
„schöpferische Kraft“ angesehen, die die territorialen Strukturen
Osteuropas zum Einsturz bringt.
Unter der Parole vom „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ wurde
die kroatische und slowenische Sezession forciert. Ziel dabei war, die losgelösten
Teile als wirtschaftlich und politisch abhängige Gebiete der eigenen Großraumbildung
anzugliedern.
In einem Papier des Auswärtigen Amtes vom April 1999 war die Rede von einer
zugespitzten Entscheidungssituation zwischen dem „Selbstbestimmungsrecht
der Völker“, die dann auch ein Recht auf Sezession haben, und dem Erhalt
der Einheit multiethnischer Staaten. Deutsche „Volksgruppenpolitik“
ist in Verbindung mit dem „Selbstbestimmungsrecht“ genau das Konzept
der deutschen Außenpolitik zur Erweiterung der deutschen Hegemonie. Der
Krieg gegen Jugoslawien war nur ein Anfang.
Prinz Max von Baden, der spätere Reichskanzler, präsentierte im März
1918, kurz vor einer erneuten Offensive die „Denkschrift über den ethischen
Imperialismus“. Er wolle „zum ersten Mal das ethische Fundament des
deutschen Imperialismus“ festlegen:
„Eine so ungeheure Kraft, wie wir sie in diesem Krieg entfaltet haben,
muss sich vor der Welt ethisch begründen, will sie ertragen werden. Darum
müssen wir allgemeine Menschheitsziele in unseren nationalen Willen aufnehmen
... Sie müssen so formuliert werden, dass der Vorwurf der Hinterhältigkeit
und Unaufrichtigkeit nicht mehr erhoben werden kann ... Wir müssen es deutlich
machen, dass wir ehrlich als Rechtsschützer an allen Randvölkern handeln
wollen. Untrügliche Beweise sind hier notwendig, dass, wer uns vertraut,
nicht missbraucht wird ... Andere Menschheitsziele, die unser Interesse und das
Recht in gleicher Weise fordern, müssen formuliert werden: Kolonisieren heißt
missionieren. ... Für Deutschland aber heißt es, heute im Lichte der
schärfsten Weltkritik die Grundlagen seines Imperialismus erst zu legen ...
Besonders in Europa schnürte uns der Panzer ein ... der Panzer ... ist gesprengt.
Die Geschicke ganzer Völker sind erneut zur Entscheidung gebracht. Mächtige
Länderstrecken an unserer Grenze sind frei geworden. Neu entstandene Staatengebilde
bedürfen der Anlehnung und des Schutzes ... Wir sind ihre Nachbarn und ihre
Befreier ... Überall regt sich die Lust, an der gemeinsamen Sache mitzuschaffen...“
Die „Menschheitsziele“ definierte er völkisch.
Franz Neumann schreibt in seinem berühmten Buch „Behemoth. Struktur
und Praxis des Nationalsozialismus“:
„Das Selbstbestimmungsrecht ist nichts als eine Waffe. Man nutze jede
aus dem Minderheitenproblem erwachsene Spannung. Man schüre nationale und
rassische Konflikte, wo man kann. Jeder Konflikt wird Deutschland, dem neuen selbsternannten
weltweiten Hüter der Ehre, Freiheit und Gleichberechtigung in die Hände
spielen.“
In ihrem Buch „Von Krieg zu Krieg“ schreiben Minow und von Goldenbach
1999: „Wir erleben den Durchbruch einer identischen Politik auf dem Balkan.“
Kinkels und Fischers Staatssekretär Wolfgang Ischinger erklärte die
NATO-Intervention im Kosovo als einen „Beschleuniger der Geschichte“,
als einen „Schritt nach vorn“ und „als Verteidigung eines bereits
im Aufbau befindlichen europäischen Rechtsraums“.
Der deutsche „Volksgruppenschutz“ ist ein Vehikel europäischer
Expansion. Mit der Verteidigung individueller Menschenrechte hat er nichts zu
tun.
Menschenrecht, Minderheitenrecht und Selbstbestimmung haben in den letzten Monaten
eine bunte Heimatfront deutscher Balkan-Interventen zusammengeführt, von
völkischen Ideologen über ehemalige Linke bis hin zu ehemals Friedensbewegten,
die sich als Retter bedrohter Völker erbarmungslos und „humanitär“
an die Spitze der Kriegstreiber setzten.
Fischer hat die argumentative Grundlage des „ethischen Imperialismus“
erweitert, indem er die Politik der Bundesrepublik Jugoslawien als eine neue Form
des Faschismus identifiziert zu haben meinte und eine völkische Denkungsart
ausgerechnet der serbischen Seite unterstellte. Auschwitz wurde zur Legitimation
für den nächsten Griff Deutschlands nach der Weltmacht. In einem rasanten
Tempo erfolgte eine völlige Umwertung nahezu aller fortschrittlichen Kategorien.
Diese Projektion deutscher Verbrechen ist das Besondere an der deutschen Kriegspropaganda.
„Systematisch all das mit Auschwitz zu identifizieren, durch dessen
Bekämpfung sich Machtzuwachs erreichen lässt, ist zur neuen deutschen
Ideologie geworden.“ (Scheit)
Berthold Brecht
zum Wiener Kongress für den Frieden 1952
Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete
Leiden ist erstaunlich kurz.
Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden
ist fast noch geringer.
Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben,
ihr äußerster Grad ist der Tod.
Allzu viele kommen uns heute schon vor
wie Tote, wie Leute, die schon
hinter sich haben, was sie noch vor sich haben,
so wenig tun sie dagegen.
Und doch wird mich nichts davon überzeugen,
daß es aussichtslos ist, der Vernunft
gegen ihre Feinde beizustehen. Laßt uns
das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zuwenig gesagt wurde!
Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn
sie schon wie Asche in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit drohen Kriege,
gegen welche die vergangenen wie armselige
Versuche sind, und sie werden kommen
ohne jeden Zweifel, wenn denen,
die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden. |
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