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Nachbetrachtungen zum 1. und 8. Mai 2005
Linksradikales und Autonomes 1. Mai-Bündnis
9. Juli 2005
Da es früher normal war, nach einer Initiative auch eine Nachbereitung
zu machen, wir jedoch feststellen mussten, dass nur wenige ein Interesse an dieser
Nachbereitung haben, haben wir unsere Kritikpunkte zum 1. und 8. Mai zusammengefasst
und hoffen über die Veröffentlichung auf eine breite Diskussion.
Mit dem 1. und 8. Mai sind nun die beiden „Großereignisse“ der
radikalen Linken in diesem Jahr absolviert. Rein oberflächlich betrachtet
kann gesagt werden, dass beide Tage ein Erfolg für uns waren, wurde doch
am 1. Mai immerhin das Demoverbot in SO36 durchbrochen und konnte am 8. Mai
der Naziaufmarsch verhindert werden. Bei einer näheren Betrachtung kommen
aber schnell Zweifel an dieser Sicht auf. So zeigt schon allein das Demoverbot,
dass wir am 1. Mai die Initiative verloren haben. Denn mit dem Myfest als
Vehikel für ein Demoverbot ist es dem Staat gelungen, zum einen aus der
Rolle des Repressivorgans herauszukommen, zum anderen wird über die Medien
ein Bild von uns propagiert, das uns als die Saboteure eines kieznahen Volksfestes
darstellt. Standen beim letzten Verbot 2001 noch Polizeiknüppel im Vordergrund,
so waren es diesmal Bratwürste, die eine Demo nicht zulassen sollten.
Der Verlauf des 1. Mai hat jedoch gezeigt, dass die Bevölkerung
dem propagierten Bild wenig Bedeutung beimisst und sich eher mit uns solidarisiert
und sich gegen ein Demoverbot ausspricht. Dieses herausragende Positive wird
jedoch in den Medien mit Ausnahme eines Kurzartikels im „Tagesspiegel“ verschwiegen
ebenso wie die abendlichen Übergriffe seitens des BGS und der Polizei auf
die, die abends noch auf dem Fest waren.
Dass der Mediendarstellung kaum widersprochen wurde, liegt unter anderem an
der derzeitigen strukturellen Schwäche der radikalen Linken: organisiert
in meist sehr kleinen Gruppen, die zudem noch gegeneinander intrigieren. Dies
zeigte sich auch dieses Jahr. Weder hat es eine gemeinsame Vorbereitung in Form
einer Vollversammlung gegeben, noch gab es intensivere Gespräche der verschiedenen
Spektren über ihre Vorstellungen zum 1. Mai. Anstatt in einem gemeinsamen
Treffen wenigstens über die verschiedenen Überlegungen zu sprechen,
waren die Strömungen auf Gerüchte angewiesen, wer ev. nach Hamburg
fahren oder in den Grunewald, eventuell nach Leipzig oder wie wir in SO36 bleiben
will. Als wir schließlich hörten, dass Bang, Solid und Interkomm eine
Demo von Friedrichhain aus machen wollten, entschlossen wir uns, auf diese Vorbereitung
zuzugehen, um ev. eine gemeinsame Demo machen zu können. Allerdings war
dieser Vorbereitungskreis nicht zu einer Demo nur im 36er Kiez bereit.
Dies änderte sich jedoch sehr schnell mit der Ankündigung einer
Demo für 18 Uhr am O-Platz, die zuvor jedoch nicht mit uns besprochen wurde,
obwohl dieser Kreis von einer Vorbereitung unsererseits für 16 Uhr wusste.
Schließlich erfuhren wir über das Anmeldergespräch bei den Bullen,
dass der Anmelder von der Bang schon vor einem Jahr eine Demo in SO36 für
den 1. Mai angemeldet hatte. Dies uns nicht mitzuteilen lässt weit
mehr als einen solidarischen Bezug untereinander vermissen. Selbst auf Nachfrage
wurde uns mitgeteilt, dass er mit einer Anmeldung nichts zu tun hätte. Erst
auf mehrfache Nachfrage wurde die Anmeldung bestätigt. Beide Vorbereitungskreise
einigten sich schließlich auf eine Demo ab 18 Uhr vom O-Platz mit einer
einstündigen Kundgebung zuvor.
Obwohl bisher meistens eine Trennung zwischen der anmeldenden Person und den
Leuten auf der Pressekonferenz vorgenommen wurde, war diesmal der Anmelder auch
Referent auf der PK. Dies sollte extrem negative Konsequenzen haben. Denn plötzlich
sagte der Anmelder die Demo ab, eine Absage die mit uns zuvor in keiner Weise
besprochen wurde und der wir klar widersprochen hätten. Das Fiasko war mit
der Absage jedenfalls komplett. Wir denken, dass in Zukunft wieder auf die zuvor übliche
Trennung zurückgegriffen werden sollte, denn es hat sich gezeigt, dass in
dieser zugespitzten Situation mit Demoverbot eine Person schlecht mit dem Druck
umgehen kann, wenn sie in der Öffentlichkeit auftaucht. Verschärfend
kommt hinzu, dass diese Person unter Bewährung steht. Eine Absage einer
Demo sollte jedoch nur von einem gemeinsamen Plenum aller beteiligten Gruppen
beschlossen werden. Gleiches sollte in Zukunft auch wieder für die anmeldende
Person gelten.
Doch damit nicht genug, veröffentlichte die Bang am 2. Mai auf Indymedia
eine Kritik, wonach wir auch noch weit nach 18 Uhr hätten warten müssen
sowohl auf die Bang als auch auf die aus Leipzig zurückkehrenden Antifas.
Nicht nur müssen wir sicherlich nicht auf eine Gruppe warten, egal wie bedeutend
sie auch sein mag, auch das Warten auf die Antifas, die schließlich nach
23 Uhr ankamen, kann wohl kaum ernstgemeint sein. Schließlich wussten alle
durch die diversen Ankündigungen von einer Demo für 18 Uhr. Dass wir
diesen Termin ernst nehmen, kann uns ruhig geglaubt werden. Jedenfalls gingen
wir um 18.15 Uhr los, und die 4000 Leute, die sich anschlossen, zeigen, dass
wir richtig gehandelt haben. Länger zu warten hätte nur zu Verwirrung
geführt und die Durchführung der Spontandemo letztlich unmöglich
gemacht. Und nicht zuletzt mussten wir nach der öffentlichen Absage der
Demo davon ausgehen, dass bei der Bang kein Interesse mehr an der Demo besteht.
Mit der Absage hat sich die Gruppe ohnehin aus der kollektiven Entscheidungsstruktur
verabschiedet.
Vielen war es wichtig, eine Kritik an dem von Bullen und Bezirksamt veranstaltetem „Myfest“ inklusive
Demo-Verbot auszudrücken. Die Linke hier muss sich wieder mehr darauf einstellen,
im Vorfeld besser und detaillierter über den Charakter von Staatsveranstaltungen
wie dem „Myfest“ zu informieren, damit klar wird, dass es sich dabei
um Aufstandsbekämpfung handelt. Der Erfolg der Spontandemo hat jedenfalls
gezeigt, dass es nicht notwendig ist, sich auf ihr Spiel mit Anmeldungen und
Demo-Auflagen einzulassen. Notfalls kann auf eine „normale“ Demo
verzichtet werden, um den ganzen Tag über präsent zu sein. So könnten
zum Beipiel das „MyFest“ oder zukünftige Staatsveranstaltungen
gezielt umfunktioniert werden, um noch mehr Menschen am Tag selbst zu erreichen
und zu spontanen Demonstrationen und Besetzungen zu mobilisieren, nach dem Motto „legal,
illegal – scheißegal“.
Schließlich mussten wir am 3. Mai 2005 in der „Morgenpost“ lesen,
wie sich der Anmelder sowohl von der Spontandemo als auch von der Gewalt am 1. Mai
distanzierte. Sicher kann über den Sinn sowohl der Verlängerung der
Demo zu Springer als auch des umgekippten Autos diskutiert werden, zumal die „Berliner
Zeitung“ meldete, dass Zivis die Demo aus den Kiez geführt haben sollen.
Diese notwendigen Diskussionen sollten allerdings intern stattfinden und nicht
auf der Bühne der bürgerlichen Presse, die nie eine umfassende Darstellung
unserer Positionen bringen wird. Wer über diese Medien versucht, Kritik
zu üben, wird allenfalls neue Zerwürfnisse heraufbeschwören, eine
Auseinandersetzung aber sicherlich nicht erreichen. Auch scheint es über
diese Medien eher nur um ein Angepisse anderer Gruppen zu gehen.
Betrachten wir die gesamten angesprochenen Punkte im Nachhinein, müssen
wir folgendes festhalten:
- Die anmeldende Person kommt durch die Anmeldung in eine exponierte Position.
- Deswegen sollte diese Person fähig sein, den möglichen Druck durch
Bullen und Presse auszuhalten. Der Anmelder war hierfür nicht souverän
genug.
- Auch die anmeldende Person bleibt einem gemeinsamen Vorbereitungskreis unterworfen
und muss dessen Beschlüsse umsetzen.
- Egal welche Aufgabe übernommen wird, darf diese nicht zur eigenen Profilierungssucht
dienen – wir dienen immer noch den Unterdrückten.
Wir fordern daher, dass jede Gruppe, die in Zukunft Aktionen durchführen
will, an denen auch andere Gruppen interessiert sind, sich wieder kollektiv verhält,
daher, sich wieder einer gemeinsamen Plenumsstruktur aller an einer Aktion beteiligten
Kräfte zuordnet. Darüber hinaus können wir nicht mehr hinnehmen,
wenn dieser Anmelder auf einer Pressekonferenz erscheint, seine Demoabsage delegitimiert
ihn für diese Aufgabe.
Zu den Anti-NPD-Aktivitäten am 8. Mai
Was die Mobilisierung gegen die NPD-Provokation am 8. Mai betrifft, kann
es sicherlich – wie oben schon erwähnt – als Erfolg verbucht
werden, dass die NPD ihre Demo nicht durchführen konnte. Doch unabhängig
von diesem auf jeden Fall positiven Ergebnis sollten wir selbstkritisch genug
sein, um auch die negativen Aspekte zu erkennen und über sie diskutieren
zu können. Denn eigentlich war es weder das Verdienst der radikalen Linken
noch der Linken insgesamt, dass der NPD die Grenzen gezeigt wurden.
Obwohl die vormittägliche Demo mit etwa 20 000 Menschen eine der
größten Demos der letzten Jahre in Berlin war, muss doch festgestellt
werden, dass diese Anzahl an sich doch eher das untere Mobilisierungspotential
umfasst. Unter Berücksichtigung einer bundesweiten Mobilisierung zu dieser
Demo mussten die Erwartungen eigentlich höher liegen, zumal es sich bei
der NPD-Demo ja nicht um eine x-beliebige Initiative handelte, sondern um die
mit Abstand frechste Provokation, ausgerechnet am 60. Jahrestag unserer
Befreiung die Straße erobern zu wollen. Als im Frühjahr 1989 die Reps
ins Abgeordnetenhaus einzogen, kamen am Tag vor der Konstituierung des Parlaments
10 000 zusammen, um gegen die Faschisten zu protestieren. Dies ohne bundesweite
Mobilisierung und ohne das linke Potential beispielsweise der PDS-Basis in Ostberlin,
das erst nach dem Mauerfall hinzukam. Am 8. Mai jedenfalls fehlten nicht
nur große Teile der Basis von Gewerkschaften und der PDS, das gesamte linksliberale
Spektrum glänzte mit Abwesenheit.
Dies mag unter anderem an dem so genannte Fest der Demokratie liegen, mit
dem sämtliche Staatsorgane von Präsident bis Bundestag und Bundesrat
versuchten, den antifaschistischen Protest zum einen auf der Ebene des Protestes
zu halten und ihn nicht zu Widerstand sich entwickeln zu lassen, zum anderen
aber versuchten, diesen Protest ins Lächerliche zu ziehen. So präsentierte
sich Claudia Roth mit dem Slogan: „Kein Sex mit Nazis“. Die strategische
Schwäche der Antifa-Demo wie auch der gesamten antifaschistischen Mobilisierung
besteht darin, eben dieses Fest in keinerlei Weise auch nur ansatzweise in die Überlegungen
miteinbezogen zu haben. Weder wurde das Fest als ein Vehikel diskutiert, mit
dem das Demonstrationsrecht ausgehebelt wurde, noch wurde es als Projektionsfläche
für unseren Protest begriffen.
So wurde Ende April das Demonstrationsrecht dahingehend geändert, dass
erstens eine Erstanmeldung nicht mehr ausschlaggebend ist und zweitens der Staat
mittels Kulturveranstaltung jede Demo blockieren kann. Diese scheinbar gegen
Faschisten gerichtete Gesetzesänderung wurde natürlich zuerst gegen
die Linke am 1. Mai wirksam. Wie verlogen der antifaschistische Ansatz der
Parlamentäre zudem ist, zeigt die Tatsache, dass eine antimilitaristische
Künstlergruppe lange vor der NPD eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor
angemeldet hatte. Schließlich hätte aber jede antifaschistische Mobilisierung
unsererseits das Fest wenigstens zur eigenen Propaganda nutzen können, um
diesen scheinbar antifaschistischen Demokraten zum einen ihre Verlogenheit vorzuhalten,
zum anderen aber das linksliberale Publikum zu bewegen, mit zu Blockadeversuchen
zu kommen. Dies jedoch machten nur wenige.
Doch kommen wir zur Antifa-Demo zurück. Die größten Probleme
mit dieser Demo bestanden sicherlich in der Routenplanung, die zuerst noch auf
der Nazi-Route lag, dann jedoch von den Bullen nicht nur nördlich der Spree
verlegt wurde, sondern auch noch hinter den S-Bahnbogen. Mit dieser Route war
klar, dass wir allenfalls protestieren konnten, Widerstand mittels Blockaden
war bei dieser Demoroute nicht mehr möglich. An diesem Punkt der kurzfristigen
Demoverlegung wäre es sicherlich besser gewesen, eventuell nur eine Kundgebung
abzuhalten, um dann zu einer Spontandemo aufzurufen bspw. vom „Fest der
Demokratie“ hin zur NPD.
Dass wir schließlich doch noch am Palast der Republik ankamen, war nicht
unserer Stärke geschuldet, sondern lag einzig und allein in dem Bestreben
des Staates begründet, gerade zum 60. Jubiläum des Tags der Befreiung
keine öffentliche Nazischau zuzulassen. So war es der Regierende Bürgermeister
von Berlin, Wowereit, der schon einen Tag zuvor zu dieser Blockade aufrief. Die
Aufhebung der Bullensperren an den Spreebrücken und am S-Bahnbogen diente
damit einzig dem Ziel, uns als Masse zu benutzen, damit der Staat sein Image
aufpolieren kann. Für uns bedeutet das aber ein völliges politisches
Versagen.
Ein weiteres großes Problem bei der Antifa-Demo lag in ihrer inhaltlichen
Bestimmung. So konnten sich zwar alle in den einen oder anderen Block begeben,
dass aber ein unter anderem von der Berliner Gruppe Kritik und Praxis zusammen
mit den Jusos organisierter Israel-Soli-Block in dieser Demo laufen durfte, diskreditiert
jeden antifaschistischen Ansatz. Es ist schlicht unmöglich, mit rassistischen
und kriegstreiberischen Positionen antifaschistische Politik zu machen. Dies
sollte eine zukünftige Antifa-Demo-Vorbereitung umsetzen.
Wir hoffen, mit unserer Kritik zu einer Wiederbelebung linksradikaler Diskussionskultur
beitragen zu können, die früher vor zumindest größeren Initiativen
in Form von Vorbereitungsplena und daraus resultierenden Vollversammlungen existierte.
In dieser Hinsicht hoffen wir, mit diesem Text zu einer breiten öffentlichen
Linksradikales und Autonomes 1. Mai-Bündnis
Kontakt: myfest@gmx.net
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