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Interview
mit Bryan Atinsky
vom „Independent Media Center – Israel“
Das Netzwerk wird kollektiv von verschiedenen gesellschaftskritischen Gruppen
betrieben, die direkt und unabhängig von Geschehnissen berichten und so einen
anderen Blick als den der Massenmedien eröffnen wollen.
Entstanden ist das Media Center durch die Kooperation mehrerer unabhängiger
und alternativer Medienorganisationen und Aktivisten, um über die Proteste
gegen die WTO im November 1999 aus der Sicht der Protestierenden mit Texten, Fotos,
Video und Audio zu berichten. Seitdem haben sich dem „autonomen und dezentralisierten
Netzwerk“, das ein offenes Publikationssystem bietet, andere Zentren in
London, Kanada, Mexiko, Prag, Belgien, Frankreich und Italien angeschlossen.
Anfang Oktober startete das Independent Media Center – Israel.
Max Böhnel sprach mit dem Mitbegründer Bryan Atinsky über die Motive
der Gründung und die einseitige Berichterstattung in den Massenmedien.
Weshalb seid Ihr als Alternativmedium ausschließlich ins Internet
gegangen, also den Weg ins Ungewisse?
Ein wichtiger Grund war, dass in der israelischen Medienszene ein Vakuum sichtbar
wurde, das auf den Mangel an aktuellen Nachrichten und kritischer Hintergrundberichterstattung
zurückgeht. Es gibt zwar mehrere palästinensische und israelische Webseiten,
die kritische Sozial- und Politikanalysen sowie einiges zur Menschenrechtsproblematik
liefern – wie Addameer, das Alternative Information Center und Btselem.
Doch sie sind uns entweder zu speziell auf ein Thema zugeschnitten oder aber nicht
aktuell genug.
Bei einigen aus der israelischen Aktivistenszene war der Eindruck entstanden,
dass wir unser eigenes Medium bräuchten. Wir wollten bei den von den Großkonzernen
gesponserten und bei den nationalen Mainstream-Medien nicht länger um Aufmerksamkeit
für die vielen kritische Geschichten betteln. Außerdem waren einige
Menschen, die jetzt Teil des IMC-Kollektivs sind, unzufrieden mit dem Wirkungskreis
des Magazins „Can“ – hebräisch für „Jetzt“.
Sie hatten acht Monate lang bei „Can“ gearbeitet. Aber in einer 10seitigen
Monatszeitung mit einer 10.000er-Auflage sind viele Stories nicht mehr aktuell,
wenn sie publiziert sind. Und es herrschte Uneinigkeit, was abgedruckt werden
sollte. Von 10 Seiten handelten manchmal drei oder vier von Themen wie Globalisierung,
Tibet oder den Indianern in Südamerika. Wichtige Themen – aber da bleibt
kaum genug Platz übrig für wichtige Diskussionen und die brisanten regionalen
Themen.
Ich beobachtete, wie die Indymedia-Webseite schon vor den Seattle-Protesten im
November 1999 wuchs, und um wieviel mehr sie über die USA hinaus internationale
bekannt wurde. Endlich wurde mir das Potential klar: eine demokratische Struktur
und ausgefeilte Technologie. Text, Bild, Audio und Video mit weltweiter Verbreitung
zu relativ niedrigen Kosten. Wir schlossen uns dem IMC-Kollektiv an, und dadurch
war eine riesengroße Öffentlichkeit garantiert. Wir haben außerdem
eine nutzenbringende Webseiten-Struktur, auf der man aufbauen kann.
Da das IMC nicht-hierarchisch und vom Konzept her anarchistisch ist, wussten wir,
dass wir ein großes Maß an Freiheit haben. Wir können mit der
IMC-Plattform machen, was wir wollen, und sie unseren Bedürfnissen anpassen.
Zu zweit entwickelten wir www.indymedia.co.il. Wir fanden weitere Mitstreiter.
Das Ding wurde um ein Internet-Radio erweitert, und ein paar Leute arbeiten daran,
„Can“ als Teil des IMC-Israel für Internet-Unkundige zu produzieren.
Wir haben auch einen Video-Profi, der für die Website Videos aussucht und
produziert sowie Medienfortbildung betreibt.
Wo steht Ihr im politischen Spektrum Israel?
Alle Mitglieder des IMC-Kollektivs verstehen sich eindeutig als Linke, bezüglich
ihrer Haltung zur politischen Ökonomie und zur Palästina-Frage. Wir
bekommen alles zur Veröffentlichung auf der Webseite: vom soften israelischen
Spektrum, das immer noch innerhalb des zionistischen Konsens arbeitet, bis zu
post- und antizionistischen Organisationen aus Israel und Palästina. Trotzdem
werfen wir rechte Beiträge von Siedlern nicht unbedingt raus, solange sie
nicht herumpöbeln oder zu Gewalt aufrufen. Wenn etwas aus jener Richtung
kommt, dann verstehen wir das als Begreifenlernen der feindlichen Denkart, um
ihre „Logik“ besser auseinandernehmen zu können. Hochinteressant
sind jedenfalls immer die klugen Gegenartikel.
Zum Verständnis wichtig ist das eigentümliche Rechts-Links-Schema in
Israel, das sich von dem in anderen Ländern stark unterscheidet. Politisch
links wird außerhalb Israels fast immer an den Kriterien Ökonomie und
Kultur gemessen. Hier ist das Kriterium die Haltung zu den Palästinensern.
Barak gilt als links, weil er nur mit ihnen gesprochen hat. Um als links zu gelten,
muss man noch nicht einmal glauben, die Palästinenser hätten einen Zipfel
eines Bantustan-Staates verdient. Wer ihnen ein bisschen Autonomie zugesteht,
gilt schon als radikal links. Bezüglich einer Kapitalismus-Kritik existiert
mit Ausnahme der Kommunisten von der Chadasch-Partei keine Linke. Denn sowohl
Labour als auch Likud verstehen sich gleichermaßen als Träger der neoliberalen
Revolution nach dem Motto: amerikanischer als Amerika. Was ist an
der israelischen Medienberichterstattung über den Palästinenser-Aufstand
zu kritisieren?
Die allermeisten Medien sind mit schwerer Schlagseite den israelischen Politikvorgaben
verpflichtet. Die nationalen Medien gehen dabei sowohl selektiv als auch irreführend
vor, und das gilt für Radio, Presse und Fernsehen. Dass es sich um einen
palästinensischen Unabhängigkeitskrieg handeln könnte, wird ausgeschlossen.
Es heißt hier „Krieg zur Zerstörung Israels“, „Heiliger
Krieg gegen Israel“ oder „Was heißt Unabhängigkeit, die
Palästinenser sind doch unabhängig, sie benutzen das doch nur als Ausrede,
um uns ins Meer zu treiben“. Entlang dieser Linien wird der Konflikt in
den israelischen Medien präsentiert.
Was nicht vorkommt, weil es das Bild zum Wackeln bringen würde, sind die
schlimme wirtschaftliche Situation der Palästinenser, die hohe Arbeitslosigkeit,
die Tatsache, dass palästinensische Autonomie nur ein Inselreich ist –
umgeben von hochgerüsteten israelischen Siedlern und einer israelischen Armee,
die letztere ausrüstet und verteidigt. Wir sind, folgt man den israelischen
Medien, anscheinend eine Nation im Belagerungszustand, und nicht die Palästinenser.
Diese einseitige Berichterstattung existiert nicht nur in Tageszeitungen wie Yedioth
Aharonot und Maariv, sondern auch in der angeblich linken Zeitung Haaretz. Letztere
bringt zwar Wichtiges von hervorragenden Journalisten wie Amira Hass und Gideon
Levy. Aber wenn man genauer hinsieht, wann und wo die Artikel platziert sind,
dann relativiert sich das. Denn sie erscheinen auf der Meinungsseite, als Kulturkolumne
oder in der Kulturgalerie. Gideons wöchentlicher Artikel erscheint zum Beispiel
im Wochenendmagazin. Die Leser bekommen den Eindruck, dass die Palästinenser
dauernd Juden angreifen und hilflose Soldaten lynchen, dass die Palästinenser-Behörde
ignorant sei und jeden logischen Kompromiss verhindern würde. Das ist der
Hintergrund, vor dem die Leser auf die „Wahrheitsfindung“ seitens
der Medien angewiesen sind. Ein kritischer Text im Kulturteil erscheint da halt
als linker Ausrutscher, während ein blödsinnig einseitiger Artikel auf
der Titelseite für wahr befunden wird.
Verfolgst Du auch die ausländische Berichterstattung?
Traurigerweise ist die ausländische Presse noch unkritischer als die israelische.
CNN ist ein Witz und zum Sprachrohr des US-Außenministeriums verkommen,
BBC ist etwas softer. Die „New York Times“ glaubt, dass sie eine Balance
hält, wenn sie einem Text von Thomas Friedman einen von Nathan Sharansky
nachschiebt. Wow. Ich will mich nicht weiter dazu auslassen, weil das nicht mehr
„Berichterstattung“ zu nennen ist. Und was in europäischen Medien
berichtet wird, zumindest in den nicht-englischen, zählt für den Fortgang
der Ereignisse in Nahost nicht.
Ich denke, dass Webseiten wie www.commondreams.org deshalb so wichtig geworden
sind. In ihnen sind all die die wenigen fortschrittlichen und kritischen Stories
gebündelt, die in Mainstream- und Alternativmedien zu lesen waren.
Seid Ihr an die anderen Indymedia-Webseiten gekoppelt, und siehst Du die
Möglichkeit, dass auch in der arabischen Welt unabhängige Medien a la
Indymedia entstehen?
Wir sind nicht offiziell mit den anderen IMCs verbunden, aber wir helfen uns gegenseitig
weiter, wo es nur geht. Durch den stetigen Informationsfluss bleibt garantiert,
dass wir unser Wissen und die Technologie teilen. IMC Central war sehr hilfreich,
als es darum ging, möglichst schnell zu einem Thema zu berichten. Viele andere
IMC-Webseitler haben unsere Geschichten auf ihre eigenen Seiten gestellt. Und
IMC-Seiten haben uns Platz auf ihren Servern zur Verfügung gestellt, damit
wir Audio und Video streamen können. Unser Server ist recht begrenzt.
Was Indymedia in der arabischen Welt angeht, bin ich mir nicht so sicher. Die
Bürger vieler arabischer Staaten haben unter einem politisch repressiven
Klima zu leiden. Und da es darum geht, nicht nur andere, sondern das eigene Regime
und die Machtverhältnisse generell zu kritisieren, dürfte das extrem
schwierig sein. Wir werden jedenfalls alles tun, um etwa Palästinensern beizustehen,
die eine eigene IMC-Palestine-Webseite herstellen wollen. |
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