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Sharon
führt uns zurück nach 1948
Ahmad Samih Khalidi
30. April 2002
Die Aussicht auf eine Zwei-Staaten-Lösung
verblasst
Israel und die Palästinenser stecken in einem alles entscheidenden Existenzkrieg.
Trotz der schlimmen Verwüstungen, die palästinensische Selbstmordattentäter
verursacht haben, ist historisch gesehen Israel der konkurrenzlose Meister kontrollierter
und direkter Wut; das reicht vom unbarmherzigem, kalkuliertem Terror seines vorstaatlichen
Untergrunds bis zum systematischen Lynchen der palästinensischen Autonomiebehörde
heute und umfasst Sicherheitseinrichtungen wie zivile Infrastruktur gleichermaßen.
Auf diesem Hintergrund bewegen sich die jüngsten Ereignisse in einer bestimmten
zyklischen Kontinuität: Israelische Unterdrückung trifft auf den –
teils mutigen, oft auch blutigen – Widerstand der Palästinenser, was
dann von israelischen Kräften erwidert wird, immer exzessiv, unvergleichlich
unverhältnismäßig und darauf angelegt, wo immer möglich,
ein Maximum an Schmerz zuzufügen.
Tatsächlich geht die ironische Symmetrie so weit, dass Ariel Sharons „Spezialkräfte“
der Einheit 101 diesen Monat in Jenin aktiv waren, wie just vor einem halben Jahrhundert
im Angriff auf das palästinensische Dorf Kibia im Oktober 1953, persönlich
befehligt durch den künftigen israelischen Premierminister, bei dem 69 Zivilisten
den Tod fanden, indem ihre Häuser über ihren Köpfen in die Luft
gejagt wurden. Jenin ist daher als die letzte Episode im langfristigen Versuch
Israels das Rückrad der palästinensischen Nationalbewegung mit Attacken
auf den weichen zivilen Unterbauch zu brechen. Die fortgesetzten und vielfältigen
tätlichen Übergriffe Sharons auf die Autonomiebehörde stehen für
eine Rückkehr zu den blutigen existentiellen Konfrontationen von 1948 im
Land Palästina, gleichwohl mit noch größerer Ungleichheit der
Mittel, die jeder Seite zur Verfügung stehen.
Die in Sonntagsreden beschworene Sackgasse der Festsetzung Arafats in Ramallah
sollte nicht missverstanden werden: Israels Rechte triumphiert auf ganzer Linie
und ihr Appetit auf koloniale Expansion und ein „Groß-Israel“
ist erneut geweckt. Noch vor Beginn der letzten Gewaltakte hatte Sharon in Westjordanland
34 neue Siedlungsvorposten errichten lassen und es gibt Pläne zügig
in die dicht besiedelten Gebiete von Hebron und dem arabischen Teil Jerusalems
vorzudringen. Die ganz offensichtliche Niederlage der Autonomiebehörde entfacht
beim rechten Flügel den Enthusiasmus für noch radikalere Lösungen
-einschließlich der Grundvorstellungen eines „Transfers“ oder
ethnischer Säuberungen dem nach Meinungsumfragen ungefähr die Hälfte
der israelischen Wähler zustimmen. Sharon wird vermutlich seinen Krieg nach
Gaza ausweiten und vorläufig noch an der politischen, vielleicht auch physischen
Eliminierung von Yassir Arafat gehindert. Letztlich geht es ihm um nicht weniger
als die totale Unterwerfung und Auflösung der palästinensischen Bewegung
für einen eigenen Staat.
Als die 70er Jahre allmählich aus dem Blickfeld geraten waren, hatten Lösungsansätze
konsequenterweise zur Stärkung des Friedenslagers auf beiden Seiten geführt.
Seit aber der „Weg Sharon“ das politische Zentrum Israels besetzt,
ist die Vorstellung einer gangbaren Zwei-Staaten-Lösung völlig infrage
gestellt. Sharon errichtet Zäune und Pufferzonen um die palästinensischen
Großstädte herum, die eine de facto Grenzziehung zwischen beiden Seiten
vorbereiten. Weit jenseits des Herbeiredens eines israelischen Rückzugs auf
die Grenzen von 1967, wird das künftige diplomatische Gerangel sich eher
darum drehen, den Rückzug der Israelischen Kräfte auf den Stand von
2002 zu erzwingen. Sharon seinerseits wird durchaus eine politische Lösung
anbieten, sogar einen “palästinensischen Staat“, aber dieses
Angebot wird nicht einmal in der Nähe der notwendigsten Voraussetzungen für
einen fairen und dauerhaften Frieden liegen, wie er ja auch schon erklärt
hat, nicht eine einzige israelische Siedlung aufgeben zu wollen, sei es jetzt
oder in der Zukunft. Die israelische Arbeitspartei hat sich durch ihre Beteiligung
an Sharons Vorhaben beschmutzt und in ihrer Unwilligkeit oder Unfähigkeit
eine praktikable Alternative vorzulegen, jegliche Glaubwürdigkeit bei den
Palästinensern – und ihren eigenen Wählern verspielt. In absehbarer
Zukunft ist der Gedanke an eine „Rückkehr nach Taba“ und eine
umfassende Zwei-Staaten-Lösung blanke Illusion. Keine Seite ist auf sich
selbst gestellt dazu in der Lage und die internationale Gemeinschaft (meint die
Vereinigten Staaten) wird es nicht auf sich nehmen, beiden Seiten und besonders
Israel ein Angebot zu machen, dem sie sich nicht entziehen können. Auf palästinensischer
Seite haben längst unheilvolle Entwicklungen begonnen: Fatah und andere Fraktionen
werden sich im Westjordanland und im Gaza verschanzen um sich für die nächste
und allerlängste – Phase eines gewalttätigen bewaffneten Widerstandes
vorzubereiten. Die Hoffnungen auf ein aus sich selbst heraus agierendes Ende der
Besatzung gehören ebenso der Vergangenheit an wie der Glaube an einen ernst
zu nehmenden politischen Prozess. Arafats Nachfolger werden keine glühenden,
eben noch aus dem Schutt der Autonomiebehörde geretteten Demokraten sein,
sondern die härtesten und erbittersten Veteranen aus Sharons Rache- und Vergeltungskrieg.
Mit der Zerstörung der Autonomiebehörde ist das Zentrum der palästinensischen
politischen Kräfte auf den Zustand der PLO im Exil zurückgeworfen. Die
Autonomiebehörde besitzt weder unter ihrer jetzigen noch unter einer nachfolgenden
Führung die Handlungsfreiheit oder Glaubwürdigkeit einer politischen
Lösung zuzustimmen oder selbst zu entwickeln, die von der Mehrheit der Palästinenser
getragen wird, solange eine Abhängigkeit von der Gnade der überlegenen
israelischen Feuermacht fortbesteht.
Die Alternative für die Palästinenser, ob innerhalb oder außerhalb
lebend, ist nun die Vorbereitung auf den langen Marsch. Innerhalb Israels fühlen
sich die 20 Prozent arabischer Staatsbürger im jüdischen Staat fremder
denn je. Ihre Befürchtungen schaffen neue Bande mit ihren palästinensischen
Landsleuten außerhalb. Ob nun in den Flüchtlingslagern oder irgendwo
in der Diaspora versuchen unterschiedliche palästinensische Fraktionen die
rasch zunehmende und sehr verbreitete Sympathie einer weiteren jungen arabischen,
vom Drama Palästinas berührten Generation auf die politische Tagesordnung
zu setzen. Kreative und noch destruktiver wirkende Formen des bewaffneten Kampfs
werden gesucht und gefunden werden. Der April 2002 scheint uns dorthin zurückgebracht
zu haben, wo wir 1948 begonnen haben, in einem umfassenden Existenzkrieg für
das Land Palästina. Allerdings wird das Kommende härter und risikoreicher
als je zuvor nicht zuletzt für Israel selbst.
A. S. Khalidi lehrt am Oxforder St. Anthony’s College, er war an
früheren Verhandlungen für die Palästinenser beteiligt.
Veröffentlich im engl. Original in: The Guardian, 30. April 2002 unter
www.guardian.co.uk/israel/Story/0,2763,707555,00.html
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