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Zionismus
ohne Mythen?
Martin Robbe in
Marxistische Blätter 04/01 4. Juli 2002
Fragen nach seiner Konflikt- und Wandlungsfähigkeit
Der politische Zionismus gründet sich auf reale Interessen. Und auf Mythen.
Aus der Verschmelzung von beidem, die ihm irrationale Züge verlieh, bezog
er eine erstaunliche Tatkraft. Und die gfährliche Neigung – das ist
nur auf den ersten Blick ein Widerspruch –, den Sinn für Realitäten
und damit für das Machbare zu verlieren.
Politisierung einer religiösen
Verheißung
Die jüdische Diaspora, sie zählte zu diesem Zeitpunkt annähernd
acht Millionen Angehörige, war zu Ende des 19. Jahrhunderts zweigeteilt.
In Osteuropa – es kann dies nur eine grob skizzierte Gegenüberstellung
sein - waren Juden aus den Gesellschaften, in denen sie lebten, mit dem Antisemitismus
als Leitbild weithin ausgegrenzt, bis hin zur Ghettobildung, und immer wieder
waren sie Pogromen ausgesetzt. Das ließ viele aus einer Jahrhunderte alten
religiösen Tradition heraus auf das feme ‚Zion‘ hoffen –
der Name bezeichnete ursprünglich einen Hügel im Südosten von Jerusalem
–, doch blieb diese Hoffnung vorerst unverbindlich. In Westeuropa hatten
Juden im Ergebnis bürgerlicher Umwälzungen eine zumindest formale Gleichstellung
als Staatsbürger erlangt. Das nutzten die meisten, um sich zu assimilieren,
d.h. den Gesellschaften anzugleichen, in denen sie zu Hause waren. In Deutschland
stand dafür, der Name schon war Programm, der 1893 gegründete „Centralverein
deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Bei einigen Personen
und Gruppen reifte indes als Reaktion auf den auch hier nicht völlig überwundenen
Antisemitismus und die Herausbildung von Nationalbewegungen und Nationen die Vorstellung,
anderswo ein eigenes Gemeinwesen zu gründen; sie fassten dafür Palästina,
aber auch Argentinien oder Uganda ins Auge.
Der Wiener Journalist und Schriftsteller Theodor Herzl (1860 bis 1904) einte die
unterschiedlichen Bestrebungen, mit seiner programmatischen Schrift „Der
Judenstaat. Versuch einer modemen Lösung der Judenfrage“ (1896) und
mit dem (ersten) Zionistenkogress in Basel (1897), der eine „öffentlich-rechtlich
gesicherte Heimstätte“ für das jüdische Volk forderte. [1]
Die neue Bewegung, der Zionismus, lehnte, da sie den Antisemitismus für unausrottbar
hielt, Assimilation ab und aktualisierte und politisierte den alt-israelitischen
Mythos, wonach Jahwe, ihr Gott, den Israeliten Palästina verheißen
und gegeben hat. Die Errichtung eines „Judenstaates“ dort, im „Land
der Väter“ – eine säkulare Idee, wenngleich aus religiösen
Traditionen gespeist –, rückte ins Zentrum zionistischer Programmatik.
Indem sie auf einen Mythos zurückgriffen, setzten sich Zionisten über
normale historische Maßstäbe hinweg. Ihrer Logik zufolge hätten,
da ihre Vorfahren dort einmal gelebt hatten, auch Ägypter, Griechen, Perser
oder Italiener einen Anspruch auf Palästina anmelden können. Nahum Goldmann
(1895 bis 1982), ein führender Zionist, nannte das jüdische Volk „einzigartig
und anders als alle übrigen ... paradox in seinen Widersprüchen“.
„Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn alle Völker der
Welt die Gebiete zurückverlangten, die ihnen zweitausend Jahre zuvor gehört
hatten. Können Sie sich das Chaos vorstellen?“ [2]
Dass Palästina von Arabern besiedelt war, ignorierten Zionisten zunächst
mit der von Israel Zangwill geprägten Formel: „Gebt das Land ohne Volk
dem Volk ohne Land!“ Herzl erwähnte in seinen Reden auf den Zionistenkongressen
die Araber nicht ein einziges Mal. Goldmann sprach von zwei Unwahrheiten, die
in der Ignoranz der Zionisten zusammenkamen: „Erstens war Palästina
kein Land ohne Volk, da Hunderttausende von Arabern dort lebten; ferner waren
die Juden kein Volk ohne Land, denn die assimilierten Juden waren gute Franzosen,
gute Engländer oder gute Deutsche.“ [3]
Der Zionismus hatte vor dem Ersten Weltkrieg 150 000 Anhänger, ferner
jüdische Gegner, während er die meisten Juden gleichgültig ließ.
Nur begrenzt war und blieb er eine einheitliche Bewegung. Seine heterogene soziale
Basis reproduzierte sich in ihm, was allgemein politisch-ideologischen Strömungen
wie dem „Zeitgeist“ Zugang zu ihm verschaffte. Sozialreformisten,
die in besonderem Maße den Belangen osteuropäischer Juden Rechnung
trugen und im Jischuw, der werdenden jüdischen Gemeinschaft in Palästina,
den Ton angeben sollten, wollten im „Judenstaat“ soziale Gerechtigkeit
verwirklichen. Nachman Syrkin (1861 bis 1924) und Ber Borochow (1881 bis 1917)
erstrebten eine Synthese von Zionismus und Sozialismus, wie sie die Partei Poale
Zion (Arbeiter Zions) in ihrem Programm festgeschrieben hatte. Territoriale Autonomie,
so Borochow, bedeute für den bürgerlichen Zionismus das Endziel, für
die proletarische zionistische Bewegung jedoch nur eine Etappe auf dem Weg zum
Sozialismus. [4] Radikale Vertreter der Poale Zion
suchten Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts Anschluss an die Kommunistische
Internationale, der jedoch, da sie sich nicht generell von zionistischen Positionen
trennen mochten, nicht zustande kam. In der zionistischen Bewegung insgesamt dominierten,
solange sie sich hauptsächlich auf die Diaspora stützte, bürgerliche
Kräfte. Beständige Auseinandersetzungen waren die Folge, verschärft
noch durch persönliche Rivalitäten.
Baltour-Deklaration und Arabertage
In Palästina, das damals zum osmanischen Reich gehörte, lebten um 1880
460 000 Araber bei einer Gesamtbevölkerung von einer halben Million
und einer nationalen Minderheit von 25 000 Juden. Als sich um diese Zeit
Juden aus Europa ansiedelten, sahen sie sich mit diesen Realitäten konfrontiert.
Es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, eine erste ist aus dem Jahre 1886
bekannt zwischen den Neuankömmlingen und einheimischen Arabern. Unter Zionisten
setzte eine Desillusionierung ein. „In ganzen Länderstrichen sind fortwährend
große arabische Dörfer anzutreffen“, berichtete Leo Motzkin auf
dem 11. Zionistenkongress 1898, „und es ist eine feststehende Tatsache,
dass die fruchtbarsten Gegenden unseres (M.R.) Landes von Arabern besetzt sind
...“ [5]
Schon Herzl war klar: Auf sich allein gestellt würden die Zionisten ihr hochgestecktes
Ziel kaum erreichen. Er hatte deshalb den deutschen Kaiser, den türkischen
Sultan, den russischen Zaren und die britische Regierung um Unterstützung
ersucht. Vergeblich.
Der Erste Weltkrieg brachte Einiges in Bewegung. Die Briten besetzten Palästina.
Auf einen Bundesgenossen in Verteidigung ihrer Interessen in Nah- und Mittelost
hoffend, versprachen sie den Zionisten, ihnen bei der Errichtung einer „nationalen
Heimstätte für das jüdische Volk“ dort zu helfen („Balfour-Deklaration“,
1917). Der Zionismus, dessen Führer um eine solche Erklärung nachgesucht
hatten, erhielt damit eine Machtkomponente; gestützt auf Großbritannien,
eine traditionelle Kolonialmacht also, trachtete er danach, seine Ziele gegen
die einheimische Bevölkerung durchzusetzen. Das stieß auf den Widerstand
der Palästinenser, in dem Muslime und Christen zusammenwirkten und der in
dem Maße erstarkte und Profil gewann, in dem sich in der jüdischen
Siedlung die zionistische Programmatik eines eigenen Staates abzeichnete.
Nicht alle Zionisten billigten die Linie ihrer Führung. Angehörige des
„Friedensbundes“ („Brit Schalom“) etwa, die „Binationalisten“,
forderten, dass Juden und Araber in einem Staat mit gleichen Rechten zusammenleben
und einander ergänzen sollten. Die Berufung auf die Balfour-Deklaration verurteilten
sie als „Sündenfall der zionistischen Bewegung“ da man mit ihr
den imperialistischen Charakter des Zionismus besiegle und sich in den Dienst
der britischen Kolonisatoren stelle. Der Philosoph und Religionswissenschaftler
Martin Buber (1878 bis 1965), der sich den Binationalismus zu eigen machte, mahnte
die Juden, sich die Araber in Palästina nicht zu Feinden zu machen, was seinen
Einfluss im Zionismus schwächte, wie sein Biograph Maurice Friedman bemerkt.
[6] 1939 konstituierte sich die „Liga für
Jüdisch-Arabische Wiederannäherung und Zusammenarbeit“, die bis
1948 existierte. Ihre Überzeugung: Palästina ist die Heimat des zurückkehrenden
jüdischen und des dort lebenden arabischen Volkes.
In Abwehr des Faschismus erstarkten im Jischuw antifaschistische Bestrebungen.
Nahezu 120 000 seiner Angehörigen ließen sich in den ersten Monaten
des Zweiten Weltkriegs als Kriegfreiwillige registrieren. Etwa 30 000 beteiligten
sich am bewaffneten Kampf gegen die Faschisten. Intellektuelle, geschart um die
1942/43 in Haifa erscheinende Zeitschrift Orient, versuchten, wie Wolfgang Yourgrau
schrieb, das „heute zur Mode gewordene Schlagwort ‚Antifaschismus‘
... zu dem zionistischen factor agitans zu formen“ [7]
Arnold Zweig nannte die erstrebte Zukunft antifaschistisch, demokratisch und progressiv.
[8]
Die Zionisten, die sich für einen Ausgleich mit den Arabern engagierten,
unterlagen in ihrer Bewegung. Das hing auch damit zusammen – was später
Führer der PLO beklagten –, dass maßgebliche Persönlichkeiten
auf der arabisch-palästinensischen Seite keine Kooperationsbereitschaft signalisierten;
Muhammad Amin al-Husseini, der Mufti von Jerusalem und ein Repräsentant feudaler
Kräfte, suchte sich vielmehr bei Adolf Hitler anzubiedern, indem er „die
wohlverdiente Niederlage der anglo-jüdischen Koalition“ voraussagte.
[9] Die zionistische Führung setzte auf Konfrontation.
Im „Bilt-more-Programm“ (1942) plädierte sie dafür, Palästina
als jüdisches Gemeinwesen „Jewish Commonwealth“ wiederherzustellen.
Sie orientierte sich dabei zunehmend auf die USA, was mit einem Führungswechsel
verbunden war: David Ben Gurion löste Chaim Weizmann ab, der für eine
pro-britische Orientierung stand. Mosche Scharett (Schertok) schrieb an die „Liga
für Jüdisch-Arabische Wiederannäherung und Zusammenarbeit“,
nicht die Araber, sondern die Briten und Amerikaner seien die entscheidenden Faktoren
bei der Verwirklichung der zionistischen Programmatik, weshalb man mit der arabischen
Seite zu keinem Übereinkommen zu gelangen brauche. [10]
Extremisten konstituierten sich 1925 als „Revisionisten“ in der zionistischen
Bewegung. Der Judenstaat, verlangten sie, solle auch Transjordanien umfassen.
Und sie wollten ihr Ziel gewaltsam durchsetzen gegen das arabische Volk von Palästina,
das sie als natürlichen Feind der Juden betrachteten. Kolonisation, so Wladimir
Jabotinsky, der Führer der Revisionisten, könne niemals, nirgends und
für keine Ortsansässigen angenehm sein. „Jedes bodenständige
Volk, ohne Rücksicht darauf, ob es zivilisiert oder wild ist, betrachtet
sein Land als seine nationale Heimstätte, wo es der Allein-Hausherr zu sein
und zu bleiben wünscht.“ [11] Linkszionisten
attackierten die Revisionisten. Yehuda Gottheit nannte sie auf dem XVIII. Zionistenkongress
1933 „einen Zweig vom Stamme des internationalen Faschismus“ bzw.
„jüdischen Faschismus“. [12] Der
Revisionismus verlor nach dem Zweiten Weltkrieg seine relative Eigenständigkeit,
doch blieb er bis zur Stunde eine Traditionslinie im Zionismus.
Zunehmend gingen Araber und Juden-Zionisten gewaltsam gegeneinander vor, so im
Mai 1921 (95 Tote), 1928/29, 1933, 1936 (arabisch-palästinensischer Generalstreik,
Guerillakrieg). Auf beiden Seiten dominierten nationalistische Leitbilder, d.h.
jeder lehnte unnachgiebig und pauschal die Forderungen des anderen ab.
Holocaust und Staatsgründung
Fünfzig Millionen Menschen fanden durch den Faschismus und in dem von ihm
heraufbeschworenen Zweiten Weltkrieg den Tod. Davon waren sechs Millionen Juden.
Ihren Holocaust begriffen die Zeitgenossen als Teil der weltweiten Tragödie,
bis seine besonderen Konturen hervortraten und sich ins Bewusstsein der Menschheit
eingruben.
Für den Zionismus verbesserten sich die Wirkungsbedingungen. Erstens bestätigten
die Faschisten mit der massenhaften Verfolgung und Ermordung von Juden nicht den
zionistischen Separatismus? Vordergründig schien Assimilation jedenfalls
unmöglich. „Der stolze deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens
von gestern war heute nur noch Jude, und er rieb sich die Augen, und er begann
zu fragen: Jude? Was bedeutet das?“, schrieb die Jüdische Rundschau
1937. „... Der Jude stand allein in eisiger Kälte, am Rande des Abgrunds,
sich und seinem Judentum gegenüber.“ [13]
Zweitens: auf der Flucht vor dem Faschismus kamen vermehrt Juden nach Palästina.
Damit wuchs der Jischuw, was die Chancen erhöhte, dass aus ihm ein eigener
Staat hervorging, zumal die zionistische Organisation mit ihren Institutionen
Bausteine für diesen schuf. Drittens: international organisiert konnten die
Zionisten überzeugend ihren Anspruch vertreten, die Belange aller Juden wahrzunehmen.
Das verschaffte ihnen eine hohe moralische Autorität und größere
Erfolgschancen. Sein Biograph Shabtai Teveth spricht von einer „Philosophie
der ... nützlichen Katastrophe“, die Ben Gurion entwickelt habe, und
zitiert ihn: „Es liegt in unserem Interesse, Hitler ... für die Errichtung
unseres Landes auszunutzen ... je härter das Leid, desto größer
die Stärke des Zionismus.“ [14]
In den neuen Zusammenhängen veränderte der Zionismus sich selbst. Es
blieb die Kolonisationslinie in ihm. Doch mit den von ihm in Palästina geschaffenen
Realitäten und seinem Programm eines Judenstaates bot er entwurzelten Juden
die Chance, eine neue Heimat zu finden. Gewiss, das war ein Widerspruch; indes
eröffnete er Zionisten neue Möglichkeiten zur Ausgestaltung ihrer Bewegung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg eskalierten die palästinensisch-jüdisch/zionistischen
Auseinandersetzungen. Beide Seiten waren blind für die Anliegen der jeweils
anderen. Politiker arabischer Staaten, die sich zu Fürsprechern der zeitweise
führungslosen Palästinenser machten, ignorierten die dramatische Situation,
die der Holocaust für die Juden international wie in Palästina geschaffen
hatte. Die zionistische Führung verschloss sich den nationalen Ambitionen
der Palästinenser, die durch den Aufschwung nationaler Befreiungsbewegungen
neue Impulse erhielten (1947 erlangte mit Indien und Pakistan die ehemals größte
britische Kolonie staatliche Souveränität.) Den Briten, mitverantwortlich
für die akute Konfliktsituation, fehlte ein klares und realisierbares Konzept;
zahlreiche Kommissionen, um Rat gefragt, hatten sie nicht klüger gemacht.
[15]
Aus dem Krieg zwar als Sieger, aber wirtschaftlich geschwächt hervorgegangen,
trugen sie die Angelegenheit der UNO vor. Diese empfahl im November 1947 mit der
Resolution 181/11, Palästina zu teilen, konkret: einen jüdischen und
einen arabisch-palästinensischen Staat zu gründen und Jerusalem einen
Sonderstatus zu geben. Das war ein Kompromiss. Die zionistische Seite akzeptierte
ihn nach internen Zwistigkeiten, die arabische nicht. Zionistisch/jüdische
Kampfverbände erweiterten das Gebiet, auf dem am 14. Mai 1948 der Staat Israel
proklamiert wurde. Arabische Staaten wollten mit ihren Armeen die Staatsgründung
rückgängig machen, doch unterlagen sie – nicht zuletzt aufgrund
ihrer Rivalitäten untereinander – in dem ersten arabisch-israelischen
Krieg, den sie damit begonnen hatten. Die Israelis vergrößerten in
dem „Unabhängigkeitskrieg“, wie sie ihn nannten, das ihnen von
der UNO zugesprochene Staatsgebiet um ein Drittel, Jordanien annektierte das Westjordangebiet,
während Ägypten den Ghazastreifen als autonome Zone übernahm. Die
Palästinenser blieben ohne Staat. Über 700 000 verließen
ihre Heimat als Flüchtlinge. Verhalf der Holocaust den Juden zum eigenen
Staat? Nahum Goldmann bejaht diese Frage; ohne ihn hätte es in der UNO die
für die Gründung eines jüdischen Staates erforderliche Mehrheit
nicht gegeben. [16] Einige Zionisten, darunter Richard
Lichtheim und Chaim Weizmann, hatten dem gegenüber seinerzeit befürchtet,
der Holocaust könne ihre Bewegung gegenstandslos machen: einfach, weil es
nicht mehr genug Juden gab, einen eigenen Staat zu errichten und zu erhalten.
[17] Michael Wolffsohn wiederum betont die Kontinuität
im zionistisch/jüdischen Aufbauwerk von Herzl bis zur Gründung Israels.
Der Zionismus, so seine Argumentation, sei schon vor Hitler in Palästina
durchaus aktiv gewesen und seit 1929 immer stärker geworden. Weshalb hätte
die zu allem entschlossene zionistische Gemeinschaft im Kampf um ihre Unabhängigkeit
„ohne Hitler“ und – mit Blick auf die UNO-Entscheidung –
ohne Großbritannien, die USA und die UdSSR weniger Bereitschaft zeigen sollen
als die Bevölkerung anderer Kolonien? „Eine merkwürdige Koalition
scheint sich ... zugunsten der Zionisten gebildet zu haben; eine Koalition, in
der es kaum einer mit ihnen gut meinte, aber jeder offenbar gut machte: Hitler
und Himmler, Chamberlain und Churchill, Attlee und Bevin, Roosevelt und Truman,
nicht zuletzt Stalin.“ [18]
Die damalige Situation lässt sich kaum noch rekonstruieren. Doch sollten
Zusammenhänge nicht übersehen werden, die sich griffigen Formeln bzw.
Fragestellungen entziehen. In der UNO lösten Mächte, in einer zwischenzeitlich
entstandenen Terminologie dem „Norden“ zuzurechnen, ein Problem, das
in Europa entstanden war, auf Kosten des „Südens“, um bei dieser
Terminologie zu bleiben. Da wirkte noch eine gewisse Kolonialherrenmentalität
fort. Bei Arabern ist bis heute der Einwand nicht verstummt: Warum mussten wir
für Untaten büßen, die andere, Europäer, begangen hatten?
Nun kann man zurückfragen: Gab es eine Alternative zu der getroffenen Entscheidung?
Falls es keine gab, hätten zumindest diejenigen, die sie trafen, sich der
damit verbundenen Verantwortung stellen müssen. Die UNO tat indes schon damals
nichts, um die verabschiedete Resolution zu realisieren. Der Kalte Krieg, der
ausbrach, machte Ansätze einer internationalen Kooperation und demokratischen
Nachkriegsordnung zunichte, und die USA und die UdSSR, die gemeinsam für
die Resolution 181/11 gestimmt hatten, standen in ihm fortan als Hauptgegner,
als „Supemächte“, einander gegenüber.
Austausch von Feindbildern
War mit dem Zionismus die Rolle Israels in der Region definiert? Keineswegs. Mit
der Staatsgründung hatte er eigentlich sein ihn kennzeichnendes Ziel erreicht.
Und er ließ sich, die Erfahrungen zeigten es, unterschiedlich interpretieren.
Sozialreformisten hatten die Gründung des neuen Staates vorangetrieben und
die Führung in ihm übernommen: Konnte er da nicht möglicherweise
Bewegung in die in Feudalstrukturen erstarrte nahöstliche Szenerie bringen?
Tatsächlich kreierte er soziale Neuerungen, die international Beachtung fanden:
die Kibbuzbewegung und einen gewerkschaftseigenen Wirtschaftssektor. Doch regional
blieb das ohne Relevanz. Palästina wurde zum Ausgangspunkt des Nahostkonflikts,
d.h. einer arabisch-israelischen Konfrontation. Und Israel ergriff im Ost-West-Konflikt,
das wurde bereits im Koreakrieg (1950 bis 1953) offenkundig, Partei für den
„Westen“. 1956 ließ es sich von Frankreich und Großbritannien
vorschicken, die mit einer militärischen Aggression die Verstaatlichung der
Suezkanalgesellschaft durch Ägypten rückgängig machen wollten.
Fast in Bilderbuchmanier setzte es sich so als Bastion des koloniale Positionen
verteidigenden „Westens“ und Feind der Araber in Szene. 1967 nahm
es Leichtfertigkeiten der arabischen Seite zum Vorwand, um Ägypten, Syrien
und Jordanien zu überfallen und im sogenannten Sechstagekrieg u.a. das Westjordangebiet,
den Ghazastreifen und Ostjerusalem zu besetzen. Es verfügte jetzt über
die letzten Gebiete, die die UNO 1947 für den zu gründenden arabisch-palästinensischen
Staat vorgesehen hatte. Palästinenser wurden erneut zu Flüchtlingen,
viele zum zweiten Mal (nach der Fluchtwelle 1948/49).
Der Nahostkonflikt zog sich mit Kriegen und spannungsgeladenen Zwischenkriegszeiten
Jahrzehnte hin und verselbständigte sich gleichsam. Palästinenser schufen
nach einigen Jahren der Ratlosigkeit erneut eine Nationalbewegung, dieses Mal
mit Führungskräften aus kleinbürgerlichen Kreisen, was ihre Zersplitterung
(zeitweise gab es über dreißig Organisationen) und partielle Radikalisierung
begünstigte. Extremisten suchten Israel auch durch Terror außerhalb
seiner Grenzen („Auslandsoperationen“ ) zu treffen, der Unbeteiligte
in Mitleidenschaft zog und der palästinensischen Sache schadete.
Im israelischen Selbstverständnis gewann, genährt durch die permanente
Konfliktsituation, der Holocaust zentrale Bedeutung und eine Dimension, in der
er sich von seiner Historizität abhob. Versinnbildlichte er nicht das Leben
und die Verwundbarkeit der Juden in der Diaspora? Der neue Staat, dies galt als
Botschaft der Opfer, hatte wehrhaft und stark zu sein. In Charakterisierung des
Feindes verflüchtigten sich die Grenzen zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem.
Zionistische Führer stellten, u.a. auf die Rolle von Muhammad Amin al-Husseini
verweisend, die Araber als Anhänger oder gar Handlanger Hitlers dar. „Es
sind nicht irgendwelche politischen Gegner, die vor uns stehen werden“,
erklärte Ben Gurion schon im August 1947, „sondern die Schüler,
ja die Lehrer Hitlers ...“. Im Krieg 1948/49, so Simcha Plapan, hätten
sich die zionistischen Streitkräfte unbesorgt über allgemein gültige
ethische Normen hinweggesetzt, weil sie „die Wut und Rachsucht, die sie
gegen die Nazis empfanden, auf die Araber projizierten“. [19]
In seinem Symbolgehalt wirkte der Holocaust identitätsstiftend und integrierend.
Die Armee geriet in ihrer Verquickung mit Politik und Wirtschaft in die „Lebensmitte“
der Gesellschaft, und für den einzelnen erlangte der Dienst in ihr eine so
hohe Bedeutung für den Eintritt in das Erwachsenenalter, dass man nach den
Worten von Uta Klein von einem Initiationsritual sprechen kann! [20]
Rechtsgerichtete Regierungen – Menachem Begin machte damit den Anfang, als
er 1977 sein Amt als Regierungschef antrat – stellten eine unmittelbare
Verbindung ihrer Politik zum Holocaust her. Eigene Aggressivität geriet in
dieser Sicht alternativlos zum Überlebenskampf. Die Palästinenser nahmen
in der Vorstellungswelt vieler Israelis die Stelle der Nazis ein, und Jasir Arafat
wurde mit Hitler verglichen!!
Die israelische Gesellschaft indes wandelte sich. Ihre „Homogenisierung“,
von Kriegen in der Vergangenheit befördert, lässt nach. Im kapitalistischen
Alltag verkümmern soziale Neuerungen. Individualisierung und Entfremdung,
die um sich greifen, sensibilisieren Israelis gegenüber einer Staatsräson,
die Verbrechen rechtfertigt. Als die 1982 von libanesischen Falangisten begangenen
und von israelischen Truppen tolerierten Massaker in den palästinensisch-libanesischen
Flüchtlingslagern Sabra und Schatila bekannt wurden, ging in Tel Aviv fast
eine halbe Million aus Protest auf die Straße; das war die bis dahin größte
Demonstration in der Geschichte des Landes, und sie signalisierte, darin weiterreichend
als vorangegangene Friedensinitiativen, eine mögliche politische Spaltung
der Gesellschaft. Zudem wird der ethnische Strukturwandel der Bevölkerung
zum Politikum. Der Anteil der Sephardim, der aus dem Orient kommenden Juden, an
ihr wächst. Sie fühlen sich gegenüber den alteingesessenen Aschkenasim,
den einst europäischen Juden und ihren Nachfahren, aus deren Reihen sich
auch traditionell die Staatsführung rekrutierte, benachteiligt. Ihre Protesthaltung
kam und kommt bei Wahlen Rechtskräften mit dem Likud zugute. [21]
Der institutionalisierte Holocaust büßt im Zuge dieser Wandlungen tendenziell
seine unmittelbare Präsenz im gesellschaftlichen Leben ein, was auch seiner
politischen Handhabung Grenzen setzt. Die Generation, die den Faschismus überlebte,
ist inzwischen fast ausgestorben. Die „orientalischen“ Israelis verübeln
es den „europäischen“ Juden, so eine Beobachtung von Ulrich W.
Sahm, einen Staatsmythos geschaffen zu haben, an dem sie keinen Anteil haben.
[22] Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Pierre
Heumann: Die Israelis brauchen den Holocaust heute nicht mehr, um ihre Identität
zu bestimmen; ihre Identitätsbestimmung nehmen sie primär über
die Geschichte ihres Landes vor. [23]
Oslo und seine Paradoxien
1993 schlossen Israel und die PLO Vereinbarungen miteinander ab, für die
der Name „Oslo“ steht. Verschiedene Entwicklungen hatten dazu geführt.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion verlor die PLO einen zuverlässigen –
möglicherweise den einzig nennenswerten – Bundesgenossen. Die Araber
waren zerrissener denn je: Im zweiten Golfkrieg (1990/91) standen arabische Armeen
einander gegenüber. Israel konnte zwar weiterhin auf seine „besonderen
Beziehungen“ zu den USA bauen, doch suchten diese auch – das war 1978
mit „Camp David“ offenkundig geworden – stärker auf der
arabischen Seite mit ihren enormen Erdölreserven Fuß zu fassen. In
ihrer Besatzungspolitik gegenüber den Palästinensern zeigten sich bei
den Israelis, jetzt zudem mit der im Dezember 1987 ausgebrochenen „Intifada“
konfrontiert, „Ermüdungs“-erscheinungen. „Es ist leichter,
Angriffe einer Invasionsarmee abzuwehren, als sich ständig mit dem Widerstand
eines Volkes auseinanderzusetzen, das im Krieg sein Land, nicht aber seine Ehre
verloren hat“, schrieb Schimon Peres dazu. [24]
Markiert „Oslo“ eine Wende in den israelisch-palästinensischen
Beziehungen? Diese Frage lässt sich nicht einfach mit „Ja“ oder
„Nein“ beantworten. Beide Seiten anerkannten sich wechselseitig (die
PLO hatte entscheidende Schritte dazu schon zuvor unternommen). Die Palästinenser
erhielten eine begrenzte Autonomie über Teile der Gebiete, die ihnen 1947
die UNO zugesprochen hatte. Das waren bedeutsame Schritte hin zu einer Regelung
bzw. Lösung des Konflikts. Andererseits geriet „Oslo“ in doppelter
Hinsicht zum Paradoxon. Die Vereinbarungen kamen nur zustande, weil sie wesentliche
Konfliktpunkte ausklammerten (u.a. Zukunft Jerusalems, Schicksal der palästinensischen
Flüchtlinge und der israelisch-jüdischen Siedlungen im Westjordangebiet
und im Ghazastreifen). Das impliziert von vornherein weitere Auseinandersetzungen.
Und in diesen verstärken sich politisch-ideologische Polarisierungen: der
Ausgleich ist nicht mehr nur eine Bekenntnisfrage, sondern rückt, wenngleich
nur zögernd und mit gegenläufigen Tendenzen, in den Bereich des Machbaren;
die Ideen der Beteiligten erlangen dadurch in neuer Weise praktische Relevanz.
In Israel löste das einen Streit über die Vergangenheit aus. Historiker,
darunter Simcha Flapan, Benny Morris, Ilan Pappe, Uri Milstein und Uri Bar-Joseph,
begannen in den achtziger Jahren, vornehmlich in Israel und Großbritannien
neu zugängliche Archivmaterialien zu nutzen, um angestammte zionistische
Mythen zu hinterfragen. [25] Da war von „Mythen-Mördern“
die Rede; Morris prägte dann 1988 den Begriff „neue Historiker“.
Diese Rebellen, die gegen die „alten Historiker“ angehen, plädieren
für eine „umfassende Revision des israelischen Selbstbewusstseins“.
[26] Letztlich wollen sie Gesellschaftsveränderung,
konkret, wie Uri Ram es formuliert: die zionistische nationale Hegemonie durch
eine multikulturelle Zivilgeselschaft ersetzen. [27]
Die dem Vorgehen innewohnende Logik hatte schon Michael Stürmer mit Blick
auf den BRD-Historikerstreit der achtziger Jahre formuliert: Die Zukunft gewinnt,
„wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit
deutet“ [28]
Im israelischen Historikerstreit geht es um zentrale Fragen. Pappe nennt das zionistische
Vorgehen in Palästina einen „gemischten Kolonialismus“. „Die
Vermischung liegt in der Welt der Vorstellungsbilder, der Absichten und des Wirklichkeitsverständnisses
- einer kolonialen Wirklichkeit, die mit einem Begriffsvorrat aus einer anderen
Quelle interpretiert wird und meistens anti-kolonialistisch ist: dem Nationalismus
oder dem Sozialismus.“ [29] Geschichtsschreibung
im heutigen Israel, fordert Amnon Raz-Krakotzkin, dürfe die Palästinenser
nicht ausblenden – wie weithin geschehen – sondern müsse ihnen
ebenso wie den Juden gerecht werden; sie müsse anerkennen, „dass die
Geschichte der Palästinenser und die Geschichte der Juden dieselbe Geschichte
ist“. Das Abkommen von Oslo halte demgegenüber an dem alten Prinzip
der „trennenden Entflechtung“ fest. Es ziele nicht darauf, palästinensische
Rechte zu verwirklichen, sondern sei „als ein Weg, die Palästinenser
los zu werden, aufzufassen und zu beschreiben“. [30]
Zum Holocaust richten die „neuen Historiker“ kritische Fragen an das
zionistische Establishment. Haben führende Zionisten ihn vorausgesehen und
alles nur Mögliche zur Rettung der Juden getan? Räumten sie nicht noch
während des Zweiten Weltkriegs dem Ausbau des Jischuw in Palästina Vor
rang ein? War die Vertreibung von 750 000 Palästinensern ein nicht zu
hoher Preis für die Errichtung eines jüdischen Staates? [31]
In ihrer Thematisierung des Holocaust treffen sich die „neuen Historiker“,
dies sei am Rande vermerkt, mit einer international in Gang gekommenen Debatte.
Der in New York Zeitgeschichte lehrende Norman Finkelstein, ein Schüler Chomskys,
provozierte mit der These, der Holocaust sei zu einer Industrie geworden. „Jüdische
Eliten beuten, im Einvernehmen mit der amerikanischen Regierung, das entsetzliche
Leiden der Mi-llionen Juden aus, die während des Zweiten Weltkrieges umgebracht
wurden, ebenso wie das der wenigen, die es schafften zu überleben -aus Macht-
und Profitgründen. Man kann durchaus der Meinung sein, dass die Holocaust-Industrie
durch ihre skrupellose Ausbeutung jüdischen Leidens den Antisemitismus inzwischen
fördert und der Leugnung des Holocaust zuträglich ist.“ [32]
Peter Novick, gleichfalls US-Historiker, kritisiert – zurückhaltender
als Finkelstein –, dass der Holocaust aus der Geschichte herausgenommen
und sakralisiert worden sei. [33] Die Beschwörung
seiner Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit schließe die Gefahr ein, die
jüdischen den nicht-jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gegenüberzustellen.
Die „neuen Historiker“ stellen den etablierten Zionismus von postmodernistischen
Positionen aus in Frage, die sie in der westlichen Welt kennenlernten und die
ihren Erfahrungen eines Zerfalls gesellschaftlicher Bindungen im eigenen Land
entsprechen. Ihnen ist an einer gewissen Beliebigkeit in der Geschichtsschreibung
gelegen; Daniel Gutwein spricht von einer „Privatisierung des Gedächtnisses“.
Kommt der Zionismus indes ohne Mythen aus? Oder hebt er sich mit seiner „Entmythologisierung“
selbst auf, möglicherweise als „Postzionismus“? Das können
nur seine Vertreter beurteilen und entscheiden. Doch können Mythen schon
gefährlich werden, wenn der Sinn für Realitäten mit ihnen abhanden
kommt.
Gegenläufig zu seiner „Entmythologisierung“, parallel hingegen
zur Re-Islamisierung auf der arabisch-palästinensischen Seite, vollzieht
sich seit dem Sechstagekrieg 1967 im Zionismus eine religiöse Radikalisierung
bzw. Fundamentalisierung. B. Michael schildert diese „irrationale Phase
des Judentums: „Auf einmal all das, direkt wie aus der Thora: Großisrael,
die neuen Gebiete, die Gräber, die Erlösung, der Messias, Gottes Versprechen
an unseren Stammvater Abraham, die Pflicht, zu vernichten und zu rächen –
nicht mehr Gegenstand eines demütigenden Gebets, sondern auszuführender
Befehl. Ein gewaltiger Apparat von Rabbinern und religiösen Seminaren, Schulen
und Jugendbewegungen begann mit der Gehirnwäsche einer ganzen Generation
und setzt ihr in den Kopf, der Messias stehe schon vor der Tür und nur die
Bösewichte verzögerten sein Kommen.“ [34]
Am 4. November 1995 zeitigte der religiös-fundamentalistische Zionismus Wirkung:
Yigal Amir, einer seiner jugendlichen Anhänger, ermordete den Ministerpräsidenten
Yitzhak Rabin, der mit seiner Person für „Oslo“ stand. Der Mörder
rechtfertigte seine Tat, der eine un-verhohlene Mordhetze vorangegangen war, mit
rabbinischem Recht; ihm zufolge müsse jeder Jude getötet werden, wenn
er Volk und Land dem Feind aushändige. [35]
Der Mord griff in das politische Geschehen ein. Neuwahlen wurden fällig,
und in ihrem Ergebnis stellte mit Benjamin Netanjahu der Likud den Ministerpräsidenten.
Dieser blockierte weitgehend den „Oslo“-Prozess. Ehud Barak von der
Arbeitspartei, der ihn im Mai 1999 ablöste, scheiterte an eigener Unentschlossenheit.
Ihm folgte im Februar 2001 mit Ariel Scharon, der 1982 maßgeblich an dem
Überfall auf Libanon mitgewirkt hatte, erneut ein Likud-Mann. Ihm gelang
es sogar, die Arbeitspartei mit Peres in sein Kabinett einzubinden. „Es
gibt kaum eine Linke mehr in Israel“, kommentierte Moshe Zimmermann diese
Entwicklung. Zunehmend sorge die Allianz von Nationalismus und Religion dafür,
dass man den jüdischen Inhalt im religiös-fundamentalistischen Sinne
auch in den Reihen der Linken für die raison d'etre des Staates Israel halte.
[36]
Der israelisch-palästinensische Konflikt hatte zunächst mit Religion
nichts zu tun. Sollten die religiös-fundamentalistischen Zionisten und die
Islamisten auf der arabisch-palästinensischen Seite ihn weiter religiös
aufladen – die einen die Thora, die anderen den Koran gewissermaßen
zum politischen Handbuch erhebend –, würde ihn dies nicht nur enorm
verschärfen; in seiner fortschreitenden Irrationalisierung wüchse ihm
ein Absolutheitsanspruch zu, der sich rationaler Kontrolle vollends entzieht und
der sich schon jetzt ansatzweise abzeichnet, nicht zuletzt in den Grausamkeiten,
die beide Seiten begehen.
Anmerkungen:
- Protokoll des I. Zionistenkongresses in Basel vom 29. bis 31. August 1897,
Prag 1911, S. 131f [back]
- Nahum Goldmann, Das jüdische Paradox. Zionismus und Judentum nach Hitler,
Köln/ Frankfurt a.M. 1978, S. 17, 1124. [back]
- Ebenda, S. 124. [back]
- Ber Borochow, Die Grundlagen des Poalesozialismus, Frankfurt a.M. 1969, S.
103. [back]
- Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des ll. Zionisten-Congresses,
gehalten zu Basel vom 28. bis 31. August 1898, Wien 1898, S. 103. [back]
- Maurice Friedman, Begegnung auf dem schmalen Grat. Martin Buberein Leben,
Münster 1999, S.169. [back]
- Wolfgang Yourgrau, Appell an den Leser. In: Orient. Unabhängige Wochenschrift,
Haifa, 31.Ju1i 1942, S. 3. [back]
- Arno1d Zweig, Zum 3. September 1942 (Enwurf einer Ansprache in Betenu). In:
Orient, 25. September 1942, S. 7. [back]
- Nicholas Bethel, Das Palästina-Dreieck. Juden und Araber im Kampf um
das britische Mandat 1935 -1948, Frankfurt a.M./ Berlin/ Wien 1979, S. 108. [back]
- Yehuda Bauer, From Diplomacy to Resistance. A History of Jewish Palestine,
1939 – 1945, Phialadelphia 1970, S. 216 f. [back]
- V. Jabotinsky, Die palästinensischen Araber. In: H. J. Schoeps (Hg.),
Zionismus. Vierunddreißig Aufsätze, München 1973, S. 278 f [back]
- Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des XVlli. Zionistenkongresses
und der dritten Tagung des Council der Jewish Agency für Palästina,
Prag, 21. August bis 4. September 1933, London/ Wien 1934, S. 309 f. [back]
- Jüdische Rundschau, Berlin, 22. Januar 1937. [back]
- Shabtai Teveth, Ben Gurion: The Burning Ground, 1886 – 1948 Boston 1987,
S. 850. [back]
- Tom Segev, One Palestine, Complete. Jews and Arabs Under the British Mandate,
London 2001, S. 9 [back]
- Nahum Goldmann, Israel muss umdenken! Die Lage der Juden 1976. Mit einem Gespräch
zum deutsch-jüdischen Verhältnis, Reinbek 1976, S. 15. [back]
- Peter Novick, Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgar-München
2001, S. 98f. [back]
- Michael Wolffsohn, Ewige Schuld? 40 Jahre deutsch-jüdisch-israelische
Beziehungen, München/ Zürich 1988, S. 14 [back]
- Simcha Flapan. Die Geburt Israels. Mythos und Wirklichkeit, München 1988,
S. 144. [back]
- Uta Klein, Militär und Geschlecht in Israel, Frankfurt a.M./ New York
2001, S. 189 f. [back]
- Klaus Polkehn, Yad Vaschem und Deir Yassin. In: Martin Robbe (Hg.), Palästina
– Sehnsucht und Machtpolitik. Geschichte, Strukturen und Perspektiven eines
Konflikts, Berlin 1990, S. 151 ff. [back]
- W. Sahm, Zwischen Schuld und „Normalität“. In: Gisela Dachs
(Hg.), Deutsche, Israelis und Palästinenser. Ein schwieriges Verhältnis.
Vorwort von Joschka Fischer, Heidelberg 1999, S. 88. [back]
- Pierre Heumann: Warum sich Israel nicht für die nach richtenlosen Vermögen
interessiert. In: Gisela Dachs (Hg.), Deutsche, Israelis und Palästinenser,
a.a.O., S. 265. [back]
- Schirnon Peres, Die Versöhnung. Der neue Nahe Osten, Berlin 1993, S.
29. [back]
- Nan Pappe, The Making of the Arab-Israeli Conflict 1947 – 51, London/
New York 1992, S.9 f. [back]
- Danie1 Gutwein, „Neue Historiographie“ oder die Privatisierung
des Gedächtnisses.In: Barbara Schäfer (Hg.), Historikerstreit in Israel.
Die „neuen“ Historiker zwschen Wissenschaft und Öffentlichkeit,
Frankfurt a.M./ New York 2000, S. 210. [back]
- Uri Ram, Zionismus und Postzionismus: Der soziologische Kontext der Historkerdebatte.
In: Barbara Schäfer (Hg.), Historikerstreit in Israel, a.a.O., S.149. [back]
- Michael Stürmer, Geschichte in geschichtslosem Land. In: „Historikerstreit“.
Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen
Juden- vernichtung, München/ Zürich 1987, S. 36. [back]
- Ilan Pappe, Der Zionismus als Kolonialismus -ein vergleichender Blick auf
Mischformen von Kolonialismus in Asien und Afrika. In: Barbara Schäfer (Hg.),
Historikerstreit in Israel, a.a.O., S. 78. [back]
- Amnon Raz-Krakotzkin, Historisches Bewusstsein und historische Verantwortung.
In: Barbara Schäfer (Hg.), Historikerstreit in Israel, a.a.O., S. 203, 201.
[back]
- Ultraorthodoxe Juden warfen – analog zu den „neuen Historikern“
– führenden Zionisten gleichfalls vor, zu wenig für europäische
Judengetan und den Holocaust höchstens als Instrument zur Erreichung staatlicher
Unabhängigkeit genutzt zu haben. (Yehuda Bauer, Religiöse und säkulare
Interpretationen der Schoa in Israels In: Michael Brenner I Yfaat Weiss, Zionistische
Utopie-israelische Realität. Religion und Nation in Israel, München
1999, S. 138 ff. [back]
- Norman G. Finkelstein, Geschäft mit dem Leid? Die Macht der Holocaust-Industrie,
In: Süddeutsche Zeitung, München, 11. August 2000, S. 13. [back]
- Peter Novick, Nach dem Holocaust, a.a.O., S. 235. [back]
- Amnon Kapeliuk, Rabin. Ein politischer Mord. Nationalismus und rechte Gewalt
in Israel. Vorwort von Lea Rabin, Heidelberg 1997, S. 133. [back]
- Ebenda, S. 52. [back]
- Moshe Zimmermann, Links, wo kein Mensch ist. In Israel drohen Weimarer Verhältnisse.
In: Süddeutsche Zeitung, 7. März 2002, S. 15 [back]
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