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Sharons Endlösung: die Vertreibung der Palästinenser
Rainer Rupp 19. April 2002

Der in Jerusalem lebende Historiker Martin van Creveld geht davon aus, daß der israelische Regierungschef Ariel Scharon eine US-Invasion des Irak oder einen großen palästinensischen Terrorangriff auf israelischem Territorium dazu nutzen wird, die in den besetzten Gebieten lebenden fast drei Millionen Palästinenser aus ihrer Heimat nach Jordanien zu vertreiben. In einer Gallup-Umfrage vor zwei Jahren waren erst acht Prozent der jüdischen Israelis für eine solche Politik, die unter dem euphemistischen Begriff „Transfer“ derzeit zu hitzigen Debatten führt. In einer neuen Umfrage befürworteten mittlerweile 44 Prozent aller jüdischen Israelis ein solches Vorgehen.

Als Scharon Anfang des Jahres von einem Journalisten gefragt wurde, ob er eine solche Politik verfolgte, verneinte er dies zwar, aber, so der weit über Israel bekannte Geschichtswissenschaftler van Creveld. „Ein Blick in seine Memoiren belehrt uns aber eines Besseren“. Im September 1970, der später als „Schwarzer September“ in die Annalen einging, ließ der um seine Herrschaft fürchtende jordanische König Hussein mehrere tausend Palästinenser in ihren Flüchtlingslagern von seinen Beduinensoldaten niedermetzeln. General Scharon, seinerzeit Oberbefehlshaber der israelischen Südfront, argumentierte damals, daß es ein Fehler Israels war, den jordanischen König gegen die Palästinenser zu unterstützen. Statt dessen hätte es Israels Politik sein sollen, das Haschemiten-Regime Husseins zu stürzen, denn, wie Scharon seither immer wieder betont, die Palästinenser stellen in Jordanien die Mehrheit und deshalb sei Jordanien eigentlich ein „palästinensischer Staat“, womit er den Schluß nahe legen möchte, daß die Palästinenser eigentlich nach Jordanien gehören. („Sharon’s plan is to drive Palestinians across the Jordan“, by by Prof. Van Creveld, Daily Telegraph, 289/04/2002)

In einem Artikel in der britischen Zeitung, „The Daily Telegraph“ vom 28. April 2002 zeigt sich van Creveld davon überzeugt, daß die Vertreibung der Palästinenser nach Jordanien das eigentliche Ziel von Scharons undurchsichtiger Politik ist. Dies würde erklären, warum Sharon, der für seine Fähigkeit strategischer Planung bekannt ist, scheinbar keinen Plan für einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern hat. Das Gegenteil sei offensichtlich der Fall. Scharon habe immer einen klaren Plan gehabt, der sei jedoch nie auf Frieden, sondern immer auf die Vertreibung der Palästinenser gerichtet gewesen. Ein US-Angriff auf Irak, der Zusammenbruch des Haschemiten-Regimes in Jordanien oder ein Terroranschlag in Israel mit Hunderten von Toten würde für Scharon die Gelegenheit zur Umsetzung seiner Vertreibungspolitik bieten. Die Vorbedingungen für die Vertreibung hat Scharon bereits geschaffen. Durch wirtschaftlichen und militärischen Terror hat er in den besetzten Gebieten ein Klima erzeugt, in dem bereits vielen Palästinensern die Flucht als einziger Ausweg erscheint. Das Vorgehen der israelischen Armee im palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin zeigt die Effizienz dieser Methode, die Scharon seit Jahrzehnten mit gleichbleibender Brutalität verfolgt. Bereits 1982 sagte er: „Selbst heute bin ich bereit, freiwillig diese schmutzige Arbeit für Israel zu tun: so viel als nötig an Arabern zu töten, sie zu deportieren, sie zu vertreiben und zu verbrennen.“ Scharon ist nicht wahnsinnig. Er setzt nur um, was viele bedeutende israelische Staatsmänner bereits vor ihm propagiert haben, so etwa Ben Gurion, der nach der Gründung des Staates Israel ein Israel „vom Nil bis an den Euphrat“ schaffen wollte, und Menachim Begin, der behauptete, daß „das jüdische Heimatland das Gebiet auf beiden Ufern des Jordan abdeckt und eine völlige historische und geographische Einheit bildet“. „Zur Vertreibung der Palästinenser würde die israelische Armee nur wenige Brigaden benötigen“, schreibt van Creveld im Telegraph. „Sie würden die Menschen nicht aus den Häusern zerren, sondern schwere Artillerie benutzen. Die Zerstörungen von Dschenin würden im Vergleich dazu wie ein Kinderspiel aussehen.“



Rainer Rupp ist freier Journalist und ehemaliger langjähriger Mitarbeiter in der Politischen Abteilung des NATO-Hauptquartiers in Brüssel.“

Veröffentlicht in „Junge Welt“ / April 2002
 4. Juli 2002