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Gaza: Das Abschlachten der Unschuldigen
Michele Giorgio il manifesto 22.
Juni 2006
An der israelischen Luftoffensive klebt erneut das Blut unschuldiger Palästinenser.
Gestern wurden eine schwangere Frau und ihr Bruder getötet sowie 14 weitere
Palästinenser bei einem neuen Angriff in Khan Yunis (Gaza) verletzt (drei
davon sind Kinder). Eine von einem Flugzeug (oder einem Hubschrauber) anscheinend
auf ein Auto, in dem sich Mitglieder der Komitees des Volkswiderstandes (PRC)
befanden, abgefeuerte Rakete, traf stattdessen ein Wohnhaus. Ein erneuter „tragischer
Irrtum“, ein neuer „Kollateralschaden“ des militärischen
Feldzuges, den Israel gegen die palästinensischen Aktivisten gestartet hat,
die beschuldigt werden, selbst gebaute Raketen auf die Stadt Sderot abgefeuert
zu haben. Die verbitterten Bewohner der israelischen Kleinstadt protestieren
nun mit einem gegen den Staat gerichteten Streik. Der Verteidigungsminister und
ihr Mitbürger Amir Peretz (von der Arbeitspartei Avoda) versucht sie zu
beruhigen, indem er grünes Licht für Luftangriffe und Kanonenbeschuss
gibt und (wie man sagt) bald auch für eine umfangreiche Bodenoffensive.
Die Palästinenser antworten darauf mit neuen Raketenangriffen.
Eine Abfolge von Angriffen und Repressalien, für die die palästinensischen
Zivilisten teuer bezahlen, während Peretz, der israelischen Presse zufolge
die Eliminierung von Hamas-Führern genehmigt hat. Die [große konservative]
Tageszeitung „Yediot Ahronot“ veröffentlichte gestern die Profile
der acht möglichen Ziele des israelischen Feuers, darunter Ministerpräsident
Ismail Hanija, Außenminister Mahmud Zahar und Innenminister Said Siam.
Israel bezeichnet das als „gezielte Exekutionen“ von Führern
und Militanten. Es sterben aber auch Unschuldige.
Gestern nahmen Hunderte Palästinenser in Jabaliya an der Beerdigung zweier
Brüder im Kindesalter und eines Heranwachsenden teil, die von einer israelischen
Rakete getroffen wurden, die auf ein Auto abgefeuert worden war, in dem sich
zwei Aktivisten der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden befanden. In den vergangenen
Tagen wurden bei verschiedenen israelischen Militäroperationen weitere palästinensische
Kinder getötet. Die internationale Gemeinschaft aber schweigt weiter oder
beschränkt sich darauf, die beiden im Konflikt liegenden Parteien zur „Mäßigung“ aufzurufen. Über
diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der unter der Besatzung
lebenden Palästinenser und das jeden Tag fließende Blut diskutierten
wir mit Michael „Mikado“ Warschawski, einem der bedeutendsten Vertreter
der israelischen Friedensbewegung und Autor des Buches „Israele – Palestina.
La sfida binazionale“ („Israel – Palästina. Die binationale
Herausforderung“).
Interview mit Michael Warschawski
Tödlich getroffene Unschuldige. Jeden Tag erreichen uns aus Gaza dramatische
Nachrichten, die die Weltöffentlichkeit erschüttern. Bis vor einiger
Zeit war das allerdings nicht so.
Der Hauptgrund für die Gleichgültigkeit liegt darin, dass es den amerikanischen
Neokonservativen und ihren Verbündeten in aller Welt gelungen ist die These
zu verbreiten, dass in dem stattfindenden ‚Kampf gegen den internationalen
Terrorismus’ ein Tribut in Form von Menschenleben Unschuldiger unvermeidlich,
ja fast notwendig ist. Jeden Tag erfahren wir von zivilen Opfern bei amerikanischen
Luft- und Bodenoperationen in Afghanistan oder im Irak. Das alles erschüttert
die Weltöffentlichkeit (vor allem im Westen) allerdings nicht. Diesen Leuten
ist es gelungen, Hunderte Millionen Menschen glauben zu machen, dass die Besetzung
bestimmter Länder, der Einsatz verheerender Waffen und der daraus folgende
Tod von Männern, Frauen und Kindern, die ohne irgendeine Verantwortung sind,
den Preis darstellt, der für unsere Sicherheit bezahlt werden muss. Das
alles trifft auch und vor allem in Israel zu, wo zunächst Sharon und dann
Olmert alles dafür getan haben, die Bevölkerung glauben zu machen,
dass unsere Armee ‚die Moralischste der Welt‘ ist und dass immer
die Palästinenser schuld sind, auch wenn unsere Soldaten Frauen und Kinder
am Strand abschlachten oder während sie auf der Straße herumlaufen.
Diese Toten – erklären uns Politiker und Militärs – sind
Teil der humanen Kosten, die unsere Sicherheit garantieren. Natürlich werden
sich diese Leute nach jeder Tötung beeilen, ihr Bedauern über den ‚Fehler‘ auszusprechen,
dabei aber gleichzeitig betonen, dass dafür immer nur die militanten Palästinenser
verantwortlich sind.
Und die israelische Mitte-Linke? In den letzten Jahren haben
die Mitglieder der Arbeitspartei (Avoda) und die [„links“-sozialdemokratische]
Meretz den von der Rechten entwickelten Unilateralismus akzeptiert, ohne dies
zuzugeben.
Die unilateralen Pläne von Sharon und Olmert gefallen einem großen
Teil der traditionellen israelischen Linken, wie dem Meretz oder der Arbeitspartei
sehr gut. Das sind politische Kräfte, die sich öffentlich für
die Wiederaufnahme der Verhandlungen aussprechen, aber in Wirklichkeit die Mauer,
die in Cisjordanien gebaut wird, und all das, was auf dem Terrain derzeit einseitig
umgesetzt wird, akzeptieren. Man darf nicht vergessen, dass die Idee einer eindeutigen
Trennung von den Palästinensern zuallererst eine der Arbeitspartei ist.
Und wenn der Unilateralismus okay ist, dann ist für diese politischen Kräfte
auch all das in Ordnung, was die militärischen Befehlsstäbe beschließen,
auch wenn es unschuldige Palästinenser sind, die dabei ihr Leben verlieren.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover
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