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Für Bewegungsfreiheit. Anti-Lager-Action-Tour
www.nolager.de 5. August 2004


Gegen Abschiebung und Ausgrenzung
20. August bis 5. September 2004


Nachdem im letzte Jahr während des Grenzcamps im Fürth kräftig am Zaun gerüttelt wurde, planen AktivistInnen aus Deutschland für Sommer 2004 eine Anti-Lager-/Defencing-Tour. Unser Widerstand richtet sich gegen Lager, Abschiebung, sozialen Ausschluss und Migrationskontrolle.

Bramsche-Berlin-Eisenhüttenstadt-Halberstadt-Hannover-Neuss- Parchim/Tramm ... heißen einige der Namen auf der Landkarte mit den Nicht-Orten, Orten des draußen für die, die draußen bleiben sollen auch im Inneren dieses Landes.

Abschiebeknäste – Abschiebelager – Aufnahmelager – Ausreisezentren – Containerlager – Gemeinschaftsunterkünfte – Flüchtlingswohnheime – ZASTen ... buchstabiert sich das Alphabet der Flüchtlingslager in Deutschland.

Abschotten – abschrecken – abwerten – ausgrenzen – demütigen – einsperren – isolieren – ignorieren – illegalisieren – unterdrücken – verwalten – vergewaltigen – verfolgen – zusammenpferchen ... lautet die Deklination der Entrechtung all derer, die in Lagern leben müssen, hier und nebenan.

Seit es Flüchtlingslager in Deutschland gibt, kämpfen Menschen jeden Tag gegen das Leben im Lager: gegen die inhumanen Bedingungen, unter denen sie zu leben gezwungen werden, isoliert in Wäldern, ehemaligen Militärbaracken, Industriezonen und Containerschiffen. Der Kampf in diesen Nicht-Orten ist ein Kampf für die Rückgewinnung von Würde und Selbstbestimmung. Ein Kampf gegen rassistische Gesetzgebung, gegen Verfolgung durch Spezialgesetze, die Bewegungsfreiheit versagen, Existenzmittel minimieren, im Alltag stigmatisieren und medizinische Behandlung verweigern. Ein Kampf gegen Lebensbedingungen, die einen verrückt und klein machen sollen. In deutschen Abschiebeknästen, Flüchtlingslagern und -unterkünften nehmen sich so viele Menschen das Leben wie in keinem anderen europäischen Land.

Die Kampagne gegen die Lager ist ein Kampf gegen Grenzen, die uns unterteilen, einteilen und voneinander isolieren, uns beherrschbar, verwertbar und verfügbar machen sollen. Diese Einteilung und Aussonderung von Menschen machen wir nicht mit, nicht die Aufteilung der Gesellschaften und der Welt in Zonen der Armut und des Reichtums, des Zugangs zu Rechten und der Rechtlosigkeit, in Zonen des Krieges und falschen Friedens. Wir wollen diese Fundamente der herrschenden Verhältnisse, die Zäune der Lager, die sichtbaren und unsichtbaren Grenzen untergraben, unser Wissen und unsere Erfahrungen im Widersetzen verknüpfen.

Solidarität verbindet unsere Kämpfe für Befreiung miteinander. Unsere Autonomie ist unsere Selbstorganisierung und die Bewegungs-Freiheit, die wir uns nehmen; unser Widerstand richtet sich gegen Lager, Abschiebung, sozialen Ausschluss und Migrationskontrolle. Keine Lager, nicht hier und auch nicht anderswo!

Lager – überall in diesem Land gibt es diese Orte, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Wir wollen neue Karten zeichnen. Landkarten des Widerstandes, die sichtbaren Zäune und Mauern aktiv angreifen, laut herunterreißen oder leise umschiffen, unterspülen, unterlaufen, uns nehmen, was wir brauchen. Laute und leise Neins des alltäglichen Widerstehens, das laute und entschiedene Nein – No! Lager – Anti-Lager

Für Bewegungsfreiheit. Anti-Lager action Tour. Gegen Abschiebung und Ausgrenzung. 20. August bis 5. September 2004

Wir fordern die Schließung aller Lager: Abschiebeknäste, Abschiebelager, Sammellager und die Abschaffung des Residenzpflicht-Gesetzes! Schluss mit Abschiebungen! Jeder Mensch hat das Recht, dort zu leben wo er will!


Bramsche-Hesepe

In Bramsche-Hesepe in der Nähe von Osnabrück, nicht weit von der niederländischen Grenze, wurde mit der so genannten Landesaufnahmestelle (LASt) eine neue perfide Form des Abschiebelagers geschaffen. In der ehemaligen Kaserne in Niedersachsen, später Grenzdurchgangslager für sog. SpätaussiedlerInnen und jüdische EmigrantInnen aus der SU, wird seit November 2001 eine Ausreiseeinrichtung betrieben. Die 200 Plätze in diesem Abschiebelager wurden im März 2004 auf 550 Plätze aufgestockt. Theoretisch wäre in dem Komplex sogar eine Erweiterung auf 1200 Plätze möglich. Die massiven Proteste im vergangenen Jahr gegen die Bedingungen im Abschiebelager führten dazu, dass allein stehende minderjährige Flüchtlinge jetzt nicht mehr in dem Lager untergebracht werden. Jedoch: Für die Kinder im Lager wurde im März diesen Jahres eine Lagerschule eingerichtet, so genannten „Förderklassen“, damit haben jetzt auch die Kinder keine Chance mehr auf Kontakte außerhalb des Lagers. Die Abschottung wird damit perfekt. Auf dem Gelände befindet sich die IOM und die Ausländerbehörde, aber es gibt keine Rechtsberatung, keine medizinische oder psychologische Betreuung. Während das Personal im Lager um mehr als ein Drittel gekürzt wird, erhält die Bramscher Polizei mit der Aufstockung der Plätze im Abschiebelager zwei neue Planstellen. Gegen die Isolation und das Abdrängen von Menschen in die Rechtlosigkeit! Kein Mensch ist illegal!


Neuss

In Neuss (NRW) befindet sich seit 1993 der bundesweit einzige Frauen-Abschiebeknast. Der Knast liegt mitten in der Neusser Innenstadt in einer ruhigen Wohnstraße und wird kaschiert durch eine unauffällige Fassade. In dem Knast sind momentan zwischen 60 bis 80 Frauen eingesperrt, darunter immer wieder Schwangere und Minderjährige. Die Frauen werden willkürlich in Zweier- und Sechserzellen gesperrt. Gegessen wird in den neun Quadratmeter kleinen Zellen. Auch das Waschbecken und die Toilette befinden sich in der Zelle, nur durch einen Vorhang abgetrennt. Die medizinische Versorgung ist unzulänglich. Einen psychologischen Dienst gibt es für sie nicht, auch keine hauptamtliche Sozialarbeiterin und keine juristische Beratung. Der einzige Grund für die Inhaftierung der Frauen ist ihre Migration in die BRD.


Hannover

Hannover, Abschiebeflughafen – auch von hier aus werden Flüchtlinge zwangsabgeschoben. Jedes Jahr werden in der BRD 50 000 Menschen vom Bundesgrenzschutz abgeschoben. Dabei kommt es immer wieder zu Todesfällen, wie zuletzt am 28. Mai 1999, als der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung von Frankfurt am Main nach Khartoum von Beamten des Bundesgrenzschutzes erstickt wurde.

In Hannover-Langenhagen, direkt neben dem Flughafen, betreibt das Land Niedersachsen seit 2000 ein zentrales Abschiebegefängnis. Dort sind bis zu 250 Flüchtlinge interniert. Gleich im ersten Jahr nach Eröffnung erhängte sich dort am 8. Dezember 2000 der 17jährige tamilische Flüchtling Arumugasamy Subramaniam, der nach Sri Lanka abgeschoben werden sollte. Künftig sollen auch noch Flüchtlinge aus Bremen in den Abschiebeknast Hannover gebracht werden, denn ÄrztInnen in Bremen ließen sich nicht als willfährige Helfershelfer bei Abschiebungen einspannen. Die Landesregierung in Hannover war unter Schröder für das „Projekt X“, dem ersten deutschen Modellversuch für ein „Ausreisezentrum“, verantwortlich. Auch die aktuelle CDU-Regierung propagiert ein geschlossenes Lager-System für Flüchtlinge und würde jeden Kontakt zu potentiell solidarischen Menschen in Kommunen am liebsten verhindern. Smash racist structures!


Halbestadt

In den drei 5-stöckigen Plattenbaublöcken mit insgesamt 1200 Plätzen wurden bis zum Mai diesen Jahres an die 1000 Flüchtlinge in der Zentralen Erstaufnahmestelle (ZASt) Sachsen-Anhalts untergebracht. Von dort aus wurden bzw. werden sie in die einzelnen Landkreise „umverteilt“.

Das Sammellager in den Gebäuden der ehemaligen Kaserne der Roten Armee liegt sieben Kilometer außerhalb der Stadt auf freiem Feld (circa eine Stunde Fußweg) und ist durch Videoüberwachung, Wachdienst und Umzäunung gesichert. Die Ghettoisierung ist beabsichtigt. Auf dem Gelände befinden sich Außenstellen von: Sozialamt, Gesundheitsamt, Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl), Ausländerbehörde und Kriminalpolizei.

Circa 100 Menschen befinden sich im so genannten Ausreisezentrum auf der vierten Etage des ersten Blocks. Es sind „die Flüchtlinge mit dem blauen Ausweis“. Nachdem sie meist über Jahre hinweg in den Unterkünften der einzelnen Landkreise gelebt haben, wurden sie zwangsweise wieder in das Lager eingewiesen, wo ihre Odyssee in Sachsen-Anhalt begann. Dieses Mal ist die Lagereinweisung jedoch für unbestimmte Zeit.

Das „Ausreisezentrum“ wurde nach zweijähriger Modellphase Anfang diesen Jahres von der Landesregierung als Erfolg gewertet und als feste Institution eingerichtet.

Neben den schon bestehenden Repressionsmaßnahmen wie Entzug jeglichen Bargeldes, Essenspakete, Einschränkung der medizinischen Leistungen, Ausstellung von Duldungen für nur wenige Tage und ständige Befragungen setzt das Innenministerium derzeit neue Bestimmungen durch. Das Abschiebelager wird auf 250 Plätze aufgestockt. Neben alleinreisenden Männern und kinderlosen Ehepaaren sollen nun auch alleinreisende Frauen in einem separaten Frauenblock eingewiesen werden. Die Flüchtlinge in der Erstaufnahme sollen von denen mit blauen Ausweisen räumlich getrennt werden. Außerdem lockt das Ministerium mit Repressions-Erleichterungen (Aufhebung der Wohnsitzpflicht, Auszahlung eines Taschengeldes und Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit), um von den Flüchtlingen eine „Mitwirkung“ an der Passbeschaffung und damit an der eigenen Abschiebung abzupressen.

Zäune runter! Wohnungen her! Abschiebelager schließen!


Parchim, Tramm/Zapel

In der „Gemeinschaftsunterkunft“ Tramm/Zapel bei Parchim in Mecklenburg-Vorpommern sind 200 AsylbewerberInnen untergebracht, auch Familien. Kinder, die hier geboren sind, kennen dieses Land nur aus dem Sammellager. In drei runtergekommenen Wohnblöcken einer ehemaligen Kaserne, mitten im Wald mit Stacheldraht-Umzäunung, Videoüberwachung, Eingangskontrolle mit Schäferhund und Wachdienst, wird jeder Schritt der BewohnerInnen registriert: es ist ein gestaffeltes Kontrollsystem. Pro Block gibt es lediglich zwei Küchen, der nächste Ort mit Einkaufsmöglichkeit ist neun Kilometer Fußweg entfernt, für den Bus reicht das Geld meist nicht. In dem Sammellager kommt es immer wieder zu Protesten – gegen die Isolation, die Kontrolle, die verweigerte medizinische Versorgung, die Ausgabe der reduzierten Leistungen in Form von stigmatisierenden Gutscheinen. So wurden nachts Wandbilder an die Wand gegenüber der Ausländerbehörde gemalt: eine geöffnete Tür zeigt dahinter wiederum Gitterstäbe. Überschrieben mit der Forderung „Flüchtlingsrecht“ zeigen die Bilder die Hoffnungslosigkeit und Knastgefühle in dieser Unterkunft. Die Polizei ermittelt gegen unbekannt. Die BewohnerInnen protestieren weiter gegen ihre abgeschiedene Unterbringung im Wald und sprechen ironisch von „Dschungelheim“. Ihre Forderung: ein Umzug in die Kleinstadt Parchim, als ersten Schritt. Eine solche Umverteilung haben sich die BewohnerInnen aus der ehemaligen Unterkunft in Peeschen erkämpft. Obwohl ein Erlass des Innenministeriums von 2001 vorschreibt, dass alle AsylbewerberInnen in der Nähe von kulturellen Zentren unterzubringen sind, wäre auch diese Unterkunft ohne Druck von Innen wohl nie geschlossen worden. Die damaligen BewohnerInnen verliehen ihren Forderungen zum Beispiel Nachdruck, indem sie die BeamtInnen der Ausländerbehörde durch eine Straßenblockade festsetzten. Wir wollen die Proteste der Flüchtlinge in dem abgelegenen Sammellager unterstützen und die Landesregierung in Schwerin unseren Zorn spüren lassen!


Berlin

Grünau ist ein Stadtteil von Köpenick. Circa 210 Menschen werden im Abschiebeknast Berlin-Grünau eingeknastet, um abgeschoben zu werden. Seit über einem Jahr wehren sich die Insassen verstärkt gegen die menschenunwürdigen Zustände im Knast, Anfang letzten Jahres gab es hier einen der größten kollektiven Hungerstreiks in der Geschichte deutscher Abschiebeknäste. Wir werden etwas Feines mitbringen nach Berlin, um in der Bundeshauptstadt unseren Unmut kund zu tun.


Eisenhüttenstadt

In Eisenhüttenstadt, 120 Kilometer östlich von Berlin, befinden sich die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (ZABH) und der Abschiebeknast des Landes Brandenburg gemeinsam auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne. Beides liegt in der 30-Kilometer-Zone an der polnischen Grenze, die noch bis Mai diesen Jahres eine Außengrenze der Festung Europa war. Der Ort ist berüchtigt. Im Abschiebeknast gibt es nach wie vor einen Raum, die so genannte „Beruhigungszelle“, in dem Menschen zum Teil mehrere Stunden eingesperrt und ausgestreckt gefesselt werden. Diese Anwendung von menschenverachtender Behandlung konnte zwar aufgedeckt werden, jedoch hat sich trotz des Berichtes vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) aus dem Jahr 2000 bis heute nicht viel geändert.  

Lediglich die zuvor für die Fesselungen verwendeten, im Boden eingelassenen Eisenringe wurden entfernt und durch ein „Gurtsystem“ an einem Bettgestell ersetzt. Letztes Jahr wurde zum Beispiel ein Mann 42 Stunden innerhalb von drei Tagen gefesselt und rund um die Uhr videoüberwacht. Für die Menschen im Abschiebeknast ist eine ausreichende medizinische Versorgung nicht gewährleistet: Das einzige medizinische Personal ist eine Krankenschwester, ein Arzt kommt zweimal in der Woche und verschreibt in der Regel nur Schmerz- und Beruhigungsmittel. Flüchtlingen wurde mitgeteilt, dass sie auch bei schweren Erkrankungen nicht ins Krankenhaus könnten, weil sie den Aufenthalt dort bezahlen müssten. Die Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht des Deutschen Anwaltsvereins bat im Jahr 2002 das brandenburgische Innenministerium um die Genehmigung, eine regelmäßige Rechtsberatung anbieten zu dürfen. Das Innenministerium lehnte dieses ab, angeblich bestünde kein Bedarf.  

Die maximal mögliche Haftdauer beträgt für Abschiebehäftlinge derzeit 1,5 Jahre. Auch wenn es nur einige Aktionstage sind – die Menschen drinnen sollen wissen, dass wir da sind, um von der deutschen West- bis zur Ostgrenze an dem System der Abschiebeknäste und Lager zu rütteln!


Abschiebelager, „Ausreisezentren“

Seit Anfang 1998 gibt es die ersten speziellen Abschiebelager (Projekt X, „Ausreisezentren“) in der BRD. Mit ihnen schufen die Innenministerien eine weitere Lager-Variante im bereits bestehenden bundesdeutschen Lagersystem. Obwohl Abschiebung oder die so genannten „freiwillige“ Ausreise das offizielle Ziel ist, handelt es sich tatsächlich um Illegalisierungslager – auf die dort eingewiesenen Flüchtlinge wird soviel Zwang und Druck ausgeübt, dass die Hälfte es vorzieht, in die totale Rechtlosigkeit abzutauchen. Dies ist aus Sicht der Behörde ein Erfolg, geschaffen werden weitere Papierlose und irreguläre ArbeiterInnen. Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, deren Abschiebung aber zum Beispiel mangels Passpapieren nicht realisierbar ist, werden ins Abschiebelager geschickt. „Verfügung einer Wohnsitznahmeverpflichtung als Auflage zur Duldung“ heißt im Behördenjagon, was einer Zwangseinweisung gleichkommt. Die betroffenen Flüchtlinge, die schon viele Jahre in Deutschland lebten, müssen ihre Wohnung verlassen, ihren Wohnort, ihr soziales Umfeld, gegebenenfalls ihre Arbeit aufgeben, Kinder ihre Schule, und sich viele Kilometer weit weg ins Abschiebelager begeben. Den Flüchtlingen in diesen Lagern wird das (Taschen-)Geld gestrichen, sie werden ständig kontrolliert, ihre Zimmer zum Teil durchsucht, Gegenstände, die sie angeblich nicht besitzen dürfen, werden weggenommen. Sie müssen sich regelmäßig melden, werden unregelmäßig verhört, mürbe gemacht und unter Druck gesetzt, auf dass sie Deutschland endlich verlassen. Dies bedeutet einen permanenten Stresspegel für die Betroffenen; dem psychischen Druck und der massiven Einschränkung der Lebensgestaltung ist schwer standzuhalten. Die Einführung der so genannten Ausreisezentren in verschiedenen Bundesländern war von Widerstand innerhalb und außerhalb der Lagerzäune begleitet. In Bayern konnte die Landesregierung nach permanenten Protesten bis hin zu den Aktionstagen in Fürth im vergangenen Jahr keine weiteren „Ausreisezentren“ mehr durchsetzen. Mittlerweile sind vor allen in Bayern und Niedersachsen jedoch neue Varianten von Abschiebelagern eingerichtet worden, die nicht mehr offiziell als solche bezeichnet werden. In Bramsche (Niedersachsen) werden Menschen, die erst kürzlich nach Deutschland eingereist sind und sich noch im Asylverfahren befinden, aber angeblich keine Aussicht auf Asyl-Anerkennung haben, dort eingewiesen.


Abschiebeknast

Abschiebeknäste sind die extremste Form von Flüchtlings(-Internierungs)lagern in der BRD. Abschiebeknast bedeutet: Bis zu 18 Monaten eingeknastet hinter hohen Mauern und Sicherheitsdraht, bewacht von bewaffneten SicherheitsbeamtInnen. Zellen, Schließzeiten, Hofgang, eingeschränkte Besuchszeiten, eingeschränkte Telefonmöglichkeiten, ausgeliefert der Willkür des Personals, der Willkür des Rechtsstaats. Das Warten auf die Abschiebung oder die Selbstaufgabe in Form der „freiwilligen“ Ausreise lassen keinen Spielraum. Es bleibt nur die Hoffnung für die, die anwaltlichen Beistand haben, auf positive Entwicklungen. Immer wieder gibt es in Abschiebeknästen kollektive oder individuelle Hungerstreiks, versuchte und auch realisierte Selbstmorde. Deshalb: Solidarität stärken! Weg mit dem Knast! Bleiberecht für Alle!


Für Bewegungsfreiheit – Anti-Lager-Action-Tour gegen Abschiebung und Ausgrenzung!

Millionen von Menschen sind in der so genannten dritten Welt durch die direkten Angriffe kolonialer Unterwerfung und deren Folgen gestorben. Heute werden sie weiter ausgebeutet und sind den Auswirkungen neokolonialer und kapitalistischer Machenschaften ausgesetzt. Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung und weil ihnen ihre Lebensgrundlagen entzogen wurden. Andere sind auf der Suche nach einem besseren Leben. Die reichen kapitalistischen Länder aber schotten sich immer weiter ab und rüsten ihre Grenzen immer weiter auf. Es gibt fast keine Möglichkeiten mehr, gefahrlos in die westlichen Länder zu migrieren. Viele Menschen sterben auf der Flucht. Dennoch gelingt es zahlreichen, diese Länder zu erreichen. Hier angelangt werden sie rassistisch angefeindet, kontrolliert und oft in Lager gezwungen, festgenommen und abgeschoben.


Ausgrenzen, kontrollieren, abschieben – das dezentrale Lagersystem in der BRD

Weltweit werden in den letzten Jahren immer neue Typen von Flüchtlingslagern entwickelt – auch in der BRD. Hier entstehen so genannte „Ausreisezentren“, die tatsächlich Abschiebelager sind. Die Lagerformen in der BRD reichen heute von Pensionen in der Großstadt, großen Gemeinschaftsunterkünften irgendwo im Wald, Abschiebelagern bis zu Abschiebeknästen. Zu einem System wird das Ganze durch rassistische Sondergesetze wie die Residenzpflicht. Sie verbietet Flüchtlingen, ohne Genehmigung den Landkreis zu verlassen, in dem ihre Unterkunft liegt. Insgesamt sind zurzeit circa 600 000 Menschen den Bedingungen im bundesdeutschen Lagersystem unterworfen. Am Ende der Lagerunterbringung steht für Flüchtlinge der Abschiebeknast und das Abschiebelager – und dessen Ausgang ist entweder das „Abtauchen“ in die völlige Rechtlosigkeit der so genannten Illegalität oder die Abschiebung.


Migration unerwünscht – die politische Zielrichtung des Lagersystems

Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und der Änderung des Ausländergesetzes 1993 wurde das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft. Im AsylbLG wird das Arbeitsverbot für AsylbewerberInnen und die Auszahlung der – drastisch reduzierten – Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von Sachleistungen geregelt. Damit soll die BRD als Einwanderungsland unattraktiv werden, wie es schon in den 80er Jahren der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth zum einjährigen Bestehen des ersten Sammellagers der BRD erklärte: „Die Buschtrommeln sollen signalisieren – geht nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager.“ Dazu kommt die Effektivität stumpfer rassistischer Stimmungsmache. Erst durch die Unterbringung vieler Flüchtlinge in alten Kasernen wird das Bild der „Überflutung Deutschlands durch die Armen der Welt“ produziert.


Ausbeuten, Verwerten – die ökonomische Ausrichtung des Lagersystems

Ökonomisch gesehen ist das Lagersystem eine Art Scharnier zwischen den regulären und irregulären Arbeitsmarktsegmenten. In den Bundesländern mit einer niedrigen Arbeitslosenquote beispielsweise stellt das Lagersystem billige ArbeiterInnen für unqualifizierte Jobs zur Verfügung – in Baden-Württemberg etwa arbeiten offiziell ca. 40 Prozent aller AsylbewerberInnen. Die BewohnerInnen der Lager in Ostdeutschland pendeln zwischen ihren monatlichen Sozialamtsterminen und ihrer Arbeit im Westen – sie sind Teil der circa1,5 Millionen ArbeiterInnen ohne Papiere, die hier die „schmutzigen“ und körperlich schweren Arbeiten verrichten.


Der Wohlstand schottet sich ab – das Lagersystem der EU

Ein EU-weites Lagersystem für Flüchtlinge befindet sich zurzeit im Aufbau. Bereits jetzt bestehen an den neuen EU-Außengrenzen eine Reihe von Flüchtlingsauffanglagern. Hier werden Flüchtlinge, die auf dem Weg in die kapitalistischen Zentren aufgegriffen werden, bis zu ihrer Abschiebung interniert. Die EU-Administration plant außerdem sog. „Transit Processing Center (tpc)“ an den EU-Außengrenzen sowie in „sicheren“ Trikontländern. In die tpc’s könnten Menschen, die in der EU einen Asylantrag gestellt haben, bis zur Entscheidung ausgeflogen werden. Den äußersten Kreis des Lagersystems bilden jetzt schon die so genannten „Regional Protection Areas (rpa)“: Flüchtlinge sollen direkt in den Kriegs- und Krisenregionen militärisch eingekreist und in Lagern „vor Ort“ interniert werden. Die Internierung erfolgt in Zusammenarbeit von Militär und NGO’s, wie dem UNHCR und der IOM (International Organisation of Migration). Das Konzept der Internierung vor Ort wurde bereits während des Irak- und des Kosovokrieges sowie in Teilen des afrikanischen Kontinents angewendet. Dieses Lagersystem ist Bestandteil des Versuchs, Migration weltweit zu kontrollieren und nach ökonomischen und politischen Kriterien zu steuern.


Recht auf Rechte – die Spitze des Eisberges ...

Das Lagersystem stellt die extremste Form gesellschaftlichen Ausschlusses von Menschen ohne deutschen Pass dar: Menschen werden mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet und ihre Verwertbarkeit reguliert. Wir treten ein für den unterschiedslosen Zugang zu Rechten, gegen Unterdrückung und Ausbeutung auf allen Ebenen und entlang aller Herrschaftsstrukturen. Jeder Mensch hat das Recht, dort zu leben, wo er es will. Wir erweitern den Begriff des politischen Flüchtlings durch die Aussage von Flüchtlingsorganisationen, „wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“. Das bedeutet die Ablehnung einer Hierarchisierung von Flucht- oder Migrationsgründen: Egal, ob Menschen wegen Folter oder Unterdrückung, aufgrund von Beschneidung und Zwangsheirat oder Hunger und Armut oder einfach wegen der Hoffnung auf ein besseres Leben geflohen sind. Zusammen haben wir die Chance, erfolgreich für ein besseres Leben überall zu kämpfen.

Viele sind hier, wir sind hier und wir kämpfen gemeinsam gegen diese Politik der Lager und für unsere Rechte! Recht zu bleiben, Recht zu wohnen, Recht auf ein Auskommen, Recht auf ein würdiges Leben! Wir solidarisieren uns mit den Kämpfen aller, die die Residenzpflicht überschreiten, die sich gegen ihre Unterbringung wehren, die gegen ihre Abschiebung und für ihr Recht zu bleiben kämpfen!


Anti-Lager-Action-Tour 2004

In ganz Europa expandieren Lager und der Widerstand dagegen: Über 17 Tage wollen wir mit der Anti-Lager-Tour grenzüberschreitend von der niederländischen bis zur polnischen Grenze diesen Widerspruch gegen das System der Lager und Zonierungen hörbar und spürbar werden lassen und die Kämpfe in den Lagern mit Aktionen unterstützen. Auch die verantwortlichen PolitikerInnen und SchreibtischtäterInnen, die nutznießenden Unternehmen und Organisationen werden Ziele unseren Widerstandes sein.

Die Tour sowie die drei Aktionscamps sind ein experimenteller Raum, ein Laboratorium des gemeinsamen, selbstorganisierten Lebens und Protests, das sich speist aus den Erfahrungen der antirassistischen Grenzcamps der letzten Jahre, der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen sowie der Aktionstage gegen das „Ausreisezentrum“ Fürth im vergangenen September. Es wird FrauenLesbenTrans-Räume und -Schlafbereiche geben sowie Ansprechgruppen bei sexistischen oder rassistischen Übergriffen. Bei Problemen mit dem rassistischen Residenzpflicht-Gesetz wird kollektive Unterstützung angeboten.

Aktuelles zu den Orten und genaue Termine findet sich auf der Webseite. Damit soll die Möglichkeit gegeben sein, im Vorfeld die Tour mitzuplanen, Aktionen zu entwickeln, Veranstaltungen und Workshops, zu organisieren – denn davon lebt die Tour.

Es wird VoKüs, Sanis, und ein Infozelt geben. Bringt Zelte und Schlafsäcke mit – zusätzliche Schlafsäcke und Zelte werden in großer Zahl benötigt für alle, die keine Sachen haben. Bringt möglichst viele Autos mit. Zu Unterkünften und Busplätzen während der Tour gibt es Informationen auf der Webseite: www.nolager.de


Weitere Informationen

www.nolager.de
www.camp-bramsche.de.vu
anti_lager_actiontour@no-log.org
Infotel:0163-4634594
The Voice Refugee Forum: 03641-665214, mobile 0174-7295853
Brandenburger Flüchtlingsinitiative: 0160-98623633


Spenden

sind steuerlich absetzbar, wenn ihr Namen und Adresse auf dem Überweisungsträger angebt.
Überweisungen an:
Arbeitskreis Asyl
Sparkasse Göttingen
Kto: 130450
BLZ: 260 500 01
Stichwort: Anti-Lager-Tour


ViSdP: Dee Fencer, Waldweg 1, 65087 Grauwacke
 13. Juni 2004