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Aufruf zur Auftaktdemo der Anti-Lager-Action-Tour
www.camp-bramsche.de.vu
13. Juni 2004
Aufruf zur Beteiligung an der bundesweiten Auftaktdemo der „Freedom of
Movement – Anti-Lager-Action-Tour against Deportation and Exclusion“
sowie zur Beteiligung am Widerstandscamp bei Bramsche-Hesepe
Intro
Jedes Jahr werden in Deutschland annähernd 50 000 Menschen durch den
BGS abgeschoben. Die regressive Asylpolitik wird europaweit angeglichen. Europa
ist schon jetzt eine Festung, deren Außengrenzen für Flüchtlinge
immer schwerer zu überwinden sind. Menschen sterben beim Versuch, diese Grenzen
zu überwinden und schaffen sie es doch, so droht ihnen in den Staaten der
Europäischen Union und somit auch in der BRD, ein langjähriger Aufenthalt
in Ungewissheit um die Zukunft, immer häufiger werden Flüchtlinge dazu
in Abschiebelagern interniert.
Ursachen
Die Wurzel dieses staatlichen Rassismus liegt in der kapitalistischen Verwertungslogik.
Menschen werden in erster Linie nach ihrem kapitalistischen Nutzen beurteilt.
Während zum Beispiel hochqualifizierte IT-SpezialistInnen willkommen sind,
sind nicht so gut ausgebildete Menschen in der Regel unerwünscht. Eine wesentliche
Ursache für das Elend in den Heimatländern vieler Flüchtlinge stellen
die Machenschaften der Industrienationen dar. Die Wirtschaftspolitik der führenden
Wirtschaftsmächte ist es, welche Armut forciert. Und Armut ist es, welche
als Krisenpotential Nummer Eins einen ganzen Rattenschwanz negativer Folgewirkungen
hinter sich herzieht (Hunger, militärische Konflikte, mangelnde Bildung,
Krankheiten, Vertreibung, etc.).
Globale Wirtschaftspolitik verläuft nach einseitigem Interesse. In Europa
zum Beispiel werden Agrarmärkte milliardenschwer subventioniert, damit diesbezügliche
Produkte auf dem Weltmarkt einen Vorteil gegenüber Waren aus der „3.
Welt“ haben. Gegenüber bestimmten Gütern (zum Beispiel Textilien)
werden von den Industrienationen so horrende Zölle erhoben, dass eine Einfuhr
aus den „3. Welt-Ländern“ kaum möglich ist.
Im Gegenzug jedoch werden Trikontländern harte Strafen und Kreditkürzungen
angedroht, öffnen sie ihre Grenzen nicht für Waren bzw. Konzerne aus
den Industrienationen. Wenn Menschen unter diesen Zuständen leiden und ihr
natürliches Recht in Anspruch nehmen und der Misere entfliehen wollen, sind
die Außengrenzen Europas dicht.
Ausbeutung ja, Einreise nein, lautet das Motto, und es ist Teil der ungerechten
Weltwirtschaftsordnung. Stattdessen müssen globale Lebensbedingungen entwickelt
werden, die einen gerecht verteilten Wohlstand überall auf der Welt schaffen.
Nur dann wird es keine Grenzen mehr geben, die den reichen Teil der Welt gegen
den armen Teil abschotten.
Es gibt keine Flucht aus wirtschaftlichen Gründen
Dass Menschen aus Gründen politischer oder religiöser Verfolgung bzw.
aufgrund militärischer Konflikte fliehen, ist auf den ersten Blick auch nach
deutschem Asylrecht selbstverständlich. Aber auch jede Flucht, die wegen
fehlender Lebensperspektive aufgrund von Armut und Hunger geschieht, ist aus den
vorgenannten Gründen politisch. Armut offenbart keine Perspektiven, Armut
tötet, und doch werden diese Menschen abgewiesen, es wird das Scheinargument
der Flucht aus „wirtschaftlichen Gründen“ geschaffen, mit dem
die Flüchtlinge in Europa und somit auch in der BRD kein Recht auf Asyl erlangen.
Die Schwächsten der Schwachen werden als „Schmarotzer“ tituliert,
welche unsere Gesellschaft ausnutzen wollen. Vor dem Hintergrund des tagtäglichen
Gejammers über die Zukunfts- und Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland
erscheint es vielen Menschen als ganz normal, ja sogar als positiv, wenn restriktive
Regelungen für Menschen nicht-deutscher Herkunft verabschiedet werden.
Diese Politik ist in hohem Maße rassistisch, sie entsolidarisiert die Menschen
verschiedener Nationen. Sie führt dazu, dass Menschen ausländischer
Herkunft als „gesellschaftsschädlich“ bezeichnet werden können,
als Menschen, die den eigenen Wohlstand gefährden.
Situation
Nur die wenigsten Flüchtlinge erreichen überhaupt die Außengrenzen
Europas. Die meisten Flüchtlinge weltweit bewegen sich in den armen Ländern
der Welt. Es sind die ärmsten Länder, die die meisten Flüchtlinge
aufgenommen haben. Vor allem Frauen mit Kindern haben kaum eine Chance, die reichen
Länder zu erreichen. Niemand begibt sich freiwillig auf die Flucht. Jedem
Menschen fällt es schwer, die angestammte Heimat, die Familien, die eigene
Kultur zu verlassen.
Aber auch die wenigen, die es tatsächlich schaffen, die Außengrenzen
Europas zu überwinden, haben es nicht leicht. Sie leiden unter staatlich
unterstützter gesellschaftlicher Fremdenfeindlichkeit und haben, solange
über ihren Asylantrag beschieden wird (was schon mal einige Jahre bis Jahrzehnte
dauern kann), kein Recht auf Arbeit oder auf Bewegungsfreiheit. Durch die so genannte
Residenzpflicht der BRD, welche einzigartig in Europa ist, müssen Flüchtlinge,
deren Asylantrag läuft, eine Genehmigung beantragen, wenn sie ihren Landkreis
verlassen wollen. Diese Genehmigung wird oftmals nicht erteilt. Wird gegen diese
Residenzpflicht verstoßen, drohen Geld- oder Gefängnisstrafen, bis
hin zur Ausweisung.
Die Flüchtlinge hierzulande sehen sich rassistischen Verfolgungen der Behörden
ausgesetzt. Die BRD wurde bereits mehrere Male vom Europarat und den Vereinten
Nationen wegen Polizeibrutalität kritisiert. Rassistische Polizeigewalt ist
hierzulande alles andere als eine Ausnahme. Die bekannten Übergriffe haben
zu unterschiedlich schweren Verletzungen bis hin zu Todesfällen geführt.
Am bekanntesten ist in der Öffentlichkeit der Fall von Aamir Ageeb, der bei
seiner Abschiebung durch BGS-Beamte zu Tode kam.
Die materiellen Möglichkeiten der Flüchtlinge in der BRD sind minimal.
Das den Flüchtlingen zur Verfügung stehende Geld liegt weit unter dem
Sozialhilfesatz. Oftmals erfolgt eine Auszahlung sogar nur in Form von Gutscheinen
oder Naturalien (bis auf ein sehr geringes „Taschengeld“), was den
Flüchtlingen sogar die Autonomie nimmt, ihre Lebensmittel selber auszusuchen.
Sich einen Anwalt zu nehmen ist aus Kostengründen für AsylbewerberInnen
auf herkömmlichem Wege unmöglich, der dringend benötigte Rechtsbeistand
kann somit in der Regel nicht erfolgen.
Die Unterkunftsmöglichkeiten in den Flüchtlingslagern sind katastrophal,
nicht selten teilen sich sechs oder mehr Leute über Jahre ein Zimmer. Noch
wird von der Möglichkeit der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen
in den Städten und Gemeinden Gebrauch gemacht, allerdings immer weniger,
obwohl diese Art der Unterbringung kostengünstiger ist, als der Betrieb von
Lagern. In Niedersachsen zum Beispiel ist angestrebt, Flüchtlinge nur noch
in Lager unterzubringen. Und das hat einen politischen Hintergrund: Die Lager
werden bewusst weit von der einheimischen Bevölkerung eingerichtet, ein Kontakt
soll nicht stattfinden, Flüchtlinge sollen am Leben hier nicht teilhaben
können. Und zu oft haben solche Kontakte zu Bleiberechtskampagnen geführt,
denn auch hier gibt es immer noch genug Menschen, die, wenn sie erst mal die Geschichte
der Flucht gehört haben, nicht einsehen können, warum ihre Nachbarn
in Hunger, Folter oder Tod abgeschoben werden sollen.
Ja ... und wenn dann, wie in den meisten Fällen üblich, negativ über
den Asylantrag beschieden wird, droht die sofortige Zwangsausreise oder bis zu
deren Vollstreckung die Haftunterbringung in einem Abschiebeknast. Diese „Sicherungshaft“
kann sich über ein halbes Jahr hinziehen. Der psychische Druck, welcher auf
den Flüchtlingen lastet, ist enorm, drohen doch in ihren Heimatländern
oftmals Folter, Tod oder Krieg, mit Sicherheit aber Perspektivlosigkeit. Die katastrophale
menschenunwürdige Situation der Flüchtlinge führt immer wieder
zu Suizidversuchen.
Aber nicht alle Flüchtlinge können trotz nicht gewährtem Asyl abgeschoben
werden und müssen aus den verschiedensten Gründen „geduldet“
werden. Gerade diese Menschen sollen mehr und mehr in Deutschland und in ganz
Europa in Abschiebelagern interniert werden. Damit schließt sich die Lücke
im System von nicht gewährter Einreise und Abschiebung. In Deutschland erhalten
diese Lager ihre gesetzliche Grundlage als so genannte „Ausreiseeinrichtungen“
im neuen „Zuwanderungsgesetz“. Anders als in den Abschiebeknästen
kann die Aufenthaltsdauer in den Lagern unbegrenzt sein. Die Flüchtlinge
werden massiv unter Druck gesetzt, aktiv bei ihrer Deportation mitzuhelfen (zum
Beispiel durch Beschaffung von Ausreiseunterlagen). Tun sie das nicht, werden
ihnen auch noch die letzten Rechte verweigert, sie haben nur noch die Wahl zwischen
einem unbegrenzten Aufenthalt im Lager mit nur drei Mahlzeiten am Tag oder der
Ausreise. Immer mehr Flüchtlinge begegnen dem, indem sie in die Illegalität
untertauchen, was durchaus auch politisch gewollt ist.
Situation im Abschiebelager Bramsche-Hesepe
Das Abschiebelager in Bramsche-Hesepe ist, im westlichen Niedersachsen liegend,
nicht nur ein Eckpfeiler dieser Politik, es hat darüber hinaus Modellcharakter
für das, was an menschunwürdiger Unterbringung möglich ist.
Die Situation in Bramsche-Hesepe ist, wie in vielen anderen Lagern auch, miserabel.
Das Lager befindet sich gänzlich abgelegen von der einheimischen Bevölkerung,
zu der ein Kontakt kaum möglich und nicht erwünscht ist. Auch die ca.
50 Kinder, die in dem Lager untergebracht sind, sollen das Lager noch nicht einmal
für den Schulbesuch verlassen, dafür wurde nun eine Lagerschule eingerichtet.
Die medizinische Versorgung der MigrantInnen ist mangelhaft. Die oftmals durch
Folter und Krieg stark traumatisierten Flüchtlinge erhalten in der Regel
keine psychologische Betreuung, und auch andere Facharztbesuche sind erst nach
langen Auseinandersetzungen möglich.
Bei der Verpflegung wird kaum Rücksicht auf kulturelle Vorlieben bzw. Abneigungen
genommen. Die Unterbringung ist katastrophal, ein 16-Quadratmeter-Zimmer müssen
sich bis zu vier Personen oder ganze Familien teilen, eine Privatsphäre ist
somit nicht möglich.
Eine Rechtsberatung sieht das Konzept des Lagers nicht vor. Stattdessen gibt es
die so genannte „Rückkehrberatung“. Entscheidend dabei ist, dass
es sich bei den in Bramsche-Hesepe untergebrachten Flüchtlingen keineswegs
um abgelehnte AsylbewerberInnen handelt, die „ausreisepflichtig“ sind.
Fast alle Flüchtlinge haben erst kurz vor der Einweisung in das Lager ihren
Asylantrag gestellt. Die Einweisung findet ausschließlich aufgrund der „Prognoseaussage
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“
statt, die allein aufgrund der Herkunftsländer „keine Perspektive für
einen dauerhaften Aufenthalt“ erkennt. Mit dieser Praxis wird selbst der
letzte Rest des deutschen Asylrechts ausgehebelt, das immerhin nach seinem Text
eine individuelle Prüfung der Asylgründe vorsieht.
Mit 550 Insassen als größtes Abschiebelager Europas ist dieses Lager
ein zentraler Baustein in der rassistischen und repressiven Ausländerpolitik
der BRD. Deshalb ist es besonders wichtig auch in der Abgelegenheit des ländlichen
Raumes gegen diese Politik vorzugehen und sich zahlreich an der Auftaktdemonstration
und den Camps – besonders auch in Bramsche-Hesepe – der „Anti-Lager-Action-Tour“
zu beteiligen.
- Wir wenden uns entschieden gegen das Universum der
Lager und Knäste in der BRD und in Europa, das Ausdruck einer Politik sozialer
Ausgrenzung ist.
- Abschaffung der rassistischen Sondergesetze, wie
zum Beispiel der Residenzpflicht!
- Schließung der Lager und Abschiebeknäste!
- Selbstbestimmte, menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge!
- Uneingeschränktes Recht auf Asyl und Teilnahme
am Leben in Deutschland, dazu gehört neben dem Recht auf Arbeit auch das
Recht auf Bildung!
- Schluss mit der Unterstützung der korrupten
und diktatorischen Regierungen des Trikonts durch die BRD!
- Veränderte Wirtschaftspolitik, gerechter Handel und massive Unterstützung beim Aufbau
besserer Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge!
- Für Freizügigkeit und Selbstbestimmung überall!
- Hoch die internationale Solidarität!
Avanti! Osnabrück, Karawanegruppe Osnabrück, LiVe (Linkes Vechta)
im Juni 2004 |
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