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Europäische
Union bringt „Drehscheibe des Menschenhandels“ in Schwung
Boris Kanzleiter
1. August 2002
UNICEF-Studie zeigt wie Migrationsabwehr der EU-Länder und Präsenz
von „Friedenstruppen“ auf dem Balkan Frauenhandel und Zwangsprostitution
boomen lassen
In Südost-Europa werden Zehntausende junge Frauen und Mädchen,
die der schwierigen sozialen Lage durch Migration entkommen wollen, in sklavenähnliche
sexuelle Ausbeutungsverhältnisse gezwungen. Das ist das Ergebnis einer breit
angelegten Studie
des UN-Kinderhilfswerk UNICEF, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE)
und des UN-Kommissariats für Menschenrechte (UNOHCHR),
die vergangene Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der
Bericht (engl.) www.unicef.de/download/trafficking-see.pdf
Während die Tagespresse über die Studie unter Titeln wie „Balkan
ist Zentrale des Kinderhandels“ (Frankfurter Rundschau) oder „Balkan
ist Drehscheibe des Menschenhandels“ (Süddeutsche Zeitung) berichtete
und das Problem damit lediglich im schmuddligen, verrufenen Hinterhof Europas
verortet, zeichnen die 270 Seiten des Berichtes ein deutlich differenzierteres
Bild. So wird die Drehscheibe, über die nach Schätzungen jährlich
120 000 Frauen und Kinder aus Ost- und Südosteuropa in die EU verkauft
werden, maßgeblich durch den Westen in Schwung gehalten.
Detailliert zeigt der materialreiche Bericht, wie die restriktive Einwanderungspolitik
der Europäischen Union, Marktwirtschaftsreformen und die Präsenz Zehntausender
kaufkräftiger Soldaten der internationalen Truppen die Netzwerke des Menschenhandels
und der Zwangsprostitution boomen lassen.
Der Report stellt zunächst die drastischen Verschlechterung der Lebensbedingungen
in Südosteuropa fest. Das gilt nicht nur für die Länder des ehemaligen
Jugoslawiens, in denen die Kriege seit Beginn der 90er Jahre soziale Strukturen
zerschlagen und Hunderttausende Menschen zu Flüchtlingen gemacht haben, sondern
auch für alle anderen ehemals sozialistischen Länder der Region, in
denen Arbeitslosigkeit und Armut enorm zugenommen haben.
In der ehemals sowjetischen Republik Moldau am Schwarzen Meer beispielsweise -
neben der Ukraine und Rumänien einem Hauptherkunftsland der verkauften Frauen
- liegt der Durchschnittlohn heute bei lediglich 20 bis 30 Euro pro Monat. Ohne
die Rücküberweisung der 600 000 Moldawier, die das 4,3 Millionen
Einwohnerland in den vergangenen Jahren verlassen haben, wäre ein Überleben
für weite Teil der Bevölkerung unmöglich. Nach Meinungsumfragen
möchten 80 Prozent der Einwohner auswandern. Insbesondere Frauen sind von
der grassierenden Armut betroffen, stellt der Bericht fest:
„The reality of the post conflict situation and economic
transition have weakend the position of women in the labour market, causing more
women to be unemployed and the feminisation of poverty, which in turn has resulted
in increased migration especially among younger women.“
Gleichzeitig kommt es zu vermehrter Gewalt gegen Frauen und ihrer Ausgrenzung
aus dem öffentlichen und politischen Leben:
„Violence against women, the contradiction between their
lowly position in the family and their responsibility for the family well being,
their lack of influence in public/political life and their exclusion from decision-making
processes, are increasing trends.“
Insgesamt werden Frauen in Südosteuropa in der Krisensituation auf ihre „traditionelle
Rolle“ festgelegt:
„The fall back position for women is the pre-communist
traditional role in society. Women are relegated to the private sphere of the
family and largely excluded from public life.“
In dieser Situation erkennen insbesondere junge Frauen in der Auswanderung nach
Westeuropa die einzige reale Möglichkeit zur Verbesserung ihrer Situation.
Doch die legale Einreise in die Länder der Europäischen Union ist schwer
möglich, da diese mit der restriktiven Einwanderungspolitik in den vergangenen
Jahren kaum unüberwindbare Hürden aufgebaut haben. Auch illegale Grenzübertritte
sind auf Grund des Ausbaus der Grenzkontrollen auf eigene Faust fast unmöglich
geworden.
Zur Migration gehen die jungen Frauen also oft auf die Angebote der sogenannten
Trafficker ein, die einen sicheren Grenzübertritt und Jobs in Ländern
der Europäischen Union versprechen. Tatsächlich begeben sich die Frauen
damit in ein Abhängigkeitsverhältnis, das sie zu Zehntausenden in die
Zwangsprostitution führt. Die Reise endet meist nicht als Kellnerin in der
versprochenen Pizzeria in Rom oder als Putzfrau in Düsseldorf, sondern in
Bordellen in Bosnien-Herzegowina, Kosovo oder Mazedonien.
In diesen drei Regionen boomt die Prostitution vor allem auf Grund der politischen
Instabilität und der Präsenz von über 50 000 zahlungskräftigen
Soldaten der internationalen Truppen SFOR
und KFOR
sowie Tausender weiterer internationaler ziviler Mitarbeiter von UN-Institutionen,
Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen, die eine lukrativen Markt bilden.
In Bosnien-Herzegowina sind laut im Bericht zitierten Quellen etwa die Hälfte
der Freier in den Bordellen Mitarbeiter internationaler Institutionen, hauptsächlich
SFOR Soldaten. Doch ihre Bedeutung für das Geschäft ist weit größer,
erklärt der Bericht:
„At least 70 percent of all profits from prostitution
are estimated to come from internationals, who pay different rates and spend more
money in bars then local men.“
Im zweiten UN-Protektorat Kosovo stellt sich die Situation laut Bericht ähnlich
dar. Allerdings scheinen hier die Bedingungen, unter denen die Frauen sexuell
ausgebeutet werden, besonders gewalttätig zu sein. Nur ein kleiner Teil der
Prostituierten wird regelmäßig bezahlt. Viele werden geschlagen. Die
Mehrheit wird zu ungeschütztem Sex gezwungen. Zehn Prozent sind unter 18
Jahren.
„The living and working conditions in the Kosovo sex industry
are abhorrent, exploitative and akin to slavery.“
Besonders heikel für die UN-Verwaltungen in Bosnien-Herzegowina und Kosovo,
die dort gemeinsam mit SFOR und KFOR die legislative, judikative und exekutive
Macht ausüben, dürften die Hinweise auf eine direkte Zusammenarbeit
von UN-Mitarbeitern mit den Traffickern sein, welche im Bericht genannt werden.
So heißt es zu Kosovo:
„There is suspicion that UNMIK (UN Mission in Kosovo)
international police officers might be involved in trafficking - some members
of the international police were repatriated for suspected involvement in trafficking.“
Und zu Bosnien-Herzegowina:
„The most serious allegations suggest that some members
of IPTF (International Police Task Force) directly participated in trafficking
in women for forced prostitution (recruitment and sale of women, purchasing false
documents, patronising brothels). Other allegation include informing bar owners
about police raids, 'Buying women' and having sex with them.“
Jahrelang wurde das Problem der Zwangsprostitution von den internationalen Organisationen
auf dem Balkan verdrängt. Das scheint sich jetzt zu ändern. Dem Bericht
zufolge kommt es zu vermehrten polizeilichen Aktivitäten. Doch diese richten
sich meist gegen die Opfer selbst, die nach Razzien als illegale Ausländerinnen
behandelt, und mit Haft und Abschiebung bedroht werden.
Über den Zusammenhang zwischen dem verschärften Migrationsregime
der Europäischen Union, dem Verhalten der internationalen Truppen und dem
Boom der Zwangsprostitution wird wohl trotz der Studie nicht viel diskutiert werden.
Denn das scheint einfach nicht in das Selbstbild des zivilisationsbringenden Europas
zu passen.
Kommt es doch zur Sprache, wird das Thema bald wieder verdrängt. Als vor
einigen Monaten im ARD Weltspiegel Berichte über Hunderte von deutschen Soldaten
des 3. KFOR-Kontingents (abgelöst im Juni 2000), die in Mazedonien Bordelle
mit Minderjährigen und Zwangsprostituierten besucht haben sollen, veröffentlicht
wurden, interviewte die taz Monika
Hauser von der Frauenhilfsorganisation Medica
Mondiale. Sie berichtet wie der kürzlich zurückgetretene Verteidigungsminister
Scharping auf ihren Protest reagierte:
„Herr Scharping hat uns empfohlen, das Thema bitte nicht breitzutreten,
um die Freundinnen und Frauen der Soldaten nicht zu verunsichern.“ |
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