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Graffiti ist Kunst, kein Verbrechen!
['solid]36 25.
März 2005
Wenn es dunkel ist ziehen sie los. Besteigen in halsbrecherischen Aktionen
die Dächer der Städte oder klettern hinab in die U-Bahn-Katakomben
der Metropolen. Keine graue Mauer, kein Zug, kein Bahnhof der noch sicher ist
vor nächtlichen Farbanschlägen der kreativen Art. Graffiti ist eine
Massenbewegung geworden. Zehntausende von Aktivisten lassen jede Nacht das Strafgesetzbuch
hinter sich und bomben die freien Flächen der Republik. Die Resultate dürfen
wir dann morgens auf dem Weg zu Schule, Job oder Arbeitsagentur bewundern. Doch
natürlich sind nicht alle begeistert von der alltäglichen künstlerischen
Umgestaltung des öffentlichen Raums. Deutsche Spießbürger, farbenblinde
Kunstmuffel und Hauseigentümer bekommen graue Haare angesichts des enormen
Ausmaßes, das die „illegalen Farbschmierereien“ angenommen
haben. Auch Polizei und BGS haben die Gefahr erkannt und sich für entschlossenes
Handeln entschieden. Ihrer Meinung nach ist Graffiti ein Verbrechen, sogar eines,
das eigene Sonderkommissionen verdient, und deren Urheber Straftäter, denen
mit voller polizeilicher Härte entgegenzutreten ist. Unterstützt werden
sie dabei von allerlei Sicherheitsfanatikern der unterschiedlichsten politischen
Prägungen.
Etwa 200 von ihnen treffen sich am 7. April in Berlin zu einem „Internationalen
Anti-Graffiti-Kongress“. Die illustre Runde aus Sicherheitspolitikern,
Immobiliengesellschaftern und Polizeibeamten verschiedener Länder begreift
sich als Teil einer weltweiten Anti-Graffiti-Bewegung und will unter anderem
einen Preis an die Graffiti-freiste-Schule Berlins verleihen. Doch hauptsächlich
werden sich die aus den USA, Skandinavien, England, Belgien und Deutschland angereisten
Law-and-Order-Liebhaber damit beschäftigen, die angebliche „Verharmlosung
des gesellschaftlichen Problems Graffiti durch Politik und Medien“ zu bejammern
und härtere Strafen für Sprayer, mehr Videoüberwachung, Altersbeschränkung
beim Spraydosenkauf und andere unangenehme Sachen zu fordern. Schirmherr der
Veranstaltung ist der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der den Graffiti-Hassern
für ihren Kongress das Rote Rathaus zur Verfügung stellt. Eingeladen
zu diesem Gala-Event reaktionärer Innenpolitik hat der Verein „noffitie.V.“.
Diese von einem rechten CDU-Abgeordneten ins Leben gerufene Bürgerinitative
ist schon seit fast zehn Jahren damit beschäftigt, ihrem Volkszorn auf „Schmierfinken
und Sprühterroristen“ freien Lauf zu lassen und hat dabei in der Vergangenheit
verständlicherweise vor allem bei CDU und FDP offene Türen eingerannt.
Umso verwunderlicher ist es, dass sich jetzt scheinbar auch der Rot/Rot Berliner
Senat in den Fanblock von „noffiti e.V.“ einreiht. Geht es um
illegale Graffitis scheint auch bei ihnen das weltoffene Berlin zu enden.
Der Kongress kann als Teil einer gesellschaftlichen Kampagne gegen vermeintlichen „Vandalismus“ verstanden
werden. Schon in den letzten Jahren hat die Polizei ihre Defizite auf diesem
Gebiet erkannt und in fast jeder Stadt Graffiti-Sonderkommissionen aufgebaut.
Seitdem gehören Großeinsätze, Hetzjagden, Warnschüsse und
die Behandlung von Writern wie Schwerverbrecher zum bundesdeutschen Alltag. Zeitgleich
mit steigender Polizeirepression wird auch das allgemeine gesellschaftliche Klima
nächtlichen Kunstaktivisten gegenüber feindseliger. In Zeiten sozialer
Verunsicherung und zunehmender nationaler Mobilisierung werden als störend
empfundene Gruppen stigmatisiert und ausgegrenzt. Das nicht erst seit dem 11.
September 2001 von Medien und Politik forcierte Klima aus Angst und Unsicherheit
schafft beim Bürger ein Zerrbild der Gesellschaft, aus dem ein unrationales,
geradezu paranoides, Sicherheitsbedürfnis entsteht. So werden trotz sinkender
Verbrechenszahlen immer härtere Law-and-Order-Maßnahmen gefordert.
Nach Migranten, Drogendealern, Obdachlosen und Chaoten sollen nun auch die „Schmierfinken
und Vandalen“ Opfer dieser gesellschaftlichen Mobilmachung werden. Dazu
müssen Feinbilder produziert werden, vor dem sich der Normal-Bürger
genüsslich fürchtet kann. Der Vorsitzende des Nofitti-Vereins Karl
Henning entwirft beispielsweise in der Berliner Morgenpost vom 17. Februar ein
Bedrohungsszenario von 400 „äußerst brutal und mitunter bewaffnet
agierenden Sprayern“ in Berlin, die „immer dreister und raffinierter
werden“. Unterstützt werden sie dabei seiner Ansicht nach von ausländischen
Graffiti-Aktivisten, die dank der niedrigen Flugpreise aus aller Herren Länder
nach Berlin einfallen um die Stadt zu beschmieren.
Ein weiterer Grund für die überzogene Hetze und Repression ist unter
anderem, dass die Writer mit dem Besprühen fremder Wände ein Fundament
der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft angreifen: die Unantastbarkeit
des Privateigentums. Das allein in Berlin nach offiziellen Schätzungen zehntausend
Jugendliche, meist ohne jede politische Motivation, dieses heilige Grundprinzip
mit Füßen treten, reicht aus um bei reaktionären und konservativen
deutschen Kleingeistern die abstrusesten Wahnvorstellungen hervorzurufen. So
schreibt ein besorgter Bürger im Gästebuch der in schwarz-weiß-rot
gehaltenen nofitti-homepage: „Es ist nicht zufällig, dass seit der
rot-grünen Regierung Schröder/Fischer ... ein kultureller,
sozialer und wirtschaftlicher Niedergang unseres Landes zu verzeichnen ist. Der
von Rot/Grün legitimierte Sprayervandalismus ist ein Bestandteil der 68er
Strategie Deutschland kaputtzumachen. Der Kampf zwischen Sprayern und den für
den Erhalt der deutschen Kulturgüter und -werte Engagierten ist wohl das
Vorzeichen für einen Bürgerkrieg“. Jedes demokratische Riechorgan
sollte mitbekommen haben aus welcher übel riechenden Ecke solch Wahnvorstellungen
hervorblubbern.
Natürlich kann man über die gesprühten Werke unterschiedlicher
Ansicht sein, aber die Forderungen des „Anti-Graffiti-Kongresses“ und
des Vereins „Noffiti e.V.“ sind weitere Schritte zur Kriminalisierung
einer Jugendkultur und führen geradewegs in den repressiven Polizeistaat.
Wenn, wie in Berlin im Mauerpark, vormals legale Flächen abgerissen oder
wieder illegalisiert werden, grenzt man Freiräume für jugendliche Entfaltung
ein und verschärft so die Hinwendung zu „kriminellem Handeln“.
Statt für die Verfolgung von Sprayern, Graffitikongresse und die Reinigung
von Hauswänden hunderte Millionen auszugeben, wäre das Geld in der
Erweiterung des Jugendfreizeitangebotes und der Bereitstellung weiterer legaler
Flächen sinnvoller verwendet.
Gegen die Kriminalisierung nicht-kommerzieller Kunst!
Schluss mit der Polizeirepression gegen Writer!
Den grauen Wänden den Kampf ansagen!
Für eine legale „Hall of Fame“ im Mauerpark
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