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Demonstration nach der Urteilsverkündigung
Heinrich Fink auf der Abschlusskundgebung
Berliner Bus wird aus Halle „begleitet“
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Daniel nach Paragraph 129a verurteilt!
Rote Hilfe e.V. 24.
November 2005
Bericht über den letzten Prozesstag im Revisionsverfahren
in Halle
Am 22. November 2005 endete im Justizzentrum in Halle der letzte Prozesstag im
Revisionsverfahren gegen Daniel W. mit der Verurteilung nach Paragraph 129a („Bildung
einer terroristischen Vereinigung“) und wegen zwei versuchten angeblichen
Brandstiftungen. Nach Verlesung des Urteils demonstrierten UnterstützerInnen
der politischen Gefangenen und ProzessbesucherInnen in die Innenstadt um auf
das skandalöse Urteil aufmerksam zu machen.
Früh morgens begann der Tag bereits unter der Beobachtung der Repressionsbehörden.
Der gut gefüllte Reisebus, der in Berlin unter anderem mit der Unterstützung
durch die Rote Hilfe e.V. zur Fahrt zum Prozess gechartert worden war, wurde
von der politischen Polizei bis nach Halle verfolgt. Berliner Gruppen, die Magdeburger
Soligruppe und weitere hatten zur Prozessbeobachtung mit anschließender
Demonstration aufgerufen.
In Halle angekommen, eilte gleich eine Polizeimannschaft auf den Bus zu, um das
Justizzentrum herum waren Polizeieinheiten auch in Seitenstraßen postiert,
zahlreiche Einsatzfahrzeuge waren im Einsatz. Vor dem Eingang und im Justizgebäude
befanden sich uniformierte Polizisten und auch die politische Polizei verfolgte
die ProzessbeobachterInnen bis ins Gebäude. Presse war ebenfalls anwesend.
Es entstand eine lange Schlange vor dem Eingang mit dem Metalldetektor und uniformierte
Polizei lies die BeobachterInnen nur in Fünfergruppen durch. Sehr penibel
wurden alle abgetastet, alle mussten den Ausweis sowie alle Gegenstände
wie Handy, Fotoapparate und anderes abgeben, selbst die JournalistInnen. Das
ganze begann mit einem kleinen Skandal: die Uniformierten hatten zuerst den Anwalt
und den Angeklagten an der Tür abgewiesen, so penibel war das neue Sicherheitskonzept.
Über eine halbe Stunde später sollte dann der Prozess im voll besetzten
Gerichtssaal beginnen. Zehn uniformierte Polizisten und fünf Zivilbeamte
mit Pistole befanden sich bereits im Gerichtssaal. Einen Antrag des Anwaltes
auf Wahrung der Öffentlichkeit und Bereitstellung von mehr Sitzplätzen
versuchte der Richter Braun autoritär abzuwiegeln, indem er versuchte, die
Verurteilung wie einen Eilprozess zu veranstalten: „Jetzt keine Anträge,
ich verlese das Urteil, zwei Jahre wegen blablabla!“. Erst nach Feststellung
der Anwälte, dass die bewaffneten Zivilbeamten schon vorher im Saal waren
und so von Amts wegen jede Öffentlichkeit verhindert werden kann, einer
großen Empörung und Zwischenrufe der ZuschauerInnen und nach einer
anschließenden Beratung des Richters mit den Staatsanwälten im Hinterzimmer
wurden zehn weitere Stühle bereitgestellt und zehn weitere BeobachterInnen
wurden in den Saal gelassen – weitere 20 Menschen mussten trotzdem weiterhin
draußen ausharren – die Zivilbeamten mussten sich leicht abseits
setzen und Jacken überziehen, damit die Waffen nicht sichtbar waren.
Das Urteil des Richters bestätigte im Kern alle Punkte der Staatsanwaltschaft
zur Verurteilung Daniels nach Paragraph 129a und wegen zwei versuchten Brandstiftungen.
Die Konstruktion stützte sich vor allem auf Behauptungen, dass sich aus
dem Magdeburger Autonomen Zusammenschluss eine Art terroristische Vereinigung
entwickelt habe und es darüber hinaus Absprachen gegeben hätte, dass
Aktionen nur von Zellen mit zwei Personen verübt werden sollten.
Weiterhin stützte sich die Konstruktion für die Verurteilung nach Paragraph
129a unter anderem auf ein gefundenes Diskussionspapier, welches belegen solle,
dass die wie auch immer geartete Vereinigung sich abgesprochen habe und gut organisiert
gewesen sei (Abstimmungen, Mehrheitsprinzip) und die „globalen Konzerne“ sowie
die Herrschaft des Systems angreifen und abschaffen wollte.
Die in vorherigen Prozesstagen konstruierten Beweise wie zum Beispiel der Eintrag „global
action day“ in einem Kalender oder „KGB“ auf einer Schreibtischunterlage
(was eine Variation eines Aktionsnamens gewesen sein könnte, wie der Richter
ausführte) wurden zwar erneut aufgeführt, aber mit dem Hinweis, dass
sie keine eindeutigen Beweise sind, da sie verschieden ausgelegt werden können.
Einzig ein Fingerabdruck auf einem Paket, geheime Zeugenaussagen dass einmal
zwei Personen gesehen worden seien und dass sich aus Telefonabhörungen ergeben
habe, dass der Angeklagte in den Tagen vor seiner Festnahme unruhig gewesen sei,
wurden als sichere Beweise aufgeführt. Die Begründungen wurden vom
Richter jedoch – zum Beispiel im Bezug auf Erklärungen – immer
wieder mit dem Kommentar „ist hinlänglich bekannt und in der Szenezeitschrift
Interim nachzulesen – nicht voll ausgeführt.
Die Vereinigung habe sich auch nicht aufgelöst, da das gefundene Auflösungspapier
der Gruppierung entweder nicht direkt zugeordnet werden könne und/oder (so
schwammig waren die Ausführungen des Richters) keine „ernsthaften
Bemühungen“ zur Auflösung entfaltet worden seien beziehungsweise
auch interpretiert werden könne, dass die Vereinigung unter einem anderen
Namen weitermachen hätte können und außerdem hätten erst
die Festnahmen der Verdächtigten zur Auflösung geführt.
Nach Verlesung des Urteils hatte sich das Justizzentrum mit noch mehr Uniformierten
gefüllt und die Polizeieinheiten formierten sich vor dem Gebäude.
Die spontan angemeldete Demo startete mit zirka 70 Personen und wurde von einem
massiven Polizeispalier begleitet inkl. Staatsschutzbeamten sowie vorne und hinten
zahlreiche Einsatzfahrzeuge. Andere Einheiten der Polizei postierten sich in
sämtlichen Seitenstraßen bis zur Innenstadt. Schnell wuchs die Demo
auf zirka 100 Personen an.
Transparente und Parolen forderten die Abschaffung des Paragraph 129a, die Freilassung
der politischen Gefangenen. Es wurde zur Internationalen Solidarität aufgerufen.
Unter anderem wegen des massiven Polizeiaufgebotes erfuhr die Demo höchste
Aufmerksamkeit unter der Halleschen Bevölkerung, die sich über ein
solch teures Polizeiaufgebot aus diesem Anlass wunderte.
Prof. Dr. Heinrich Fink, Vorsitzender des VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen) und ehemaliger Direktor der
Berliner Humboldt-Universität erklärte in seinem Redebeitrag auf der
Abschlusskundgebung, dass nicht nur der Paragraph 129, 129a und 129b abgeschafft
gehört, sondern
mit dieser Konstruktion bald der 129c drohe, nach dem dann eine einzelne Person
verurteilt werden könne. Das ganze Verfahren sei eine komplette Farce gewesen.
Der verurteilte Antifaschist Daniel W. sei für ein sozialistisches Deutschland
eingetreten und wurde deswegen verurteilt. Er rief alle dazu auf wachsam zu sein
und gegen die Verschärfung der Sicherheitsgesetze und der Repression gegen
aufrechte AntifaschistInnen einzutreten und lobte die Angehörigen des Angeklagten,
die in der Demonstration mitliefen, dafür dass sie zu den Angeklagten gehalten
haben.
Spektakulär wurde die Rückfahrt des Berliner Solibusses: eine Motorrad-Eskorte,
wie bei Staatsempfängen bekannt, führte den Bus aus Halle heraus, Autos
mussten an den Rand fahren um den Bus durchzulassen und viele Menschen starrten
verwundert auf den Bus, in dem Transparente und Plakate sowie Rote Fahnen hochgehalten
wurden.
Die ProzessbeobachterInnen verabschiedeten sich winkend von den Einheimischen.
Auch der BMW der Berliner Polizei hatte wieder den Anschluss gefunden. Während
die Polizeieskorte aus Halle an der Landesgrenze kehrt machen musste, wurde der
Bus bis nach Berlin vom BMW verfolgt.
Jetzt muss die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werden um die weiteren
Schritte gegen den zusammenkonstruierten Magdeburger Paragraph-129a-Prozess festlegen
zu können.
Manfred, Prozessbeobachter für die Rote Hilfe e.V.
Prof. Dr. Fink im Offenen Radio:
http://freie-radios.info/portal/content.php?id=10734
Weitere Informationen: www.soligruppe.de
Homepage der Roten Hilfe e.V.: www.rote-hilfe.de |
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