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„Der Prozeß zeichnet sich nicht durch Rechtsstaatlichkeit aus“
Markus Bernhardt junge Welt 28. September 2005


Justiz setzt auf Kriminalisierung junger Antifaschisten. Demokratische Grundrechte offenbar suspendiert. Ein Gespräch mit Daniel Winter

Daniel Winter ist zur Zeit vor dem Oberlandesgericht Naumburg angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, gemeinsam mit anderen Mitgliedern des „Autonomen Zusammenschlusses Magdeburg“ Brandanschläge verübt zu haben

F: Zur Zeit stehen Sie als Angeklagter in einem Revisionsprozeß vor dem Oberlandesgericht Naumburg. Warum?

Die Bundesanwaltschaft (BAW) hatte bereits 2003 Anklage gegen mich und zwei andere Personen nach Paragraph 129a erhoben, bei dem es um die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ geht. Angeblich seien wir an Brandanschlägen beteiligt gewesen, die sich gegen Einrichtungen der Polizei, der Telekom und des Daimler-Chrysler-Konzerns richteten. Die BAW scheiterte jedoch mit ihrem Konstrukt. Einer meiner beiden damaligen Mitangeklagten, Carsten S., wurde freigesprochen. Marco H. wurde zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Mein Urteil in der ersten Instanz betrug zwei Jahre Haft. Erstmalig wurden also Antifaschisten nach Paragraph 129a verurteilt. Nach der Rechtslage hätten aber mindestens drei Personen der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ überführt werden müssen.

F: Trotz des Freispruchs ist Carsten S. jedoch in Haft.

In Beugehaft. Ebenso wie Marco, für den sich die Strafhaft entsprechend verlängert. Beide weigern sich, in meinem Verfahren auszusagen. Insgesamt hatten elf vorgeladene Zeugen erklärt, keine Aussagen machen zu wollen. Bei Marco und Carsten soll die Beugehaft über den gesamten zulässigen Zeitraum von sechs Monaten gehen – was es meines Wissens in der BRD-Geschichte bisher noch nicht gegeben hat. Auch in anderer Hinsicht zeichnet sich dieser Prozeß nicht unbedingt durch Rechtsstaatlichkeit aus: Zwei der drei Richter, die die Revisionsverhandlung gegen mich führen, waren schon in der ersten Instanz beteiligt. Das spricht nun wirklich nicht für ein faires Verfahren.

F: Die „Soligruppe Magdeburg“, die ihren Prozeß politisch begleitet, hat dem Vorsitzenden Richter Prozeßverschleppung vorgeworfen. Warum?

Der Richter hat bisher nur einen Verhandlungstag pro Monat anberaumt, obwohl dies gänzlich unüblich ist. Die Soligruppe hatte daher vermutet, daß der Richter den Prozeß bewußt in die Länge zieht, um meine beiden Genossen weiter in der Beugehaft schmoren zu lassen.

F: Ein weiterer Magdeburger Antifaschist wurde zu einer Aussage genötigt, die nun nicht im Verfahren verwendet werden darf. Was sind die Hintergründe?

Beamte des Bundeskriminalamtes hatten einen Magdeburger Linken aufgrund seiner Homosexualität erpreßt. Sie hatten ihm gedroht, ihn wie einen Schwerverbrecher gefesselt seinem herzkranken Großvater vorzuführen und diesem von seiner Homosexualität zu berichten. Aus Angst vor gesundheitlichen Folgen für seinen Opa hat unser Genosse damals eine Aussage gemacht. Diese darf jedoch vor Gericht nicht verwendet werden, weil sie aufgrund der Nötigung durch die BKA-Beamten zustande gekommen ist. Der Richter versucht, dieses Verbot jedoch offenbar zu umgehen, indem er erst die Mutter des Betroffenen befragte und nun zum nächsten Verhandlungstag auch den Großvater selbst vorgeladen hat.

F: Wird der Prozeß nur von der Magdeburger Soligruppe kritisch begleitet?

Bisher haben immer einige Leute aus Magdeburg den Prozeß beobachtet. Nun hat auch der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele, angekündigt, den nächsten Prozeßtag am 4. Oktober in Halle besuchen zu wollen. Verschiedene antifaschistische Gruppen unterstützen uns zudem politisch. Für den 9. Oktober rufen außerdem verschiedene linke Gruppen zu einer Knastkundgebung in Halle auf, um den beiden Gefangenen ihre Solidarität zu zeigen. Die Gruppen fordern zudem die sofortige Freilassung der beiden Beugehäftlinge und ein Ende der Kriminalisierung antifaschistischer Arbeit.

Informationen: www.soligruppe.de
 28. September 2005