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Davidstern
von Thomas Steinberg steinbergrecherche.com 14. Juli 2004


Im Foltergefängnis Abu Ghraib zeigt ein Mann in Dienstuniform seinen tätowierten Oberarm. Zu erkennen sind ein Skorpion mit aufgestelltem Stachel und die israelische Fahne mit dem Davidstern. Das Foto dieser Szene kam nicht auf die Titelseite der New York Times. Counterpunch veröffentlichte es. Der Anblick hat mich sehr bedrückt. Warum?


Meine Familie

Meine Mutter war Jüdin, ihr Vater hat im KZ Buchenwald gelitten. Der eine Bruder flüchtete mit sechzehn nach England und wurde dort als feindlicher Ausländer interniert. Der andere litt im KZ Theresienstadt, die Schwester im Arbeitslager. Auch der Vater meines Vaters war Jude. Eine meiner Urgroßmütter, zwei Großonkel und zwei Großtanten wurden im KZ Auschwitz ermordet.

Meine Eltern haben den Nazi-Terror überlebt, und ich konnte im August 1945 geboren werden. Ich besuchte in Berlin das Französische Gymnasium. Das war die Schule mit dem größten Anteil jüdischer Schülerinnen und Schüler. Ich habe dort, und vor allem in den Ferien, mit Feuereifer Französisch gelernt, später auch Englisch, denn meine Eltern warnten mich: Eines Tages könnte ich gezwungen sein, vor deutschen Antisemiten zu fliehen und im Ausland unterzutauchen. Israel hatte ich als Fluchtort im Blick, zumal entfernte Verwandte und Freunde meiner Eltern dort Zuflucht gefunden hatten. Allerdings war ich seit der Pubertät nicht mehr religiös. Ich habe anderthalb Jahre meines Lebens in den USA verbracht und mich mit Juden zusammen gegen den US-amerikanischen Rassismus und den Vietnam-Krieg eingesetzt. In Deutschland war ich dreizehn Jahre lang Mitglied einer Partei, die politische Heimstatt war für zahlreiche jüdische Widerstandskämpfer und Verfolgte des Nazi-Regimes. Meine Tochter hat in Hamburg im einem Judaica-Verlag gearbeitet und in Berlin im Jüdischen Museum.


Die Politik Israels

Auf der Grundlage des Tagebuchs von Moshe Sharett, dem israelischen Außenminister von 1948 bis 1956 und zeitweiligen Ministerpräsidenten, hat Livia Rokach, die Tochter des Innenministers unter Sharett, beschrieben, was die israelischen Politiker während meiner Kindheit und ihrer Jugend trieben. Das Ziel war, wie man auch bei den israelischen Autoren Michel Warschawski oder Ran HaCohen nachlesen kann, Israels Herrschaft auf Kosten aller Nachbarländer auszudehnen, zum Schaden der fremden und der eigenen Bevölkerung. Dasselbe Ziel verfolgt die israelische Politik bis heute. Sie unterdrückt, quält und mordet. Damit stachelt sie nicht-jüdische In- und Ausländer zu Handlungen auf, die als Rechtfertigung für weitere Ausdehnung herhalten können.


Die Israel-Politik der USA

Die USA haben Israels politische Ziele gefördert und fast immer seine Mittel gebilligt. Heute unterscheidet sich die Politik der US-Regierung von der Israels nicht mehr: Hohe Verwaltung, Massenorganisationen und Mehrheitspresse verfolgen in beiden Ländern die gleiche Linie. US-amerikanische Juden arbeiten Seite an Seite mit notorisch antisemitischen Evangelikalen und Skull & Bones-Korporierten an der Ausdehnung Israels und des US-amerikanischen Imperiums.


Die Wirkung der israelisch-US-amerikanischen Politik

Die Mehrheitspolitik der USA und Israels weckt Hass. Teilweise bleibt der Hass stumm, manchmal wird er laut und gewalttätig, sowohl im eigenen Herrschaftsgebiet wie außerhalb. Der Hass richtet sich nach und nach nicht allein gegen die Politiker und ihre Politik, sondern mehr und mehr auch gegen US-Amerikaner und Israelis allgemein. Da nicht nur US-amerikanische Juden, sondern auch große jüdische Verbände, wie der französische Zentralrat der jüdischen Organisationen, CRIF, die israelisch-US-amerikanische Politik unterstützen, werden die Juden allgemein wieder zur Zielscheibe der Kritik und des Hasses. Zum Glück sind die jüdischen Gegner der israelischen und der US-amerikanischen Politik nicht mundtot. Sie können den jüdischen und nicht-jüdischen Gräueltätern ebenso entgegen treten wie Nicht-Juden.

Der Antisemitismus ist verbreitet, in Deutschland, in Polen, in Russland, auch in den USA. Antisemitismus ist ein Defekt der Antisemiten, nicht der Juden. Zugleich empört die israelisch-us-amerikanische Politik jeden, der hinschaut. Besonders unter den nicht-jüdischen Anhängern des US-Imperialismus lässt sich der Antisemitismus leicht für politische Zwecke revitalisieren. Die Herrschenden werden sich nicht scheuen, „den Juden dem Neger zum Fraß“ hinzuwerfen, wie Jean Améry bemerkte. Sie können Israelis und Juden fallen lassen, ebenso, wie sie ihnen heute Platz gewähren.

Denn der Judenhass sitzt tief. Jeden Tag, den die USA und Israel länger mordbrennend den Irak „demokratisieren“ und je länger die Palästinenser gequält werden, an jedem dieser Tage wächst der Stoff, aus dem der Antisemitismus sich sein Rechtfertigungsmäntelchen schneidert. Und dann krempelt ein israelischer Gefängniswärter, Dolmetscher oder Folterer in Abu Ghraib den Ärmel hoch und zeigt stolz den eintätowierten Davidstern.

Wenn der Antisemitismus wieder aufflammt und Juden in die Flucht schlägt: Wohin sollen sie dann fliehen? Israel ist keine Hoffnung, keine Zuflucht und keine mögliche Heimat mehr.
 14. Juli 2004