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Auf Krawall gebürstet
von Thomas Steinberg steinbergrecherche.com 14. Juli 2004


Über 200 jüngere Leute demonstrierten am Samstag, dem 10. Juli 2004 vom Berliner Hermannplatz in Neukölln zum Kottbusser Tor in Kreuzberg. Viele schwenkten große und kleine israelische Fahnen, einige trugen US-Fahnen, zwei Männer rote Fahnen. Vom Lautsprecher tönte US-amerikanische Popmusik: „No, no ... sexy, sexy“. Ein Vortrag war auf türkisch, die andern auf deutsch. An der Spitze des Zuges prangte, reim’ dich, oder ich freß’ dich: „Bomber Harris Superstar – Dir dankt die Rote Antifa“. Der Luftmarschall Arthur Harris bombardierte Ende des Zweiten Weltkriegs die Flüchlingstrecks in Dresden.

Worum ging es? Es ging gegen den „antisemitischen Konsens zwischen den Bewohnern Kreuzbergs und Neuköllns“, egal, welcher Herkunft. Ein mittelgroßes Seitenbanner forderte: „Antisemiten angreifen“. Einer der Bannerträger wollte auf Befragen nicht verraten, wie Antisemiten anzugreifen seien. „Die Friedensbewegung“, so ein Redner, sei ein „zutiefst zivilisationsfeindliches und menschenverachtendes Pack“. Das Kopftuchtragen würde die Frauen unterdrücken. Der Kiez wehre sich nicht gegen den Bau von Moscheen, diesen islamistischen Hasszentren. Ein Redner forderte seine Anhänger dazu auf, alle „islamistischen und sonst wie antisemitischen“ Plakate, Zeichen und Symbole aus den Kreuzberger und Neuköllner Läden und Kneipen zu beseitigen. Bannerträger an der Zugspitze skandierten „Hu-Hu-Hubschraubereinsatz!“. Was das solle? „Na, wegen dem Scheich“. Hamas-Gründer Scheich Achmed Yassin wurde von einem israelischen Hubschrauber aus im Rollstuhl ermordet.

Zur Demonstration aufgerufen hatten die Redaktion Bahamas, die prozionistische Linke Frankfurt, No Tears for Krauts, Halle, Queer for Israel und andere Scharon- und Bush-Gruppen. Die Berliner Polizei schützte in loser Reihe die Demonstranten vor ein paar Dutzend Gegnern und nahm einen jungen Mann mit Palästinensertuch fest, der offenbar eine israelische Fahne an sich gebracht hatte. Seine Hip-Hop-Hose verrutschte bei der Festnahme. Die Unterhose war wie die US-Fahne gemustert.

Ein junger Demonstrant antwortete auf die Frage, warum er in einem Zug mit US-Fahnen eine rote Fahne trage: Er sei Kommunist. Die USA hätten Saddam gestürzt, nun bestünde die Chance auf Demokratie im Irak. Auf dem Weg zum Kommunismus müsse diese Phase durchlaufen werden.

An einer Straßenecke brüllten Gegner: „Nazis raus!“ Einige Demonstranten stellten sich mit ihren Israelfahnen gegenüber auf und brüllten ebenfalls: „Nazis raus!“. Bald brüllten beide synchron. Ein Beobachter, Doktorand an der TU Berlin in Sachen linker Antisemitismus und Antisemitismusvorwurf, meinte gehört zu haben, wie zwölfjährige Orientalen gerufen hätten: „Juden raus!“. Ich solle das unbedingt berichten.

Einige Zuschauer erklärten die Demonstranten für verrückt. Andere vermuteten eine Provokation. „Den gehen die Juden am Arsch vorbei. Die wollen Randale im Kiez. Das sind Rechte.“

In den beiden West-Berliner Arbeiterbezirken wohnen Deutsch- und Türkischsprachige, Akademiker und Aussteiger, Arbeiter und Arbeitslose einigermaßen einträchtig nebeneinander. Manche von ihnen haben schon gegen Polizisten die Fäuste geschwungen. Das Elend wächst, und mit ihm sinkt die Aussicht auf Besserung. Was liegt da näher, als Vorwürfe an die falsche Adresse zu richten. Die richtige hat schließlich die Macht.

Allerdings, so könnten die Bush- und Scharon-Freunde festgestellt haben, mag sich der Antisemitismus in Kreuzberg nicht recht verbreiten. Die Synagoge am Fraenkelufer ist zwar bewacht, die Betreiber aber haben freundlichen Kontakt mit ihren Nachbarn, etwa mit der Großkommune in den einst besetzten Häusern gleich nebenan. Doch Kinder sollen gerufen haben: „Juden raus!“ Hat ein Doktorand gehört. Sagt er.

Wäre der Kiez auf die Provokation eingegangen, dann hätte Springer schon die passende Schlagzeile für den Krawall gefunden. Doch diesmal hat’s nicht geklappt.
 14. Juli 2004