Der Stand der Bewegung: Am Arsch die Räuber!
Gruppe Internationaler SozialistInnen (GIS) 28.
September 2004
Einige Bemerkungen der GIS zu den
Perspektiven gegen Hartz IV
Es lässt sich wohl nicht mehr drum herum reden: die Teilnehmerzahlen
der Montagsdemonstrationen sind rückläufig, die Bewegung scheint ihren
Zenit überschritten zu haben. Einige freut das, andere schieben Frust. Was
waren die Montagsdemonstrationen? Wo lagen ihre Grenzen, und welche weitergehenden
Perspektiven gibt es? Eine breit diskutierte Frage, zu der auch wir unseren Senf
dazugeben.
Eine neue Dynamik des sozialen Protestes
Die Montagsdemonstrationen entwickelten sich vor einem eigenartigen Hintergrund
und kamen für nahezu alle politischen Beobachter unerwartet: Die Proteste
bei Daimler Chrysler waren gerade von der IG-Metall kanalisiert worden, was für
die Kollegen Arbeitszeitverlängerungen und Lohnverzicht bedeutete. Der DGB
war voll und ganz auf Nachverhandlungen über die Reformvorhaben der Bundesregierung
orientiert. Diverse Sozialforen, Attac und Erwerbsloseninitiativen brüteten über
einen großspurigen Kampagnenplan für einen „heißen Herbst“.
Die so genannte „radikale Linke“ befand sich in der obligatorischen „Sommerpause.
In dieser Situation entwickelte sich aus vereinzelten Kundgebungen in Magdeburg
und Leipzig geradezu wildwüchsig die Bewegung der Montagsdemonstrationen.
Auf einmal demonstrierten in mehreren Städten Tausende von Menschen gegen
Hartz IV. Dies stellte eine neue Dynamik in der sozialen Protestbewegung dar,
wenn man sich den Entwicklungsprozess vorheriger Bewegungsansätze vor Augen
hält.
Die Entwicklung des Protestes
gegen die Agenda 2010
Schauen wir einmal kurz zurück: Mit dem Begriff „Agenda
2010“ konnten viele Menschen lange Zeit nichts anfangen. Er wurde vage
mit irgendwelchen von der Bundesregierung geplanten „Reformen“ in
Verbindung gebracht, die irgendwie „notwendig“ seien. Was jedoch
genau dahinter steckte, war vielen nicht klar. Bundeskanzler Schröder präsentierte
die Grundzüge der „Agenda 2010 in seiner so genannte „Blut-Schweiß-
und Tränenrede“ am Vorabend des Irakkrieges. Einem Zeitpunkt, wo die
so genannte „Kritische Öffentlichkeit“ und nahezu das gesamte Spektrum
der Linken auf die Machenschaften der Bushadministration fixiert waren, und auf
die Straße gingen, um dem Bundeskanzler bei seinem „deutschen Weg“ den „Rücken
zu stärken“. Von der so genannte „sozialen Frage“, beziehungsweise
der Perspektive des Klassenkampfes wollte keiner etwas wissen. (Bizarrerweise
kritisiert dasselbe Spektrum heute die Bundesregierung dafür, eine „Amerikanisierung
der Verhältnisse“ zu betreiben.) Nicht zuletzt aufgrund der Bremserpolitik
der Gewerkschaften entwickelte sich der soziale Protest gegen die Agenda 2010
schleppend und war von mehreren Rückschlägen gekennzeichnet. Der angekündigte
heiße Protestsommer 2003 entpuppte sich ziemlich schnell als lauwarmes
Lüftchen. Nach der Niederlage des ostdeutschen Metallerstreiks schien die
Perspektive sozialen und solidarischen Widerstandes in der öffentlichen
Wahrnehmung weitgehend diskreditiert. Die unerwartet große Demonstration
von 100 000 Menschen am 1. November in Berlin stellte einen Wendepunkt dar.
Sie war ein Indikator dafür, dass etwas Neues im Entstehen begriffen war.
Sozialabbau und Verarmung wurden nicht mehr als unabwendbares Schicksal begriffen.
Wut, Empörung und die Bereitschaft etwas gegen die Sparschweinereien zu
unternehmen, prägte auch die Stimmung der vom DGB kontrollierten Demos am
3. April dieses Jahres. Dennoch gelang es dem DGB mühelos die Demos auf
das übliche Beschwörungsritual für soziale Gerechtigkeit zu reduzieren.
Das in absehbarer Zeit eine spontane Protestbewegung entstehen könnte, war
zu diesem Zeitpunkt kaum vorstellbar.
Stoßrichtung und Tragweite von Hartz IV: Ein Frontalangriff
auf die Arbeiterklasse
In einem von wachsender Unsicherheit und sozialen Ängsten geprägten
Klima, wurden die unter dem Schlagwort Hartz IV lancierten „Arbeitsmarktreformen
mit großem Unmut aufgenommen. Dies lag weniger an den „handwerklichen
Fehlern“ der Regierung, sondern daran, dass die gesamte Stoßrichtung
und Tragweite der Hartzreformen schnell begriffen wurde. Hartz IV ist nicht einfach
nur eine weitere „normale“ Schikane von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängern,
sondern ein frontaler Angriff auf alle Lohnabhängigen: In Zeiten, in denen
tagtäglich weitere Entlassungen angekündigt werden, kann es jeden treffen.
Die Aussicht nach dem Verlust des Arbeitsplatzes so ziemlich alles zu verlieren
wofür man gearbeitet hat, womöglich bis zum Lebensende von Sozialleistungen
abhängig zu sein, gemeinnützige Zwangsarbeit verrichten zu müssen,
oder sich als „working poor“ in allerlei prekären Beschäftigungsverhältnissen
abzustrampeln und dabei doch nur noch weiter in die Verschuldung und die Armut
abzurutschen, ist nicht gerade erquicklich. Am Reizwort „Hartz IV“ kristallisierte
sich lang aufgestaute Wut und Empörung. Insbesondere die Verschickung der
ersten „Hartz IV-Fragebögen“ und die damit einhergehenden Konfusionen
und Verunsicherungen, waren ein wesentlicher Auslöser der Proteste.
Das Element der Spontanität
Das bemerkenswerte an der Bewegung der Montagsdemos war ihr spontaner Charakter.
Die Montagsdemonstrationen wurden anfangs nicht von politischen Organisationen
oder Gruppen, sondern von Einzelpersonen (mit zuweilen sehr obskurem Hintergrund)
angemeldet und organisiert. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sprach
in diesem Zusammenhang von einem „Aufstand der Normalos“. (Der Spiegel,
Nr. 34/16. August 2004) Organisationen der bürgerlichen Linken (Attac, Sozialforen
etc) und Untergliederungen der Gewerkschaften konnten erst später auf die
Bewegung aufspringen und ihr ihren organisatorischen Stempel aufdrücken.
Allerdings gelang es ihnen nicht, eine organische Verbindung mit der „Masse“ der
Demonstrierenden zu entwickeln beziehungsweise genuinen Masseneinfluss zu erlangen.
Ihr „Einfluss“ und ihre Kontrolle über die Bewegung basierte
im Wesentlichen auf der Macht über Mikrofone, Lautsprecherwagen, Infrastruktur,
ihrer „politischen Kompetenzen“ sowie Medienkontakten. Die diversen
Vorbereitungs- und Aktionsbündnisse blieben eine Domäne der Funktionäre
und Hobbypolitiker. „Normalos“ verirrten sich in diese durch Machtkämpfe
und Kompetenzgerangel geprägten Strukturen nur selten – und wenn dann „nur
einmal und nie wieder“ (O-Ton). Ein „spontanes Element“ blieb
jedoch weiterhin prägend, und für die Bewegung im Ganzen auch charakteristisch.
Davon zeugten die vielen selbstgemalten Transparente und Schilder, die jedoch
eine sehr breit gefächerte Bandbreite unterschiedlichster politischer Ideen
und Vorstellungen zum Ausdruck brachten. Allgemein herrschte die Stimmung vor,
dass man sich „von denen da oben“ nicht alles gefallen lassen dürfe,
und dass es höchste Zeit sei „auf die Strasse“ zu gehen. Im
weitesten Sinne waren die Montagsdemonstrationen heterogene Manifestationen gegen
die Arroganz der Macht, mit denen die Herrschenden immer weitere soziale Angriffe
lancieren.
Die ostdeutsche Ausrichtung – „Wir sind das Volk!“
Zwar breitete sich die Bewegung sehr schnell auf ganz Deutschland aus, Mobilisierungszentrum
blieb jedoch Ostdeutschland. Es gelang der Bewegung nicht im Westen Wurzeln zu
schlagen. Zuweilen hatten die Kundgebungen und Demos in westdeutschen Städten
etwas Künstliches und blieben auf den Kreis der „üblichen Verdächtigen“ beschränkt.
Die Mobilisierungsstärke im Osten erklärt sich zum einen aus den katastrophalen
Auswirkungen von Hartz IV auf die Lebensverhältnisse in Ostdeutschland.
Gleichzeitig kam aber auch die Wut über die Kahlschlagspolitik des so genannte „Aufbau
Ost“ als spezifisches Moment zum tragen. Mit der Parole „Wir sind
das Volk“ wurde an den Widerstand gegen das SED-Regime angeknüpft,
was ein enormes Medienecho hervorrief. Die Parole „Wir sind das Volk“ drückte
gleichermaßen Wut und Unmut über „die da oben“, als auch über
weit verbreitete demokratische Illusionen aus. Die Losung markierte gleichzeitig
auch die Grenzen der Bewegung. Mit der Selbstinszenierung als „Volk“,
welches „denen da oben“ mal gehörig die Meinung sagt, wurde
die Machtillusion des Staatsbürgers hervorgekitzelt und von den Realitäten
der real existierenden Klassengesellschaft abstrahiert. Ebenso entwickelte sich
hier auch zuweilen ein Resonanzboden für nationalistische Argumentationsmuster.
Auf der Ebene einer rein appellativ agierenden Bürgerrechtsbewegung konnte
jedenfalls nicht zu einer weitergehenden Kritik der Verhältnisse vorgegangen
werden. Ebenso blieb der Blick auf weitergehende Aktionsformen versperrt. Montags
als betroffener Bürger“ protestieren und den Rest der Woche malochen,
beziehungsweise sich auf allerlei Ämtern rumschlagen – auf dieser
Basis war es eine Frage der Zeit, bis sich die Bewegung irgendwann die Hacken
ablaufen würde.
Die Nazis
Die Nazis spielten bisweilen auf den Montagsdemonstrationen eine Rolle, allerdings
nicht die, die von diversen Medien und auch einigen so genannten „radikalen
Linken“ herbeigeschrieben wurde. Nazis traten insbesondere dort verstärkt
auf, wo sie sich bereits eine Verankerung „erarbeitet“ hatten. Sicher,
die Organisatoren der Demos waren mit der Präsenz von Nazis meist überfordert,
linke Gruppen agierten zuweilen hilflos und ungeschickt. Dennoch gelang es den
Nazis nicht die Demos zu dominieren oder entscheidende Akzente zu setzen. Dort
wo die Nazis versuchten eigenständige Montagsdemos zu organisieren, endete
dies in einer Blamage. Generell herrschte bei den meisten Leuten die Tendenz
vor, sich von Nazis abzugrenzen. Die Nazis dürfen nicht unterschätzt
werden. Sie stellen ein Problem dar, allerdings eines von vielen. Die Option
einer „sozialen Bewegung von rechts“ ist nicht für alle Ewigkeit
ausgeschlossen, aber sie stellt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als
unmittelbare Gefahr. Das Resonanz- und Rekrutierungsfeld der Nazis bleibt weiterhin
die Vereinzelung, Resignation und Apathie. Revolutionäre Politik hat sich
daher nicht nur gegen die Nazis zu richten sondern gegen die gesellschaftlichen
Verhältnisse in ihrer Gesamtheit. Allen Bemührungen mit der Werbetrommel
des Antifaschismus zur Demokratieverteidigung zu mobilisieren, sollte eine klare
Absage erteilt werden. (siehe dazu die GIS-Stellungnahme: Nur der Kampf gegen
den Kapitalismus ist wirklicher Kampf gegen den Faschismus)
Die Nervosität der Herrschenden
Im politischen Establishment lösten die Montagsdemonstrationen Nervosität
und hektische Betriebsamkeit aus. Sowohl Regierung als auch Opposition hatten
und haben ihr politisches Schicksal an die Umsetzung der Arbeitsmarktreform Hartz
IV gebunden. Die politischen Verhandlungsspielräume waren und sind nach
wie vor eng. Mit Ausnahme der PDS konnte keine der etablierten Parteien Kapital
aus der Bewegung schlagen.
Die Tatsache, dass Bundeskanzler Schröder sein Kabinett aus dem Urlaub
zurückrief und kosmetische „Nachbesserungen“ an den Hartzreformen
in Aussicht stellte, gab der Bewegung weiteren Auftrieb. Als weiterer Mobilisierungsfaktor
wirkte anfangs auch die Empörung über Bundeswirtschafsminister Clement,
der den historischen Bezug der Proteste auf den Widerstand gegen das SED-Regime
als „Zumutung“ abgekanzelt hatte. Vor diesem Hintergrund wurden gelegentlich
auch „softere“ Töne angeschlagen, etwaige „soziale Schieflagen“ eingestanden
und über den „notwendigen sozialen Ausgleich in unserer Gesellschaft“ nachgedacht.
Die Bundesregierung bemühte sich die Proteste auf ein „Vermittlungsproblem“ zurückzuführen
und kündigte eine umfassende „Aufklärungskampagne“ und
zuweilen auch „Gespräche“ an.
Als daraufhin der Kanzler mit einem Eierwurf bedacht wurde, standen alle
Zeichen auf „Demokratieverteidigung“ und Hysterie. Hinter allen Warnungen
vor Demagogen oder vor einem „informellen Bündniss aus Rechtsextremisten,
Absteigern und PDS“ (Der Spiegel) war die Angst vor dem unbekannten Phänomen
eines spontanen sozialen Protestes deutlich spürbar.
Die Grenzen der Bewegung
Das Hauptproblem für die Entwicklung der Bewegung waren weniger die
vielfältigen Medienkampagnen, sondern ihre eigenen Widersprüche und
Begrenzungen. Vielen Menschen wurde schnell klar, dass sich Hartz IV durch pures
Demonstrieren allein nicht verhindern ließe. Gleichzeitig waren weitergehende
Aktionsformen und Perspektiven nicht greifbar. Dies war die Stunde der vielen „Realpolitiker“ die
sich nun dafür aussprachen, die Bewegungen auf realistische Ziele zu reduzieren,
beziehungsweise „das Gesprächsangebot der Regierung nicht auszuschlagen“.
Aus den Reihen von Attac und Wahlalternative wurde Oskar Lafontaine als Redner
für die Montagsdemos ins Spiel gebracht. Im Blitzgewitter der Medien konnte
sich dieser kurzzeitig als Volkstribun feiern. Eine Figur, die sich als eine
der ersten für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie
für „gemeinnützige Arbeiten“ ausgesprochen hatte und auch
sonst mit rassistischer Hetze gegen Aussiedlerfamilien nicht hinter dem Berg
gehalten hatte. Von all dem wollte nun „niemand“ etwas wissen. Allgemein
verschob sich der Blick weg vom sozialen Protest auf der Straße hin zur
Option einer neuen „Links“partei, also auf institutionelle parlamentarische „Lösungswege“.
Die Gewerkschaften
Auch den Spitzen des DGB war die Bewegung der Montagsdemonstrationen nicht
ganz geheuer. Als einer der ersten warnte DGB-Chef Michael Sommer vor „Rattenfängern“ und „Demagogen“,
die dort ihr Unwesen treiben könnten. Die DGB-Gewerkschaften hatten die
grundlegenden Konturen der Agenda 2010 und Hartz IV gemeinsam mit Regierung und
Arbeit„geber“verbänden mitverhandelt. Ihr politisches Kalkül
zielte und zielt darauf ab, die Umsetzung von Hatz IV „kritisch zu begleiten“.
Eine spontane außerhalb seiner Kontrolle agierende soziale Protestbewegung
passte dem DGB ganz und gar nicht in den Kram.
Mit der Entwicklung der Bewegung sahen sich die DGB-Oberen zu einer etwas
janusköpfigen Strategie gezwungen. Während der DGB-Vorstand nicht „offiziell“ zu
den Montagsdemonstrationen aufrief, blieb es den örtlichen Untergliederungen
der Gewerkschaften „freigestellt“, sich an den Protesten zu beteiligen,
um nicht die letzte Tuchfühlung und die Kontrolle über die Bewegung
zu verlieren. Örtliche Gewerkschaftsfunktionäre schalteten sich mit
der gesamten Infrastruktur des Gewerkschaftsapparates massiv in die Bewegung
ein, um sich dann, offenbar auf Anweisung von ganz oben, unter fadenscheinigen
Begründungen langsam wieder zurückzuziehen. Der Möglichkeit Erwerbslose
und Menschen mit geringen Einkommen zu überregionalen Großdemonstrationen
zu mobilisieren, wurden dadurch enge Grenzen gesetzt. Aufgrund ihrer Heterogenität
und diverser zentrifugaler Tendenzen ist es der Bewegung nicht in Ansätzen
gelungen eigenständige und überschaubare Kommunikations- und Organisationsstrukturen
(Spendenfonds etc.) zu entwickeln.
ML contra Klüngelkartell: Das Verhängnis „linker“ Vereinnahmungsstrategien
Die Entwicklung der Montagsdemos wurde von den obligatorischen Macht- und
Schaukämpfen vorgeblich „linker“ Organisationen begleitet, was
sich ab einem bestimmten Zeitpunkt als grundlegendes Problem für die Entwicklungspotentiale
der Bewegung in ihrer Gesamtheit erwies. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen über
Einfluss und Kontrolle standen auf der einen Seite die aus der mao-stalinistischen
Tradition kommende MLPD und ihre Front- und Vorfeldorganisationen, auf der anderen
das übliche Klüngelkartell aus PDS, Attac, Wahlalternative, Linksruck
und anderen unangenehmen Erscheinungen. Die Stalinisten der MLPD waren bisher „nur“ durch
die Propagierung einer mehr als obskuren „neuen Denkweise“ und unerträglich
schlechtes Liedgut unangenehm aufgefallen. Die Entwicklung der Montagsdemonstrationen
wurde von ihr als „Stimmungsumschwung der breiten Volkmassen“ interpretiert
und als Chance begriffen ihren Alleinvertretungsanspruch als „die Arbeiterpartei
der Zukunft“ unter Beweis zu stellten. Durch mal mehr mal weniger geschickte
Manipulation der von ihr betriebenen „offenen Mikrofone“ und gekünstelte
Abstimmungen versuchte sie die Bewegung auf die Losung „Weg mit Hartz IV – das
Volk sind wir“ festzulegen, um unter dieser Losung am 3. Oktober einen „Marsch
auf Berlin“ zu organisieren. O-Ton: „Wir wollen Hartz IV ganz weghaben – Kosmetik
akzeptieren wir nicht! Wir greifen ganz entschieden jede Partei und jede Regierung
an, die diese Politik verfolgt. Mobilisiert am 3. Oktober zu einem bundesweiten
Sternmarsch nach Berlin. Das ist unsere deutsche Einheit!“ Kern der folgenden
Auseinandersetzungen waren weniger die plumpen populistischen und nationalistischen
Implikation dieses Vorstoßes, sondern der Umstand, dass das Lager aus Attac,
Wahlalternative etc. wiederum seinen Führungsanspruch über die Bewegung
in Frage gestellt sah. Der MLPD-Initiative setzten sie das Projekt einer Großdemo
am 2. Oktober unter der Losung „Gegen Hartz IV – Für soziale
Gerechtigkeit! Wir haben Alternativen!“ entgegen. Alles im allem eine reformistische
Weichspülerlosung mit einem klaren Bekenntnis zum Dialog mit der Macht.
Beide Seiten kämpften in diesem Streit mit harten Bandagen: Gegenseitige
Spaltervorwürfe, Denunziationen, Manipulationen von Redelisten und ganzen
Veranstaltungen und Kundgebungen. Bemerkenswert und charakteristisch für
beide Seiten ist, dass in diesen Auseinandersetzungen auch auf den Staatsapparat
zurückgegriffen wurde. Offenkundig wurde während einer Demo in Berlin
die Polizei gegen einen MLPD-Block eingesetzt, beziehungsweise der Bulleneinsatz
hingenommen, während die MLPD sich nicht zu schade war, Personen der „Gegenseite“ mit
Verleumdungsklagen“ vor bürgerliche Gerichte zu zerren. Es passierte
also alles das, was zwangsläufig passieren muss, wenn Bürger sich streiten.
Viele Menschen wurden durch diese Machtkämpfe irritiert, fühlten sich
nicht zu Unrecht von beiden Seiten instrumentalisiert und blieben in Folge den
Demos einfach fern.
Die Bürokratisierung von „Bewegungsstrukturen“ und
die Logik bürgerlicher Stellvertreterpolitik
In diesem Machtkampf der Apparate musste die MLPD auf kurz oder lang unterliegen.
Es ist durchaus möglich, dass ihr als Folge davon demnächst eine tiefe
innere Krise ins Haus steht. Charakteristisch für die allgemeine Schwäche
der Bewegung ist die schnelle feindliche Übernahme und Bürokratisierung
von Strukturen, die sie in Ansätzen hervorbrachte. Es ist nach wie vor der
erklärte Anspruch und Ziel des Beziehungsgeflechtes aus Attac, Wahlalternative,
Linksruck etc. auf „gleicher Augenhöhe mit den Gewerkschaften“ über
die Ausrichtung und Zielsetzung des sozialen Protestes mitentscheiden zu können.
Bis dahin ist es noch ein längerer Weg. Die bisher geschaffenen informellen
Netzwerke sowie ihre Methoden und Herangehensweise stehen dem Agieren von Gewerkschaftsbürokraten
jedenfalls in nichts nach. Es ist mittlerweile gelungen mit Geldern aus Stiftungen
und dubiosen Quellen einen ansehnlichen Stellenpool zu schaffen, der das Instrumentalisieren
und Kanalisieren ungemein vereinfacht. Der in diesem Zusammenhang häufig
kolportierte Bestechungsvorwurf ist nicht ganz von der Hand zu weisen, aber auch
zu kurz greifend. Bürokratische Strukturen entwickeln immer ihre spezifische
Eigendynamik. Ein eingehender und prüfender Blick auf die Charakterstrukturen
der tonangebenden Profilneurotiker reicht mitunter schon aus, um zu verstehen,
dass sie für ein paar hundert Euro und die Aussicht auf mediale Selbstdarstellungen
eben so funktionieren und handeln, wie sie es eben tun. Politischer „Erfolg“ misst
sich für dieses Klientel in erster Linie an medialer Präsenz beziehungsweise
der „gesellschaftlichen Vermittlung“ ihrer stets staatskonformen
Positionen. Das Verhältnis zu „den Menschen“ beziehungsweise „der
Masse“ ist dabei immer ein instrumentelles. So kommen besonders gewiefte „Bewegungsstrategen“ auch
schon mal auf die Idee die Montagsdemos „abzusagen“ und eine nicht
näher bestimmte „kreative Protestpause“ einzulegen.
Nie wieder Einheitsfront! Die Unmöglichkeit revolutionärer
Bündnispolitik
Vor diesem Hintergrund ist es ein Ding der Unmöglichkeit in den vielfältigen
Bündnissen „im revolutionären Sinne“ zu arbeiten. Sicher
gibt es in den Bündnissen viele Gruppen und Einzelpersonen mit hehren, zuweilen
sogar ehrlichen Absichten. Die Grenze ihres Engagements ist jedoch schon durch
die gesamte bündnispolitische Ausrichtung markiert, dem Anspruch auf dem
kleinsten gemeinsamen Nenner, beziehungsweise dem faulsten Kompromiss „möglichst“ breit
in „die Gesellschaft“ hineinzuwirken. Sicher, auf den diversen „breiten“ Bündnistreffen
wird zuweilen ganz großes Kino geboten, mit den konkreten Realitäten
und Problemen der Bewegungsansätze hat das aber in den seltensten Fällen
zu tun. Es ist nicht falsch gelegentlich hinzugehen, Infos zu sammeln, um die
nächsten Manövertricks im voraus analysieren und einschätzen zu
können. Mitunter können derartige Zusammenkünfte auch genutzt
werden, um die Widersprüche hervorzukitzeln Unsere Kritik an den Verhältnissen
hat jedoch rein gar nichts mit der Sozialstaatsnostalgie und dem Arbeitsfetischismus
von Attac, Wahlalternative, Linksruck etc. zu tun. Warum also Gemeinsamkeiten
vortäuschen, die es nicht gibt und sich dabei noch in schlechte Gesellschaft
begeben. Unsere Ablehnung von „Bündnisarbeit“ basiert nicht
nur auf Bequemlichkeit sondern auf prinzipiellen politischen Überlegungen.
Wir betrachten die dort tonangebenden Kräfte nicht einfach nur als „rechten
Rand“ oder „reformistischen Flügel“, sondern als linksbürgerliche
Strömungen, deren originäre Funktion es ist, Bewegungen zu instrumentalisieren
und kanalisieren. „Bündnispolitische Optionen“ gibt es aus dieser
kommunistischen Sicht der Dinge also nicht.
Links ist da wo keine Szene ist
Die falscheste Schlussfolgerung daraus, wäre der Rückzug in die
mehr als versifften Strukturen des Szeneghettos. Während der Montagsdemos
wurde wieder einmal die geradezu charakteristische Unfähigkeit der so genannte „autonomen
Linken“ deutlich, sich auch nur in Ansätzen auf eine reale soziale
Protestbewegung zu beziehen. Einigen besonders Schlauen reichte ein kurzer oberflächlicher
Blick über den eigenen Tellerrand, um „eine konformistische Revolte“ oder
sogar eine „völkische Mobilmachung“ zu sehen. Diejenigen, die
den „Sprung ins kalte Wasser“ wagten, konnten ihre Parolen und Inhalte
mehr schlecht als recht vermitteln. So richtig und schön Losungen wie „Für
ein schönes Lebens für alle“ auch sein mögen, sozialrevolutionäre
Sprengkraft haben sie nicht. An den konkreten Lebensrealitäten der meisten
Teilnehmer wurde weitgehend vorbeiagitiert. Radikale Linke waren anwesend, als
solche wahrgenommen wurden sie nicht. Die schrumpfenden Szenestrukturen erweisen
sich mehr und mehr als Paralleluniversum für gekränkte Eitelkeiten
und esoterische Identitätspolitik, die im Wesentlichen auf die Selbstverortung
auf einem immer umkämpfteren Meinungsmarkt abzielt. Auch wenn diesem Spektakel
ein gewisser Unterhaltungswert nicht abgesprochen werden kann, Perspektiven für „sozialrevolutionäre
Praxen“ oder gar „antagonistische Widerstandsstrategien“ lassen
sich aus den hochtrabenden Szenediskursen weder ersehen, noch „ableiten“.
Perspektiven
Es ist derzeit nicht absehbar, ob und auf welchen Niveau die Montagsdemos
sich halten können. Alles deutet darauf hin, dass sie abklingen werden.
Sicher gibt es Frustrationsprozesse bei vielen Aktivisten. Dennoch stellten die
Montagsdemos mit ihrem spontanen Element eine neue Qualität der sozialen
Auseinandersetzung dar. Es sieht so aus, dass auf längere Sicht wieder neue
Bewegung in die Klassenkämpfe kommt. Es bleibt abzuwarten, welche Wellen
der Skandal um Karstadt schlagen wird, wie der Tarifkampf der VW-Kollegen sich
entwickeln wird, ob und wie der Erpressungsversuch gegen die Kollegen von Opel
aufgehen wird. Möglichkeiten sich dort einzuschalten und eine Brücke
zum Generalangriff Hartz IV zu schlagen gibt es genug. Auch wenn die sozialen Ängste
bei vielen tief sitzen und weiter um sich greifen, es gibt ein weit verbreitetes
Bewusstsein dafür, dass die Angriffe uns alle treffen und es höchste
Zeit ist gemeinsam etwas dagegen zu unternehmen. Dies bietet perspektivisch die
Chance, dass sich die Kämpfe in Zukunft wieder stärker aufeinander
beziehen, und verallgemeinert werden können. Es gibt eine nicht zu unterschätzende
Tendenz zur Herausbildung einer neuen Klassenidentität, und ein weit verbreitetes
Misstrauen gegenüber den traditionellen Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften.
Das politische System rutscht mehr und mehr in eine Legitimitätskrise. Das
Beispiel Daimler Chrysler zeigt sowohl die wachsende Kampfbereitschaft vieler
Kollegen, als auch die Fähigkeiten der Gewerkschaften diese Kämpfe
zu kontrollieren und klein zu halten. Gleichzeitig gibt es die Beispiele der
Arbeitsniederlegung bei Ford (Köln), dem Streik bei der S-Bahn (Berlin)
etc., Kämpfe die außerhalb und gegen die Kontrollmechanismen der Gewerkschaften
stattfanden. Hier gibt es eine wichtige Parallele zu den Erfahrungen in anderen
Ländern wie Italien, England, Frankreich, Polen etc. Wir halten es für
notwendig, diese Kämpfe in einem internationalen Zusammenhang zu sehen und
zu diskutieren. Ebenso halten wir es für wichtig mit Genossen aus anderen
Ländern in einen Diskussionsprozess über die Ausgangsbedingungen und
Perspektiven des Widerstandes zu kommen. Vorab laden wir an dieser Stelle schon
einmal zu einer Veranstaltung zum Thema „Krise, Klassenzusammensetzung
und die Perspektiven der Klassenkämpfe“ ein, zu der wir Genossen von
Battaglia Comunista (Italien) und der Communist Workers Organsiation (Großbritannien)
eingeladen haben. Sie wird Ende November in Berlin stattfinden. Weitere Ankündigungen
folgen.