zurück | soziale kämpfe
Personal-Service-Agenturen zerschlagen
Initiative „Weg mit der Agenda“ 11. Februar 2004


Ich spreche für die Initiative „Weg mit der Agenda“. Wir arbeiten innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften und in verschiedenen Bündnissen, um uns gegen die Zumutungen der Agenda 2010 zu wehren. Die Beteiligung von 100 000 Menschen an der Demonstration am 1. November 2003 gegen Sozialkahlschlag hat gezeigt, dass die Wut bei vielen, egal ob erwerbslos oder beschäftigt, sehr groß ist, und dass es möglich und nötig ist, Widerstand selbst zu organisieren. Gegen alle Bedenken, alles Kleinhalten und Hinhalten seitens der Gewerkschaftsführung. Uns geht es darum, diesen Widerstand auszuweiten und zu verschärfen. Vor allem wollen wir gegen die Spaltungen vorgehen in Erwerbslose, ungesichert Beschäftigte und zusehends schrumpfende Stammbelegschaften, die zu immer weiteren Zugeständnissen gezwungen werden sollen.

Deswegen haben wir am 20. Oktober letzten Jahres, dem Aktionstag zur Mobilisierung für die Demo am 1. November, eine Kundgebung vor Siemens mitorganisiert, an der sich sowohl Betriebsräte verschiedener Betriebe als auch das Anti-Hartz-Bündnis und Erwerbslose beteiligten. Dort wurde klargemacht, dass Hartzgesetze und Agenda für Lohnabhängige keine Frage des Mitgestaltens sein können, sondern nur der entschiedenen Gegenwehr. Wo so rigoros die Interessen der Unternehmerseite durchgesetzt werden sollen, kann unsere Antwort kein Eingehen auf ihre Forderungen nach Lohnverzicht oder Arbeitszeitverlängerung beinhalten. Das sichert keine Arbeitsplätze, sondern Unternehmensgewinne.

Von Seiten der Wirtschaft wird der zu starre Arbeitsmarkt beklagt. Da stören der Kündigungsschutz, zu unflexible Arbeitszeitregelungen, zu hohe Löhne, die Tarifautonomie, betriebliche Mitbestimmung, letztlich die Gewerkschaften selbst. Außerdem seien Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe so hoch, dass die Motivation fehle, arbeiten zu gehen. Dass im September 2003 die Hälfte aller der Arbeitslosen, die noch nicht aus der Statistik geflogen sind oder gerade gesperrt waren, weniger als das steuerfreie Existenzminimum, nämlich 600 Euro im Monat erhielten, stört dabei nicht weiter, denn es geht um eben genau die Senkung der Grenze nach unten.

Der Arbeitsmarkt soll dereguliert, daher von den noch existierenden Rechten für Lohnabhängige befreit werden, das Lohnniveau insgesamt gesenkt und der Niederiglohnsektor massiv ausgebaut werden. Dafür wurden die Hartzgesetze geschaffen, als ineinander greifende Regelungen und Instrumentarien, die für die Durchsetzung dieser Ziele nötig sind. Die Personal Service Agenturen sind ein Teil davon. Mit ihnen wird die Leiharbeit zu Billiglöhnen staatlich erzwungen.

Die PSAs sollen laut Bundesregierung angeblich dazu führen, Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. In Wirklichkeit ist die Regierung im Verein mit den Unternehmensverbänden gerade dabei, eben diesen zu zerschlagen. Alle von ihnen in Angriff genommenen Maßnahmen laufen auf eine Schwächung der Stellung von Lohnabhängigen hinaus, feste, gesicherte Arbeitsverhältnisse sollen mehr und mehr die Ausnahme sein. In den verleihfreien Zeiten soll angeblich weitergebildet werden. Das sieht dann, wenn so was überhaupt stattfindet, so aus, dass zum x-ten Mal Bewerbungstraining oder ein Computergrundkurs absolviert werden muss, oder dass die PSA-Beschäftigten sogar selbst Kunden für ihren Verleiher akquirieren müssen. In den Verleihzeiten wird eben für den Entleihbetrieb und den PSA Betreiber gearbeitet, mal Treppenaufgänge geputzt und mal Sonntagmorgens am Markt verkauft, natürlich ohne Sonntagszuschlag.

Von den 2003 in PSAs Beschäftigten wurde jeder fünfte „verhaltensbedingt“ entlassen, das heißt wegen unpünktlichem oder ungepflegtem Erscheinen (laut FAZ vom 22. Januar 2004). Über das Verhalten, also den unbedingten Arbeitswillen und das nötige Maß an Unterwerfung entscheiden die ArbeitsvermittlerInnen.

Die in die PSAs gezwungenen Arbeitslosen sind verpflichtet, sich für zwischen rund fünf und zwölf Euro brutto pro Stunde verleihen zu lassen. Die ArbeitsvermittlerInnen entscheiden über den Einsatz der Arbeitskraft: persönliche Eignung, erlernter Beruf, Wohnort und ähnliches spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Der oder die PSA-Beschäftigte muss jede Arbeit im europäischen Wirtschaftsraum annehmen, und zwar zu Stundenlöhnen, die ihre Existenz kaum sichern können. So werden für Viele Zweit- und Drittjobs zur Notwendigkeit.

Um nun Arbeitslose aber überhaupt soweit zu bringen, zum Beispiel für knapp über fünf Euro arbeiten zu gehen, muss vorher erheblicher Druck gemacht werden, propagandistisch wie materiell. Fordern statt Fördern heißt das, und funktioniert so: die Lohnersatzleistungen (also Alogeld, -hilfe, Soz) werden gekürzt, und der Kreis derer, der überhaupt noch in ihren Genuss kommt, verringert durch veränderte Bedürftigkeitsprüfung, also strengere Anrechnung von Partnereinkommen und Vermögen. Die Einführung von ALG II steht für 2005 an, ALG II liegt unter dem Niveau der jetzigen Sozialhilfe. Die Regelung der Zumutbarkeit einer Arbeit wird bis zur Unkenntlichkeit verschärft, zumutbar ist jede nicht sittenwidrige Arbeit im europäischen Wirtschaftsraum.

Zur Durchsetzung der bedingungslosen Annahme jedes noch so miesen Jobs wurde die Verhängung der Sperrzeiten massiv erhöht. Von Januar 2003 bis Juli 2003 hat sich die Zahl der verhängten Sperrzeiten wegen Verweigerung der Annahme eines Jobs verdreifacht. Das heißt, es waren 140 000 Arbeitslose ohne Bezüge! Bei der dritten Sperrzeit fliegt man völlig aus der Arbeitslosenversicherung und hat auch keinen Anspruch auf die alte Sozialhilfe!

Damit ist sowohl die arbeitsmarktpolitische wie auch die ordnungspolitische Funktion erfüllt: Die Disziplinierung der Erwerbslosen, ihre Flexibilisierung, Entrechtung und Armut ist gesetzlich verordnet. Damit ist das Grundrecht auf freie Berufswahl und das Verbot der Zwangsarbeit abgeschafft. Klar ist, dass wer die Macht hat, auch das Recht hat. Ob die Hartz-Gesetze durchkommen bzw. bestehen bleiben, ist eine Frage der Kräfteverhältnisse!

Dahinter steckt der oben angesprochene, von Kapital und Regierung angestrebte Ausbau des Niedriglohnsektors. Das Potential an zusätzlichen Billigjobs wird in Deutschland mit 2,7 Millionen beziffert. Dazu ein Zitat aus einer Broschüre des Bundeswirtschaftsministeriums: „Die Tarifparteien müssen ihren Beitrag zur Schaffung neuer wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze im Bereich gering qualifizierter Arbeit leisten, indem sie die vergangene Entwicklung teilweise korrigieren und eine Absenkung der Entgelte in den unteren Lohngruppen vornehmen … Kommen die Tarifvertragsparteien ihrer Verantwortung nicht nach, so fällt dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, zu prüfen, ob und wie für die Gruppe der gering Qualifizierten eine tariffreie Zone eingerichtet werden kann.“

Außerdem, so ist in dieser Broschüre weiter zu lesen, wird die „partielle Umstrukturierung der Sozialhilfe von einer Lohnersatz- zu einer Lohnergänzungszahlung“ anvisiert. „Dieser Weg ermöglicht … die erforderliche Lohnspreizung und federt zugleich ihre Verteilungskonsequenzen ab.“

Das heißt im Klartext, dass der Staat hier als autoritäre Ordnungsmacht auftritt. Weigern sich die Gewerkschaften, die ihnen zugedachte Rolle auszufüllen, greift eben der Gesetzgeber ein, sei es durch die Einrichtung tariffreier Zonen, die Subvention von Unternehmen durch steuerfinanziertes Lohndumping oder, wie von Schröder in der Agenda angedroht, durch die gesetzliche Festschreibung von Öffnungsklauseln in Tarifverträgen.

Entscheidend ist der dahinter stehende Wille, über solche Instrumentarien Druck auf alle Beschäftigten auszuüben. Das betrifft Lohnhöhe ebenso wie Sicherheit der Arbeitsverhältnisse, Arbeitszeit ebenso wie Recht auf Interessensvertretung. Gerade die wird durch die Befristung und Differenzierung der Arbeitsverhältnisse enorm erschwert. Eben weil es sich nicht um einen isolierten Angriff auf Arbeitslose handelt, ist es so wichtig, dass wir uns nicht in diesem Sinne gegeneinander ausspielen lassen.

Die Agenda 2010 ist konsequente Politik im Sinne des Kapitals. Das Ziel ist vor vier Jahren beim EU-Gipfeltreffen in Lissabon eindeutig formuliert worden. Die EU, in der Deutschland eine Vorreiter Rolle spielt, soll bis 2010 in den führenden Wirtschaftsraum der Welt verwandelt werden. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit vor allem gegenüber den USA soll durch eine Lockerung gesetzlicher Auflagen sowie längere Lebensarbeitszeit und anderes mehr erreicht werden. Dabei geht es nicht einfach nur um Krisenmanagement. Der Sprung zur „dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt bis 2010“ (Zitat Schröder) kann nur gelingen, wenn den Lohnabhängigen eine entscheidende Niederlage beigebracht werden kann. Diese Aufgabe, die Reagan und Thatcher in ihren Ländern in den 80er Jahren umsetzten, steht nun hier vor Rot-Grün. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Agenda 2010 nicht einfach Sozialabbau bedeutet, sondern einen strategischen Angriff auf alle Lohnabhängigen, ihre Errungenschaften und ihre Kampffähigkeit.

Wir halten es für wichtig, diesen Zusammenhang zu sehen, denn sonst finden wir nicht zu den richtigen Antworten. Protest, der sich lediglich auf einzelne Aspekte beschränkt und das Ziel der genannten Angriffe außer Acht lässt, wird schwach bleiben. Insofern begrüßen wir die zahlreichen Initiativen und Bündnisse, die sich bisher gebildet haben, weil dort versucht wird, den politischen Zusammenhängen Rechnung zu tragen und Spaltungen zu überwinden. Für entscheidend halten wir in diesem Zusammenhang auch die europäische Zusammenarbeit. Die schon bestehenden betrieblichen und gewerkschaftlichen Kontakte müssen in dem Sinne ausgebaut werden, dass sie als kampffähige Strukturen funktionieren. Wir rufen deswegen dazu auf, unabhängige Bündnisse und auch das Europäische Sozialforum verstärkt für die Organisierung von Widerstand von unten zu nutzen.

Die drohenden Privatisierungen von Unternehmen der öffentlichen Infrastruktur, die Angriffe auf Bildungs- und Gesundheitswesen gehören ebenso zur Agenda wie die Angriffe auf die Tarifautonomie. Der derzeitige Arbeitskampf der IG Metall ist auch für andere Tarifauseinandersetzungen von Bedeutung. Der Forderung nach Arbeitszeitverlängerung müssen wir entschieden entgegentreten! Hier werden sich in nächster Zeit auf jeden Fall Möglichkeiten bieten, sich praktisch solidarisch zu verhalten.

Wir schlagen vor: weiter Aufklärungsarbeit und Öffentlichkeitsaktionen zu machen, die die öffentliche Ordnung stören, sei es bei PSAs, Arbeitsämtern oder im Straßenverkehr, als Erwerbslose auf Betriebsversammlungen zu sprechen und Beschäftigte im Kampf gegen Entlassungen zu unterstützen, Betriebe zu blockieren, die verstärkt PSA-Arbeitskräfte einsetzen oder einsetzen wollen, und Organisierungsversuche von LeiharbeiterInnen, wo möglich, zu unterstützen.

In diesem Sinne – Solidarität ist eine Waffe!
 11. Februar 2004