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PSA-Modellprojekt
Gegeninformationsbüro 7. November 2002

Beim Berliner Projekt „Zweite Schwelle“ werden
Elemente der Hartz-Vorschläge schon praktiziert


Am liebsten hätte schon der ehemalige Arbeitsminister Walter Riester die ersten PersonalServiceAgenturen (PSA) noch vor der Wahl aus der Taufe gehoben. Schließlich hatte die Hartz-Kommission diese an die Arbeitsämter angegliederten Leiharbeitsfirmen zur Wunderwaffe gegen die Arbeitslosigkeit erkoren. Doch er hatte das mit dem Chef der Bundesanstalt für Arbeit nicht abgesprochen. Der bremste ihn brüsk: Es fehlte bislang die gesetzlichen Grundlagen. Der nun im Bundestag zu ersten Lesungen vorliegende Gesetzesentwurf ist in etlichen Punkten gegenüber den Vorschlägen der Kommission verschärft. So ist keine zentrale PSA-Holding mehr vorgesehen, mit der ein Tarifvertrag für Leiharbeit abgeschlossen werden könnte. Damit kommt bei der Arbeitnehmerüberlassung per PSA künftig auch jener berüchtigte Randstadt-Tarifvertrag in Frage, der mit 3,41 Euro pro Stunde gerichtlich als nicht sittenwidrig gilt.

Zur Berlinwasser Holding AG gehört schon seit Jahren das Tochterunternehmen perdie.net (Personaldienstleistungs-Netzwerk). Sie stellt jährlich für zwölf Monate rund 100 Jugendliche ein, die der Konzern nach der Ausbildung nicht übernimmt. Während dieser Zeit werden sie innerhalb des Konzerns oder an Fremdfirmen ausgeliehen.

Nun wurde dieses Projekt ausgeweitet, und perdie.net übernimmt zusätzlich 20 arbeitslose Jugendliche, die nicht im Konzern gelernt haben, sondern vom Arbeitsamt vermittelt werden. Das erste PSA-Modellprojekt mit dem Namen „Zweite Schwelle“ richtet sich an Jugendliche mit abgeschlossener Berufsausbildung. Davon seien allein im Arbeitsamt Berlin-Mitte rund 3 700 unter 25 Jahren gemeldet. Für die rund 35 Prozent von ihnen mit abgeschlossener Berufsausbildung will nun das Arbeitsamt in Zusammenarbeit mit perdie.net die neuen Wege der Hartz-Kommission ebnen.

Wie bei der Neuordnung des Arbeitsmarktes angekündigt, bietet perdie.net den Unternehmen eine „Entlastung der eigenen Personaladministration“ und die Möglichkeit, neue Mitarbeiter „zu suchen und zu geringen Kosten auf Probe zu entleihen“. Wer gerade nicht ausgeliehen werden kann, qualifiziert sich nach den Angeboten der Qualifizierungskataloge des Berlinwasser-Konzerns weiter oder übernimmt eben eine gemeinnützige Arbeit.

Neben „Wie bewerbe ich mich richtig?“-Kursen ist jene Probezeitidee wiederzufinden, wie sie auch von der Kommission angestrebt wird: „Berufliche Praxis zu erwerben, unterschiedliche Tätigkeitsbereiche und Anforderungen der Wirtschaft zu erkunden“. Die Leiharbeit auf Probe à la Hartz setzt darauf, von der temporären Beschäftigung über den „Klebeeffekt“ im Entleihbetrieb permanent in Arbeit übernommen zu werden, obwohl oder gerade mit dem Wissen, daß der Austausch regulärer Beschäftigung durch Leiharbeit in unzähligen Betrieben bereits im vollen Gange ist. Bei der Berlinwasser Holding AG zeigt sich der Effekt, daß statt einer Übernahme der Auszubildenden, diese zu günstigen Konditionen vom Konzern bei perdie.net ausgeliehen werden können.

Vor allem kommt eins dabei heraus: „Arbeitgeber werden in die Lage versetzt, (...) junge, von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer kennenzulernen.“ Ganz im Sinne der Neugestalter des Arbeitsmarktes beinhaltet dies – neben der Aushöhlung des Kündigungsschutzes in den Betrieben – die Durchsetzung entgarantierter Arbeit außerhalb „starrer Beschäftigungsschutzstrukturen“ per Leiharbeit zu weit geringeren Löhnen.

Mit der staatlichen Förderung genau jener Entwicklung erübrigt sich der Traum in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen zu werden. „Zweite Schwelle“ wird damit tatsächlich wie die künftige PSA zur zweiten Schwelle, nämlich zur permanenten Hürde bei der Suche nach einer rechtlich und finanziell korrekten Arbeit.

Zum anderen verrieten uns bereits Hartz & Co beim Leiharbeitseinsatz, wohin die Reise geht. In gemeinnütziger oder ehrenamtlicher Arbeit sollen sich Jugendliche ausprobieren und ihre sozialen Kompetenzen steigern. Folgerichtig ist jene Qualifizierung auch bei perdie.net vorgesehen: „Sollte keine adäquate Verleihmöglichkeit gegeben sein, ermöglicht die perdie.net einen Einsatz (...) im Rahmen gemeinnütziger Projekte.“ Diese Projekte werden durch die Stiftung Vivendi Universal betreut. Ziel bei dieser Kooperation mit der Stiftung des französischen Mischkonzerns Vivendi, ist dann auch die „Steigerung der beruflichen und sozialen Qualifikation durch Beschäftigung im gemeinnützigen Bereich“. Und so könnten sich die jugendlichen Leiharbeiter bei perdie.net bald zur gemeinnützigen Arbeit in sozialen Einrichtungen wiederfinden. Interessant für jede soziale Einrichtung ist die Kooperation allemal, denn die Stiftung ist mit einem Fördermittelbudget von 300 000 Euro pro Jahr ausgestattet, mit denen soziale Einrichtungen unterstützt werden. Angewiesen auf jeden Fördertopf wird selbst für soziale Einrichtungen die Neuordnung des Arbeitsmarktes zum Teufelkreis zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In Anbetracht der miesen Haushaltslage in den sozialen Einrichtungen und stetigen Kündigungen könnte eines der Auswahlkriterien für die begehrten Fördermittel die Schaffung mindestens eines Arbeitsplatzes per perdien.net zur permanenten Ausleihe von Jugendlichen in gemeinnütziger Arbeit verkommen.

Last but not least machen die Qualifizierungsmodule die Sache rund. Denn insgesamt bietet diese Form der Beschäftigung enorme Einsparungen. Und so heißt es auch dann in einer Pressemitteilung von Berlinwasser: „Die in diesem Projekt entstehenden Kosten belaufen sich ca. auf ein Drittel der Kosten, die bei einer zwölf-monatigen Maßnahme der beruflichen Weiterbildung entstehen würden.“



Links zum Artikel:
www.stiftung-vivendi-universal.de
www.berlinwasser.de

Links zum Thema:
www.labournet.de
www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik/
www.anti-hartz.de
www.arbeitszwang.de
 7. November 2002