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Umzug der Bewegung der Revolutionaeren Linken (MIR)
Miguel Enriquez wurde wenige Monate nach dem Putsch von den Militärs ermordet
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Movimiento
de Izquierda Revolucionaria
Gegeninformationsbüro
11. September 2003
Interview mit dem Generalsekretär des M.I.R., Miguel Enriquez. Santiago
de Chile, Oktober 1973. Dieses Interview wurde im Untergrund in Santiago de Chile
von der französischen Journalistin Maria Leone geführt. Aus „Wiederstand
in Chile“, Wagenbach, 1974. „In Chile
ist nicht die Linke gescheitert, nicht der Sozialismus, nicht die Revolution,
nicht die Arbeiter. In Chile hat auf tragische Weise eine reformistische Illusion
ihr Ende gefunden.“
Warum ist Ihrer Einschätzung nach die Regierung Allende gestürzt?
Die Krise des Herrschaftssystems, die sich schon seit Jahren in Chile entwickelte,
kristallisierte sich in der Regierungsübernahme durch die UP. Damit spitzte
sich die Krise des Staatsapparates ebenso zu wie die Krise innerhalb der Bourgeoisie,
und damit verstärkte sich auch der Aufstieg der Bewegung der Massen. Diese
hat Bedingungen geschaffen, die, hätte man die Regierung als Instrument für
den Kampf der Arbeiter benutzt, in der Übernahme der Macht durch die Arbeiter
und in einer proletarischen Revolution hätten ausmünden können.
Aber das reformistische Projekt, das die UP durchzuführen versuchte, entwickelte
sich innerhalb der bürgerlichen Ordnung, richtete sich nicht gegen die Gesamtheit
der herrschenden Klassen – in der Hoffnung, einen Sektor davon gewinnen
zu können –, stützte sich nicht auf die revolutionäre
Organisation der Arbeiter, auf ihre eigenen Machtorgane, lehnte die Allianz mit
Soldaten und Unteroffizieren ab; die UP zog es vor, sich innerhalb des kapitalistischen
Staatsapparates und innerhalb des Offizierskorps der Streitkräfte zu stärken,
auf der Suche nach einer Allianz mit einer bürgerlichen Fraktion. Die reformistische
Illusion erlaubte den herrschenden Klassen, sich innerhalb des Überbaus des
Staates zu stärken und von da aus ihre reaktionäre Gegenoffensive zu
führen: zuerst indem sich die herrschenden Klassen auf die Unternehmerverbände
stützten, dann auf das Kleinbürgertum und schließlich auf das
Offizierskorps, um dann endlich, auf blutige Weise die Regierung zu stürzen
und die Arbeiter zu unterdrücken. Die reformistische Illusion haben die Arbeiter
grausam bezahlt, und sie bezahlen sie heute noch, genauso ihre Führer und
ihre Parteien, die tragisch und heldenhaft diese Illusion bis zum letzten Augenblick
verteidigten und heute auf dramatische Weise Worte des französischen Revolutionärs.
Samt Just aus dem XVIII. Jahrhundert bestätigen: „Wer die Revolution
nur zur Hälfte macht, gräbt nur sein eigenes Grab.“
Bedeutet die Niederlage der Linken in Chile Ihrer Meinung nach für
lange Zeit die Aufgabe des Kampfes für den Sozialismus in diesem Land?
Es scheint uns nicht an der Zeit, alte Differenzen innerhalb der Linken jetzt
wieder aufleben zu lassen. Aber doch scheint uns notwendig, dass die Arbeiter
und die Linke alle Lehren aus der chilenischen Erfahrung ziehen, um niemals mehr
in diese Fehler zu verfallen. Deshalb präzisiere ich: in Chile ist nicht
die Linke gescheitert, nicht der Sozialismus, nicht die Revolution, nicht die
Arbeiter. In Chile hat auf tragische Weise eine reformistische Illusion ihr Ende
gefunden: die sozioökonomischen Strukturen ändern und die Revolution
machen zu wollen mit der Passivität und der Zustimmung der herrschenden Klassen.
Der Kampf hört nicht auf; er beginnt erst. Er wird lang sein und schwer.
Die Massenbewegung und die Linke sind nicht besiegt worden. Unter den neuen Bedingungen
beginnt die Stärke der Arbeiterklasse, der gesamten Linken und der Revolutionäre –
die fürs erste geschlagen wurden, sich dann aber neu zusammenschließen –
erneut zu wachsen, indem sich mit ihnen jetzt Sektoren des Kleinbürgertums,
die gestern gegen die UP aufgebracht waren, als Reaktion auf die blutige faschistische
Unterdrückung durch die Junta und auf die von ihr getroffenen antipopulären
und rückschrittlichen Maßnahmen zum gemeinsamen Kampf gegen die Diktatur
verbinden. Fortschreitend, jetzt aber sicher und fest, wird sich ein immer breiterer
Widerstand des Volkes gegen die faschistische Diktatur entwickeln.
Die Militärjunta gibt vor, interveniert zu haben, nachdem zwei staatliche
Gewalten die Regierung Allende für illegitim erklärt hätten, und
außerdem, um einem Plan Z zuvorzukommen, mit Hilfe dessen die Linke versucht
haben soll, alle demokratischen Sektoren, das Offizierskorps und sogar Allende
zu vernichten. Was meinen Sie dazu?
In diesen Äußerungen der Militärjunta widerspiegeln sich nur der
bis zum Tragischen lächerliche Charakter und das Groteske der Gorilla-Diktatur.
Nachdem sie die Moneda bombardiert haben, bemühen sie sich, zu erklären,
dies sei nicht ein militärischer Staatsstreich, sondern ein „Position-Beziehen
der Militärs“. Um dann gleich zu sagen, dass das Militär eine
„berufsbezogene, unparteiliche Institution“ sei. Sie geben vor, „interveniert“
zu haben, weil das eine wichtige Staatsgewalt, das Parlament, so verlangt habe,
um dann gleich nach dem Staatsstreich das Parlament zu schließen. Als ihr
Ziel bezeichnen sie die „Wiedereinführung der Legalität“
und errichteten Dutzende von KZs im ganzen Land, wo sie Zehntausende von Chilenen,
weil sie „Marxisten“ seien, einsperren. Sie sagen, sie hätten
eingegriffen, um mit dem Sektarismus Schluss zu machen, in dem Chile versunken
gewesen sei – und dann erklären sie 44 Prozent der Bevölkerung,
die mit den Linken waren, für illegal und verfolgen sie. Sie sagen, die Wirtschaft
des Landes rekonstruieren zu wollen, und bombardieren Fabriken und entlassen Tausende
von Arbeitern und Angestellten, weil diese „Marxisten“ seien. Sie
geben vor, „interveniert“ zu haben, um einem „Plan Z“
zuvorzukommen, demzufolge Allende am 19. September hätte ermordet werden
sollen – aber sie selbst ermorden ihn schon vorher, am 11. Sie geben vor,
die Menschenrechte verteidigen zu wollen – und haben schon mindestens
1 000 Personen an die Wand gestellt und Zehntausende ums Leben gebracht. Sie geben
vor, dass das Grundlegende ihrer Aktion die Verteidigung der „nationalen
Werte“ sei, und dafür verbrennen sie in den Straßen Bücher,
überfallen und plündern das Haus von Pablo Neruda, dringen mit dem Militär
in die Universitäten ein und durchsuchen mit Truppen das Haus des Kardinals.
All dies, wie sie sagen, um die Arbeiter und ihre Errungenschaften zu verteidigen
– und zuerst lösen sie deren Organisationen auf, dann entlassen sie
Tausende, verweigern die Bezahlung von Überstunden, erhöhen die Arbeitszeit
in einem System echter Zwangsarbeit, frieren die Löhne ein, erhöhen
die Preise, geben zumindest in Linares Großgrundbesitz an die alten Besitzer
zurück und ernennen in den Fabriken des sozialisierten Sektors die alten
Besitzer zu Vertretern der Regierung. Sie sagen, sie suchen Waffen bei den „Extremisten“,
die das Leben der „Chilenen“ gefährden würden – und
praktizieren den Völkermord in den Elendsvierteln, in den landwirtschaftlichen
Genossenschaften, in den Fabriken und Universitäten.
Heute ist Chile ein Land, das die Streitkräfte einem Regime unterworfen haben,
das dem eines von ausländischen Mächten besetzten Landes ähnelt.
Das Land steht unter „Belagerungszustand“, in allen Städten herrscht
„Ausgangssperre“; Militärgerichte – bei denen man keine
Berufung einlegen kann –, Militärrecht „in Kriegszeiten“,
massive Verhaftungen der Bevölkerung, Razzien wie im Krieg, immer mehr Folterungen,
Hinrichtungen ohne Verhandlungen, regelrechte Pogrome gegen Ausländer usw.
Das Offizierskorps der chilenischen Streitkräfte hat dem chilenischen Volk
den Krieg erklärt. – Mitten in den 70er Jahren und in Lateinamerika
sind wir Zeugen einer noch groteskeren und barbarischeren Version des Hitlerfaschismus.
Der Unterschied zwischen diesen faschistischen Gorillas und ihren hitlerischen
Vorgängern besteht – wenn es einen gibt – darin, dass
die Erstgenannten nicht den Mut haben, ihre Verbrechen zuzugeben und sie hinter
Lügen und propagandistischen Montagen wie dem „Plan Z“ oder legalistischen
Masken zu verbergen suchen.
Welche Zukunft hat ihrer Meinung nach diese Regierung?
Sie wird nicht dauerhaft sein. Chile hat weder eine kräftige und expansionistische
Industriebourgeoisie wie Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten noch das ökonomische
Potential eines Brasiliens. Die Verhältnisse in Lateinamerika und in der
Welt dieses Jahrzehnts sind nicht dieselben des vergangenen Jahrzehnts: heute
ist der sozialistische Block gestärkt, das Volk Indochinas hat dem Imperialismus
bedeutende Niederlagen in Vietnam, Laos und Kambodscha zugefügt, in Lateinamerika
hat sich die kubanische Revolution gefestigt, die Krise innerhalb des nordamerikanischen
und lateinamerikanischen Bürgertums wird jedes Mal größer, die
Massenbewegung nimmt in Lateinamerika zu und ist auch in Chile noch stark. Die
faschistische chilenische Diktatur wird immer mehr ihre Hände mit Blut beflecken,
wird zunehmend repressivere und gegen das Volk gerichtete Maßnahmen ergreifen,
ihre inneren Widersprüche, die jetzt schon groß sind, werden zunehmen,
genauso wie die Widersprüche in den bürgerlichen Sektoren. Gleichzeitig
wird sich der Volkswiderstand gegen die Diktatur unter den Arbeitern festigen,
was schließlich zum Sturz der Diktatur führen wird. Wenn dann die Arbeiterklasse
und das Volk durch die dramatischste und beste politische Schule gegangen sein
werden – die eiserne Klaue der bürgerlichen und imperialistischen
Diktatur –, dann werden die demokratischen Freiheiten wiederhergestellt
werden, und der Weg zu einem echten revolutionären Prozess der Arbeiter und
Landarbeiter wird sich öffnen.
Waren die USA nach Ihrer Meinung und Ihren Informationen, wie behauptet
wird, an diesem Putsch beteiligt?
Wir haben einen Monat vor dem Putsch über ein Netz von Rundfunkstationen
öffentlich angezeigt, dass ein Mitglied der nordamerikanischen Botschaft
an einer Versammlung mit der gesamten Führungsspitze der Marine und mehreren
hohen Offizieren der Heeresdivisionen des Nordens teilgenommen hat, die um 1 Uhr
nachts, am 20. Mai, auf einem Kreuzer der Marine im Hafen von Arica stattgefunden
hat. Danach, in den Monaten Juni/Juli, kam auf jedes Schiff der Flotte ein Offizier
des nordamerikanischen Marinegeheimdienstes: Tatsachen, die nie von der Marine
bestritten wurden.
Jeder Schritt der reaktionären Konspiration wurde von der brasilianischen
Militärmission und dem Marinegeheimdienst Nordamerikas geplant und geleitet.
Welche Aufgaben stellt Ihr Euch in der jetzigen Lage?
Nur allgemein: die gesamte Linke und alle demokratischen Sektoren vereinigen,
die bereit sind, den Kampf gegen die Diktatur voranzutreiben; die Massenbewegung
in neuen Formen reorganisieren und den Widerstand des Volkes gegen die Diktatur
in allen seinen möglichen Formen im ganzen Land zu entwickeln.
Wer den Krieg erklärt hat, waren die faschistischen hohen Offiziere der Streitkräfte
und nicht wir. Sie haben die Spielregeln festgelegt. Sie sind bis zum Extrem gegangen,
eine Norm einzuführen, die allerblutigste Norm, die noch in keinem Krieg
aufgestellt wurde: jeder, der Widerstand leistet, wird erschossen, was nichts
anderes ist als ein Krieg bis auf den Tod, ein Krieg ohne Gefangene. Es wird ein
langer und schwieriger Kampf sein, aber die Arbeiterklasse und das Volk mit seiner
Avantgarde an der Spitze werden mit Sicherheit siegen. Viele sind schon gefallen,
und weitere werden fallen; aber sie sind von anderen ersetzt worden und werden
weiterhin ersetzt werden. Der Kampf wird nicht aufhören, bevor er nicht die
faschistische Junta zu Fall gebracht, die demokratischen Freiheiten wiederhergestellt
und den Weg zu einem revolutionären Prozess der Arbeiter und Bauern geöffnet
hat.
Wie schätzen Sie die internationale Solidarität
mit der chilenischen Linken ein? Und um was würden Sie diejenigen bitten,
die Ihnen außerhalb Chiles helfen möchten?
Die internationale Solidarität war von grundsätzlicher
Bedeutung. Die Tatsache, dass Menschen in vielen Länden den Putsch abgelehnt
haben, dass sich demokratische und revolutionäre Sektoren der ganzen Welt
gegen den chilenischen Faschismus mobilisiert haben, war von größter
Hilfe. Besonders wichtig war die Solidarität des sozialistischen Blocks und
der kubanischen Revolution, demokratischer und revolutionärer Sektoren in
Europa sowie verschiedener Sektoren in Lateinamerika, insbesondere der Revolutionären
Volksarmee Argentiniens ERP, der Befreiungsbewegung Tupamaros in Uruguay und der
Nationalen Befreiungsarmee Boliviens ELN. Der internationale Druck spitzt die
internen Widersprüche der Junta und die Widersprüche, die zwischen der
Junta und anderen Sektoren bestehen, zu, während er gleichzeitig wenigstens
einige der blutigsten und brutalsten Spitzen der Junta neutralisiert.
Bezüglich dessen, was man im Ausland für den Kampf gegen die Gorillas
und gegen den Faschismus in Chile tun kann: alles ist nützlich, die Morde
und die Barbareien des Regimes so breit wie möglich zu veröffentlichen,
die politische und materielle Unterstützung des Widerstands zu fördern,
die Protestveranstaltungen auszuweiten, die Solidaritätskampagnen vervielfältigen,
nach Möglichkeit verhindern, dass noch mehr Regierungen den chilenischen
Faschismus anerkennen, und im Rahmen des Möglichen die Sabotage gegen die
faschistische Junta im Ausland voranzutreiben: die chilenischen Schiffe in den
Häfen nicht löschen oder ähnliche Maßnahmen. Eine der vordringlichsten
Aufgaben ist, zu verlangen, dass man den Generalsekretär der chilenischen
KP, Luis Corvalan, der augenblicklich gefangen ist, nicht erschießt und
unverzüglich freilässt und dass man unmittelbar den Erschießungen
und den Folterungen der Verhafteten ein Ende setzt.
Möchten Sie etwas hinzufügen?
Ja, heute, am Tag des heldenhaften Guerilleros (8. Oktober, Tag
des Todes von Che Guevara; d. Red.), möchte ich an erster Stelle Salvador
Allende ehren, der sein Leben für die Verteidigung seiner Überzeugungen
gelassen hat, sowie die Tausenden von Helden und Märtyrern aller Organisationen
der Linken, die Arbeiter, die auf Plätzen und Straßen, in Fabriken,
Siedlungen und auf dem Land Chiles im Kampf gegen den Faschismus ihr Blut vergossen
haben und die noch fallen oder heute gefoltert werden. Besonders möchte ich
das Mitglied des Zentralkomitees, den Mitbegründer des M.I.R. und Vorsitzenden
des Regionalkomitees von Valdivia, Fernando Krausse, 24 Jahre alt, und unseren
Genossen und Vorsitzenden des Lokalkomitees von Panguipulli, José Gregorio
Liendo, ehren, die vor einigen Tagen von den faschistischen Gorillas in der Provinz
Valdivia hingerichtet wurden, einer Zone, in der der bewaffnete Widerstand weitergeht.
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