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Der Krieg nach dem Krieg
Anton Holberg junge Welt 9. Januar 2004


Sudan: Ölabkommen zwischen Regierung und SPLA-Guerilla. Neue Kämpfe im westlichen Darfur

Ein für die Zukunft des Sudan „großer Durchbruch“, so der kenianische Chefvermittler Lazaro Sumbeiywo am Mittwoch in Nairobi, sei nach 20 Jahren Krieg erzielt worden. Die islamische Zentralregierung in Khartum und die Guerilla der Sudan Volksbefreiungsarmee (SPLA) hatten sich auf die Verteilung der Einnahmen aus der Förderung von Rohstoffen und auf die Einführung einer neuen Währung geeinigt, und in der Tat scheint mit der Ölfrage einer der seit 1983 zentralen Streitpunkte abgehakt: Es ging bei der im SPLA-dominierten Südsudan konzentrierten Erdölförderung um etwa 250 000 Barrel am Tag. Laut dem Abkommen werden während einer Übergangszeit von sechs Jahren die Öleinnahmen im Verhältnis 50 zu 50 zwischen beiden Seiten aufgeteilt. Danach soll die Bevölkerung im Süden über die weitere Zugehörigkeit zu Sudan oder über die Bildung eines eigenen Staates entscheiden.

Doch trügt der Schein eines bevorstehenden dauerhaften Friedens. Ungeachtet aller Fortschritte in den Friedensverhandlungen stehen vor einem Ende dieses Bürgerkrieges noch bedeutende Hürden, wozu vor allem die Fragen der Machtverteilung in Khartum sowie die Zugehörigkeit der Regionen Abyei, Southern Blue Nile und Nuba Mountains gehören.

Der bisherige Erfolg der SPLM ist es zwar, als militärisch stärkste Repräsentantin der überwiegend christlichen Bevölkerung der Südprovinzen die arabische und islamistische Regierung in Khartum durch den bewaffneten Kampf an den Verhandlungstisch gezwungen zu haben. Doch ungeachtet dessen entstand eine weitere militärische Front: Anfang vergangenen Jahres erklärte der Rechtsanwalt Abdel Wahid Mohammad Ahmed Nour den Beginn des bewaffneten Kampfes im Darfur, einer Provinz im Westen des Sudan. Dort hatten sich sowohl die wirtschaftliche als auch die Sicherheitslage insbesondere seit den frühen neunziger Jahren immer mehr zugespitzt.

Nachdem Mitte Dezember Gespräche zwischen Khartum und dem „Sudanese Liberation Movement“ (SLM) zusammengebrochen waren, verhängte die Regierung den Ausnahmezustand über die Region. Am vergangenen Samstag nun erklärte SLM-Generalsekretär Minni Arcuo Minnawi gegenüber Reuters, daß seine Organisation die Stadt Sherya 70 Kilometer östlich von Nyala erobert und im zweistündigen Kampf 200 Regierungssoldaten getötet habe. Regierungstruppen hätten ihrerseits 200 Zivilisten im Dorf Sorra umgebracht und 4000 Bewohner aus sechs umliegenden Dörfern vertrieben.

Die SLM ebenso wie die zweite im Darfur aktive Rebellenbewegung namens „Justice and Equality Movement“ (JEM) werfen der Zentralregierung vor, die schwarzafrikanischen Ethnien der Region politisch und wirtschaftlich zu marginalisieren und sie den Raubzügen und Überfällen arabischer Nomadenstämme nicht nur auszusetzen, sondern diese sogar zu decken und zu unterstützen.

Im Darfur geht es nicht um Erdöl. Es geht hier auch nicht so sehr um die insbesondere seit dem Machtantritt der „Nationalen Islamischen Front“ (NIF) unter Hassan al-Turabi forcierte Unterwerfung aller Teile des Landes unter das islamische Recht. Als Endpunkt einer von Ägypten ausgehenden transsaharanischen Handelsstraße war der Darfur schon seit der Antike kulturell vielfältig mit dem nördlichen Rand der Sahara verbunden. Die hier lebenden Ethnien, vor allem die Fur und Masalit, sind seit längeren überwiegend Muslime, und das Sultanat Darfur gehörte in vorkolonialer Zeit zu den bedeutendsten afrikanischen Staaten des Sahel-Gürtels. Sprachlich haben diese Völker allerdings ungeachtet der großen Unterschiede zwischen ihnen nichts mit dem Arabischen zu tun. Vor allem aber leben sie überwiegend von der Landwirtschaft.

Dabei spielt sich der aktuelle Konflikt zwischen einer nicht-arabisch sprechenden sesshaften Bevölkerung und arabischen nomadisierenden Viehzüchtern ab. Diese unter dem Namen Juhayna bekannten Nomaden sind – ursprünglich von der arabischen Halbinsel kommend – etwa im 19. Jahrhundert westlich bis nach Bornou im Tschad vorgedrungen. Weder als Kamelnomaden (Abbala) noch als Rindernomaden (Baggara) haben sie allerdings in der Region, darunter im Darfur, in früheren Zeiten eine politische Rolle gespielt. Vielmehr waren sie Vasallen der dortigen afrikanischen Könige bzw. Sultane, die noch bis 1916 herrschten, und mussten ihren Tribut mit Vieh und Soldaten entrichten.

Im postkolonialen Staat Sudan hat sich dieses Verhältnis jedoch grundlegend verändert. Insbesondere die von der NIF kontrollierte Regierung in Khartum hat die traditionellen Stammesführer gezielt geschwächt und Teile ihrer Ländereien an arabische Nomadenstämme gegeben. Die traditionelle Konkurrenz von Bauern und Viehzüchtern um den Boden hatte sich in der Region im Zuge der Sahel-Dürre und des Fortschreitens der Sahara nach Süden seit den 70er Jahren deutlich verschärft. Die Regierung in Khartum ergriff in dieser Situation einseitig Partei für die arabische Seite. Inzwischen sind rund eine Million Menschen von den Kriegshandlungen im Darfur unmittelbar betroffen.

Jenseits der Grenze, im Tschad, haben sich bereits 26 000 Flüchtlinge aus dem Darfur eingefunden und benötigen dort dringend Nahrung, Wasser und Kleidung. UN-Generalsekretär Kofi Annan warnte bereits vor „der sich rapide verschlechternden humanitären Lage“ im Darfur und vor den verbreiteten Übergriffen gegen Zivilisten, vor „Morden, Vergewaltigung und dem Niederbrennen und Plündern ganzer Dörfer“. Die Regierung in Khartum spricht von „Stammesauseinandersetzungen“. Im Januar 2003 setzte sie Bodentruppen und Luftwaffe im sich auf über 3000 Meter erhebenden Massiv des Jebel Marra ein und unterstützte nach Meinung des UN-Sonderbeauftragten für humanitäre Angelegenheiten, Tom Eric Vraalsen, arabische Milizen, die gegen die Zivilbevölkerung vorgehen.

Durch die Friedensverhandlungen von Nairobi zwischen Regierung und SPLM hat der Bürgerkrieg im Darfur ebenfalls Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ob das allerdings so bleibt, ist ungewiss. Schließlich geht es nicht wie im Südsudan darum, dass westliche Konzerne zukünftig ungestört die sudanesischen Erdölvorkommen ausbeuten können.
 9. Januar 2004