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Rüstung und Krieg – Kapitalismus und Globalisierung
Winfried Wolf Internationalistische Konferenz Berlin 17. März 2006
Drei apokalyptischen Reiter
Treffen von EU-Verteidigungsministern wie dasjenige vom 5. März 2006
in Innsbruck – oder kurz zuvor, Anfang Februar, das Stelldichein von
Vertretern des militärisch-industriellen Komplexes bei der Münchner
Sicherheitskonferenz – sind Treffen von Schreibtischtätern,
von Leuten, die das Zerstören, das Sengen und Brennen, das Foltern, Quälen,
Töten und Morden als Handwerk diskutieren und oft auch praktizieren. Bob
Dylan hat in seiner frühen, guten und politischen Zeit diese Leute als „the
masters of war“ besungen.
Der Protest gegen solche Treffen ist ein moralischer, weil es ein Grundelement
im menschlichen Sein gibt: die Liebe zum Leben und der Respekt vor dem Leben.
Die „masters of war“ zerstören Leben und gehen im Wortsinne über
Leichen.
Wir nennen diejenigen unmoralisch, die, wie George W. Bush, Gott im Munde führen
und mit ihrem verlängerten Arm Städte im Irak – wie Falludscha – in
Schutt und Asche legen und Folter in Abu Ghraib, Guantánamo und in CIA-Gefängnissen
in Osteuropa praktizieren lassen. Als dem US-Kriegsminister Donald Rumsfeld ein
Dokument in die Hände kam, in dem als Folterpraxis beschrieben wurde, wie
entkräftete Gefangene in Abu Ghraib zehn Stunden lang gezwungen werden,
aufrecht zu stehe, notierte er an den Rand: „Na und? Ich stehe zwölf
Stunden am Tag“.
Wir nennen diejenigen unmoralisch, die sich, wie die EU-Verteidigungspolitiker,
positiv auf christliche und auf demokratische Prinzipien und auf die „Werte
des Abendlandes“ beziehen und gemeinsam mit der US-Regierung dabei sind,
einen nächsten Krieg um Öl, den gegen den Iran, vorzubereiten.
Der britische Dramatiker Harold Pinter hat in seiner Stockholmer Rede anlässlich
der Verleihung des Literatur-Nobelpreises die Verlogenheit und Unmoral der „masters
of war“ an ihrem Umgang mit Leben und ihrer Ignoranz für Leben wie
folgt dokumentiert:
„Ganz zu Beginn der Invasion (in den Irak 2003) veröffentlichten
die britischen Zeitungen auf der Titelseite ein Foto von Tony Blair, der einen
kleinen irakischen Jungen auf die Wange küsst. ‚Ein dankbares Kind‘,
lautete die Überschrift. Einige Tage später gab es auf einer Innenseite
einen Bericht und ein Foto von einem anderen irakischen, vierjährigen Jungen,
ohne Arme. Eine Rakete hatte seine Familie in die Luft gesprengt. Er war der
einzige Überlebende. ‘Wann bekomme ich meine Arme wieder?‘ fragte
er. Der Bericht wurde nicht weiter verfolgt. Nun, diesen Jungen hielt auch nicht
Tony Blair in den Armen, weder ihn noch sonst ein anderes verstümmeltes
Kind oder irgendeine blutige Leiche. Blut ist schmutzig. Es verschmutzt einem
Hemd und Krawatte, wenn man eine aufrichtige Ansprache im Fernsehen hält.
Die 2000 im Irak gefallenen Amerikaner sind peinlich. Sie werden bei Dunkelheit
zu ihren Gräbern transportiert. Die Beerdingungen finden dezent statt, an
einem sicheren Ort. Die Verstümmelten verfaulen in ihren Betten, manche
für den Rest ihres Lebens. Die Toten und Verstümmelten verfaulen beide,
nur in unterschiedlichen Gräbern.“ [1]
Moral ist berechtigterweise eine wesentliche Triebkraft beim Widerstand gegen
Rüstung und Kriege und im Engagement für den Frieden. Doch es ist nicht
das Unmoralische, das die Unmoral schafft. Nicht das Böse gebiert das Böse.
Und schon gar nicht ist es „der Mensch“, der aufgrund seiner angeblich
aggressiven Natur zum Kriegerischen neigt und Rüstung, Zerstörung und
Kriege hervorbringt.
Es sind vielmehr sehr spezifische Faktoren, die aus einem Sponti-Linken Joschka
Fischer den deutschen Außenminister machten, der 1999 perfide argumentierte „wegen
Auschwitz“ müsse man einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die
Bundesrepublik Jugoslawien führen. Es sind sehr spezifische Faktoren, die
aus der Pastorentochter Angela Merkel – die übrigens auch Mitglied
der DDR-Akademie der Wissenschaften war – eine Politikerin machten,
die – ich zitiere – „mit freundlichen Worten und
Marschflugkörpern ... den Werten den Nation dienen“ will. Und
es sind sehr spezifische Faktoren, die aus dem österreichischen grünen
Linken Johannes Voggenhuber einen Europaparlamentarier machten, der mit krimineller
Energie für einen Verfassungsentwurf der EU eintritt, der eine Verpflichtung
zur ständigen Aufrüstung festschreibt.
Diese Triebkräfte sind Teil der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Es sind drei apokalyptische Reiter, die der inneren Dynamik des Kapitals entspringen
und die logisch in Rüstung, Krieg und Vernichtung münden. Diese drei
apokalyptischen Reiter werden sich inmitten der EU-Verteidigungsminister, der „masters
of war“, befinden, wenn sich diese im Innsbrucker Kongresszentrum versammeln – übrigens
handelt es sich hier, wie der österreichische Verteidigungsminister Günther
Platter bezeichnenderweise betont, um „ein informelles Treffen“,
das „der Vorbereitung des formellen Verteidigungsgipfels am 15. Mai in
Brüssel“ dient. [2]
Apokalyptischer Reiter Nummer Eins: Die Rüstungsindustrie
Zu nennen ist als erster apokalyptischer Reiter die Rüstungsindustrie selbst – und
weiter gefasst: der militärisch-industrielle Komplex. Das spezifische Gewicht
der Rüstungskonzerne in der gesamten Ökonomie – sei es der
weltweiten oder sei es der europäischen – hat sich in den letzten
Jahren deutlich erhöht. Den Ausgangspunkt bildet dabei die unglaubliche
Steigerung, die es hier vor allem in den USA gab. Die Rüstungsausgaben lagen
hier 1998 bei 280 Milliarden US-Dollar. Sie erreichen 2006 425 Milliarden US-Dollar.
Dabei sind die reinen Ausgaben für den Krieg im Irak noch nicht enthalten.
Doch auch die Rüstungsausgaben in Europa steigen deutlich an. Dasselbe gilt
für Japan. Soeben wird aus China berichtet, dass die Rüstungsausgaben
2006 überproportional – um rund 15 Prozent – ansteigen.
Nun ist es nichts Neues, dass man mit Waffen Geld machen und dass man an Kriegen
verdienen kann. Interessant ist, weshalb man heute weit mehr und weit besser
als in den meisten früheren Zeiten in diesem Sektor gewinnbringend Kapital
anlegen kann.
Diese Logik geht so: Wenn man weltweit die Löhne senkt, die Arbeit verdichtet,
die Arbeitszeiten verlängert, das Renteneintrittsalter anhebt, also die
Lebensarbeitszeit verlängert, wenn man auf diese Weise gewaltige Arbeitslosenheere
schafft, dann erhöht man zwar die Gewinnmargen in der eigentlichen Produktion.
Doch am Ende mangelt es auch an Nachfrage. Der Binnenmarkt schrumpft. Die kaufkräftige
Massennachfrage stagniert oder ist gar rückläufig.
In einer solchen Phase der kapitalistischen Produktion, die verkürzt als „Neoliberalismus“ bezeichnet
wird, befinden wir uns. [3] In dieser Situation steigen die Ausgaben der
Staaten für Rüstungsgüter. Sie werden teilweise kreditfinanziert – so
vor allem in den USA. Sie werden weltweit aber auch durch ein kontinuierliches
Absenken der Sozialausgaben finanziert. Zugespitzt lässt sich sagen: Armutsgesetze
wie Hartz IV und der Eurofighter bedingen sich; die Erhöhung des Renteneintrittsalters
auf 67 und die Anschaffung des Militärtransporters A400M bilden eine logische
Einheit. Wer für die Anschaffung ganzer Flotten von neuen Militär-Transporthubschrauber
vom Typ NH 90 und von Kampfhubschraubern vom Typ Tiger plädiert, handelt
vernünftig, wenn er dafür eintritt, dass die Krankenkassen ab einem
bestimmen Alter die Finanzierung künstlicher Hüftgelenke nicht mehr übernehmen.
In den Worten des CDU-Jungpolitikers Mißfelder: „Früher gingen
die Leute ja auch am Stock.“
Mangelnde Massennachfrage und steigende staatliche Rüstungsausgaben – die
natürlich selbst wiederum Resultat von Lobbyarbeit sind – weisen
einem Teil des Kapitals den Ausweg, sich verstärkt im Rüstungssektor
zu engagieren. Die hier vorfindbaren Anlagebedingungen und Profiterwartungen
sind vorzüglich. Es war Rosa Luxemburg, die im Vorfeld des Ersten Weltkriegs,
also in einer anderen Auf- und Hochrüstungsphase des Kapitalismus, diese
exzeptionellen Bedingungen im Rüstungsbereich beschrieb und diese in Abgrenzung
zum „gewöhnlichen Kapitalismus“ und zur „zivilen Produktion“ wie
folgt charakterisierte:
Im Rüstungssektor tritt „an Stelle einer großen Anzahl kleiner,
zersplitterter und zeitlich auseinander fallender Warennachfragen ... eine
zur großen, einheitlichen kompakten Potenz zusammengefasste Nachfrage des
Staates. ... In Gestalt der militaristischen Aufträge des Staates wird
die zu einer gewaltigen Größe konzentrierte Kaufkraft ... der
Willkür, den subjektiven Schwankungen der persönlichen Konsumtion entrückt
und mit einer fast automatischen Regelmäßigkeit, mit einem rhythmischen
Wachstum begabt. Endlich befindet sich der Hebel dieser ... Kapitalakkumulation
in der Hand des Kapitals selbst – durch den Apparat der parlamentarischen
Gesetzgebung und des zur Herstellung der öffentlichen Meinung bestimmten
Zeitungswesen.“ [4]
Hier gibt es auch den großen gemeinsamen Nenner aller Rüstungsindustriellen
und aller militärisch-industrieller Komplexe. Den „masters of war“ ist
bewusst, dass die Kapitalanlage im Rüstungsbereich eine exquisite, besonders
lukrative ist. Selbst Kriege hindern sie nicht daran, gemeinsam und über
alle Gräben und Gräber hinweg diese Vorteile zu genießen: So
kooperierten die Waffenproduzenten Krupp in Deutschland und Vickers in England
während des Ersten Weltkriegs. Im Zweiten Weltkrieg produzierten Ford in
Köln und Berlin und General Motors (Opel) in Rüsselsheim für die
NS-Armee und unterzeichneten – ohne Zwang – ihre Geschäftsschreiben
mit „Heil Hitler“, wobei die gleichen US-Mutterkonzerne natürlich
auch für die US-Armee als Lieferanten von Kriegsmaterial aktiv waren. Umgekehrt
arbeitete der größte deutsche Konzern, die IG Farben, bis 1943 eng
mit dem größten US-Unternehmen, mit der Standard Oil zusammen.
In diesem Zusammenhang ist die jährliche Münchner Sicherheitskonferenz
interessant. Ihr Organisator, der frühere Berater von Bundeskanzler Helmut
Kohl, zuvor BMW-Topmanager und heute Europa-Vertreter des größten
Rüstungsproduzenten der Welt, Boeing, Horst Teltschik, betonte jüngst
in einem Interview mit Alexander Krahe für das Inforadio Berlin-Brandenburg
(rbb) den internationalen Charakter dieser Branche:
„Die Sicherheitskonferenz war ja ursprünglich eine Nato-Konferenz.
Ich habe sie globalisiert. Ich habe heute praktisch alle wichtigen Spieler der
Weltbühne hier in München versammelt.“
Teltschik meint die „Spieler“ im „Casino des Todes“.
Eine Bilanz dieses ersten Aspekts beim Zusammenhang Kapitalismus und Krieg lautet:
Wir sagen Nein zur Rüstungsindustrie als einer spezifischen Form der Warenwirtschaft.
Wir lehnen die Globalisierung dieses todbringenden Geschäfts, jeden Rüstungsexport
und jegliche Rüstungsproduktion ab.
Apokalyptischer Reiter Nummer Zwei: Exportwirtschaft
Da ist als zweiter apokalyptischer Reiter die Expansion der Exporte und der Drang
auf die Weltmärkte zu nennen.
Diese – für manche überraschende – Kriegslogik
geht so: Weil die Nachfrage im Inneren begrenzt ist und weil sie immer mehr durch
die beschriebene neoliberale Wirtschaftspolitik begrenzt wird, suchen die Konzerne
nach Absatzauswegen. Sie finden sie im Ausland. Sie steigern ihre Exporte. Nun
ist die Welt aber keine Scheibe, bei der irgendwo das Exportierte in ein Nichts
oder ein Bermuda Dreieck fällt, sondern eine Kugel, bei der jeder Exporteur
immer mal wieder im Ausland auf seinen Konkurrenten im Inland stößt.
Im Klartext: Die überall kopierte Wirtschaftspolitik im Inneren und die überall
verabreichte Rezeptur des größeren Engagements im Export führt
zu einer enorm verschärften internationalen Konkurrenz. Jeder macht jedem
den Exportmarkt streitig und jeder macht bei sich daheim den Binnenmarkt kaputt.
Und jeder entdeckt denselben anscheinend unbegrenzten „neuen Markt“ – seit
einigen Jahren beispielsweise China.
Das ist eine fatale und in solchen Zeiten wiederkehrende Rezeptur, die Kurt Tucholsky
auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, 1931, in die folgenden Zeilen
fasste [5]:
Unser Geld ist in allen Welten:
Kapital und Zinsen und Zubehör.
So lassen wir denn unser großes Malheur
Nur einen, nur einen entgelten:
Den, der sich nicht mehr wehren kann.
Den Angestellten, den Arbeitsmann.
...
Unsere Inserate sind nur noch ein Hohn.
Was braucht denn schon die deutsche Nation
Sich Hemden und Stiefel zu kaufen?
Soll sie doch barfuß laufen!
Wir haben im Schädel nur ein Wort:
Export! Export!
Was braucht ihr eigenen Hausstand?
Unsre Kunden wohnen im Ausland!
Für euch gibt’s keine Waren.
Für euch heißts: sparen! sparen!
Nicht wahr, ein richtiger Kapitalist
Hat verdient, als es gut gegangen ist.
Er hat einen guten Magen.
Wir mußten das Risiko tragen.
Wir geben das Risiko traurig und schlapp
Inzwischen in der Garderobe ab.
Was macht man mit Arbeitermassen?
Entlassen! Entlassen! Entlassen!
Wir haben die Lösung gefunden:
Krieg den eigenen Kunden!
Dieweil der deutsche Kapitalist
Gemüt hat und Exportkaufmann ist.
Wußten Sie das nicht schon früher -?
Gott segne die Wirtschaftsverführer!
Eine Exportorientierung in einem derart verschärften internationalen Konkurrenzkampf
kann auf Dauer nur dann glaubhaft durchgeführt werden, wenn sie militärisch
untersetzt und abgesichert wird. Es ist kein Zufall, dass die jeweils führende
Wirtschaftsmacht auf dem Weltmarkt immer zugleich die größte Militärmacht
und vor allem die stärkste Militärmacht zur See, zur „Begleitung“ des
Welthandels, war: Das war Spanien bis ins 17. Jahrhundert, dann Großbritannien
bis nach dem Ersten Weltkrieg. Seit dem Zweiten Weltkrieg und bis heute sind
dies die USA. Ebenso waren Exportoffensiven von Wirtschaftsmächten, die
noch auf Rang zwei, drei oder vier verharrten, früher oder später mit
dem Umbau früherer Verteidigungsstreitkräfte in Streitkräfte für
Auslandseinsätze und „Interventionen“ begleitet. Es gab bisher
auch die Variante, dass im Vorfeld einer Exportoffensive die Militarisierung
und ein Angriffskrieg standen, die die „friedliche“ Exportoffensive
erst für die Zeit nach dem Sieg vorsahen – letzteres war das
Modell für den „zu spät gekommenen“ deutschen Kapitalismus
im Ersten und im Zweiten Weltkrieg.
Am Hindukusch und auf dem Balkan wird also von deutschen respektiven österreichischen
Soldaten nicht die Freiheit von Menschen verteidigt, wohl aber die Freiheit deutscher
und österreichischer Konzerne, weltweit zu exportieren oder vor Ort selbst
Rohstoffe und Menschen auszubeuten. Dass das nicht eine „überholte
Theorie“ ist, hat jüngst Thomas L. Friedman verdeutlicht. Der Mann,
ein Berater der US-amerikanischen Außenministerin Madleine Albright, brachte
diese Verbindung zwischen zivilem Export und militärischer Untersetzung
in dankenswerter Klarheit wie folgt auf den Punkt:
„Die unsichtbare Hand des Marktes funktioniert nicht ohne die sichtbare
Faust. McDonald kann nicht prosperieren ohne McDonald-Douglas, den Hersteller
der F-15-Kampfflugzeuge. Diese sichtbare Faust sichert auf der ganzen Welt den
Sieg der Technologie-Produkte des Silicon Valleys. Diese Faust sind die Landstreitkräfte,
die Marine, die Luftwaffe und das Marine-Chors der USA.“ [6]
Die wachsende Weltmarktkonkurrenz mündet logisch in die verschärfte
Blockkonkurrenz und in die Aufrüstung der EU. Das „informelle Treffen“ der
EU-Verteidigungsminister in Innsbruck soll sich, so die „Tiroler Zeitung“,
auf „den Beginn der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
(ESVP)“ beziehen, die ihren Ursprung „im Europäischen Rat in
Köln im Juni 1999“ hat. [7] Dieser Bezugspunkt ist äußerst
wichtig. Der erwähnte EU-Gipfel in Köln fand noch während des
Nato-Kriegs gegen die Bundesrepublik Jugoslawien statt. Dort wurde beschlossen,
dass die EU als aufsteigende Wirtschaftsmacht in Bälde ähnliche Kriege
für eigene Interessen und mit einem von der Nato unabhängigen Equipment
führen können müsse. Dies wurde konkretisiert mit den Projekten
Aufbau eines militärisch-industriellen Komplexes, mit einer unabhängigen
EU-Interventionsarmee, mit einem eigenen Militärtransporter und mit einem
eigenen, militärisch-nutzbaren Satelliten-System. In Innsbruck und (im Mai)
in Brüssel wird diese Kölner Tagesordnung bilanziert: Der militärisch-industrielle
Komplex steht mit der EADS, die 60 000 Mann-Frau-EU-Armee ist im Aufbau
begriffen, der Militärtransporter A400M soll im Jahr 2008 und das Satelliten-System
Galileo soll 2008/2009 einsatzbereit sein.
Die Konzeption eines europäischen Blocks als Sprungbrett für die wirtschaftliche
und militärische Weltherrschaft hat im Übrigen eine lange Tradition.
Ich zitiere:
„Europa ist zu klein geworden für sich befehdende und gegenseitig
absperrende Souveränitäten. Es besteht das Ziel einer europäischen
Zollunion und eines freien europäischen Marktes, fester europäischer
Währungsverhältnisse mit dem späteren ziel einer europäischen
Währungsunion.“
So stand es in einer Denkschrift des deutschen Auswärtigen Amtes vom
9. September 1943. [8] Es war also Ziel des NS-Kriegs, nach dem militärischen
Sieg in Europa eine Zollunion und schließlich eine einheitliche Währung
einzuführen. Dieses Ziel wurde, im Wesentlichen auch im Interesse der gleichen
deutschen Konzerne, die die NS-Ziele diktierten, erreicht, wenn auch ein halbes
Jahrhundert später und auf anderen Wegen.
Unsere Bilanz zu diesem zweiten Aspekt beim Zusammenhang Rüstung und Kapitalismus
lautet: Die bestehende Welt mit einem Weltgendarmen, der US-Armee, ist abzulehnen.
Doch eine Welt, in der zwei Gangsterbanden mit wechselseitiger Hoch- und Aufrüstung
wetteifern, ist ein ebenso unangenehmer Aufenthaltsort. Wir lehnen ebenso die
US-Kriege ab, wie wir die EU-Aufrüstung bekämpfen.
Apokalyptischer Reiter Nummer Drei: der ölbasierte Kapitalismus
Als dritter apokalyptischer Reiter ist zu nennen: die stoffliche Verfassung des
Kapitalismus, das heißt, dessen extreme Abhängigkeit von Öl.
Der Mann, den der venezoleanische Präsident Hugo Chávez zutreffend „Mr.
Danger“ nennt, sagte im Februar in seiner Rede zur „Lage der Nation“ das
folgende:
„Amerika ist süchtig nach Öl. Und dieses Öl wird vielfach
aus instabilen Teilen der Welt importiert.“ [9]
Der Kapitalismus des Nordens war immer abhängig von den Ressourcen aus
dem Süden. Doch die heutige Situation ist einmalig. Noch nie in der Geschichte
gesellschaftlicher Produktion waren die Menschen derart abhängig von einem
einzigen Rohstoff, dem Erdöl, von einem derart zeitlich begrenzten Rohstoff
und von einem Rohstoff, der derart regional begrenzt und zunehmend konzentriert
vorhanden ist.
Die Abhängigkeit von Rohöl und seinen Derivaten Benzin, Diesel, Kerosin
und Raketentreibstoff wurde seit dem Auftreten der ersten Ölkrise 1973 noch
ausgebaut. Das in diesem Sektor angelegte Kapital fordert seinen Tribut und entwickelt – entgegen
jeder rationalen Überlegung, die in Richtung Energiewende gehen müsste – ein
immer größeres spezifisches Gewicht. Andere Sektoren und alternative
Modelle werden auf diese Weise vielmehr hinweggefegt oder in Nischen gedrängt.
Wie dies auch in den folgenden Zeilen beschrieben wird:
Hier ist Öl! Öl ist hier! Das liegt hier
Was die Motoren laufen macht, was die Schiffe bewegt!
Das kolbenschmierende Öl liegt hier im Boden!
Das die Städte hell macht! Schnell!
Verwandelt euch in Ölsucher, ihr Ziegenhirten! Schnell!
Schafft das Öl an die Oberfläche, tragt den Felsen ab, bohrt
Den Boden an, Bauern!
Aber da sind Ziegenhirten, die auf dem Feld grasen!
Aber da stehen Wohnhäuser, die 100 Jahre alt sind!
Aber da sind Grundbücher und Besitztitel!
Schnell! Schafft alles weg, was zwischen uns und dem Öl steht!
Weg mit den Ziegenhirten! Weg mit den Wohnhäusern!
Und weg mit den Grundbüchern und den Besitztiteln!
Hier ist Öl! Öl ist hier! Das kolbenschmierende Öl ist hier
Und das die Städte hell macht!
Bertolt Brecht schrieb diese Zeilen in den zwanziger Jahren. [10] Seither
hat sich die Abhängigkeit von Öl wesentlich verschärft. Entsprechend
wird immer aufs Neue verdeutlicht, welche Gewalt hinter dieser Abhängigkeit
steht. Wie es im Irak, in Nigeria oder im Iran immer wieder heißt: „Schafft
weg die Besitztitel! Schafft alles weg, was zwischen uns, dem reichen Norden,
und dem Öl steht“. Deutlich wird aber auch, dass dieses „kolbenschmierende Öl“ den
Motor der Weltwirtschaft nährt – und dass jede größere
Erhöhung des Ölpreises und schließlich die Endlichkeit dieser
Ressource zu einem Kolbenfresser im Weltwirtschaftsmotor führen muss. Eine
kommende Weltwirtschaftskrise dürfte erstmals in der Geschichte des Kapitalismus
auch eine Krise sein, deren Ursprung teilweise stofflich bedingt ist, nicht nur
der Wertseite entspringt, sondern auch der Gebrauchswertseite der Produktion.
In punkto Öl wird es auf den Treffen der EU-Verteidigungsminister Einheit
geben – und es gibt hier auch eine Einheit unter den transatlantischen „masters
of war“. Diese Einheit besteht in der Vorbereitung auf einen Krieg gegen
den Iran. Dabei geht es nicht primär um den Schutz Israels, es geht nicht
in erster Linie um das Atomprogramm des Iran und es geht nicht um die tatsächlich
kriminelle Holocaust-Leugnung des iranischen Ministerpräsidenten. Was das
Atomprogramm betrifft, so ist Deutschland mit dem Garchinger Forschungsreaktor
München II (FRM II), in dem atombombenfähiges Plutonium entsteht, näher
an der – illegalen – Atombombe als der Iran. Und es ist
nur wenige Wochen her, da äußerte der Sektionschef im Wiener Außenministerium,
Raiter, dass das Ziel der EU-Aufrüstung darin bestehen würde, die EU
zur Atommacht zu wandeln. [11]
In Wirklichkeit geht es bei den Kriegsvorbereitungen gegen den Iran um einen
Krieg gegen ein Land, das über die drittgrößten Ölvorräte
der Welt verfügt, und das sich zugleich in Bälde im Besitz von Atomwaffen
befinden könnte. Damit könnte sich ein denkbarer Endkampf um die Ressource Öl
für den ölsüchtigen Westen – und für die Weltbevölkerung – weit
dramatischer darstellen. Die Kombination Ölmacht und Atommacht soll mit
allen Mitteln, gegebenenfalls unter Einsatz von Atomwaffen, verhindert werden.
Die Bilanz des dritten Aspekts beim Zusammenhang Kapitalismus und Krieg lautet:
Unser Nein zum Krieg konkretisiert sich in einem Nein zu den Kriegen um Öl
und in einem Nein zur Erpressung des Iran durch die US-Regierung und durch die
EU-Regierungen. Dies wird ergänzt durch unsere Kritik an der ölbasierten
kapitalistischen Produktionsweise.
Die Dynamik des Kapitalismus
Die beschriebenen drei apokalyptischen Reiter Rüstungsindustrie, Exportorientierung
und die Abhängigkeit sind Teil der inneren Dynamik des Kapitalismus. Diese
Dynamik hat sich nach den Wendejahren 1989/90 enorm verschärft. Mit ihr
wurden Dämme der Moral hinweggefegt, wurden Prinzipien des Völkerrechts
mit Füßen getreten und wurde vieles von dem, was mit den Begriffen „Zivilisation“ und „Aufklärung“ umschrieben
wird, in Frage gestellt. Es war noch vor einem Jahrzehnt undenkbar, dass die
führende Weltmacht geheime Gefängnisse unterhalten und dies öffentlich
rechtfertigen würde. Es war vor wenigen Jahren noch undenkbar, dass es in
westlichen Staaten zur Praxis der Folter und zur Rechtfertigung derselben kommen
könnte. Und es war noch vor wenigen Jahren undenkbar, dass die Bundeswehr
sich nicht nur in der Theorie, sondern in der Praxis, durch eine neue spezifische
Bewaffnung auf einen Einsatz im Inneren vorbereitet. [12]
Es war vor allem der Nato-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, der den
Ausgangspunkt für diese Tabubrüche bildete. Auch hier wiederholt sich
Geschichte, wie das folgende Zitat zeigt:
„Jene chaotische Masse materieller Güter, Fertigkeiten und Gewohnheiten,
die wir Zivilisation nennen, hypnotisiert uns alle und gibt uns das falsche Gefühl,
als sei die Hauptsache bereits erledigt; und da kommt plötzlich der Krieg
auf dem Balkan und zeigt uns, dass wir immer noch auf allen Vieren durch die
Epoche der Barbarei laufen. Wir haben gelernt, Hosenträger zu betragen,
kluge, fortschrittliche Artikel zu schreiben und Milka-Schokolade herzustellen,
doch wenn wir ernsthaft die Frage des Zusammenlebens einiger Stämme auf
dieser segensreichen Halbinsel Europas lösen sollen, sind wir außerstande,
eine andere Art und Weise zu finden als eine gegenseitige Massenvernichtung.“ [13]
Das schrieb ein Leo Trotzki im Jahr 1912 als Kriegsberichterstatter auf dem
Balkan. Damals führten die Balkan-Kriegen in die Greuel des Ersten Weltkriegs.
Der moralische Protest gegen Kriege und die innere Einsicht in die innerkapitalistischen
Triebkräfte, die zu Kriegen führen, sind kein Gegensatz. Sie bilden
eine Einheit. Denn
- eine Kapitalanlage in Rüstung und eine Warenproduktion der Tötungsindustrie
sind zutiefst unmoralisch.
- Ein Export von Waren und Kapital auf dem Weltmarkt, der militärisch
abgesichert und aufgezwungen wird, ist selbst unmoralisch – und beinhaltet
logisch die Zerstörung ganzer Ökonomien und Kulturen.
- Eine Weltwirtschaft, die immer mehr auf die knappe Ressource Öl konzentriert,
diese rücksichtslos ausbeutet und in Kriege um Öl mündet, ist
amoralisch. Sie verspielt die Zukunft der jungen Menschen und die Zukunftsfähigkeit
der Menschen.
Insofern münden die Proteste gegen Rüstung und Krieg in einer ähnlichen
Stossrichtung, wie sie von Globalisierungsgegnern formuliert wird: „Eine
andere Welt ist möglich“. Die Analyse der inneren Logik von Rüstung
und Krieg mündet in die Ergänzung: „Eine andere Ökonomie
ist nötig“: Eine Ökonomie der Moral statt eines Terrors der Ökonomie
und einer Ökonomie des Terrors. Eine Ökonomie und Gesellschaft, in
der nicht die Profitmaximierung und die dieser innewohnende Kriegslogik, sondern
der Mensch und die Sehnsucht der Menschen nach Solidarität und Frieden im
Zentrum stehen.
Den „masters of war“ sind die Verszeilen des ermordeten John Lennon
entgegenzustellen: „Give peace a chance!“ und „Power to the
people!“
Fußnoten:
- Harold Pinter, „Den Spiegel zerschlagen“, Nobel-Vorlesung in
Stockholm, wiedergegeben in: junge Welt vom 10. Dezember 2005. [back]
- Platter nach: Tiroler Tageszeitung vom 4. März 2006. [back]
- Der Begriff „Neoliberalismus“ ist, ähnlich wie derjenige
der „Globalisierung“, schillernd und unpräzise. Entscheidend
ist, dass es sich immer um ein und dasselbe – kapitalistische –Wirtschaftssystem
handelt und dass es der Stand der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse,
des Verhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital, ist, welcher in unterschiedliche
Ausformungen des Kapitalismus mündet. Im so genannten „rheinischen
Kapitalismus“, im Kapitalismus mit einem ausgeprägtem Sozialstaat
oder auch in den skandinavischen kapitalistischen Ländern, existieren (oder
existierten) eine relativ starke Arbeiterbewegung, starke Gewerkschaften und
darauf basierend oft unterschiedliche Modelle von Mitbestimmung oder ein starker
Einfluss von sozialdemokratisch geprägten Regierungen und staatlichen Apparaten.
Meist haben Sonderfaktoren zu diesen spezifischen Modellen eines (teilweise und
zeitweilig) „gezähmten Kapitalismus“ beigetragen: So die Weltwirtschaftskrise
1929-32, die in den USA zum Modell des „new deal“ führte, so
die Niederlage des deutschen und italienischen Faschismus, die zu „Wirtschaftswunder“ und
den jeweiligen Sozialstaatsmodellen in Italien und Westdeutschland 1950 bis 1975
beitrug, so starke antifaschistische Partisanenverbände und starke Kommunistische
Parteien, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich und erneut in Italien
starke staatliche Strukturen mit sozialstaatlichen Elementen begünstigten,
so die Spaltung Deutschlands, die die herrschenden Eliten in der BRD veranlasste,
in der Zeit 1949 bis 1989 die „deutsche soziale Marktwirtschaft“ auch
als „Schaufenster nach Osten“ zu verstehen. In Österreich wiederum
gab es das Sondermodell einer militärischen Niederlage gepaart mit langjähriger
sowjetischer Besatzung, was wiederum in den starken staatlichen Wirtschaftssektor
mündete. [back]
- Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Berlin 1913, Reprint 1969,
S.442. [back]
- Kurt Tucholsky, Die Lösung, 1931, in: Kurt Tucholsky, Gedichte in einem
Band, herausgegeben von Ute Maack und Andrea Spingler, Frankfurt/M. und Leipzig
2006, S. 943f. [back]
- In: New York Time Magazine vom 28. März 1999. [back]
- Tiroler Zeitung vom 4. März 2006. [back]
- Nach: Reinhard Opitz, Europastrategien des deutschen Kapitals, 1900 bis 1945,
Bonn 1965, S.965. [back]
- Nach: Financial Times Deutschland, 2. Februar 2006. [back]
- Bertolt Brecht, Gesammelte Werke Band 9, Frankfurt/M. 1967, S.530f. [back]
- Vgl. Guernica, herausgegeben von der Werkstatt für Frieden und Solidarität,
Linz, Januar 2006. [back]
- Im Januar 2004 wird Generalmajor Manfred Engelhardt von der 10. Bundeswehr-Panzerdivision
in der „Schwäbischen Zeitung“ (15. Januar 2004) wie folgt wiedergegeben: „Inzwischen
hat es zusätzliche Ausrüstung und Einsatzmittel gegeben, ruft der Generalmajor
in Erinnerung. Dazu gehört etwa Reiz- und Tränengas, dessen Einsatz
der Bundeswehr im vergangenen Frühjahr noch verboten war.“ [back]
- Leo Trotzki, „Der Krieg ist erklärt“, verfasst für Kiewskaja
Mysl, vom 14. Oktober 1912, hier nach: Lew D. Trotzki, Die Balkankriege 1912/13,
Essen 1996, S.174f. [back]
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