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Afghanistan ist unsere Herausforderung
junge Welt Reiner Braun 7.
Juni 2008
Deutschland, das Land, in dem wir leben, arbeiten und wählen, führt
Krieg
Reiner Braun ist Geschäftsführer der IALANA (International Association
of Lawyers Against Nuclear Arms – Deutsche Sektion) und einer der
Sprecher der Kooperation für den Frieden
Seit Jahren ist die Bundesrepublik mit bis zu 3500 Soldaten an den militärischen
Auseinandersetzungen in einem fremden Land, etwa 9000 Kilometer von Deutschland
entfernt, beteiligt. Es ist der zeitlich längste und größte Militäreinsatz
in der fast 60-jährigen Geschichte des Landes.
Aber: Krieg spielt in dem Leben der Menschen in Deutschland kaum eine Rolle.
Das Leben geht seinen von Erfolgen, Sorgen, täglichen Wünschen und
Nöten geprägten „normalen Gang“. Afghanistan kann das „deutsche
Vietnam“ werden. Dies wird nicht wahrgenommen, wird verdrängt, wird
aber den Menschen auch von der politischen Klasse und den Medien mit angeblichen „Friedensargumenten“ ausgeredet.
Die deutsche Bevölkerung ist laut Umfragen kontinuierlich zu etwa 70 Prozent
gegen den Kriegseinsatz. Angesichts von Politikerlügen und Medienpropaganda
ist dieser Friedenswille gar nicht hoch genug zu bewerten. Er ist Zeichen einer
Friedenssehnsucht, die viel mit historischen Erfahrungen und dem erfolgreichen
langjährigen Wirken der Friedensbewegung zu tun hat.
Jedoch breiter Protest wie im Februar 2003 gegen den völkerrechtswidrigen
Irak-Krieg oder gar Widerstand gegen Krieg bleibt bisher aus. Zur Beschreibung
der Realität gehört deswegen: Den Abzug aller Besatzungstruppen aus
Afghanistan und Frieden in dem Land zu erreichen – das ist das härteste
Stück Holz, das die Friedensbewegung zurzeit bearbeiten muss.
Wir wenden uns mit unserem Engagement nicht nur dagegen, dass ein Volk, das 30
Jahre Krieg über sich ergehen lassen musste, weiter leidet. Nein, wir fordern
die Nato und deren Führungsmacht USA an einem zentralen politischen und
ideologischen Punkt heraus.
Der Militäreinsatz in Afghanistan nährt die Propagandalüge vom „Krieg
gegen den Terror“, die spätestens seit dem 11. September 2001 die
politische Debatte und weltweit die Gazetten beherrscht. Dieser Feldzug hat zu
massiver weltweiter Entdemokratisierung und zur Einschränkung von Freiheitsrechten
in vielen Ländern sowie zur Legitimierung fast jeden Verbrechens bis hin
zur Folter geführt. Die ihn begleitende ideologische Offensive zielt auf
eine brutale Gehirnwäsche, deren Auswirkungen wir in unserem Friedensengagement
zu spüren bekommen.
Politisch richtet sich unser Engagement gegen ein Herzstück der neuen imperialen
Weltordnung. So verlaufen durch Afghanistan nicht nur Transportrouten für Öl
und Gas von Nord nach Süd und von Ost nach West. Das Land ist auch der unsinkbare
Flugzeugträger zur Kontrolle der neuen Supermächte China und Indien
sowie Russlands und der ökonomisch mit ihm verbundenen GUS-Republiken.
Wir wenden uns gegen das größte kriegerische Engagement des modernsten,
hochtechnisierten Militärbündnisses der Welt, der Nato. Sie setzt mit
diesem Krieg einerseits ihre aggressive Strategie zur Sicherung von Rohstoffen
um, andererseits verfolgt sie mit ihm das auf dem Gipfel in Bukarest im Frühjahr
formulierte Ziel, die Nato nach der Osterweiterung zu einem weltweit handelnden
Militärbündnis zu entwickeln.
Innenpolitisch bedeutet das: Wir streiten gegen die (über)große Koalition
der Kriegsbefürworter, die – bis auf eine kleine Minderheit von
Aufrechten – auch die SPD und die Grünen mit einbezieht. Umso
höher ist die Friedensposition der Partei Die Linke einzuschätzen.
Ihre Haltung gilt es – auch von seiten der Friedensbewegung – gegen „Aufweichungen“ immer
wieder zu verteidigen.
Besonders mit dem kolonialistischen Argument, nur mit deutscher zivil- militärischen
Hilfe finde Afghanistan zum Frieden, werden wir uns weiter auseinandersetzen.
Es findet zum Teil auch bei zivilen Organisationen einen Widerhall. Allerdings
wird eine umfassende, unabhängige Evaluation der Situation nach sieben Jahren
Zerstörung und Tod vermieden.
Ergänzend sei erwähnt, dass die Koalition des Krieges von einer gewaltigen
Medienmacht abgesichert und gestützt wird. Journalisten, die der Aufklärung
dienen wollen, finden keinen oder höchstens einen belächelten Nischenplatz.
Zur Dialektik der Realität gehören aber auch die Gegenkräfte.
Das sind unter anderem:
- der Friedenswunsch der Menschen (weltweit);
- die historische Erfahrung, dass Kriege in Afghanistan von Besatzungsmächten
noch nie gewonnen wurden;
- die instabile soziale und ökonomische Lage im Land selbst;
- die taktischen Widersprüche innerhalb des imperialen Blocks unter
anderem zwischen USA und EU;
- die aus vielen Ursachen resultierende Krise der Nato;
- das weitgehende Festhalten der UN an einer völkerrechtskonformen
internationalen Politik;
- das Desaster besonders der USA im Irak und das auch damit verbundene
Negativimage der USA in großen Teilen der Weltbevölkerung.
Trotzdem: Es herrscht immer noch täglich Krieg in Afghanistan.
Keiner hat einen Masterplan für den Frieden in Afghanistan. Richtig bleibt,
dass der Abzug aller ausländischen Truppen (einschließlich ihrer Geheimdienste),
die Voraussetzung und der Kern einer Lösung sind. Dass dieser Abzug zivil
und finanziell (Reparationen, Aufbauhilfe) abgesichert werden muss, versteht
sich von selbst.
Friedensideen müssen in erster Linie von den gesellschaftlichen, heute oft
marginalisierten Kräften Afghanistans (Frauen, NGOs) und/oder der Region
ausgehen. Sinnvoll sind sicher auch Versuche der Friedensstiftung in einzelnen
Regionen oder kleinen Gebieten des Landes.
Grundbedingung bleibt der Abzug der Besatzungstruppen. Die Friedenbewegung soll
ihre Kräfte auf dieses Ziel konzentrieren und die Ablehnung des Bundeswehrmandats,
dessen Verlängerung im Herbst ansteht, zu einem gesellschaftlichen Thema
machen. Unser Ziel ist, eine deutlich größere Anzahl von Abgeordneten
für ein Nein zu gewinnen. Die Friedensaktivitäten sollten daher stärker
international vernetzt werden.
Die große Stärke der Friedenbewegung ist ihre Dezentralität und
ihre Verankerung in wichtigen Berufszweigen. Wir müssen die Debatte um Afghanistan
wieder in die Gesellschaft tragen. Nur aus ihr können die Impulse kommen,
die das Verhalten der Abgeordneten verändern. Hunderte von kleinen Veranstaltungen,
Referententouren und die Friedenspetition an den Bundestag sind wichtige Bausteine.
Das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern, das in den 80er
Jahren mit der Unterschriftensammlung unter den Krefelder Appell schon einmal
das Klima in unserem Lande friedenspolitisch grundlegend veränderte, muss
stärker gesucht werden.
Unverzichtbar bleiben demonstrative Aktionen in Berlin (und anderswo) im Zusammenhang
mit der Mandatsverlängerung. Hier gilt es, alle Zugänge und Chancen
zu nutzen, friedenspolitisch kritische Kräfte aus den Gewerkschaften, den
Kirchen und von SPD und Grünen zu gewinnen. Ob dazu eine neue Initiative „Umsteuern
zur Priorität zivil und zur Rückkehr zum Völkerrecht“ sinnvoll
ist, sollte intensiv diskutiert werden.
Viele unserer Freundinnen und Freunde aus anderen sozialen Bewegungen sind noch
nicht für ein Engagement gegen den Krieg in Afghanistan gewonnen. Dabei
liegt ein Zurückdrängen der Kräfte des Krieges (und des Neoliberalismus)
in unser aller Interesse, auch, weil ein Erfolg für den Frieden, die Handlungsbedingungen
der sozialen Bewegungen deutlich verbessern würden.
Fazit: Wir wissen, dass das Engagement der Friedensbewegung im Wesentlichen auf
mittel- und langfristige Erfolge ausgerichtet ist. Es bleibt bei dem oft beschworenen „langen
Atem“. Die Veränderung des Bewusstseins der Menschen und der gesellschaftlichen
Kräftekonstellationen erfordern eigenständiges massenhaftes Handeln.
Erst dadurch wird die Hegemonie der Friedenskräfte über die Kräfte
des Krieges erreicht. |
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