|
|
|
|
„Unsere“ Interessen in Afghanistan
junge Welt Peter Strutynski 7.
Juni 2008
Ein Beitrag zur ökonomischen Alphabetisierung
Peter Strutynski ist Politikwissenschaftler an der Uni Kassel und Sprecher
des Bundesausschusses Friedensratschlag
Koloniale Eroberungen in der Geschichte hatten neben der christlichen Missionierung
und „Zivilisierung“ der als „Barbaren“ wahrgenommenen
Naturvölker immer auch bzw. vor allem einen ökonomischen Sinn. Den
Kolonialmächten ging es um die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen
einschließlich der billigen Arbeitskräfte, die bis ins 19. Jahrhundert
hinein als Sklaven gehandelt worden waren. Im Wettlauf um attraktive Kolonien
mit entsprechenden Schätzen (vom Gold in Lateinamerika bis zu den Diamanten
in Afrika) spielten geostrategische Überlegungen ebenfalls eine Rolle. Die
Entdeckung des Erdöls als Schmiermittel des industriellen Kapitalismus fiel
in eine Zeit, in der die koloniale Epoche sich bereits ihrem Ende zuneigte und
sich schließlich im ersten imperialistischen Weltkrieg entlud. Fortan waren
vor allem die unabhängigen ölreichen Staaten des Nahen und Mittleren
Ostens auf die alte Weise nicht mehr zu beherrschen. „Eroberungskriege“ um
des Öls oder anderer Bodenschätze willen fanden weder im Zeitalter
der west-östlichen Bipolarität, noch finden sie heute statt. Das Ziel,
sich bzw. den zu begünstigenden transnationalen Ölkonzernen entsprechende
Vorteile bei der Förderung bzw. Verarbeitung und dem Transport der knappen
fossilen Energien zu verschaffen, wird in der Regel mit politischen Mitteln (willfährige
Regierungen wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate) erreicht.
In anderen Fällen müssen „gute Gründe“ gefunden werden,
um militärische Zwangsmaßnahmen gegen unbotmäßige Regierungen
zu rechtfertigen. Im Fall des Irak waren es die – nicht vorhandenen – Massenvernichtungswaffen,
im Fall des – noch nicht vollzogenen – Angriffs auf den
Iran ist es dessen Ausbau eines eigenen Atomprogramms sowie die vermeintliche
physische Bedrohung, die das Regime in Teheran für die Existenz Israels
darstellt.
Strategien
Kein Land wird schließlich offiziell wegen seiner geostrategischen Bedeutung
militärisch angegriffen. Hier müssen andere – ideologische,
moralische oder politische – Begründungen für Interventionen
herhalten. Bemerkenswert ist indessen, geostrategische und Ressourcen-Interessen
zwar nie als Interventionsgrund im konkreten Fall genannt werden, dass aber beide
Aspekte in den Sicherheitsstrategien der Großmächte eine Rolle spielen
und dort auch ungeschminkt artikuliert werden. Dies ist der Fall in der Nationalen
Sicherheitsstrategie des US-Präsidenten, in der Europäischen Sicherheitsstrategie
(ESS) wie in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung (VPR).
Die dabei immer wieder auftauchenden Topoi sind der Schutz wirtschaftlich bedeutender
Transportwege, der freie Zugang zu Ressourcen, die Aufrechterhaltung des freien
Welthandels, die Herstellung politisch stabiler Verhältnisse im Umkreis
der Europäischen Union, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
in aller Welt sowie die Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungsmitteln.
Regimewandel, Demokratieexport und die Ausbreitung von Freiheit und Menschenrechten
sind weitere Ziele, die formuliert werden, in der US-Strategie unverhohlen als
Aufgabe der Außen- und Militärpolitik, in der ESS und den VPR eher
als abstrakt politischer Anspruch.
Öl und Taliban
Die Besetzung oder Kontrolle eines Landes wie Afghanistan, das immerhin fast
doppelt so groß ist wie Deutschland, ansonsten aber nichts zu bieten hat,
kostet also mehr, als es abwerfen könnte. Wirtschaftliche Interessen dürften
also bei der Invasion der USA und der Nato im Oktober 2001 kaum eine Rolle gespielt
haben. Mittelbar aber durchaus. Afghanistan ist für den Nato- und EU-Westen
als mögliches Transitland von Interesse. Die im kaspischen Raum, nördlich
von Afghanistan gelegenen Republiken Kasachstan, Aserbaidschan, Turkmenistan
und Usbekistan verfügen über gigantische Erdöl- und Erdgasvorräte.
Die gegenwärtig geförderte Menge soll in den nächsten 13 Jahren
verdoppelt werden. Stuart Eizenstat, Staatssekretär in der Clinton-Administration,
wies schon vor zehn Jahren im US-Kongress darauf hin, dass „das Kaspische
Meer potentiell eine der wichtigsten neuen energieproduzierenden Regionen der
Welt“ sein würde. Und die Bemühungen US-amerikanischer Ölgesellschaften
(zum Beispiel UNOCAL), mit der afghanischen Regierung wegen einer Pipeline ins
Geschäft zu kommen, die das bisherige Transportmonopol Russlands brechen,
daher nach Süden über Afghanistan und Pakistan an den Indischen Ozean
führen sollte, gehen in die Zeit der Taliban-Herrschaft Ende der 90er Jahre
des 20. Jahrhunderts zurück. Verwirklichen ließ sie sich erst nach
deren militärisch erzwungenem Sturz. 2002 wurde ein entsprechender Vertrag über
den Bau der Afghanistan-Pipeline von den Staatschefs Turkmenistans, Afghanistans
und Pakistans unterzeichnet. Wenn das Projekt bis heute noch nicht realisiert
werden konnte, dann liegt das daran, dass die Pipelinetrasse Gebiete durchqueren
soll, die immer noch bzw. wieder von den Taliban kontrolliert werden.
Bündnissolidarität
Hinzu kommen rein strategische Interessen. Die zentrale Bedeutung Afghanistans
veranlasste den US-amerikanischen Vordenker Zbigniew K. Brzezinski schon in den
90er Jahren zu der Feststellung, das Zentrum der „eurasischen Landmasse“ sei
wie ein „Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft die globale Vorherrschaft
abspielen“ werde. In der Tat kann das Land am Hindukusch als eine Art terrestrischer
Flugzeugträger benutzt werden mit den strategischen Zielen in unmittelbarer
Reichweite: Pakistan/Indien im Süden, Russland im Norden und China im Osten.
Für die Bundesrepublik spielt noch ein anderer Gesichtspunkt eine Rolle:
die Bündnissolidarität. Nach den Anschlägen vom 11. September
2001 war es für die Bundesregierung klar, sich nicht nur rhetorisch, sondern
auch praktisch an die Seite der USA in deren „Krieg gegen den Terror“ zu
stellen. Im Wettlauf um die Neuvermessung der Welt dürfen die wichtigsten
globalen Akteure der westlichen Führungsmacht nicht von der Seite weichen.
Nachdem Bundeskanzler Schröder dem US-Präsidenten seine „uneingeschränkte
Solidarität“ in die Hand versprach, gab es kein Zurück mehr.
Das geflügelte Wort des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck, wonach
Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde, hat das dauerhafte Engagement
in Afghanistan erst recht unterstrichen. Und dabei möchte die Bundesregierung
bleiben. Dazu werden auch bei der nächsten parlamentarischen Beratung um
die Verlängerung und Erweiterung des Bundeswehreinsatzes die alten Lügen
von der „Stabilisierung der Demokratie“, der militärischen „Absicherung
des Wiederaufbaus“ und der „Verteidigung der Menschenrechte“,
insbesondere der Rechte von Frauen und Mädchen aufgetischt. Die glaubt heute
aber kaum noch jemand. |
|
|