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Editorial
Broschüre vom Gegeninformationsbüro
6. September 2005
In Zusammenarbeit mit der ‚Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und
Militär‘ sowie mit ZeitzeugInnen haben wir am 6. Mai 2005 mit dem
Auto- und Fahrradkonvoi gegen Faschismus und Kapitalismus des 60. Jahrestages
der Befreiung vom deutschen Faschismus gedacht.
Im Vorfeld dieses Jahrestages gab es eine Vielfalt öffentlicher Meinungsäußerungen:
Für Faschisten und bürgerliche Reaktionäre ist der 8. Mai nach
wie vor der Tag der Kapitulation, während sich rot-grüne Regierungsvertreter
als geläuterte Demokraten darzustellen versuchten und vom „Jahrestag
des Kriegsendes“ aber auch von „Befreiung“ sprachen. Diese
Gesten dienten in erster Linie dem Image Deutschlands in der Welt: Deutschland
hat aus seiner Geschichte gelernt und nun können „wir“ wieder
besten Gewissens weltweit operieren – Schlussstrich.
Diesen Umgang mit der Geschichte nehmen wir nicht unwidersprochen hin. Gegen
die Geschichtsklitterung und das Vergessen wendeten sich der Konvoi und die Redebeiträge,
die an verschiedenen Kundgebungsorten gehalten wurden und in der vorliegende
Dokumentation abgedruckt sind.
Für Anti-FaschistInnen ist der 8. Mai der Tag der Befreiung, aber auch ein
Tag der Mahnung. Es hat 1945 keine Stunde Null in Deutschland gegeben. Vielmehr
ist die Nachkriegsgeschichte bis heute geprägt von personellen und institutionellen
Kontinuitäten. Mit jedem Jahrestag wurde und wird von herrschender Seite
die Absicht verfolgt, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu setzen, die
die vielschichtigen Ursachen und Folgen des 1. und 2. Weltkrieges verleugnet.
Mit der Zahlung von fünf Milliarden Euro ist für die BRD die Entschädigung
für ZwangsarbeiterInnen während der NS-Diktatur vom Tisch. Verfahren
gegen Kriegsverbrecher, die bis heute unbehelligt blieben, werden nach wie vor
verschleppt. Gedenkstätten wie Buchenwald oder die Seelower Höhen werden
inhaltlich umgebaut. KommunistInnen und AntifaschistInnen werden verfolgt und
kriminalisiert. Die faschistische Barbarei soll relativiert und mit der Geschichte
der DDR gleichgesetzt werden. Diese Geschichtsklitterung ist nicht nur widerwärtig,
sie ist gefährlich.
Seit 15 Jahren steht die BRD nicht mehr in Systemkonkurrenz mit dem Realsozialismus.
Regierung und Wirtschaft setzen wieder ganz offen auf aggressive Expansion. 1999
ging mit dem Überfall auf Jugoslawien der erste Krieg seit 1945 von deutschem
Boden aus – wieder mit der Zielrichtung, den Osten und Südosten
Europas zu beherrschen. Immer drängender beanspruchen die Kriegsverlierer
BRD und Japan einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat, um in der Neuen
Weltordnung gegen die Vorherrschaft der USA eigene imperialistische Interessen
durchsetzen zu können. Wenn Kriegsminister Struck tönt: unsere Freiheit
wird am Hindukusch verteidigt, so hat dies weitreichende Konsequenzen. Zum einen
heißt dies, dass die BRD in nächster Zukunft weltweit an noch mehr
Kriegen beteiligt sein wird und zum anderen wird die Bevölkerung schon heute
auf in Kriegsgebieten getötete Bundeswehrsoldaten eingestimmt. Außerdem
bedeutet diese Entwicklung – weil Kriege führen und der Unterhalt
von Besatzungstruppen teuer sind – dass eine grundlegende gesellschaftliche
Umstrukturierung durchgesetzt wird, die für immer größere Teile
der Bevölkerung immer mehr Lohnraub und damit auch zunehmende soziale Verelendung
bedeutet.
In den Kontext des politischen Rechtsrucks fällt auch der verschärft
repressive Umgang gegenüber MigrantInnen und die Aushöhlung des Asylrechts.
Abschiebungen sind an der Tagesordnung und die EU-Außengrenzen sind hermetisch
abgeschlossen. Gleichzeitig produzieren (geplante) Kriege und Ausbeutung immer
mehr Flüchtlinge, die in den Sicherheitsdoktrinen der BRD und der EU explizit
als Bedrohungspotentiale beschrieben werden.
Im Zuge des „Krieges gegen den Terror“ wird ein Schnüffelstaat
erschreckenden Ausmaßes geschaffen. Razzien und Generalverdacht gegen bestimmte
MigrantInnengruppen, die Kriminalisierung linker AktivistInnen und die geplante
Einführung biometrischer Pässe für alle BRD-BürgerInnen beabsichtigen
Kontrolle und Einschüchterung.
Vor dem Hintergrund der Erosion sozialer Absicherung und gesellschaftlicher Werte
verwundert es nicht, dass der jugendliche Mainstream in vielen Regionen Deutschlands
potentiell rechts steht. Die Spitze dieses Eisbergs sind die fast 200 Morde an
Obdachlosen, MigrantInnen, Punks und so weiter.
Mit dem Konvoi steuerten wir Orte an, an denen Geschichte und aktuelle Entwicklungen
zusammenkommen und eben jene Aspekte in den Mittelpunkt gestellt werden, die
die offizielle Geschichtsschreibung ausblendet. Drei Ebenen bildeten dabei den
Schwerpunkt:
- Institutionen, die als Teil des faschistischen Staatsapparates verantwortlich
für Verbrechen und Terror waren und deren Wirken institutionell und/oder
personell in die Nachkriegsgeschichte Westdeutschlands überging
- Konzerne, die von der NS-Diktatur profitierten, diese aktiv unterstützten
und heute wieder daran beteiligt sind, die BRD kriegsfähig zu machen
- und als letztes war es uns besonders wichtig darzustellen, dass auch während
des deutschen Faschismus Widerstand möglich war und auch heute dringend
nötig ist.
Auch den nächsten runden Jahrestag werden hoffentlich noch viele der Opfer
und Verfolgten des deutschen Faschismus erleben können. Ihre Kraft, ihre
Lebendigkeit und ihre Erfahrungen sind uns eine große Unterstützung.
Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle den TeilnehmerInnen an dem Konvoi:
Vera Ansbach, Erika Baum, Hans Coppi, Erwin Schulz und Erich Selbmann, die uns
mit ihren Erfahrungen als ZeitzeugInnen zur Seite standen.
Gegeninformationsbüro im Juni 2005
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