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Hans Coppi während seiner Rede am Lustgarten
Eröffnung der Propagandaausstelung „Das Sowjetparadies“ im Berliner Lustgarten am 8. Mai 1942 |
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Rote Kapelle gegen „Sowjetparadies“
Broschüre vom Gegeninformationsbüro
6. September 2005
Rede von Hans Coppi, Vorsitzender der Landesvereinigung Berlin der VVN-BdA.
Am 9. April 1942 kündigte der „Völkische Beobachter“ die
Vorbereitung einer großen antisowjetischen Propagandaausstellung in Berlin
an. Auf 9000 Quadratmetern wurde im Lustgarten eine „Lügenstadt“ Minsk
aufgebaut und Bauernhütten aus Erde und Stroh errichtet. Riesenfotos, auf
denen finster dreinblickende und offenbar zu allem bereite Menschen mit Beilen,
Messern, Äxten und Sicheln als Sowjetsoldaten ausgegeben wurden, sollten
Angst und Schrecken, Hass verbreiten. Einige Aufnahmen stammten von ausgemergelten
sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Herbst 1941 in das Konzentrationslager
Sachsenhausen eingeliefert und dort wenig später ermordet worden waren.
Mit dieser antisowjetischen Propagandaschau wollte die Nazi-Führung die
vermeintliche Überlegenheit der deutschen Rasse demonstrieren und den Überfall
auf die Sowjetunion in eine Befreiungstat verkehren. Propagandistische Aufrüstung
tat Not. Der Blitzkrieg im Osten war ins Stocken geraten. Hunderttausende Besucher
drängten sich durch die Ausstellung „Das Sowjetparadies“ und
fühlten sich in ihrer antisowjetischen Haltung durch die Präsentation
der Exponate bestätigt.
In Berliner Widerstandskreisen um Harro Schulze-Boysen wurde über die widerwärtige
Reaktion der meisten Besucher diskutiert und überlegt, was gegen dieses üble
Machwerk unternommen werden könnte. Kontrovers verlief der Meinungsstreit über
mögliche Aktionsformen. Schulze-Boysen schlug eine Zettelklebeaktion vor,
um in der Öffentlichkeit ein Zeichen zu setzen, dass die Gegner im Inneren
noch aktiv waren. Die Schriftsteller Adam Kuckhoff, Günther Weisenborn,
der Romanist Wernern Krauss, aber auch Kommunisten aus Neukölln und andere
waren gegen diese Aktion, weil sie eine Aufdeckung befürchteten. Junge Arbeiter
und Angestellte, Schüler des Heilschen Abendgymnasiums traten vehement dafür
ein. Sie wollten nicht nur reden, sondern auch handeln. Das Kleben der Zettel
begann am Sonntag, dem 17. Mai 1942, gegen 23 Uhr. Pärchenweise wurde vorgegangen,
so dass beim Kleben einer den anderen decken konnte. Die Frauen standen mit dem
Rücken an der Wand, während der männliche Begleiter davor stehend
jeweils die Zettel hinter dem Rücken der Frauen an Wände, Bäume
oder Litfasssäulen klebten. Harro Schulze-Boysen sicherte in Uniform und
mit gezogener Pistole die Klebeaktion am Sachsendamm. Meine Eltern waren im Wedding
und in Moabit unterwegs. Hunderte Klebezettel wurden in verschiedenen Stadtteilen
angebracht, woran sich zirca zwanzig Antifaschistinnen und Antifaschisten beteiligten.
Am Montag früh entdeckten viele Berlinerinnen und Berliner, die zur Arbeit
eilten, an Hauswänden und Bäumen: „Ständige Ausstellung – Das
Nazi-Paradies – Krieg Hunger Lüge Gestapo – Wie lange noch?“
Die Aktion erregte in Berlin Aufsehen. Alle Versuche der Gestapo, die Akteure
zu finden, blieben zunächst erfolglos. Im Herbst 1942 wurden aber alle Beteiligten
im Zusammenhang mit den Verhaftungen der „Roten Kapelle“ inhaftiert,
und die meisten von ihnen wegen der Teilnahme an dieser Aktion zum Tode verurteilt.
Vor 1933 und nach 1945 war der Lustgarten ein Ort, auf dem sich Antifaschistinnen
und Antifaschisten zu großen Kundgebungen trafen.
Parteien, Jugendausschüsse, Gewerkschaften und Kirchen hatten aufgerufen,
an der vom „Hauptausschuss Opfer des Faschismus“ initiierten Gedenkkundgebung
für die Opfer des Faschismus am 14. September 1946 im Berliner Lustgarten
teilzunehmen. Über Hunderttausend Berlinerinnen und Berliner kamen. Mit
Blumen, Reden, Musik und Rezitationen gedachten sie der Millionen Opfer der Nazi-Diktatur.
„Nie wieder Faschismus und Krieg“ war die Botschaft dieser Manifestation.
Den Auftakt bildeten einen Tag zuvor Gedenkstunden in allen Berliner Schulen
und Stadtbezirken. 1946 und 1947 ist der „OdF-Tag“ Ausdruck eines
Gestaltungswillens Überlebender und ehemaliger Widerstandskämpfer/innen,
die an diesem Tag ihre Vorstellungen für eine gerechte Gesellschaft selbstbewusst
formulieren und einfordern. Der zweite Sonntag im September ist der erste deutschlandweit
begangene Tag für die Opfer des Faschismus, an dem sich die Widerstandsgemeinschaft
von Christen, Konservativen, Sozialdemokraten und Kommunisten manifestierte.
Die seit 1947 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in ganz
Deutschland initiierten Gedenkveranstaltungen förderten eine beginnende
Auseinandersetzung mit der nazistischen Vergangenheit, forderten zu Fragen nach
den Verantwortlichen der Verbrechen und dem eigenen Verstricktsein heraus. Aufklärung,
Erinnerung und Mahnung taten Not. Denn die Mehrheit der Deutschen sah sich als
Opfer des Krieges und der Besatzung und verdrängte die Verbrechen, denen
sie zugesehen, die sie ermöglicht und geduldet hatten.
Der Ende der vierziger Jahre einsetzende Kalte Krieg führte zu einer Teilung
der Erinnerung. Mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR bildeten
sich verschiedene Gedenkkulturen heraus.
Bis Mitte der fünfziger Jahre war auch in West-Berlin und in westdeutschen
Städten der zweite Sonntag im September ein Tag, an dem der Opfer des Nazismus
gedacht wurde. In der Bundesrepublik war der von der VVN organisierte „OdF-Tag“ bis
in die sechziger Jahre Verboten und polizeilicher und juristischer Repression
ausgesetzt. Das offizielle Gedenken fokussierte sich mehr und mehr auf den Widerstand
um den 20. Juli 1944 und grenzte insbesondere den kommunistischen Widerstand
aus der Erinnerung aus. Die VVN und linke Organisationen setzten in den siebziger
Jahren die Tradition des „OdF-Tages“ in Westberlin und in wenigen
Städten Westdeutschlands fort.
Die DDR beging jedes Jahr den zweiten Sonntag im September als „Gedenk-
und Kampftag“. An diesem Tag wurde in vielen Orten der Opfer des Faschismus
gedacht, Gedenkstätten eingeweiht – so 1958 die Nationale Mahn- und
Gedenkstätte Buchenwald und 1959 die Gedenkstätte Ravensbrück.
Zehntausende Menschen versammelten sich alljährlich nunmehr auf dem Berliner
Bebelplatz gegenüber dem Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus.
Führende Funktionäre der SED, oft selbst Verfolgte des Naziregimes,
erklärten das Vermächtnis der Toten in der DDR allzu schnell für
erfüllt. Ausländische Vertreter von Widerstands- und Verfolgtenverbänden
sprachen von ihrem Kampf, über ihre Trauer, erzählten von ihren Hoffnungen
und ihrer nie versiegenden Zuversicht auf eine Welt ohne Krieg und Faschismus.
Der zweite Sonntag im September hatte mit seinen bewegenden Ehrungen und Kundgebungen,
aber auch mit seinen Ritualen, Überhöhungen und Einseitigkeiten einen
festen Platz in der antifaschistischen Erinnerungskultur der DDR.
Im Sommer 1990 riefen angesichts zunehmender antisemitischer und rassistischer Übergriffe
antifaschistische Organisationen und Initiativen aus Ost- und Westberlin dazu
auf, den zweiten Sonntag im September als „Tag der Erinnerung, Mahnung
und Begegnung“ weiterzuführen. Bis Mitte der neunziger Jahre fand
er jedes Jahr im Lustgarten, später vor dem Roten Rathaus und in den letzten
Jahren auf der Freifläche des Marx-Engels-Forums statt. Weit über 500
Organisationen, Initiativen und Parteien haben sich seit 1990 an dem Aktionstag
gegen Rassismus, Neonazismus und Krieg beteiligt. Er gehört zu den größten
regelmäßigen antifaschistischen Veranstaltungen in Berlin. In einer
Zeit, in der rechtsextreme Aktivitäten zunehmen und neofaschistische Gedanken
eine wachsende Zustimmung im Alltag erfahren, wollen wir viele Menschen ermutigen,
sich aktiv gegen nazistische und fremdenfeindliche Einstellungen und Gewalt zu
wenden.
Weiterführende Infos zur Roten Kapelle
„Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“, Herausgegeben
von Hans Coppi, Jürgen Danyel, Johannes Tuchel, Berlin 1994
„Hans Coppi:
Rote Kapelle“, in: „Lexikon des deutschen Widerstands“,
Herausgegeben von Wolfgang Benz, Walter H. Pehle, Frankfurt am Main 2001
Weitere
Informationen zum Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung auch auf der Website:
www.tag-der-mahnung.de. Eine Ausstellung über die Geschichte
des Tages der Opfer des Faschismus wird am 11. September 2005 auf der Freifläche
des Marx-Engels-Forums und bis Ende Oktober in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in
Friedrichshain, Franz-Mehring-Platz 1, gezeigt.
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