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Tag der Befreiung: Kein Naziaufmarsch am 8. Mai!
Aktionsbündnis Spasibo 3.
April 2005
Gegen Faschismus, Militarisierung und
deutsche Opfermythen
Vor 60 Jahren, am 8. Mai 1945, musste das militärisch geschlagene
Deutschland bedingungslos vor den Alliierten kapitulieren. An diesem Tag wurde
die Welt vom Nationalsozialismus, der vom Großteil der Deutschen getragen
wurde, befreit. Die Ära der nationalsozialistischen Barbarei fand ein Ende,
die ihren Ausdruck in Rassenwahn, Krieg, der Deportation und Vernichtung der
europäischen Juden und Jüdinnen, der Roma und Sinti und all der anderen
Menschen, die nicht ins Weltbild der Nazi-Ideologie passten, fand. Der Tag der
Befreiung ist daher ein Grund zur Freude, an dem wir aber auch daran erinnern
wollen, wer die Verantwortung trägt an Krieg und Vernichtung und wem wir
die Befreiung zu verdanken haben.
Der deutsche Faschismus bestimmt auch heute noch den erinnerungspolitischen Diskurs
in der BRD. Von Angela Merkel, die von einer „immer währenden Verantwortung,
die wir als Nation angesichts der Schrecken des Nationalsozialismus für
die Zukunft tragen“ spricht, bis zu Gerhard Schröder, dem „die
Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus eine bleibende Verpflichtung“ ist,
ist der Begriff der „Verantwortung“ als Beschreibung des Verhältnisses
der Deutschen zu ihrer Vergangenheit inzwischen konsensfähig. Bundespräsident
Horst Köhler betonte in seiner Ansprache vor der israelischen Knesset sogar,
dass „die Verantwortung für die Shoah“ ein „Teil der deutschen
Identität“ sei. Dieser vermeintlich antifaschistischen Rhetorik erwachsen
jedoch keine ihr entsprechenden Handlungen, darüber kann auch das Mahnmal
für die ermordeten Juden und Jüdinnen im Herzen Berlins nicht hinweg
täuschen. Aufgrund der konsequenzlosen und inflationären Verwendung
wird „Verantwortung“ zu einem Begriff ohne Inhalt, welcher beliebig
gefüllt und instrumentalisiert werden kann. Spätestens seit 1999 kennzeichnet
deshalb nicht Verdrängung, sondern die opportune Nutzung der nationalsozialistischen
Vergangenheit den Umgang mit der eigenen Geschichte. So wurde die aktive Kriegsunterstützung
Deutschlands im NATO-Krieg gegen Jugoslawien mit der Erinnerung an die Shoah
legitimiert. Außenminister Joschka Fischer begründete nicht trotz,
sondern wegen Auschwitz den ersten aktiven Auslandseinsatz der Bundeswehr. Seither
gehört es zur außenpolitischen Normalität, dass deutsche Interessen
wieder militärisch durchgesetzt werden können.
Wir positionieren uns entschieden gegen die Relativierung der nationalsozialistischen
Verbrechen und die Instrumentalisierung der Erinnerung an die Shoah. Wir fordern
die sofortige Auflösung aller deutschen Truppenverbände.
Nicht nur in der Außenpolitik zeigt sich, was die politische Gemeinschaft
Deutschlands unter historischer Pflicht versteht. So dauerte es 55 Jahre bis
im Juli 2000 ein Abkommen über die Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen
unterzeichnet werden konnte, und auch dies nur durch ständige Proteste der
Opferverbände und wiederholten Druck aus dem Ausland. Zu diesem Zeitpunkt
waren bereits etliche ehemalige ZwangsarbeiterInnen verstorben. Und selbst heute
noch laufen die Auszahlungen der vom Bundestag eingerichteten Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ schleppend bis gar nicht. Zudem wurden ganze
Opfergruppen aus den Entschädigungszahlungen ausgeschlossen. Hervorzuheben
ist hierbei die International Organisation for Migration (IOM), die für
die Bearbeitung der Anträge nicht-jüdischer und nicht in Osteuropa
lebender, ehemaliger ZwangsarbeiterInnen beauftragt wurde. Die IOM, deren eigentliches
Arbeitsfeld das Leiten von Internierungslagern für Flüchtlinge und
deren Abschiebung ist, lehnte alle Anträge der italienischen ZwangsarbeiterInnen
ab, die nach der Kapitulation Italiens als Militärinternierte verschleppt
und zur Sklavenarbeit gezwungen wurden. Diese inakzeptablen Aufspaltung in diese,
welche genug gelitten, und jene, die anscheinend nicht genug gelitten haben,
um finanziell entschädigt zu werden, demütigt die Opfer erneut.
Tausende deutsche Unternehmen haben während des zweiten Weltkriegs aus der
industriellen Vernichtung Kapital geschlagen, Kapital das durch „Arisierungen“ und
die Ausbeutung von Arbeitskraft zustande kam und später maßgeblich
zum Aufbau der BRD verwendet wurde. Wird bedacht, dass mehr als 14 Millionen
Menschen durchschnittlich etwa 1,5 Jahre zur Arbeit gezwungen wurden, dann erscheinen
die etwa fünf Milliarden Euro Stiftungsvermögen schon fast lächerlich.
Sie dienen der Rechtssicherheit für die Unternehmen, sich für alle
Zeit der Ansprüche entledigt zu haben. Im Mai 2001 interpretierte Bundeskanzler
Schröder dies wohlwollend als „Schlussstrich“.
Wir haben nicht vergessen, wie aus der industriellen Vernichtung Kapital geschlagen
wurde und fordern die vollständige und bedingungslose finanzielle Entschädigung
aller NS-ZwangsarbeiterInnen. Weiterhin fordern wir die Enteignung aller NS-Profiteure.
Ein würdiges Gedenken an die Opfer und die Gegner der nationalsozialistischen
Vernichtungsmaschinerie muss auch noch heute den Widerstand gegen geschichtsrevisionistische
Tendenzen beinhalten. Neben Schlussstrichdebatten und der Instrumentalisierung
der Erinnerung an die Shoah zählen hierzu auch Debatten, in denen die Täter
zu Opfern oder die Opfer zu Tätern gemacht werden. Ob als Leidtragende der
Umsiedlungen oder der Bombardierung deutscher Städte – das Bedürfnis,
die nationalsozialistische Geschichte aus einer anderen als der Täterperspektive
zu betrachten, ist groß. So gedenken beispielsweise in Dresden alljährlich
Zehntausende den deutschen Opfern der alliierten Luftschläge. Ausgeblendet
wird, wer für den Krieg verantwortlich war und von welcher überwältigenden
Mehrheit der Faschismus akzeptiert und getragen wurde. Mit der Stilisierung der
Deutschen zu Opfern geht die Dämonisierung der Befreier einher. Anknüpfend
an antikommunistische Ressentiments fallen Debatten über „den Schrecken
und das Leid der (deutschen) Bevölkerung, welche die Rote Armee von Ostpreußen
bis nach Berlin zu verantworten“ habe, auf fruchtbaren Boden. Dabei war
es die UdSSR, die die Hauptlast im Kampf um die Befreiung der Welt vom deutschen
Faschismus zu tragen hatte. Es waren die Menschen aus der UdSSR, deren Städte
und Dörfer von der Nazi-Wehrmacht zerstört, die ihrer Lebensgrundlage
beraubt und in einen Krieg verwickelt wurden, der ihnen aufgezwungen war. Zwanzig
Millionen von ihnen fielen den Deutschen zum Opfer. Es darf nie vergessen werden,
dass es die Rote Armee, die Partisanen und Saboteure waren, die den Angriff der
Nazi-Wehrmacht abwehrten und Deutschland maßgeblich zur Kapitulation zwangen.
Am 60. Jahrestag der Befreiung danken wir daher insbesondere der Roten Armee,
den Partisanen und WiderstandskämpferInnen, deren Einsatz gegen die Nazi-Tyrannei
oftmals klein geredet und verleumdet wird.
Es verwundert kaum, dass im Zuge erinnerungspolitisch relevanter Daten auch Neonazis
Geschichte in ihrem Sinn umdeuten wollen. Besonders ärgerlich für die
Protagonisten bundesrepublikanischer Erinnerungspolitik ist das immer dann, wenn
dadurch Bilder produziert werden, die um die Welt gehen und die BRD in einem
schlechten Licht stehen lassen. So geschehen im Februar in Dresden, als sich
5000 Nazis inhaltlich in den Kontext der offiziellen Gedenkveranstaltungen stellten,
indem sie „zu Ehren der Opfer des alliierten Bombenangriffs“ durch
die Stadt marschierten. Am 8. Mai wollen Neonazis durch Berlin marschieren. Ursprünglich
geplant war eine Route vorbei am Mahnmal für die im Nationalsozialismus
ermordeten Juden und Jüdinnen und durch das Brandenburger Tor. Dazu wird
es nicht kommen, obwohl der Aufmarsch vermutlich nicht verboten wird. Eilig wurde
debattiert das Straf- und Versammlungsrecht zu verschärfen und Vorbereitungen
für einen Staatsakt im Bundestag liefen an, welcher auf Leinwände am
Brandenburger Tor übertragen werden soll – letztlich nur zur Verteidigung
des nationalen Symbols. Eine derartige Symptombekämpfung und den staatlich
inszenierten Kampf um nationale Symbole lehnen wir genauso ab wie die mit Gesetzesverschärfungen
praktizierten autoritären Methoden. Denn die Ursachen für die Entwicklung
eines faschistischen Weltbildes bleiben ausgeblendet und auch der Notwendigkeit
des permanenten Widerstands gegen Neonazis wird diese Inszenierung nicht gerecht.
Wir rufen alle auf, sich nicht für die Regierungsinszenierung herzugeben
und mit uns am 8. Mai zu demonstrieren: für das Andenken an die Opfer des
Faschismus, gegen Militarisierung und deutsche Opfermythen. Lasst uns gemeinsam
den Neonaziaufmarsch verhindern! |
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